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Vom Erstarren

Beitritt
30.07.2016
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Vom Erstarren

Der Morgen graute. Es versprach ein freundlicher, sonniger Tag zu werden, soweit man das am klaren Himmel ablesen konnte, der ohne eine Wolke war.
Sie hatte wieder auf dem Sofa geschlafen und trug noch die Kleidung des letzten Tages. Selbst ihre Schuhe aus dünnem Leinenstoff hatte sie nicht ausgezogen.
Der Fernseher lief stumm, das Licht brannte.
Auf der Seite liegend, die Beine angewinkelt, einen Arm unter den Kopf geklemmt, beobachtete sie regungslos, wie der Himmel von einem diffusen bleigrau zu immer freundlicheren Tönen aufhellte.

Sie dachte an die Ferien ihrer Kindheit, in der diese sechs Wochen im Sommer kein kurzer Abschnitt eines schnell durchlebten Jahres waren, sondern ewig währende, weitläufige Zeit-Inseln in einem Meer aus Möglichkeiten.
Damals begrüßte sie jeden Morgen mit einem persönlichen Handschlag.
Was war nur mit dem Phänomen der Zeit geschehen?, fragte sie sich.
Wo sich damals Ewigkeiten auftaten, begegnete sie sechs Wochen heute mit einem gleichgültigen Schulterzucken.
Aus dem Handschlag am Morgen war im besten Fall ein Weiterwinken geworden, zumeist jedoch ein spontanes Abwinken.

Ihr Mund war trocken, sie spürte das Verlangen, nach dem Rest des Wein-Wasser Gemisches zu greifen, welches vor ihr auf dem Wohnzimmertisch stand – doch hatte sie Bedenken, ihre Starre zu durchbrechen.
Dynamik in jeder Form war ihr fremd geworden. Selbst der Griff zum Glas war ein Kraftakt, der zunächst geplant und anschließend geleistet werden musste.
Das Bild eines kleinen Beutetieres kam ihr in den Sinn, welches angesichts des Greifes, des Fuchses, der Schlange nicht um sein Leben rennt, sondern um sein Leben erstarrt, unsichtbar wird.

Ihr persönlicher Fressfeind war der Alltag.
Es waren keine außergewöhnlichen, kraftraubenden Dinge, die ihr die Fähigkeit und den Willen raubten, am Morgen aufzustehen.
Es waren die zermürbenden Kleinigkeiten. Das Zähneputzen. Der Weg durch den Hausflur. Die Bedienung der Kaffeemaschine. Das Vibrieren ihres Telefons, welches sie seit Tagen konsequent ignorierte.

Der Tag hatte sich inzwischen voll entfaltet und hielt sein früheres Versprechen.
Die Sonne schien durch die trübe Fensterscheibe und malte verspielte Muster auf die Tischplatte vor ihr.
Sie starrte an die gegenüberliegende Wand – ohne einen Wimpernschlag seit Ewigkeiten.
Auch das Starren hatte seine Vorteile. War die körperliche Unbeweglichkeit ein Schutz gegen die Anforderungen des Alltags, besänftigte das Starren das penetrante Kreisen unscharfer Bilder vor ihrem inneren Auge, welche eine hintergründige Bedrohlichkeit mit sich brachten, die sie sich nicht erklären konnte.
Sie litt nicht in einer klaren, offensichtlichen Form. Auch verspürte sie keine Traurigkeit, keine Schuldgefühle oder Scham.
Die Lähmung war eine effektive Taktik gegen den Druck der verstreichenden Tage und ihr war trotz allem bewusst, dass diese Taktik komplett unvereinbar mit jeglichen Anforderungen des Lebens war.

Es klingelte an der Tür.
Der Greif, der Fuchs, die Schlange – sie schlugen zu in diesem Moment.
Der schrille Ton bohrte sich ungebremst in ihren Kopf, er kam einher mit dem Beigeschmack von Forderungen und Verpflichtungen sowie von der unendlichen Mühe, die es sie kostete, den persönlichen Kontakt mit Menschen auszuhalten.
Der Impuls, einfach noch ein wenig mehr einzufrieren, den Atem anzuhalten und die Situation so zu überstehen, war mächtig.
Was jedoch noch mächtiger erschien, war ein lebenslang geübtes, aufkonditioniertes Pflichtgefühl: Wenn es klingelt, geht man an die Tür und öffnet. Der Zwang der lauten Türklingel schien ihr ein größerer zu sein als der ihres nur vibrierenden Telefons.
Die alte Gewohnheit siegte. Nach kurzem Zögern erhob sie sich und war auf den Beinen.
Kurz ging ihr Pavlovs sabbernder Hund durch den Kopf, der unwillkürlich mit Speichelbildung auf den Ton einer Klingel reagiert, die Futter verspricht.
Der Eindruck, dass sie inzwischen fast nur noch mechanisch funktionierte, verstärkte sich.

Ihr Kreislauf kam schleppend in Gang, Schwindel verlangsamte ihre Schritte, als sie den kurzen Weg durch den Flur zur Wohnungstür hinter sich brachte.

Widerwillen, Abneigung überkamen sie, als sie den Summer drückte, der den Weg in den Hausflur freigab und sie die schnellen, nachdrücklichen Schritte des Postzustellers die Treppe hinaufpoltern hörte.

Ohne ihr ins Gesicht zu schauen ließ der gehetzt wirkende, schwitzende Mann sich ein kleines Paket quittieren und übergab es ihr zusammen mit einem Einschreiben, auf dessen Umschlag sie bei einem flüchtigen Blick als Absender die Adresse ihrer Mutter erkannte.

Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück und ließ das Paket achtlos auf den Tisch gleiten.
Der Drang, sich aufs Sofa zurückzuziehen und den Prozess des Erstarrens erneut in Gang zu setzen, war fast übermächtig.
In den letzten Tagen hatte sie eine seltsame Angst davor entwickelt, sich nachts ins Schlafzimmer und in ihr Bett zu begeben. Im Bett, so ihre Befürchtung, in dem Wust aus Kissen und Decken, könnte es passieren, dass die Starre sie so vereinnahmen würde, dass sie ihr am Ende nichts mehr entgegenzusetzen hätte - und das Aufstehen somit endgültig ein Ding der Unmöglichkeit werden könnte.
Deshalb bevorzugte sie das „sicherere“, weil äußerst unkomfortable Sofa.

Den Umschlag hielt sie noch in der Hand.
Es war das erste Mal, dass ihre Mutter ihr schrieb. Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatte seit ihrem Auszug jeglicher Austausch übers Telefon oder im Zuge der seltenen Treffen stattgefunden. Ihre Mutter lebte weit entfernt in einer süddeutschen Großstadt.
Sie erinnerte sich verschwommen an die Penetranz und Häufigkeit, mit der in den letzten Tagen das Telefon vibriert hatte und fühlte ein leises Gefühl der Betroffenheit in sich aufsteigen.

Der Text war knapp und nüchtern. Er enthielt keine Information zu wenig, keine zu viel.

Ihr jüngerer Bruder, der seine Ausbildung nahe der Heimatstadt ihrer Mutter absolvierte, sei bei einem Autounfall schwer verletzt worden.
Er liege auf der Intensivstation in einem Krankenhaus der Landeshauptstadt.
Man warte auf ihr Eintreffen, so schnell wie nur möglich. Ein Zimmer sei bereits reserviert.

Sie las die Worte zweimal, legte den Bogen dann zur Seite.
Die Emotionsflut angesichts der Nachricht blieb aus.
Um dieser eine zweite Chance zu geben, verharrte sie und horchte in sich hinein, hoffte auf ein Heranrollen von Besorgnis, Mitgefühl oder zumindest irgendeiner eindeutigen Rückmeldung ihrer inneren Systeme.
Diese kam nicht.

Ihr kleiner Bruder war ihr stets nahe gewesen. Auch wenn ihre Verbindung durch die große Entfernung zeitweise für mehrere Wochen abbrach, konnte sie sicher sein, dass nichts fremdes oder distanziertes zwischen ihnen stand, wenn sie sich anschließend wiedersahen oder telefonierten.
Die Vorstellung dieses energiegeladenen, manchmal fast hyperaktiv wirkenden Menschen in einem Bett auf der Intensivstation schien ihr so grundlegend falsch zu sein, dass ein klares Bild davon sich nicht einstellen wollte.

Vor ihrem inneren Auge sah sie sich ihre Sachen packen, die Wohnung verschließen, in das Taxi zum Bahnhof steigen, die lange Zugfahrt absolvieren.
Sie sah ihre Mutter vor sich, die sie am Bahnsteig in Empfang nehmen würde, den Weg zum Krankenhaus, die sterilen Gänge, das Krankenzimmer, das Bett, die Geräte – nur ihr Bruder selbst passte beim besten Willen nicht in die Szenerie.

Endlich fühlte sie angesichts dieser Vorstellung, wie Regungen begannen durch ihre innere Sperre zu sickern.
Eine Mischung aus Angst, Unglauben und Besorgnis stieg in ihr auf. Ein unangenehmes Kribbeln der Unruhe setzte ein und startete einen Aktionismus, den sie verblüfft zur Kenntnis nahm – so fremd war er ihr geworden.

Sie könnte den Zug, der gegen Mittag fuhr, noch erreichen, wäre dann abends vor Ort.
Um zu packen bliebe ihr eine halbe Stunde Zeit.
Wahllos und fahrig begann sie, Kleidung in eine abgenutzte Reisetasche zu stopfen und Bargeld aus den Taschen getragener Jeans zusammenzutragen.
Je länger ihr Tatendrang anhielt, desto deutlicher spürte sie, wie ihre Bewegungen langsamer wurden, schwerfälliger und ungerichteter.
Als sie ins Bad ging, um dort die letzten nötigen Dinge zu holen, verharrte sie in der Tür, hatte vergessen was zu tun war. Ratlos griff sie nach einem Handtuch, ließ es durch ihre Hände gleiten, legte es zurück. Ihr Gesicht im Spiegel war ausdruckslos, sie schaute rasch wieder weg.
Schließlich ließ sie sich auf den Rand der Badewanne sinken und saß dort lange. Starrend.


*


Die Dämmerung, die auf den freundlichen, sonnigen Tag folgte, schlich sich durch die trüben, ungeputzten Fensterscheiben ihrer Wohnung.
Der Tag ging farbgewaltig zu Neige, in Tönen, die so intensiv waren, dass sie unecht wirkten.

Auf der Seite liegend, die Beine angezogen, einen Arm unter den Kopf geklemmt, beobachtete sie das Schauspiel vom Sofa aus.
Regungslos.

 

Liebe my black eyed dog,

jetzt habe ich es doch früher geschafft. Also mir gefällt das neue Ende gut. Es wird zwar dann relativ schnell klar, wohin die Reise (nicht) geht, aber so hat der Leser einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass Deine Protagonisten sich doch überwinden kann.

Jetzt fiel mir beim Lesen im Zusammenhang nur auf, dass das "damals" sich jetzt wiederholt:

Damals begrüßte sie jeden Morgen mit einem persönlichen Handschlag.
Was war nur mit dem Phänomen der Zeit geschehen?, fragte sie sich.
Wo sich damals Ewigkeiten

Da habe ich vorhin nicht drauf geachtet. Ich würde vielleicht eines von beiden mit "früher" oder einem anderen Thesaurus ersetzen.

Im Übrigen habe ich ja schon gesagt, dass Du m.E. großartige Stimmungsbilder erzeugst. Ich bin dann einmal gespannt, wie die anderen Deinen Text finden. Ich hoffe auf jeden Fall, noch mehr von Dir hier zu lesen.

Liebe Grüße
Mädy

 

Hi Maedy ,

Danke für die Rückmeldung! Ich habe das zweite "damals" geändert.

Angesichts dessen, dass es mein erster Versuch einer Kurzgeschichte ist (mein erster Text hier war eher ein Erfahrungsbericht) bin ich froh über jede Meinung und Anregung.
Die Distanz zum eigenen Text fehlt dann doch so sehr, dass auch offensichtliche Logik- und Rechtschreibfehler sowie allgemeine Schwächen des Geschriebenen nicht auffallen.

 

Ach, weißt du, my black eyed dog

wenn die Distanz zum eigenen Text bei allen so wenig Rechtschreibfehler und allgemeine Schwächen auslösen würden wie in deinem, wie glücklich wären wir. :)

Auf ein paar Dinge bin ich trotzdem gestoßen, wobei ich nur empfehlen kann, alles sorgfältig zu prüfen, denn vieles ist Ansichts- oder Geschmackssache. Und es ist dein Text.

Das Bild eines kleinen Beutetieres kam ihr in den Sinn, welches angesichts des Greifes, des Fuchses, der Schlange nicht um sein Leben rennt, sondern um sein Leben erstarrt, unsichtbar wird.
Hier stört mich der Präsens. Denn das Bild erdenkt sie ja in der Vergangenheit. Und es ist kein Allgemeingültiges. Also "rannte, ... erstarrte, ... wurde" wäre meine Präferenz.
Der schrille Ton bohrte sich ungebremst in ihren Kopf, er kam einher mit dem Beigeschmack von Forderungen und Verpflichtungen sowie von der unendlichen Mühe, die es sie kostete, den persönlichen Kontakt mit Menschen auszuhalten.
Lies den Satz mal laut ohne das zweite "von", klingt besser, oder?
Was jedoch noch mächtiger erschien, war ein lebenslang geübtes, aufkonditioniertes Pflichtgefühl: Wenn es klingelt, geht man an die Tür und öffnet. Der Zwang der lauten Türklingel schien ihr ein größerer zu sein als der ihres nur vibrierenden Telefons.
Wie toll beschrieben und wie wahr: diesem Zwang verdanke ich, dass ich seit kurzem Fördermitglied bei den Maltesern bin. ;)
Auch wenn ihre Verbindung durch die große Entfernung zeitweise für mehrere Wochen abbrach, konnte sie sicher sein, dass nichts fremdes oder distanziertes zwischen ihnen stand, wenn sie sich anschließend wiedersahen oder telefonierten.
nichts Fremdes oder Distanziertes

und zum Schluss noch zwei Kommafehler:

Um zu packen[,] bliebe ihr eine halbe Stunde Zeit.
Als sie ins Bad ging, um dort die letzten nötigen Dinge zu holen, verharrte sie in der Tür, hatte vergessen[,] was zu tun war.

Ich sollte es vielleicht nicht so unumwunden zugeben, aber ich erkenne mich in der Protagonistin wieder. Und bin deshalb wahrscheinlich die Falsche, hier stilistisch oder inhaltlich zu kritisieren. Zu befangen. Ich sags trotzdem: Dein Schreibstil gefällt mir richtig gut. Vielleicht ein wenig zu adjektiv-lastig am Anfang (klarer Himmel, der ohne eine Wolke war, z.B.), aber das gibt sich ohnehin. Und stört auch nicht sehr.

Ja, ich sehe das wie Mädy: hoffentlich schreibst du noch mehr.

Viele Grüße

 

Liebe Ella Fitz

....ich fühle mich ertappt. Glaub mir bitte, ich musste schon nach der ersten Fassung sorgfältig Adjektive streichen. Sie sind mein geheimes Laster, ich könnte sie ewig aneinanderreihen und dabei albern kichern.
Natürlich ist bei einem wolkenlosen Himmel, der gleichzeitig "klar" daherkommt, eine Information zuviel vorhanden. Danke für den Hinweis! :-)

Deine weiteren Anmerkungen werde ich sorgfältig prüfen, schon als ich sie las hatte ich Verbesserungsideen für meinen Text. Danke also auch dafür.

Dein erster Satz trieb mir Schweißperlen auf die Stirn - bis ich ihn kapiert hatte.

Da bei mir alles in etwas manischen Intervallen verläuft (Schreiben, Zeichnen etc.) kann ich nicht versprechen, dass ich gleichmäßig produktiv sein werde - momentan siehts aber zumindest beim Schreiben ganz gut aus, Ideen sind vorhanden.

Dass du dich in der Protagonistin wiedererkennst, wie ich zum Teil übrigens auch, ist für mich eine (verzeih mir das bitte) recht positive Rückmeldung, schließlich identifiziert man sich nur mit Beschreibungen, die es eben schaffen, nicht ZU allgemein zu sein - aber auch nicht ZU speziell und individuell.

Alles in allem also: Ich finde es klasse (auch nach Lektüre anderer Kritiken), wieviel Input man hier bekommen kann! Ich empfinde das als äußerst wertvoll!

 

Hallo my black eyed dog,

hier ist dir wieder einmal eine wunderschöne und treffende Beschreibung eines besonderen psychischen Zustands gelungen. Deinen letzten Text habe ich ebenfalls mit großem Interesse gelesen, umso mehr habe ich mich gefreut, so schnell wieder eine neue Geschichte von dir zu entdecken.

Ich konnte mich sehr gut in deine Protagonistin einfühlen, auch ich erkenne mich hier an der ein oder anderen Stelle wieder. Jetzt könnte man natürlich bemängeln, dass der ganze Text so vor sich hin tröpfelt, bevor (kurz) wirklich etwas passiert, lauscht man recht lange Beschreibungen. Aber zum Thema passt es hervorragend. Mich hätte übrigens interessiert, was sich in dem Päckchen befindet, auch wenn mir natürlich klar ist, dass du absichtlich nicht weiter darauf eingehst. ;)

Schade, dass du jeden Satz in einer neuen Zeile beginnst. Dadurch wird das Lesen etwas mühselig.

Aus dem Handschlag am Morgen war im besten Fall ein Weiterwinken geworden, zumeist jedoch ein spontanes Abwinken.
Sehr schön!

Auch das Starren hatte seine Vorteile. War die körperliche Unbeweglichkeit ein Schutz gegen die Anforderungen des Alltags, besänftigte das Starren das penetrante Kreisen unscharfer Bilder vor ihrem inneren Auge, welche eine hintergründige Bedrohlichkeit mit sich brachten, die sie sich nicht erklären konnte.
Hier habe ich mich kurz gefragt, ob das Starren nicht eher innere Bilder und Grübeleien fördert, aber das empfindet vermutlich jeder anders.

Der Greif, der Fuchs, die Schlange – sie schlugen zu in diesem Moment.
Den Satz würde ich etwas umstellen: „- sie schlugen in diesem Moment zu.“

Nach kurzem Zögern erhob sie sich und war auf den Beinen.
Bezieht sich das Zögern auf die Zeit, während der sie sich die Gedanken macht oder schließt sich das Zögern noch an? Ich würde denken, dass der Hinweis nicht notwendig ist, die Gedankengänge zeigen, dass sie zögert.

Kurz ging ihr Pavlovs sabbernder Hund durch den Kopf, der unwillkürlich mit Speichelbildung auf den Ton einer Klingel reagiert, die Futter verspricht.
Heißt er nicht Pawlow? Der Vergleich ist naheliegend, vielleicht sogar schon etwas abgedroschen, dennoch passend.

Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatte seit ihrem Auszug jeglicher Austausch übers Telefon oder im Zuge der seltenen Treffen stattgefunden.
Beides zusammen, „Solange sie sich zurückerinnern konnte“ und „seit ihrem Auszug“, empfinde ich als störend. Ich würde den Satz etwas umbauen: „Seit ihrem Auszug hatte jeglicher Austausch übers Telefon oder im Zuge der seltenen Treffen stattgefunden.“

Sie erinnerte sich verschwommen an die Penetranz und Häufigkeit, mit der in den letzten Tagen das Telefon vibriert hatte und fühlte ein leises Gefühl der Betroffenheit in sich aufsteigen.
Ist dieser Hinweis noch nötig? Etwas subtiler würde es mir besser gefallen, schließlich erwähnst du auch an anderer Stelle bereits das ewig vibrierende Telefon. Wäre es eigentlich nachvollziehbarer, wenn sie das Telefon lautlos stellen würde? Immerhin reagiert sie ohnehin nicht.

Der Text war knapp und nüchtern. Er enthielt keine Information zu wenig, keine zu viel.
Irgendwie störe ich mich am zweiten Satz. Vielleicht könntest du das „Er enthielt“ streichen, aber insgesamt klingt es irgendwie schief, ohne dass ich genau sagen könnte, warum. Vielleicht auch nur eine Geschmacksfrage.

Ein unangenehmes Kribbeln der Unruhe setzte ein und startete einen Aktionismus, den sie verblüfft zur Kenntnis nahm – so fremd war er ihr geworden.
Gut beschrieben.

Der Tag ging farbgewaltig zu Neige
zur Neige

Übrigens kommen mir auch die manischen Phasen sehr bekannt vor. ;) Ich hoffe sehr, dass deine Schreibmanie noch eine ganze Weile anhält, denn ich bin sehr gespannt, was du uns beim nächsten Mal lieferst. Mich würde sehr interessieren, wie du einen Text mit etwas mehr Handlung oder Dialogen umsetzt.

Liebe Grüße
Rotmeise

 

Hallo Rotmeise!

Jetzt könnte man natürlich bemängeln, dass der ganze Text so vor sich hin tröpfelt, bevor (kurz) wirklich etwas passiert, lauscht man recht lange Beschreibungen. Aber zum Thema passt es hervorragend.

Das Schreckgespenst "Prädikat: laaaaaangweilig" saß mir im Kreuz während des Schreibens.
Aufgrund dessen stockte ich den Text auch noch einmal auf und versuchte, etwas mehr (oder überhaupt) Spannungsbogen hineinzubekommen. (Vielen Dank hier nochmal an Maedy für ihre geduldige Rückmeldung!)
Vorher passierte in der Tat: Noch weniger! :D

Ich habe die "Angst", unglaubwürdig zu klingen, sobald mehr Handlung vorhanden ist.
Bzw denke ich oft: Komm, das nimmt dir eh keiner ab, das wirkt konstruiert und überladen.
Es beginnt schon, wenn ich einem Protagonisten einen fiktiven Namen zukommen lassen soll. Ich bin da etwas merkwürdig...
Ebenso bei Dialogen. Die sind mir ein Graus! (Also, wenn selbst verfasst...von anderen lese ich sie gerne!)

Heißt er nicht Pawlow?

Ja, das stimmt!

Ist dieser Hinweis noch nötig? Etwas subtiler würde es mir besser gefallen, schließlich erwähnst du auch an anderer Stelle bereits das ewig vibrierende Telefon.

An diesem Punkt war ich mir selbst unsicher: Ich kann nur ganz schlecht erahnen, was dem Leser offensichtlich vorkommt und für was es eine nähere Erläuterung braucht.
Vielleicht kommt das aber mit der Zeit.

Mich würde sehr interessieren, wie du einen Text mit etwas mehr Handlung oder Dialogen umsetzt.

MICH würde das auch sehr interessieren, da es noch keinen Text in dieser Form von mir gibt. :-)
Ich schreibe wirklich hauptsächlich Innenansichten, Beschreibungen...hauptsächlich wegen der oben erwähnten Angst, unglaubwürdig zu klingen.
Da muss ich dann aber wohl aber einfach mal durch!

Danke für die Rückmeldung!

 

Moin der schwarzäugige Hund,

und nun folgt meckern auf hohem Niveau:

Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück und ließ das Paket achtlos auf den Tisch gleiten.

Ein Leerzeichen zu viel vor "kehrte". Ist "gleiten" hier das richtige Verb? Ich hätte jetzt "fallen" gesagt, da ich bei gleiten ein bisschen an einen Magier denken muss, wie er das Paket mit ausgestreckter Hand durch die Luft gleiten lässt.

Je länger ihr Tatendrang anhielt, desto deutlicher spürte sie, wie ihre Bewegungen langsamer wurden, schwerfälliger und ungerichteter.

Da geht deine Adjektiv-Vorliebe meiner Ansicht nach zu weit. Ich würde langsamer streichen, da schwerfälliger dies bereits beinhaltet und es das ausdrucksvollere Adjektiv ist.

Das war´s auch schon, mehr konnte ich bei bestem Willen nicht finden. Also hat es mir gefallen, besonders deine starken Bilder, der Vergleich mit der Tierwelt inklusive Pawloscher Konditionierung und die Beschreibung einer besonderen psychischen Gemütsstimmung. Auch ich konnte mich mit der Protagonistin identifizieren. Und dass man in der Kindheit die Sommerferien viel intensiver wahrgenommen hat, da sprichst du glaub ich mehreren aus der Seele, die sich diese Zeit zurückwünschen – ich tue es jedenfalls ein bissel oder erinnere mich zumindest gerne. Auch ich will mehr von dir lesen, den ersten Text muss ich auch noch.

Viele Grüße,

Chico

 

Das mit kehrte nehme ich zurück. Oh man, ich muss was an den Augen haben.

Lg

 

Hallo my black eyed dog,

Das Schreckgespenst "Prädikat: laaaaaangweilig" saß mir im Kreuz während des Schreibens.
Also langweilig fand ich persönlich deinen Text ganz und gar nicht. Daher ja auch „man könnte bemängeln“ … Jetzt kenne ich natürlich die erste Fassung nicht und sehe in den Kommentaren nur das Ergebnis von Mädys Einwirkung, aber das Resultat gefällt mir. Wenn noch weniger passiert wäre, hätte es auch anders auf mich wirken können.

An diesem Punkt war ich mir selbst unsicher: Ich kann nur ganz schlecht erahnen, was dem Leser offensichtlich vorkommt und für was es eine nähere Erläuterung braucht.
Vielleicht kommt das aber mit der Zeit.
Das wird mit der Zeit auf jeden Fall einfacher. Grundsätzlich haben das Problem aber fast alle. Es ist eben was anderes, ob man schreibt oder liest. Außerdem ist es durchaus möglich, dass nur ich den Hinweis als unnötig ansehe ;)

Da muss ich dann aber wohl aber einfach mal durch!
Richtig, einfach mal austesten. Wenn nicht hier, wo dann? Und bis dahin lausche ich ebenso gerne deinen Innenansichten und Beschreibungen.

Liebe Grüße
Rotmeise

 

Chico1989 - auch dir herzlichen Dank fürs Feedback!

Ist "gleiten" hier das richtige Verb? Ich hätte jetzt "fallen" gesagt, da ich bei gleiten ein bisschen an einen Magier denken muss, wie er das Paket mit ausgestreckter Hand durch die Luft gleiten lässt.

Mein Bild vor Augen bei der Wahl des Wortes "gleiten" war: Sie lässt es achtlos eben nicht fallen (weil zu hart)...sondern es ENTgleitet ihr, ohne dass dem Paket dabei noch besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Achtlos.
Das klingt jetzt nach fürchterlicher Erbsenzählerei...ich wollte es auch nur erklärt haben. :-)

Da geht deine Adjektiv-Vorliebe meiner Ansicht nach zu weit. Ich würde langsamer streichen, da schwerfälliger dies bereits beinhaltet und es das ausdrucksvollere Adjektiv ist.

An dieser Stelle musste ich lachen...es stimmt: Der Wahn, exakt DEN Punkt zu treffen, DAS Gefühl, welches ich beschreiben möchte - er geht manchmal mit mir durch und führt zu Adjektiv-Orgien.
Dank dir für den Hinweis!

Auch ich will mehr von dir lesen, den ersten Text muss ich auch noch.

Der erste Text ist recht explizit und weniger konzipiert. Genau genommen ist er gar nicht konzipiert, sondern ein Erfahrungsbericht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo my black eyed dog,

ich fand das sehr schade, dass deine erste wirkliche Kurzgeschichte so schnell auf Seite 2 abgerutscht ist.
Aber so geht das hier, wenn viele neue Geschichten eintrudeln. Du kannst dich als Neuuser eigentlich nur durch Kommentieren bemerkbar machen, wenn du Interesse hast, viele Rückmeldungen zu deiner Geschichte zu erhalten.
Das ist jedenfalls meine Erfahrung als Moderatorin hier.

Ich hatte ja deinen allerersten Text auch schon gelesen und muss gestehen, ich hatte anfangs etwas Berührungsängste zu diesem Text zu kommentieren. Mir persönlich ist es lieber, ein Text ist kalt, gerade dann, wenn er autobiographische Züge trägt, und ich als Kommentatorin das weiß. Man bleibt immer ein wenig unsicher, ob der Autor nicht doch noch zu sehr drin steckt und man ihn ungewollt verletzt.

So - jetzt hab ich das aber abgeschüttelt und mag mich noch mal mit Energie an deinen Text machen.
Als Anfangs- Einstandstext find ich ihn ziemlich gelungen. Aber er enthält auch Längen, die dazu führen können, dass dir Leser wegknicken.
Der Text ist gut geschrieben, aber oft noch zu weitschweifig, enthält Redundantes. Den ganz prinzipiellen Kürztipp erhält man natürlich fast immer, es wird die Kunst für dich sein, so zu kürzen, dass die Informationselemente nach vorne treiben, nichts Schwafeliges übrig bleibt, deine persönliche Schreibhandschrift dabei aber nicht verloren geht.
ich hab deswegen auch so ein bisschen übergenau und weitschweifig argumentiert, aber ich hoffe, dass dir das mehr nützt, wenn ich ausführlich begründe, warum du wo streichen sollst, als wenn ich einfach sage, streich mal,

Darauf zu achten, dass der Text nach vorne treibt, ist allein deswegen schon wichtig, weil der Text vom Erstarren handelt. Er enthält also nicht viel Handlung, sondern spielt sich weitgehend in der Gefühlswelt der Protagonistin ab.

Gut gefällt mir dabei die Klammer, die du dem Geschehen schenkst. Sie liegt sowohl am Anfang wie am Ende in dieser kauernden Haltung auf dem Bett, obwohl sie allen Grund hätte, die Starre dieser Haltung zu durchbrechen. Ich finde das sehr gut gemacht, dass du sie genau zu dieser Starre zurückkehren lässt. das zeigt den Teufelskreis, in dem die Protagonistin sich durch ihre Erkrankung befindet.


Ich gehe einfach mal durch, eine Bemerkung vorweg: Ich neige oft dazu, zu schreiben, tu dies, tu das, das klingt immer so bestimmerisch, ist aber natürlich als Vorschlag gemeint, du weißt schon, ist ja immer von meinem Horizont aus auf deine Geschichte geschaut.


Der Morgen graute. Es versprach ein freundlicher, sonniger Tag zu werden, soweit man das am klaren Himmel ablesen konnte, der ohne eine Wolke war.
Sie hatte wieder auf dem Sofa geschlafen und trug noch die Kleidung des letzten Tages. Selbst ihre Schuhe aus dünnem Leinenstoff hatte sie nicht ausgezogen.
Der Fernseher lief stumm, das Licht brannte.
Was soll der allererste Satz? Die Naturbeschreibung hast du später viel schöner drin. (Nächstes Zitat)
Ich würd den ersten Satz völlig streichen, der ist nichtssagend, beginne erst mit dem fett Markierten, da bist du direkt in der Szene drin.
Mal ganz grundsätzlich: Entweder man geht in einer Kurzgeschichte direkt rein ins Geschehen oder man wählt einen anderen eher erzählenden Beginn, dann muss der aber einen irgendwie gearteten Haken haben, mit dem er den Leser an die Angel nimmt, etwas Originelles nennen, ein ungewöhnlicher Gedanke, eine neue Sicht auf ein Geschehen.

Ich nehm grad mal den ersten Satz von dem Buch, das ich gerade lese: "Wir haben nicht alles gehört, dafür das meiste gesehen, denn immer war einer von uns dabei." Aus einem Buch von Juli Zeh.
Das ist (ganz egal, was man von so einem beginn nun hält) aber das ist jedenfalls ein erzählender Beginn, kein direktes Reingehen, und es weckt ein Interesse, weil man beginnt, Fragen zu stellen. Bei einem wolkenlosen Himmel denkt man an Wetterbericht.


Auf der Seite liegend, die Beine angewinkelt, einen Arm unter den Kopf geklemmt, beobachtete sie regungslos, wie der Himmel von einem diffusen bleigrau zu immer freundlicheren Tönen aufhellte.
von einem diffusen Bleigrau (ist hier substantiviert)
Hier ist die bessere Wetterbeschreibung und du hast auf deutliche und klare Weise den Kontrast zwischen dem schönen Tag und ihrer Starre. Und das brauchst du auch, deswegen finde ich in diesem Satz jedes Wort nötig. Mal als Beispiel dafür, dass man prinzipielle Kürzungen, Adjektivmassierung etc. immer auch von seiner Geschichte und der eigenen Intention aus betrachten sollte. Hier finde ich es genau richtig, ihr Liegen exakt zu beschreiben, so ausführlich zu sein, weil diese Haltung symptomatisch für ihre Erstarrung und ihre Welthaltung ist. Und es ist ein Symbol für die Geschichte, den entstehenden Konflikt und die "Lösung".


Sie dachte an die Ferien ihrer Kindheit, in der diese sechs Wochen im Sommer kein kurzer Abschnitt eines schnell durchlebten Jahres waren, sondern ewig währende, weitläufige Zeit-Inseln in einem Meer aus Möglichkeiten.
Damals begrüßte sie jeden Morgen mit einem persönlichen Handschlag.
"diese" kann raus
"ewig währende und weitläufige Zeitinseln (zusammenschreiben)
Beides, ewigwährend und weitläufig empfinde ich als zuviel. Die Zeitinseln sind toll, aber gerade wenn es Inseln sind, passt für mich das ewigwährend nicht. Das passt nicht zu der räumlich endlichen Insel, auch wenn sie noch so weitläufig ist. Ich würde hier auch nicht mit lokalen und temporalen Attributen herumspielen. Du hast das schon wunderbar in der Zeitinsel zusammengefasst, warum dann verschwafeln. Streich "immerwährend".
Den Handschlag seh ich kritisch. Du schilderst ja ein Kind. Hmm, der Handschlag ist ein hübscher Einfall, aber ein Kind? Denkt das in Handschlägen? Das muss die doch erst beigebracht kriegen. Also schiefes Bild.


Was war nur mit dem Phänomen der Zeit geschehen?, fragte sie sich.
Du beschreibst es doch später sowieso, was damit geschehen ist, und zwar viel exakter und auf die Frau zugeschnitten. Was soll also diese Betrachtung?


Wo sich damals Ewigkeiten auftaten, begegnete sie sechs Wochen heute mit einem gleichgültigen Schulterzucken.
Satz klingt bisschen holprig, würde ihn noch einmal überlegen. Aber er ist wichtig, weil du hier beschreibst, wie sich die Zeit für sie verändert hat. Auf jeden Fall aber ihn verdeutlichen und die Zeitangaben damals-heute stärker einander gegenüberstellen, du pointierst das nicht stark genug.
sich damals ... begegnete sie heute


Ihr Mund war trocken, sie spürte das Verlangen, nach dem Rest des Wein-Wasser Gemisches zu greifen, welches vor ihr auf dem Wohnzimmertisch stand – doch hatte sie Bedenken, ihre Starre zu durchbrechen.
Dynamik in jeder Form war ihr fremd geworden.
Selbst der Griff zum Glas war ein Kraftakt, der zunächst geplant und anschließend geleistet werden musste.
Zumindest einer der Teilsätze (schwarz markiert) könnte raus, weil er dasselbe beschreibt. Ich würd sie beide rausschmeißen.


Das Bild eines kleinen Beutetieres kam ihr in den Sinn, welches angesichts des Greifes, des Fuchses, der Schlange nicht um sein Leben rennt, sondern um sein Leben erstarrt, unsichtbar wird.
Das finde ich hier gut, wie sie aus ihrer Erstarrung eine Art von Kraft oder Umgang mit Gefahren macht.
"um sein Leben" finde ich einerseits eine gute Idee, da bin ich mir aber unsicher, ob die grammatikalische "Falschheit" nicht stärker wiegt. ist vielleicht Geschmackssache.
Zu dem "unsichtbar wird". Das Tier verharrt, will sich tarnen. Aber das passt inhaltlich hier nicht zu dem geschilderten Phänomen. Erstarrt sie denn, weil sie sich tarnen will? Zumal weder Tier noch die Protagonistin wirklich unsichtbar werden. Ich würds streichen.

Bei der Tieraufzählung ist mir aufgefallen, dass du zwei echte Tiere nimmst, und dann den Greif. Ich weiß das grad nicht, heißt das nicht Greifvogel? Und der Greif selbst, ist das nicht eine altertümlich Formulierung oder sogar was Mythologisches? Jedenfalls kippt mich das raus. Ich würde einen Bussard nehmen oder den Greif halt weglassen.

Ihr persönlicher Fressfeind war der Alltag.
Das ist toll.


Der Tag hatte sich inzwischen voll entfaltet und hielt sein früheres Versprechen.
Die Sonne schien durch die trübe Fensterscheibe und malte verspielte Muster auf die Tischplatte vor ihr.
Erster Satz weg. Wieder redundant und außerdem von der Perspektive her völlig daneben. Da schaut dann plötzlich eine r auf die Protagonistin drauf.
Der zweite Satz passt auch nicht ganz zu der Perspektive, die du gewählt hast. Die Frau schaut doch auf die gegenüberliegende Wand, da kann sie die Kringel, die die Sonne malt, doch gar nicht sehen.
Also müsstest du hier einen Bezug zu der Frau herstellen, dass sie sie nur am Rande wahrnimmt, was weß ich, was du da für eine Lösung findest. Wenn du es aber so machst, fragt man sich halt auch, wer das eigentlich nun sieht.


Sie starrte an die gegenüberliegende Wand – ohne einen Wimpernschlag seit Ewigkeiten.
Starren bedeutet, dass man die Augen nicht (oder kaum) schließt, das Schwarze ist also wieder ... weißt schon.


Auch das Starren hatte seine Vorteile. War die körperliche Unbeweglichkeit ein Schutz gegen die Anforderungen des Alltags, besänftigte das Starren das penetrante Kreisen unscharfer Bilder vor ihrem inneren Auge, welche eine hintergründige Bedrohlichkeit mit sich brachten, die sie sich nicht erklären konnte.
Du willst doch zeigen, was das Starren für sie ist, dann bleib auch dabei und schweif nicht ab zu der Erstarrung von vorher. Da gehstr du nicht nach vorne, sondern machst einen Rückschritt und nimmst damit dem Leser damit wieder den Fokus, auf den du ihn gerade gerichtet hattest.
Entweder "hintergründige" oder "die sie sich nicht erklären konnte". Beides zusammen Doppelmoppel.


Ich würde meinen Text einfach mal noch mal durchsichten. Prüfen, welcher Satz, welche Textstelle Rückschritte macht oder redundant ist. Rausfinden, was an Bildern und exakten Beschreibungen du dringend behalten willst, musst, um dein Anliegen passend zu präsentieren.
Gerade bei einem Text, der so wenig Handlung enthält, dessen Konflikt ja eigentlich auch schon wieder erledigt ist, wenn er kaum aufgetaucht ist, gerade da musst du konsequent nach vorne treiben, am Thema, am Roten Faden bleiben und Überflüssiges rauspicken.

Viele Grüße von Novak

 

Novak : Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.

Mir persönlich ist es lieber, ein Text ist kalt, gerade dann, wenn er autobiographische Züge trägt, und ich als Kommentatorin das weiß.

Darf ich fragen, was du mit "kalt" meinst? :-)

ich hab deswegen auch so ein bisschen übergenau und weitschweifig argumentiert, aber ich hoffe, dass dir das mehr nützt, wenn ich ausführlich begründe, warum du wo streichen sollst, als wenn ich einfach sage, streich mal,

Dafür danke ich dir sehr, denn genau das bringt mich im Endeffekt weiter bzw. hilft mir bei der Überarbeitung ungemein.

Deinen Vorschlag, den einleitenden Satz wegzulassen, werde ich übernehmen.
Das leuchtet mir ein, ich habe es ausprobiert und es "fehlt" anschließend nichts.

Ich weiß das grad nicht, heißt das nicht Greifvogel? Und der Greif selbst, ist das nicht eine altertümlich Formulierung oder sogar was Mythologisches?

Ja, der Greif ist ein mythologisches Wesen.
Leider kann ich nicht stichhaltig begründen, warum ich ihn gewählt habe. Dass es jedoch "holpert" an dieser Stelle, leuchtet mir ebenfalls ein. Ich überlege mir einen existenten Greifvogel für dieses Bild.

Prüfen, welcher Satz, welche Textstelle Rückschritte macht oder redundant ist. Rausfinden, was an Bildern und exakten Beschreibungen du dringend behalten willst, musst, um dein Anliegen passend zu präsentieren.

Wird gemacht!

Etwas noch zum Thema "Kürzen":
Ich tue mich da unheimlich schwer mit, da ich mir ja schon etwas dabei denke, wenn ich vor mich hinredundiere. :lol:

Auslassen ist eine Kunst, die ich nicht beherrsche, glaube ich. Ich bin aber zuversichtlich, da zumindest ein annäherndes Gefühl für entwickeln zu können.

So ein Text wächst einem ja auch ans Herz - und dann soll man ihn zusammenstreichen? Da sträubt sich spontan etwas bei mir, auch wenn ich den Hintergrund rational absolut nachvollziehen kann!
Thursday :

Vielen Dank auch für deine Kritik!
Es freut mich sehr, dass du Gefallen am Text gefunden hast!

Der Greif wird überarbeitet ... die Tiermetapher kam mir ehrlich gesagt einfach beim Schreiben in den Sinn, ich hielt sie für passend. Vielleicht dachte ich auch, ich könne den Text dadurch etwas abwechslungsreicher gestalten.
Allerdings kommen die drei Tiere schon früher im Text vor, dein Zitat ist eine Wiederholung derselben:

Das Bild eines kleinen Beutetieres kam ihr in den Sinn, welches angesichts des Greifes, des Fuchses, der Schlange nicht um sein Leben rennt, sondern um sein Leben erstarrt, unsichtbar wird.

Ich bezog mich dabei auf diesen Abschnitt.

Aber mich hat diese Geschichte berührt.

Diese Worte freuen mich wirklich ungemein!!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, ich nochmal,
du hattest mich gefragt, was ich mit einem "kalten Text" meine.
Einer, zu dem man Abstand gewonnen hat.
Ich erlebe das hier oft, aber auch in einem anderen Forum, dass Autoren ohne Routine einen Text gerade erst geschrieben haben und dann gleich hochladen. Oder der Text handelt von einem persönlichen Erlebnis, das man noch gar nicht für sich verarbeitet hat. In beiden Fällen ist der Text "warm" oder gar "heiß" und dem Autoren fällt es dann häufig schwerer, offen für Feedback zu sein. Ich denke, das ist eine ganz natürlich Sache, es ist ja selbst mit Abstand nicht so ganz einfach, Lob und Kritik einzuordnen, zu sortieren und zu prüfen, was für einen selbst, für den Text, für seine Intention, aber auch für die eigene Persönlichkeit passt.

Und damit komm ich gleich zu dem zweiten Punkt, zu dem ich noch was sagen wollte:

Etwas noch zum Thema "Kürzen":
Ich tue mich da unheimlich schwer mit, da ich mir ja schon etwas dabei denke, wenn ich vor mich hinredundiere.

Auslassen ist eine Kunst, die ich nicht beherrsche, glaube ich. Ich bin aber zuversichtlich, da zumindest ein annäherndes Gefühl für entwickeln zu können.

So ein Text wächst einem ja auch ans Herz - und dann soll man ihn zusammenstreichen? Da sträubt sich spontan etwas bei mir, auch wenn ich den Hintergrund rational absolut nachvollziehen kann!

Das ist eine ganz normale Sache, dass man den eigenen Text nicht unbedingt zusammenstreichen will. Man hat ihn ja schließlich mit Herzblut geschrieben und sich bei jedem Wort (oder fast) was gedacht. Das geht jedem von uns so. Und oft kommen die Kürzvorschläge sehr prinzipiell daher, ich kenne das aus einem anderen Forum, da bleibt dann von dem ursprünglichen Text (der ja schon bearbeitet ist) vielleicht noch die Hälfte übrig. Ich glaube, das ist eines der Dinge, die man beim Schreiben einfach lernen muss, offen zu sein für eine Kritik an plot oder Stil, eben auch zu streichen oder zu verändern, aber auch, sich einen eigenen Stil zu "gönnen" und den auch zu verteidigen.
Ein etwas großspuriger Vergleich, aber vielleicht verstehst du, was ich damit meine, eine Juli Zeh oder Zsusa Banks schreiben nun mal anders als ein Carver.

Langer Rede kurzer Sinn, auch ein eher ausgebreitetes und schmückendes Erzählen und Zeigen, an dem allein man schon seine Freude haben kann, muss trotzdem geprüft werden auf ein Vorwärtstreiben.
Und - ein Falsch oder Richtig wird man für sich selbst wohl schwer finden, sondern höchstens ein Ausprobieren, ein Finden und wieder Fallenlassen, unterschiedliche Phasen eben.
Ich sehe bei dir jedenfalls den Spaß am Schreiben, Formulierungslust, Offenheit dem eigenen Schreiben gegenüber und einen athmosphärisch schönen Einstandstext, an dem man arbeiten kann.
Und jetzt verlass ich mal besser wieder deine Wohnstube, bevor ich endgültig das Wort zum Sonntag gepredigt habe. :D

Viel Spaß noch hier bei uns
Novak

 

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