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Vom Flüstern des Windes
Es dauerte lange, bis ich verstand, wo ich mich befand und was ich dort machte. Am Anfang meiner Reise sah ich nur die grauen Mauern, versuchte verzweifelt gegen sie anzurennen. Oftmals schmiss ich mich mit aller Kraft gegen sie und schlug dann so manches Mal überrascht der Länge nach hin. Ich bemühte mich so sehr sie zu durchbrechen, dass ich nicht bemerkte, dass es keine Wände waren die mich umgaben.
Als ich schon eine ganze Weile gegangen war, bekamen die Wände allmählich Farbe. Sie wurden blassgrün, wurden hellgrün und schließlich sattgrün. Es gab mir Hoffnung, dass der endlose Gang, den ich hinunter schritt, irgendwann ein Ende finden würde. Doch noch immer sah ich nicht, dass es keine Wände waren, die ihn begrenzten.
Ein paar Schritte später, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, bemerkte ich, dass auch der Boden sich wandelte. Er wurde braun und weich. Nicht so weich, dass es das Gehen erschwerte, gerade so, dass es sich angenehm wandern ließ. Immer auf das Ende zu, das Ende des Ganges.
Eines Tages, wieder einmal angeödet von der Gradlinigkeit meines Weges, beschloss ich die Wand zu meiner Linken zu durchbrechen.
Nimm alle Kraft zusammen, dann schaffst du es, ermunterte ich mich.
Ich nahm sie zusammen und sprang. Ein kleiner Widerstand, ein schneidendes Gefühl im Arm, dann war ich durch. Wo war die Wand?
Ich fiel und schlug wie so viele Male zuvor auf den Boden. Doch diesmal landete ich weich. Ich lag auf dem Rücken und etwas hatte sich verändert.
Hat sich meine Umgebung verändert? Habe ich mich verändert?
Ich hatte Angst die Augen zu öffnen. Etwas brannte unbarmherzig in meinen Augen.
War ich ernsthaft verletzt, stach es deswegen so? War ich tot? Was war gerade passiert?
Irgendwann fand ich schließlich doch den Mut mich zu bewegen.
Der Boden fühlte sich weicher als sonst an, uneben und bröselig. Zaghaft zerrieb ich ihn zwischen meinen Fingern. Es war Erde? Ich musste lächeln. Woher ich wußte, dass es Erde war? Ich konnte es nicht sagen, ich wußte es einfach, ich fühlte sie auf meiner Haut und mir war klar, dass es Erde sein musste.
Zögerlich blinzelte ich mit den Augen. Es stach unangenehm. Ich öffnete sie weiter und fühlte mich plötzlich in ein Meer aus gleißendem Licht getaucht. Ich richtete mich auf und schaute in den Himmel.
Blau, tiefblau. Unglaublich hell leuchtete er zu mir herunter. Warum hatte ich all das noch nie gesehen, die Erde, den Himmel... plötzlich stockte ich.
In diesem Moment bemerkte ich, dass nirgendwo um mich herum Wände waren. Von allen Seiten streckten sich große grüne Blätter mir entgegen. Grinsten mich an.
Hellgrün reckten sich große Maiskolben der Sonne entgegen.
Lange Reihen von Maispflanzen waren es, die ich seit Anbeginn meiner Wanderung für Wände gehalten hatte.
Leise raschelten die Blätter im sanften Wind.
Ich lachte, lachte in den Himmel hinein, lachte mit den Pflanzen, schmiss mich auf die Erde und jauchzte vor Glück. Ich sprang vor und zurück, ließ mich zwischen den Maispflanzen hindurch fallen, stand wieder auf. Ein paar Schritte vorwärts ein paar Schritte zurück.
Warum habe ich das alles nicht vorher gesehen?
Ich tollte herum, bis ich nicht mehr konnte und nach Atem ringend verschnaufen musste.
Langsamer, gib nicht alles, was du hast schon am Anfang aus.
Und als ich ruhiger wurde fand ich gefallen an dem Weg auf dem ich mich befand, immer geradeaus. Ich lauschte, wie in weiter ferne Vögel sangen, hörte Hummeln brummen und spürte das leise Seufzen des Windes in meinen Ohren. Ich blickte nicht mehr allzu oft nach oben.
Mit jedem Schritte bemerkte ich neue Dinge, sah große Blätter und kleine Blätter. Ich beobachtete kleine Insekten wie sie auf den Blättern, Stengeln und Kolben der Maipflanzen wanderten und fühlte mich frei. Einen Schritt vor den anderen. Grün leuchtete es um mich herum.
Die Veränderung kam langsam.
Zuerst nahm ich sie überhaupt nicht wahr, zu fasziniert war ich von all den schönen Kleinigkeiten um mich herum. Irgendwann jedoch, als ich seit langem das erste Mal wieder den Weg zwischen den Maispflanzen entlang blickte, sah ich es.
Schon wieder eine Veränderung? War die Letzte nicht gerade erst vorbei? Musste ich mich schon wieder an die nächste Erfahrung gewöhnen? Ich starrte missmutig auf den Boden.
Keinen Blick richtete ich mehr in die Höhe, keinen Blick nach vorne. Warum verbreiterte sich der Weg vor mir plötzlich, warum standen die Pflanzen immer weiter auseinander? Ab jetzt würde ich nur noch nach unten schauen.
Doch auch ich musste nach einer Weile einsehen, dass nach unten sehen mich traurig machte. Ängstlich wie ein Kind überwand ich was mich zurück hielt und war überrascht wie befriedigend es war, sich selbst zu überwinden.
So schlimm war es überhaupt nicht. In der Zwischenzeit waren die Maispflanzen weit auseinander gerückt und hatten eine große Fläche freigegeben. Doch die Fläche war nicht öde und einsam. Im Gegenteil, sie war grün, gesprenkelt mit den wundervollsten Farben die man sich vorstellen konnte. Es war schöner als jemals zuvor, dachte ich.
Es wird immer besser. Es kommt ganz auf den Standpunkt an.
Ich strich mit der Hand durch das Gras, roch an den Blüten und blickte in den Himmel.
Was wollte ich mehr, was hatte ich jemals mehr gebraucht? Ich könnte doch einfach stehenbleiben und nie mehr weitergehen, würde hier bleiben bis in alle Ewigkeit.
Ich blieb stehen, für einen Moment spürte ich das, vom Tau feuchte Gras auf meiner Haut, genoss die Stille und die frische Feuchtigkeit der Luft, die in meine Lungen strömte. Es war ruhig, völlig still.
Dann, es waren wohl nur ein paar Sekunden, die ich stehengeblieben war, wußte ich das ich weitergehen mußte. Es war Zeit für mich. Und je mehr mir dies bewusst wurde, desto zufriedener wurde ich.
Der Boden unter meinen Füßen erschien mir weicher, das Grün der Pflanzen saftiger und die Luft belebender, doch dies alles gehörte nicht mir allein.
Ich sah das Ende des Maisfeldes, sah die letzte Pflanze.
Nun war es wohl soweit. Das, worauf ich immer zugestrebt war, genau vor mir.
Ich kam an den Rand und verweilte ein letztes Mal.
Sieh dich um, schaue zurück.
Ich zitterte am ganzen Körper. Ich könnte doch noch einmal zurück gehen. Einfach zurücklaufen.
Nein, es geht nur nach vorne.
Ein letztes Mal drehte ich mich um. Endlos erstreckte sich das Grün des Feldes. Die Blumen und das Gras leuchteten, die Blätter raschelten vernehmlich. Mein Leben, alles mein Leben. Wollte es, wollten sie sich verabschieden?
Eine einzelne Träne trat in meine Augen, rann meine Wange hinab. Sie fiel auf den Boden und es wurde still.
Ich lächelte und drehte mich um.
Es wurde Zeit für den letzten Schritt.
„Muss ich mich verabschieden,“ fragte ich in den Wind hinein.
Verabschiede dich vom Ende und begrüße den Anfang.