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Vom Baume des Glückes

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10.04.2013
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Vom Baume des Glückes

Es lebte einmal ein Mann auf dieser Welt. Eines Tages - es war mitten in der Zeit des Herbstes - legte er sich rücklings unter einen Baum und betrachtete das Astwerk. Mit einem Male löste sich ein Blatt und schwebte sacht auf verschlungenen Bahnen ihm entgegen zum Boden hin, und er erlebte diesen Moment, da das Blatt an ihm vorüber flog, und ein Glücksempfinden, welches seinem Leben bisher fremd, berührte ihn und nahm ihn mit sich fort.

Fürderhin trachtete dieser Mann jenes Erlebnis zu bannen und rannte seinem vergangenen Glücke nach.
Er legte sich unter Bäume, fotografierte dort fallendes Laub, schuf Gemälde von Blättern, die im Schatten starker Eichen durch die Luft wirbeln, schrieb eine Glücks-Fibel, die empfahl, sein Heil unter herbstlichen Bäumen zu suchen, baute Altäre aus reinem Herbstblattwerk, scharte Jünger um sich, dem fallenden Blatte zu huldigen.

Doch das Glück mochte nicht wiederkehren, Herbst um Herbst verging und als er sich einmal wieder, schon hochbetagt, unter einen Baum legte, so nahte ein Sturm und beugte den Baum, dass dieser am Stamme brach und den Mann erschlug.

 

Hallo 7miles,

das ist ein hübsches Gleichnis, für die Versuche des Menschen, vollkommene Augenblicke festzuhalten und innerhalb von Institutionen herbeizuführen. Eigentlich dasselbe Thema wie bei deiner Geschichte vom Lichterhannes, mit derselben verspielten Sprache, diesmal in Miniaturform.

Weil ich solche Ultrakurz-Geschichten (etwa Sufi-Geschichten und Kawabatas Handteller-Geschichten) und deinen Stil mag, hab ich das gern gelesen. Etwas Neues oder eine große künstlerische Herausforderung scheint der Text allerdings nicht zu enthalten. Er ist, um ein weiteres Gleichnis zu verwenden, ein Schinken-Käse-Omelette, das ein ausgezeichneter Koch zubereitet hat. ;)

Freundliche Grüße vom

Berg

 

Hallo

vielen Dank für den "ausgezeichneten Koch", Berg.
Du hast recht, dieses kleine Gleichnis ist wahrhaftig keine Revolution, eher etwas Bescheidenes für Zwischendurch, ein Blatt unter Vielen im Laubhaufen der Gleichnisse vom fatalen Festhaltenwollen des Augenblicks.
7miles

 

Fürderhin trachtete dieser Mann jenes Erlebnis zu bannen und rannte seinem vergangenen Glücke nach.

Gibt es Flüchtigeres als ein Blatt im Wind, verehrter (sic) 7miles?
Und doch lassen sich daraus die wunderbarsten Kunstwerke zaubern, und dass deine klitzekleine Geschichte nicht nur einnehmend geschrieben ist, sondern obendrein mit diesem Satz

Er legte sich unter Bäume, fotografierte dort fallendes Laub, schuf Gemälde von Blättern, …

mich an den grandiosen Andy Goldsworthy denken und mich seinen Bildband wieder einmal aus dem Bücherregal kramen ließ, war mir ein zusätzliches Vergnügen.
Ich mag es, wenn Geschichten, so kurz sie auch sein mögen, meinen Kopf auf Reisen schicken. Sollte das auch mehr meiner eigenen Phantasie und Imagination geschuldet sein, warst es immerhin du, der den Anstoß dazu gab.

Dafür danke ich dir.

offshore

 

Das ist in der Tat was kleines Feines,

7miles -

und, da wir uns das erste mal begegnen, ein herzliches Willkommen hierorts auch von mir (dafür wird es nie zu spät) -

und es belegt die in hiesiger Branche wie aller Kunst, dass niemand weiß, wie Erfolg oder wie im Leben Glück zustande kommt und dann einem vergeblichen Modell hinterhechelt. Dem Glück nachzulaufen ist menschlich, aber vergeblich. Deshalb, da sind die Rechtsgelehrten und -schöpfer ausnahmsweise mal klüger als die Polizei erlaubt, gibt's auch keinen Rechtsanspruch auf Glück.

Zudem bietet die Geschichte nichts der Kleinkrämerseele (ach, in meiner Brust füllen sich Ozeane) und trägt doch einen potenziellen Makel in all der Kürze: Der erste Satz

Es lebte einmal ein Mann auf dieser Welt -
und da wir jetzt schon zu viert sind (Berg, ernst, Du und ich) wissen wir's besser. Kurz: der erste Satz ist, so drängt's sich auf, entbehrlich. Er ließe ohne großen Schaden sich im zwoten einbau'n
Eines Tages - es war mitten in der Zeit des Herbstes - legte [ein Mann] sich rücklings unter einen Baum und betrachtete das Astwerk.
Wir erahnen, dass es eine Geschichte
dieser Welt
und keiner fernen ist.

Gruß vom

Friedel,
der's gern gelesen hat

 

Ein kurzer Einwurf im Vorübergehen: Gerade den ersten Satz fand ich schön und poetisch. Er impliziert die Existenz anderer Welten und stellt gleichzeitig den Bezug zu unserer eigenen her.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Berg, Hallo Friedrichard,

ihr habt irgendwie beide recht, und in meiner allgemeinen Verwirrung belasse ich es bei "dieser Welt, auf der einmal" usw..

Und danke, Friedel, für deinen Willkommensgruß (und´s Lesen),

7miles

Und ernst offshore,hi,

irgendwie steckt ja in deinem Nick schon das Hinfort-Wollende. Ich glaube ja, dass die orientalischen Teppichhändler allesamt schwindeln, was die Flugfähigkeit ihrer Produkte anlangt - Bücher, Geschichten und dergl. sind da far better. Und solange ich nicht den Reiseleiter machen muss, kannst du auch gern mal auf meinem Ticket touren.

Und sei es ein Kurztrip wie dieser hier.

Vielen Dank
7miles

 

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