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Vom Einwecken und Konfitürekochen

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11.10.2016
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Vom Einwecken und Konfitürekochen

Michael mochte es, seine Haare lang wachsen zu lassen. Das sah manchmal merkwürdig aus, da er einen langen Seitenscheitel hatte und er das regelmäßige Waschen der Haare als überflüssig betrachtete. Hätte man ihn gefragt, warum er es mochte seine Haare wachsen zu lassen, hätte er wohl geantwortet, er wisse es nicht. Es fragte ihn aber niemand und so konnte er diese gehaltlose Antwort auch nicht geben.

November 1983. Michael, Jahrgang 72, war mit seiner Schwester und seiner Mutter bei den Schwiegereltern der Schwester, die wohnten fünfzehn Minuten entfernt, in der Nähe der Schule, welche Michael besuchte. Michael dachte oft, irgendwie ist alles in der Nähe und doch so weit weg. Es gab schwarzen, süßen Tee und Gebäck, selbstgebacken, gerollte Waffeln, welche in großen Dosen aufbewahrt wurden. Die Schwiegermutter der Schwester war bemüht freundlich zu den Gästen. Der Schwiegervater war bemüht still und starrte Michael unentwegt an, währenddessen er seinen Tee schlürfte. Nach gefühlten Stunden gingen die Frauen in die Küche, redeten über das Einwecken und über das Konfitürekochen.

Michael saß mit diesem merkwürdigen, bedrohlichen Mann alleine in der Wohnstube. Das Gesicht des Mannes war für Michael rätselhaft. Inhaltslos und doch gleichzeitig voll stumpfen Zorns. Der konnte auch gar nicht anders aussehen, dachte Michael, der sieht immer so aus, wohl weil er die Welt oder die Menschen nicht versteht, nicht verstehen kann, weil der irgendwas im Leben erlebt hat, das ihn dazu brachte, seine Mitmenschen so zu betrachten. Vielleicht in diesem ominösen Krieg, von den die Alten oft redeten. Während dieser fremde Mann Michael betrachtete, kopfschüttelnd musterte, Tee schlürfend fixierte, breitete sich in Michael ein Gefühl aus, dass etwas nicht mehr stimme und gleich etwas Unschönes passieren werde. Der Junge hielt es nicht mehr aus und wollte aufstehen und in die Küche zu den Frauen gehen, was der Mann sich aber verbal verbat und derselbe stand auf, ging kurz raus und kam mit einem Handtuch und einem elektrischen Rasierer wieder zurück. Er schnappte sich den verängstigten Jungen, setzte ihn auf einen Esszimmerstuhl, legte ihm das Handtuch um den Hals und begann die schönen fettigen Haare zu rasieren. Michael tat nichts. Starre. Der Mann seinerseits schien aufzublühen, pfiff, seine Mimik entwickelte sich und er sah aus, als habe er einen wichtigen Sieg an der Front errungen und das einzig richtige, das was Deutschland in diesem Moment benötigte, zum Überleben in der Ewigkeit, vollbracht habe. Der, die Kultur rettende Friseur, nahm eine Siegerpose ein, die er vor 40 Jahren wohl das letzte Mal eingenommen hatte, als er noch für das Tausendjährige Bücher verbrannte und sich zur einzig wahren Rasse zählte.

Als die Frauen wieder in die Wohnstube kamen, war Michaels Mutter erstaunt, erstaunt über die Glatze, die der Junge vor zehn Minuten noch nicht hatte. Der Friseur schmetterte, wie vom Ton einer Fanfare begleitet, er habe dem Jungen mal einen richtigen Haarschnitt verpasst, was ja wohl längst von bitterer Not gewesen sei und grinste triumphierend debil. Seine Mutter nahm Michael an die Hand, sie zogen ihre Jacken an und gingen ohne ein Wort hinaus. Sie wusste nichts zu sagen, war nur kontrolliert empört, doch sie sagte nichts. Dem Patriarchat sei es gedankt. Die Schwester kam hinterher und strich dem Skalpierten über den Kopf, sie meinte es gut, war hilflos. Michael blickte sie an, sie verstummte. Der kahle Junge war voll Wut. Er zitterte und weinte trocken. Er hasste diesen Menschen und in ihm war es düster erleuchtet zur Gewissheit geworden, wie nie ein Gefühl zuvor in seinem Leben, dass es genau das richtige Gefühl war, welches er diesem Menschen gegenüber empfand. Daran gab es nichts zu rütteln, nichts zu schönen, nichts zu erklären. Dieses Gefühl gehörte genährt und sollte diesem Menschen gewidmet werden und so, merkte sich Michael dieses Haus und er merkte sich diese Fenster und den Namen dieses Mannes und schwor, schwor auf sein Leben und seine Freiheit, er werde hierher eines Tages zurückkehren und die Fenster und den Postkasten mit Hundescheiße beschmieren und auffüllen. Vielleicht auch mit der eigenen, das würde noch entschieden. Rache. Er wollte sich dafür rächen, rächen auch dafür, dass er nicht weggelaufen war. Was wirklich einmal geschehen sollte, welche Art der persönlichen Rache dieser Mann über sich ergehen lassen musste, dass konnte sich Michael an diesem dunklen Tage im November nicht vorstellen und sie zu beschreiben, hat in dieser Geschichte keinen Raum, denn dann würde Michael in einem Licht erscheinen, welches dem Leser ihn so getrübt zeichnen ließe, dass er nicht fortführe zu lesen.

Für ein paar Monate war es auf dem Kopf noch kälter als sonst. Michael bekam eine wollene Mütze. Über das Thema wurde nicht mehr geredet. Michael hasste Mützen. Er war eitel, doch er trug sie und es wurde sich etwas ausgedacht, irgendwas mit Läusen und dem Resultat wurde eine Notwendigkeit angehängt.

 
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Hallo strandgigant,

deine Geschichte ist für mich sprichwörtlich an den Haaren herbeigezogen.
Ich möchte versuchen, dir das zu erklären:

Michael mochte es, seine Haare lang wachsen zu lassen.
Das liest sich für mich komisch. Also ich mag Musik oder Erdbeerkuchen oder Sonne im Gesicht - aber Haare wachsen zu lassen, das möchte man, nimmt man sich vor oder so ähnlich. Er mag vielleicht, wie die Strähnen über sein Gesicht streifen, wenn er sich nach unten beugt, aber das Wachsenlassen zu mögen :shy: ?
Das sah manchmal merkwürdig aus, da er einen langen Seitenscheitel hatte und er das regelmäßige Waschen der Haare als überflüssig betrachtete.
Das verstehe ich nicht. Ein Seitenseitel ist ein Seitenscheitel. Der ist weder lang noch kurz.

Hätte man ihn gefragt, warum er es mochte seine Haare wachsen zu lassen, hätte er wohl geantwortet, er wisse es nicht. Es fragte ihn aber niemand und so konnte er diese gehaltlose Antwort auch nicht geben.
Was sagen uns diese zwei Sätze? Nichts. Deswegen wäre es auch meiner Meinung nach besser, du würdest sie streichen.

November 1983. Michael, Jahrgang 72, war mit seiner Schwester und seiner Mutter bei den Schwiegereltern der Schwester, die wohnten fünfzehn Minuten entfernt, in der Nähe der Schule, welche Michael besuchte.

Sind alle diese Informationen wichtig?


Michael dachte oft, irgendwie ist alles in der Nähe und doch so weit weg.
Was soll mir das als Leser transportieren?
Nach gefühlten Stunden gingen die Frauen in die Küche, redeten über das Einwecken und über das Konfitürekochen.
Und deswegen der Titel? Hmm.

Der Junge hielt es nicht mehr aus und wollte aufstehen und in die Küche zu den Frauen gehen, was der Mann sich aber verbal verbat und derselbe stand auf, ging kurz raus und kam mit einem Handtuch und einem elektrischen Rasierer wieder zurück.
Der Satz hakt.

Er schnappte sich den verängstigten Jungen, setzte ihn auf einen Esszimmerstuhl, legte ihm das Handtuch um den Hals und begann die schönen fettigen Haare zu rasieren. Michael tat nichts. Starre.

Michael ist 11. Und er ist stolz auf seine Haare. Das ist nicht nachzuvollziehen, das passt für mich hinten und vorne nicht.

Der Mann seinerseits schien aufzublühen, pfiff, seine Mimik entwickelte sich und er sah aus, als habe er einen wichtigen Sieg an der Front errungen und das einzig richtige, das was Deutschland in diesem Moment benötigte, zum Überleben in der Ewigkeit, vollbracht habe. Der, die Kultur rettende Friseur, nahm eine Siegerpose ein, die er vor 40 Jahren wohl das letzte Mal eingenommen hatte, als er noch für das Tausendjährige Bücher verbrannte und sich zur einzig wahren Rasse zählte.

Da wird heftig in der Geschichte gerührt und geschöpft, das ist mir zu plakativ.

Entschuldige, ich kann den Text einfach nicht ernstnehmen. Für eine Satire ist er jedoch viel zu geerdet. Von daher frage ich mich, was du damit erreichen wolltest.

Liebe Grüße
bernadette

 
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Hallo strandgigant,
Dein Text liest sich flüssig. Aber irgendwie scheinst Du mit dieser Geschichte etwas sagen zu wollen, was in dieser Kürze nicht rüberkommt. Das Problem liegt vielleicht in der fehlenden Charakterisierung des Schwiegervaters. Warum hat er eine Abneigung gegen Langhaarige? Betrifft dieser Hass, wenn es Hass ist, nur Männer? Hatte er was gegen die Beatles et al.? So wie es momentan dasteht, scheint der Schwiegervater einfach nur Langeweile zu haben oder geistig behindert zu sein.
Was für einen Haarschnitt hat denn der Schwiegervater? Einen Meggi? Zeige den Typen deutlicher. Hat er einen Militärhaarschnittfetischismnus?
Und die Frauen kümmern sich um die Macken des Schwiegervaters überhaupt nicht? Daher der Titel? Verstehe ich das richtig?
Da Michael einen Hass gegen diesen Schwiegervater entwickelt, scheint bei dem Schwiegervater mehr als nur eine geistige Schwäche oder Spielerei dahinter zu stecken. Die Art der Erwähnung des Krieges könnte auf etwas Politisches hindeuten.

Vielleicht in diesem ominösen Krieg, von den [dem] die Alten oft redeten.
Mit etwas Investition könnte das richtig gut werden.
Viele Grüsse
Fugu

 
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Hi bernadette,

danke, danke, danke für die Zeit, die Du mit diesen Zeilen verbracht hast.
Ich lasse das einfach mal so stehen, erstmal, und lese morgen noch mal nach, was für mich davon wichtig ist.
Der Text ist übrigens aus einer längeren Erzählung, vielleicht kommt der Charakter in der Kürze nicht rüber.
Hat der Text Dich wütend gemacht?
besten gruß
Detlef

Hi Fugu,

danke, danke, danke für die Zeit, die Du dem Text schenktest.
Ist wohl etwas aus dem Zusammenhang gerissen. Also, der Text ist aus einer Erzählung, einer Biografie.
Daher finde ich, der Schwiegervater sollte nicht näher beschrieben werden, weil er im gesamten nur eine zu vernachlässigende Rolle spielt. Er steht einfach für das Patriarchat, das musste zu dieser Zeit nicht viel erklären, das war 1983. Michael ist ein Kriegsenkel, seine Eltern waren Kinder im 2.Weltkrieg und deren Eltern waren Erwachsene in diesem Krieg und er, also Michael, ist auf der Suche nach einem Ort, an dem er sich sicher fühlen kann. Denn den hat er nicht und selbst seine Mutter und seine Schwester können ihm auch keine Sicherheit geben. Ich weiß nicht, wo er ihn endlich mal finden wird, diesen Ort. Ist ja auch eher etwas Inneres, was er versucht, außen zu finden.
Der Titel ist so gemeint, dass die Rasur-Aktion beiläufig passiert, genau, wie über Einwecken und Konfitürekochen zu sprechen.

Besten Gruß

 

Der Text ist übrigens aus einer längeren Erzählung, vielleicht kommt der Charakter in der Kürze nicht rüber.
Hat der Text Dich wütend gemacht?

Ich frage mich immer, wie man einfach einen Teil aus einer längeren Erzählung herausschnippelt und dann als eigenständige Kurzgeschichte präsentieren kann.

Ich meine, ich suche aus einer Minestrone auch nicht nur z.B. die Bohnen heraus, serviere sie separat und sage, dass sei dann die Vorspeise.

Wütend hat mich der Text nicht gemacht. Schulterzucken würde eher passen.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hi bernadette,

Episodenerzählungen sind nichts neues.
Das mit der Minestrone finde ich klasse. Wäre die Minestrone noch eine solche, wenn die Bohnen fehlten? Die Bohnen bleiben Bohnen, auch ohne Minestrone, doch, was für eine langweilige Vorspeise. Obwohl, wenn man sie richtig zubereitet, mit Salz, Zwiebeln, Knoblauch und Olivenöl und dazu frisches französisches Landbrot...

Danke, dass Du mir trotz Schulterzucken, eine kritische Rückmeldung auf den Text gegeben hast. Einige Deiner Anregungen helfen mir, mich mit meiner Sprache anders auseinader zu setzen und mich in der Aussageabsicht zu hinterfragen. Super!

Besten Gruß
detlef

 

Hallo strandgigant!

Nein, Episodenerzählungen sind nichts Neues, aber unter der Kurzgeschichtenrubrik der Wortkrieger sollen nur Geschichten veröffentlicht werden, die für sich allein gelesen werden können.

Ich konnte mit deinem Text leider nur wenig anfangen.

Ich hatte mich aufs Einwecken gefreut und was kommt? Ein Frisör des Grauens.

"Der Titel ist so gemeint, dass die Rasur-Aktion beiläufig passiert"
=> Und ich denke, genau das ist das Problem. Du erzählst etwas Beiläufiges. Du scheinst dir keine Gedanken darüber gemacht zu haben, wie du eine für den Leser interessante Geschichte erzählen könntest.

Für eine Geschichte dieses Inhalts müsstest du auf jeden Fall mehr auf die Charaktere eingehen. Ich verstehe leider keine deiner Personen.

Grüße,
Chris

 

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