Vom Schreiben und anderen Peinlichkeiten
Vom Schreiben und anderen Peinlichkeiten
Spitzweg muss eine richtige Bazille gewesen sein! Wie konnte der so ein Bild malen? Es ging einfach nicht aus meinem Kopf. Ehrlich, ich habe es dann getan, mich ins Bett gelegt und mir sogar so eine dämliche Zipfelmütze besorgt. Wegen der Atmosphäre, vor allem aber der schrägen Decke wegen, war ich auf den Dachboden ausgewichen. Der Regenschirm über mir war authentisch positioniert und der Einfachheit halber mit einem Nagel durch das Tuch direkt an einen Dachbalken gehämmert. Das Gänsefederkissen, ein Erbstück meiner Großmutter väterlicherseits, dämpfte aufgrund extrem negativer Ausdünstungen zunächst jegliche Kreativität. Doch dann war er da, der geniale Einfall! Was fehlte, waren Block und Stift. Also raus aus der Kulisse und hinein ins Treppenhaus.
Wie bei allen bisherigen Begegnungen, würdigte mich die Nachbarin von der dritten Etage recht keines Blickes. Hoch erhobenen Hauptes und grußlos verschwand sie in ihrer Wohnung. ‚Dumme Gans’, dachte ich, und erinnerte den Federkiel im Tintenfässchen. Es war mein erster, dritter Preis gewesen, ausgelobt vom Kleingartenverein ‚Heimat’ zum Thema ‚Natur und Frohsinn’.
Nach mehreren vergeblichen Klingelversuchen und dann doch durch den Türspion von meinem Sohn erkannt, gelangte ich zurück in die Wohnung zu meinem Schreibtisch. Das Tintenfässchen enthielt zwar keine Tinte, dafür war aber die Gänsefeder mit einer Kugelschreibermine ausgestattet. Praktisch, praktisch so ein Preis, dachte ich und versenkte Fässchen und Feder in meiner Bademanteltasche.
Den eingerollten Schreibblock und einen Ersatzstift stopfte ich in die Tasche auf der anderen Seite des Mantels.
Zurück unter Wolldecke und Regenschirm, riss ich die ersten zwei zerknitterten Blätter des Blockes ab und warf sie auf den Boden. Ich nahm die Feder zwischen Daumen und Zeigefinger, leckte die Spitze – das machte man früher so – und führte ihn bis auf den Bruchteil eines Millimeters über das jungfräuliche Weiß des Papiers.
Mit einem Mal kam ich mir irgendwie dusselig vor. Was machte ich? Der Typ auf dem Bild war ein gnadenloser Versager, erfolgreich erfolglos. Vielleicht schrieb er auch nur sein Testament? Testament kann auch nicht sein, wer vermacht schon einen Regenschirm mit Loch, ein paar alte Bücher und einen Stiefelknecht und das auch noch schriftlich? Nein, nein, der Mann hatte etwas zu sagen, war sicherlich seiner Zeit weit voraus und darum unverstanden.
Es war der Titel des Bildes, der Sehnsüchte hatte in mir aufsteigen lassen: ‚Der einsame Poet’. Ja, aus der Einsamkeit Kraft schöpfen, dem materiellen Mangel zum Trotz das Füllhorn geistigen Überflusses ausschütten, Traditionen brechen, neue Werte für Generationen schaffen.
„Papa! Mama sagt, du kannst das hier sicher brauchen“, hörte ich die Stimme meines Sohnes, der eine Taschenlampe, eine Flasche Bier und den Ordner mit meinen gesammelten Werken neben mir ablegte.
Das war es doch! Es durchfuhr mich wie ein Donnerschlag. Wer neue Wege sieht und sie nicht beschreitet, verkümmert in geistiger Armut. Der einsame Poet machte es mir doch vor, deutlicher ging es doch gar nicht. Im Bild, vor dem Ofen, liegt ein schon halb zerfleddertes Buch. Der Typ nutzt die gedruckten Seiten als Brennmaterial, der verheizt die Irrtümer der Vergangenheit.
Meine Spontaneität hatte nicht zugelassen, auch noch nach einem geeigneten Ofen zur Bereicherung der Szene Ausschau zu halten. Zudem hätte soviel an Authentizität wohl allen Brandschutzvorschriften widersprochen. Zum Glück gab es da den eingemotteten Gartenrundgrill, den ich nun in Position setzte. Ich muss gestehen, was folgte war nicht leicht, doch es musste sein. Ohne die Spange des Ordners im Inneren zu öffnen, riss ich einige Seiten meiner alten Schriften aus und legte sie symbolisch auf den Grill. Bisher war es doch so, dass ich immer über Themen geschrieben hatte, für die es niemanden gab, mit dem ich darüber hätte reden können. Zudem musste ich feststellen, dass ich es für Leute geschrieben hatte, die es nicht lesen wollten. Mein Entschluss stand fest: Ich schreibe nur noch für mich und spätere, verständnisvollere Generationen!
Ich nahm die Feder, die zwischen meinen Zähnen kurzen Halt gefunden hatte und schrieb auf das Blatt vor mir: ‚Von meinem Schreiben und anderen Peinlichkeiten“.