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Vom Werden - eine Erschöpfungsgeschichte

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19.08.2002
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Vom Werden - eine Erschöpfungsgeschichte

Es war nichts Grosses, als Er sich selbst schuf. So wie alles, was Er jemals geschaffen hat, eigentlich nichts Grosses war. Gross war allein seine Grösse vor sich selbst, doch was ist das schon...?

Am ersten Tag erfreute Er sich noch seiner eigenen Existenz, fragte sich, wie Er es denn wohl geschafft haben könnte, zu „werden“. Er kam zu keinem befriedigenden Schluss, nahm aber an, dass ihm etwas unvorstellbar Grosses gelungen sein musste. Er freute sich und schlief ein.

Am zweiten Tag war ihm bereits langweilig, gefreut hatte Er sich ausreichend und so fragte Er sich nach dem tieferen Sinn seiner auf so wunderbare Weise erlangten Existenz. Diese Frage beschäftigte ihn einige Stunden, doch dann tauchte in seinem Innern eine Idee auf, deren Ursprung Er sich zuerst noch zu erklären versuchte, bald aber, des Nachdenkens müde, als seine zweite grosse Leistung nach seinem Werden anerkannte und sich sogleich an deren praktische Umsetzung machte. Was entstanden war, wollte sich selbst „Frau“ nennen, wogegen Er eigentlich nichts einzuwenden hatte. Die Frau entwickelte sich folglich jedoch keineswegs nach seinen Vorstellungen, denn anstatt ihm zu Füssen zu liegen, ihn zu ehren und zu erfreuen oder ihm zumindest für ihre Existenz zu danken, begann sie bereits gegen Abend dieses zweiten Tages lästige Fragen zu stellen: „Wo komme ich her? Wer bin ich? Was soll ich tun?“ Als sie dann, es war schon sehr spät geworden, auch noch wissen wollte, warum es überhaupt etwas gab, was Er Tag oder Abend nannte – unterschieden sich diese doch in der Tat nicht voneinander – und Er selbst keine Antwort darauf wusste, entschloss Er sich, der nervigen Fragerei ein Ende zu setzen. Schon kurz darauf lag die Lösung des Problems vor ihm: Er hatte ein der Frau sehr ähnliches Wesen geschaffen, es allerdings so konzipiert, dass es viel kräftiger als jene war und setzte es zu ihr, welche ihre Umgebung inzwischen „Erde“ genannt hatte, um sie zu beherrschen und ihre die Fragerei auszutreiben. Der „Mann“ – so benannte es die Frau in ihrer eigenmächtigen Art sofort, war einfacheren Gemütes, kümmerte sich nicht um das Wesen seiner Existenz und konnte – wie Er es erhofft hatte – dank seiner physischen Überlegenheit die Frau innert kürzester Zeit zu seiner Dienerin machen. Jetzt konnte Er sich wieder freuen, schliesslich hatte Er seine Ruhe und konnte sich endlich schlafen legen.

Am dritten Tag wurde Er jäh geweckt von lautem Geschrei. Er war äusserst erstaunt, als Er plötzlich neben der Stimme der Frau und derjenigen des Mannes auch noch eine dritte, der des Mannes ähnliche Stimme vernahm. Er erfuhr, dass es der hinterhältigen Frau gelungen war, den Mann mit ihrer geübten Zunge zu betören und sie es geschafft hatte, mit seiner Hilfe einen zweiten Mann zu erzeugen. Zu allem Übel war nun zwischen den zwei Männern auch noch ein heftiger Kampf um die Gunst der Frau entbrannt, denn wegen ihres – wie sich leider herausstellte – zu einfachen Gemütes waren sie der Frau hoffnungslos verfallen. Dies konnte Er schon des dadurch entstandenen Lärms wegen nicht dulden, Er dachte kurz nach und in seiner Not schien es ihm das einzig Richtige zu sein, die Frau und mit ihr auch die beiden Männer von der Erde verschwinden zu lassen. Alsdann öffnete Er die Schleusen des Himmels – auch dies ein Begriff, den die Frau erdacht hatte – und liess gewaltige Massen von Wasser auf die Erde stürzen, solange, bis die gesamte Erde davon überdeckt war. Danach, als es wieder ruhig geworden war, legte Er sich hin und schlief bis weit in den vierten Tag hinein.

Am vierten Tag schuf Er viele neue Wesen, die Er auf die leer geglaubte Erde setzte, achtete aber diesmal sorgfältig darauf, sie mit möglichst wenig Fähigkeiten zu versehen, die sie hätten Fragen stellen lassen können. So konnten sie zum Beispiel weder sprechen noch denken. Diese Arbeit hatte ihn zwar ermüdet, aber doch auch sehr befriedigt. Am Ende des vierten Tages konnte Er folglich wieder ruhig schlafen.

Der fünfte Tag begann mit einem Paukenschlag: Er vernahm die Stimme der Frau von der Erde, glaubte zuerst, sich dies nur einzubilden, musste aber bald konsterniert feststellen, dass sie seine Sintflut tatsächlich in einem Holzgefäss, das sie sich von den Männern hatte bauen lassen, überlebt hatte. Ihr war es zudem gelungen, zusammen mit den Männern, inzwischen gab es bereits eine grössere Anzahl von ihnen, die am Vortag so mühevoll geschaffenen Wesen zu beherrschen und ihr zunutze zu machen. Ihre Stimme hatte sie nun zu ihm erhoben, weil sie sich darüber beklagen wollte, dass sich die „Tiere“ gegenseitig töteten und frassen. Arroganterweise fügte sie auch gleich noch einen Verbesserungsvorschlag an: Er solle etwas erschaffen, was den Tieren und – egoistisch wie sie war – auch ihr und den Männern als Nahrung dienen könne. Und genau in diesem Augenblick hatte Er seine dritte grosse Eingebung (nach seiner eigenen Schöpfung und derjenigen der Frau als erstes anderes Lebewesen): Er würde etwas erschaffen, das nicht lebte und das ihn gleichzeitig der Frau entledigen sollte, worauf er besonderen Wert legte. Was er nun schuf, wurde „Pflanzen“ genannt, die speziell für die Frau vorgesehene giftige Pflanze war ein „Apfel“, von dessen süssem Geschmack er sich erhoffte, dass ihm die Frau nicht widerstehen könne. Nach dieser neuerlichen Anstrengung lehnte Er sich zurück und schlief zufrieden ein.

Als Er am sechsten Tag die Frau immer noch sprechen hörte, sie hatte nämlich – die List ahnend – eine Schlange verführt, für sie den Apfel zu kosten und war vor dem Gift verschont geblieben, hatte er das Dunkel seiner Schöpfung auf der Erde satt und Er schuf das Licht. Als Er das ungeheure Chaos (Tohuwabohu) erblickte, welches Er mit seinem Handeln angerichtet hatte, erschrak er dermassen, dass Er in einen tiefen, ohnmächtigen Schlaf verfiel, der den ganzen siebten Tag – und wer weiss wie lange noch – dauerte...

 

Hallo Ventur!

Die Geschichte hat mir gut gefallen, vor allem wegen der Respektlosigkeit gegenüber der Religion :)
Du hast mich damit auf die Idee gebracht, was sich alles denken lässt wenn man die Allmacht Gottes in eine ohnmächtige Ratlosigkeit umkehrt. Ohnmächtig ratlos im Bezug auf die eigene Existenz.
Für mich entsteht das Bild des gelangweilten Alleinherrschers, der sich durch seine eigene Kreation selber vernichtet.
Vielleicht könnte man dem ganzen noch mehr Würze verleihen, wenn Gott man Gott als Kind darstellt. Denn seine Verhaltensweise erinnert an das Kind. Das Kind, das ausprobiert und mit Schrecken sieht was es angestellt hat. Ebenso kindlich stellt sich seine kurze Begeisterungsfähigkeit und Trotzigkeit dar. Was er gemacht hat gefällt ihm nicht und er zerstört es kurzerhand. Alle vorherige Begeisterung ist verflogen.

Hm hab vor ein paar Tagen "Mein persönliches Interview mit Gott" gelesen, hat mich ein wenig daran erinnert.

All the best,

Janos

 

hallo zusammen,

Yoshuab, Er ist ja eigentlich gar nicht genauer definiert, man darf in ihm also gewiss ein Kind sehen, wenn dies denn der Geschichte förderlich ist...
Oresund, die Sprachqualität dieses Textes lässt zugegebenermassen zu Wünschen übrig. Dies geschah aber in der Absicht, etwas Nähe zu unseren Bibeltexten zu bewahren, welche doch ebenfalls nur in bescheidenem Masse höheren literarischen Ansprüchen genügen, sollte doch auch für etwas weniger Gebildete ein zumindest oberflächliches Verstehen möglich sein. Exegetik kann auch in kleineren Partiärthemen betrieben werden, eine werkumspannende Aussage war nie meine Absicht. Ich habe die Geschichte übrigens in Philosophie untergebracht, nachdem ich dort die doch auch leicht satirische Persiflage auf Zarathustra gelesen habe... (Kompliment dazu: wirklich gelungen!)
Vielen Dank auch für die Kritik,

grüsse, ventur

 

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