Vom Gehen
Vom Gehen
Ein Fenster geht auf den Hof, die Mauer um den ganzen Platz, das Menschengeschlecht gegen Mitternacht um den Abguss, seinen gewohnten Gang. Manche gehen in Zivil und die Röcke wieder über die Knie, der Krug geht noch immer zum Brunnen, auch wenn er laengst gebrochen ist. Auch ich gehe: langsam, gebückt, barfuss, auf Zehenspitzen, an Krücken und deinem Arm - im Zickzack, rückwärts, aus dem Haus, unter Menschen, über die Strasse, in den Wald, nach Norden, etwa dreissig Minuten auf und ab, seither alleine hin und her, bis die letzte Stunde schlägt. Gehe mit uns! Im Gleichschritt, Marsch!, auf noch fettere Zeiten zu, bis zum bitteren Ende, Schulter an Schulter, blind, vorwärts, mal stramm und aufrecht - unsere Fahne flattert stolz im Wind – dann auf Knien nach Kanossa, meist aber wie am Schnürchen, immerfort: im Guten wie im Bösen. Nur der Dumme geht auf Händen in sich, ein einziger geht nicht: Gott! Gott steht. Er ist nie gegangen. Weil er gar nicht gehen kann. Aber ohne ihn geht ueberhaupt nichts mehr, seit ein Affe gelernt hat sich aufrecht auf Füssen fortzubewegen, aber von da gehts immer nur und nur vorwärts, von Afrika in die ganze Welt bis zum Mond. In finsterer Sternstunde musste einer das Rad erfinden; aus Bequemlichkeit. Damit begann unsere Zeit und seither geht sie auch zu Ende, auch wenn das Rad der Zeit noch immer und noch immer ein bisschen schneller dreht – bis es steht. Doch erst geht einer übers Wasser und in die Geschichte ein, Ikarus in die Luft, dann Hannibal über die Alpen, und wenig spaeter gehen in Rom die Lichter aus, die Menschheit geht auf dunkelste Zeiten zu, Winkelried in den Tod fürs Vaterland, und wieder einer übers Wasser, dann alles seine Wege und halbwegs in Ordnung, bis der Bauer in die Manufaktur und das Manuskript in den Druck geht: Arbeiter auf die Barrikaden! Der Erste geht aufs Ganze, der Andere auf Eiern, die Titanic mit aller Technik unter, das Dritte Reich trotzdem über Leichen, Mao durch China, halb Berlin mit dem Kopf durch die Mauer, vereiningt durch Mark und Pfennig bis der Euro kommt; nur dem neutralen Esel ists wohl zu wohl und er geht aufs Eis tanzen. Der Rest: Ausland. Immer ging es, auch vor Kurzem bis über lang, und noch immer geht es irgendwie, leider irgendwie immer gleich: Nebeneinander nie, miteinander wenn nötig und für Sex, am liebsten aber gegeneinander; dann schlügen wir uns die Köpfe blutig. Aber alles wies Katzenficken und sogar die Rechnung geht auf, die Volkswirtschaft gut, deshalb gleich weiter im Text, zum Tisch des Herren, den Weg alles Irdischen, auf dem Zahnfleisch der Magd an die Wäsche: Lasse dich gehen!, die Schweizer Uhr versagt, der Berg geht zum Propheten, und der Mond, die Sonne, alle Sterne und Sternchen drehen sich nur um dich. Darum gehts im Leben, aber das Leben geht ins Geld, da magst du über noch so viele Brücken gehen. Deshalb geh mit uns: wir gehen zusammen durch Dick und, einander zur Hand selbst wenn es hart auf hart geht, lege noch drei Gänge zu, Fortschritt ist Existenzgrundlage, Stillstand gilt als Konstervativ. Zwar tust du einen schweren Gang, eng und dunkel, und du wirst gewöhnlich übergangen, doch spurst du nicht, gehst mir gar auf den Sack und selbst auf Tauchstation, wirst du gegangen, gehst zum Henker und vor die Hunde – das zeigt der Gang der Geschichte. All das kann unter die Haut aufs Herz und ans Gemüt gehen, darum: Denk jetzt nicht!: Geh sofort mit!, im Takt der Maschinen um die Wette, von Gestern, für Morgen, gehen wir im Kreis, durch Flammen um unser Geld reinzuwaschen, drehen die schönsten Pirouetten, das ist uns gegeben, gang und gäbe, das Menschenleben lebt, und geht seinen gewohnten Gang immer aufwärts, der Ewigkeit entgegen: das schwarze Loch wird uns schlucken, dieser lächerliche Abguss mitten auf dem Platz, in welchen wir dem Strudel jauchzend nachgehen, Vernunft verloren, an Tempo gewonnen, den Fortschritt überholt; zusammen mit all unseren geklonten Schafen, gehen wir mit Salto Mortale unter; weine nicht, am schönsten war und ist es immer wenn man gehen muss, aber darum gehts nicht mehr, denn nichts geht mehr, ausser der Welt, die geht ohne uns weiter, wahrscheinlich sogar besser, und Gott der jetzt auch gehen muss. Schluss!
Schluss. das geht eindeutig zu weit, und sowieso auf keine Kuhhaut, damit gegen unsere uraltureigenen Ideale. Geh deinen Weg, weg, mir, aus den Augen, aus dem Sinn. Gehe, bitte.
[ 15.05.2002, 05:34: Beitrag editiert von: dominik ]