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Volltreffer
Irgendwie war ich mal wieder abgebrannt. Es war erst der Zwanzigste. Das hieß noch eine Woche bis zu meinem nächsten Gehalt und ich hatte gerade mal knapp zwei Euro in der Tasche. Ich schlappte in die Küche, öffnete den Kühlschrank und fand darin eine Packung Margarine und ein paar Scheiben Toast. Ich schmiss den Toast in den Toaster, stellte den Wasserkocher an und löffelte eine gute Portion Instant Kaffee in meine Tasse. Zum Frühstücken setzte ich mich an den Küchentisch und checkte meine Nachrichten.
Es gab nichts Besonderes. Mein Vater schickte mir ein politisches Statement zu den anstehenden Trump-Biden-Wahlen und mein bester Freund Timo gratulierte mir nachträglich zum 30. Geburtstag. Er war gestern erst aus der Toskana gekommen, wo er wie üblich ziemlichen Zoff mit seiner Freundin Nina hatte. Die beiden waren schon seit fünf Jahren zusammen und die Beziehung lief alles andere als harmonisch. Doch irgendwie schaffte sie es immer wieder Timo um den Finger zu wickeln und der fiel wie ein dressiertes Hündchen immer wieder darauf rein.
Ich hatte mich bereits vor zwei Jahren von meiner Partnerin Susi getrennt. Die Entscheidung war kurz und schmerzvoll, da ich sie mit unserem gemeinsamen Freund Bernhard inflagranti erwischt hatte. Das Feuer wäre schon längst erloschen gewesen meinte sie kaltschnäuzig. Ich packte also meinen Koffer, schmiss die zwei Tage zuvor erstandenen Verlobungsringe in den Mülleimer und suchte mir eine neue Bleibe in Schöneberg.
Kurz danach begann die Pandemie und ich musste aufgrund der schlechten Auftragslage in Kurzarbeit. So abgeschnitten von der Außenwelt hatte ich Zeit zum Nachdenken. Nachts begann ich elektronische Musik zu produzieren. Mein Soundcloud Kanal Tanzbar Berlin hatte schon einige Abonnenten und so suhlte ich mich in der Rolle des gebrochenen Künstlers.
Viel Geld kam dabei zwar nicht rum, aber aktuell erbaute mich bereits die Anerkennung meiner Fans. Auch wenn die ein oder andere Kritik an meinem Ego kratzte, produzierte ich weiter Nacht für Nacht meine elektronischen Sinfonien. Schon öfter war ich beim Editieren meiner Meisterstücke eingenickt, um am nächsten Morgen mit einem steifen Hals und Kopfschmerzen aufzuwachen. Ich veröffentlichte den fertig gewordenen Track und sprang unter die Dusche.
In der Regel konnte ich schon nach zehn Minuten mit Reaktionen meiner Fans rechnen. Der neue Track hieß "Revolution of Mind" und war eine Anlehnung an das aktuelle Zeitgeschehen. Die US Wahlen waren im vollen Gange, das Vereinigte Königreich stand kurz vor seinem Austritt aus der EU und das Corona Virus hatte jegliche Normalität aus dem Alltagsleben verbannt. Feiern, Tanzen, öffentliche Veranstaltungen - alles gestrichen! Ein indirekter Aufruf an die Single-Bevölkerung auf unabsehbare zeit erst einmal in Keuschheit zu leben, hatte Wellen der Empörung ausgelöst und bildete die Grundlage zahlreicher Verschwörungstheorien. Man organisierte Parties im Geheimen.
Vorfreudig sprang ich aus der Dusche und checkte die ersten Kommentare. "Geiler Track", "Solide Leistung!" oder "Werde ich gleich meiner Playlist hinzufügen" waren die Standardantworten meiner Fans. Etwas weiter unten stand eine längere private Nachricht "Hey, mir gefällt dein Kanal schon seit längerem. Bin Produzent und würde dich gerne persönlich kennenlernen. Melde dich bei Interesse unter 555 1864430."
In meinem Kopf fing es an zu rattern. Hatte sich meine monatelange Arbeit doch bezahlt gemacht? War das Angebot überhaupt seriös? Hatte ich am Ende gar den Durchbruch wirklich geschafft? Meine Finger zitterten als ich die Nummer abspeicherte. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht gleich zum Hörer zu greifen. Das würde zu uncool wirken. Ich würde bis zum Abend warten. 17:00 Uhr schien mir eine angemessene Zeit.
Es war drei Uhr morgens als ich den Laptop ausschaltete und mich hinter geschlossenen Rollläden verbarrikadiert schlafen legte. Um elf Uhr klingelte das Telefon. Meine Mutter wollte wissen, ob ich am Wochenende zum Essen kommen würde. Verschlafen ließ ich mich auf 13:00 Uhr am Sonntag ein. Es gab Braten, Rotkraut und Knödel.
Permanent starrte ich auf meine Uhr, die Zeit schlich dahin. Um Punkt 17:00 Uhr nahm ich endlich mein Handy in die zittrige Hand und starrte auf die blau hinterlegte Nummer. Ich zögerte noch einen Augenblick, dann drückte ich auf den blauen Hörer. Es klingelte, mein Kopf war leer, mehrmals überlegte ich wieder aufzulegen.
Es klingelte noch immer. Einmal, zweimal, dreimal - als ich gerade wieder auflegen wollte ging jemand ran. "Bernhard Kubinski, Kubinski Productions - hi" schallte es in den Hörer. Ich kannte den Namen, ich kannte die Stimme - Susi. Wütend drückte ich auf den roten Hörer. Volltreffer dachte ich!