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Vom Fehler zur Veränderung... zum Fehler?
Ich habe mich in meinem Leben schon so oft verändert, ich nehme an, das ist der Lauf des Lebens. Gibt es die perfekte Veränderung? Nein, ich denke, ich werde mich noch so oft verändern. Es war dieser Sommer, der mir klar machte, wie wichtig Veränderungen sind und wie unvorhersehbar sie sind.
Ich war jung und unerfahren und wollte die Welt entdecken, ohne Grenzen, ohne Komplikationen. Ich war es leid, immer für alle da sein zu müssen, immer die Last der anderen zu tragen, als wären meine Probleme nicht schon genug. Ich grenzte mich sozusagen von der Welt ab, und lief allen Konflikten aus dem Weg.
„He, Mia, kommst du heute Abend auch zu Sam? Da steigt ’ne fette Party, komm doch mit uns mit!“, Robert sitzt auf einer Bank mit den hübschesten Mädchen unserer Schule, und schaut mich erwartungsvoll an.
Robert spricht mich an? Kaum zu fassen, das erste Mal, dass mich einer der coolsten Jungen an der Schule überhaupt beachtet. „Äh, ich weiss nicht. Ich glaube, das ist nichts für mich“, erwidere ich, denn ich denke nicht, dass ich dort erwünscht wäre, ich gehöre nun mal nicht zu den „coolen“ Mädchen. Doch dann steht Robert auf, kämpft sich durch die Mädchenmasse hindurch, und bewegt sich auf mich zu: „Na komm schon, sei doch nicht immer so verklemmt. Ich nehm' dich mit!“ Wow, echt irre, er bietet mir gerade an, in seiner Begleitung zu dieser Fete zu gehen, dieses Angebot kann ich nicht abschlagen. „Na gut, ich komme sehr gerne zur Party.“ – „Gut, ich hol dich um acht Uhr bei dir ab“, er lächelt mich noch kurz an, und schon verschwindet er in der Menschenmenge.
Da ich in der Schulstunde schon in einer anderen Welt schwebte, und auf dem Heimweg mit Klara immer noch mental abwesend war, spricht sie mich darauf an und fragt, was los ist. „Nein, nichts, wirklich, ich bin nur ein wenig nachdenklich.“ – „Ach ja, und über was denkst du denn nach? Wolltest du heute Abend nicht noch zu mir kommen, um den Film zu schauen?“ Das holte mich wieder auf den Boden zurück. Ich hatte ihr doch versprochen, mit ihr einen Filmabend zu machen. Sie wäre bestimmt sehr enttäuscht, wenn ich ihr erzählen würde, dass ich nun schon etwas anderes vorhabe. „Ach, nein, das tut mir so leid. Ich habe völlig vergessen, dir das zu sagen, meine Grossmutter kommt heute zu Besuch. Ich fürchte, wir müssen das verschieben.“ – „Mann, ich hab‘ mich doch schon so darauf gefreut...“
Das war der Beginn aller Lügen und Betrüge meines Lebens, die allergrösste Veränderung überhaupt. Ich würde am liebsten genau diesen Moment ungeschehen machen, doch leider müssen wir alle irgendwann begreifen, dass sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt. Irgendwann wird doch jeder in den Bann des Bösen, der Dunkelheit gezogen. Ist es nicht das Ungewisse, das unsere Neugier immer mehr anregt...?
Von Klara habe ich schon seit mehreren Wochen nichts mehr gehört. Ehrlich gesagt, habe ich auch keine Lust mehr auf ihr Geschwafel, von der Schule, von der Familie, von dem Benehmen gegenüber anderen, blablabla. Ich finde, es gibt auch wichtigere Sachen im Leben, wie Freunde, Spass, einfach seine Jugend zu geniessen. Ich sehe nun, dass sie mich die ganze Zeit nur daran gehindert hat, mich richtig gehen zu lassen. Dies ist nun zum Glück vorbei. Robert und ich sind bereits gute Freunde geworden, darum unternehme ich viel mit ihm und seiner Clique. Die wissen, was Spass bedeutet. Meine Eltern sehe ich nur selten, da ich immer draussen bin. Ich habe nicht mehr ein so gutes Verhältnis zu ihnen wie früher, das kommt daher, dass sie meine Clique nicht mögen, und wir uns somit immer darüber streiten und meine Freunde immer meine Zuflucht sind. Heute Abend treffen wir uns wieder unter dem Pier, veranstalten ein Feuer, trinken und amüsieren uns. Ich bin so dankbar, dass mir diese neue Welt geöffnet wurde.
Das waren meine Gedanken und meine Wahrnehmung in dieser Zeit. Für den Moment war es das Paradies auf Erden. Doch auf die harte Tour musste ich erfahren, was wirklich das Beste für mich ist und wohin ich wirklich gehöre...
„Mia, komm hier her, da gibt’s noch mehr zu trinken“, ruft mir irgendein Unbekannter zu, den ich erst heute Abend kennengelernt habe, „oder kannst du etwa schon nicht mehr?“ Schon frohtrunken, renne ich zu ihm hin, packe mir eine Flasche Champagner und probiere mich nur schwer, sie zu öffnen. Er nimmt mir die Flasche aus der Hand, öffnet sie mit einem Klacks und lächelt mich ein wenig überheblich an.
Dies war mit Sicherheit nicht die letzte Flasche, die wir an diesem Abend leerten. Ich hätte in dieser Nacht die Sterne fangen können, das bleibt unvergesslich.
Ich lag mit Robert neben dem Feuer, verstand nichts mehr, aber ich war glücklich...
„Möchtest noch ‘ne Flasche?“, bemüht sich Robert mit mir zu kommunizieren. „Nee, lass gut sein“, ich muss mich zusammenreissen, dass ich mich bei jedem Wort nicht gleich übergebe. Robert stützt sich auf. „Kommst du mit mir nach vorne an den Strand?“ Ich strecke ihm meine Hand hin, um ihm mein Einverständnis zu übermitteln und damit er mir aufhelfen kann. Scherzend und kreischend torkeln wir, gegenseitig gestützt, zum Meer hin. „Aah!“, schreie ich auf, als ich hinfalle und Robert mit mir zu Boden, in den Sand, reisse.
Seine Hände fühlen sich so warm auf meiner Haut an. Er sieht mich mit glänzenden Augen an, dieser Moment soll nie vorbei gehen. Alle sagen was er für ein Macho sei, und dass er nur das eine will. Aber das stimmt gar nicht, wenn ich ihm in die Augen schaue, werden meine Beine ganz weich. Ich liebe dieses Gefühl, wenn ich mit ihm zusammen bin. Es lässt mich neu aufblühen, wie eine Sonnenblume, die es kaum erwarten kann, das Sonnenlicht zu erblicken und sich nach der Sonne zu richten, kann ich es immer kaum erwarten seinen süssen, warmen Blick auf meinem Gesicht zu spüren, und das zu tun, wonach uns gerade ist.
Immer näher bewegt er sein Gesicht zu meinem. Ich fühle mich, als würde ich dahin schmelzen. Doch bevor sich unsere Lippen überhaupt getroffen haben, fasst er mit seiner Hand an meinen Hintern und beginnt meinen Nacken zu küssen, wobei er immer weiter nach unten rutscht. Schnell schupse ich ihn von mir weg: „Was tust du da?“ – „Komm schon, du willst es doch auch!“, sagt er, während er mich gierig anstarrt. „Oh, nein, das will ich nicht. Du Arsch! Ich dachte, ich könnte dir vertrauen!“ Ich versuche mich von ihm zu befreien, doch da packt er mich am Arm und drückt so fest, dass ich vor Schmerz schon beginne zu schreien. Ich möchte nur noch nach Hause. Niemals wäre es für mich denkbar gewesen, dass der Abend so ausartet. Die Angst in mir ballt sich zu einem Trog voller Tränen an, der sich aus mir heraus drängt. Mit aller Wucht reisse ich mich von Robert los und laufe so schnell ich kann am Meer entlang. So wie es aussieht, schert sich keiner um mich, denn als ich zurückschaue, sind alle schön ums Lagerfeuer versammelt, unter ihnen auch Robert, und feiern weiter. Meine Augen sind bloss auf Robert gerichtet, der bereits wieder an ein anderes Mädel geklammert ist. Unverschämt! Ausser Kraft falle ich zu Boden. Ich kann nicht mehr, jetzt habe ich niemanden mehr an meiner Seite, ich habe mich da in so etwas hineingesteigert, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie ich mich von der Population abgegrenzt habe. Ich habe mit dieser Trinkerei alle Gefühle in mir abgetötet, und jetzt? Jetzt sitze ich hier im Sand, allein und verlassen, und meine Gefühle haben wie eine Bombe eingeschlagen, alle diese Gefühle, die sich in der Zeit angesammelt haben, doch eingekerkert blieben.
Es führt alles auf diese Geschichte zurück, diese Erinnerungen, die so tief in meinem Gedächtnis festsitzen. Ich befinde mich derzeit wie in einer Rückblende. Nadja, meine Mitbewohnerin, ist die Tochter des Chef-Redakteurs unserer Kantonszeitung. Somit hätte ich durch Nadja gute Aussichten auf einen Job in der Redaktion. Sie zieht jedoch gerne um die Häuser, und das am liebsten mit mir. Ich muss ihr eine treue Freundin sein, um zu bekommen, was ich möchte. Es ist mir höchst unangenehm, da sie ständig probiert, mich zu überreden, lockerer zu werden und Neues auszuprobieren. Doch ich kann das nicht mehr, meine Erfahrungen hindern mich immer wieder daran, ihr vertrauen zu können. Trotzdem will ich sie nicht enttäuschen. Ich bin doch schon so weit gekommen, dass ich diesen Verlust nicht einsacken könnte. Ausserdem habe ich das Gefühl, dass sie niemals die Absicht hätte, mich zu verletzen. Ich weiss nicht, vielleicht hat sie Recht und ich bin wirklich ein wenig zu verklemmt geworden. Dass Robert mich plötzlich wieder in meinen Träumen verfolgt, hat bestimmt nichts zu bedeuten...