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Volksvergiftung

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05.03.2013
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Volksvergiftung

Es war einmal eine Regierung. Die war mit dem Volk unzufrieden. Es zerfiel nämlich in zwei Teile. Der eine Teil verlebte politikfern fröhlich und faul die Tage mit seinem Bürgergehalt. Der andere Teil mischte sich ständig in die Politik ein, demonstrierte, streikte, aber arbeitete sehr fleißig. Dafür wollte er sogar mitbestimmen. Dies lähmte die Minister und Beamten. Sie sahen den Untergang der blühenden Ländchens voraus.

„Man muss das Volk seelisch stabiler machen. Die Aggressiven und Fleißigen sollten ruhiger werden und die Lethargischen und Faulen aktiver“, schlug der Regierungschef auf einer Krisensitzung des Kabinetts vor. Dabei imaginierte er eine große Menschenmenge, die gleiche Gedanken, gleiche Stimmung und gleiche Gesundheit hätte. Dann wäre das Regieren leichter.

Dem ungesund dicken Gesundheitsminister fiel gleich etwas ein. „Machen wir es doch wie in Gefängnissen. Wir tun Brom oder eine andere beruhigende Substanz ins Essen, und schon ist Ruhe hergestellt.“
„Und was machen wir mit den Faulen?“, fragte die Sozialministerin, deren Fleiß landesweit gefürchtet war.
„Das ist doch einfach, Frau Kollegin: Wir verabreichen ihnen stimulierende Substanzen.“
„Und wie wollen wir das tun?“ Dieser Frage des Regierungschefs folgte betretenes Schweigen.
Endlich erhob sich der Landwirtschaftsminister, der seine eiergelbleuchtende Krawatte auf seinem Bäuchlien zurechtrückte: „Es ist doch so. Wir müssen diese Substanzen in die Körper hineinbringen. Das machen wir wie in den Gefängnissen!“
„Wir können doch nicht für alle 80 Millionen kochen und die Substanzen ins Essen schmeißen lassen!“, ereiferte sich die Justizministerin und setzte dabei ihre Brille dreimal auf und ab..
„Das muss nicht sein. Mein Landwirtschaftsministerium hat gesicherte Daten, dass die Politisch-Aggressiven mehr Fleisch essen, die Faulen und Politikfernen mehr Gemüse und Salate. Wenn man die Nahrungsmittel an der Quelle präpariert, ist das Problem gelöst. Also füttern die Bauern die Tiere mit beruhigenden Substanzen, den BS, und besprühen die Pflanzen mit stimulierenden Substanzen, den SS.“
Die Minister staunten ob der Praktikabilität des Vorschlags. So einfaach soll es sein? Sie gründeten einen Arbeitskreis, der Vorschläge für das „Egalisierungsprogramm durch persönlichkeitsangepassten Ingredienzien zur Befriedung und Harmonisierung einer postdigitalen Kommunität“ (EIBHK) machen sollte.

*​
Folgendes geheimes Programm wurde nach drei Wochen vom Kabinett beschlossen (Begründungen in den Fußnoten):

1. Dem Bier werden SS (stimulierende Substanzen) beigemischt .
2. Den Weinen werden BS (beruhigende Substanzen) zugegeben.
3. Die Schlachttiere werden mit BS gefüttert, die sich im Fleisch ablagern.
4. Gemüse und Salate werden mit SS besprüht.
5. In das Mineralwasser werden SS gegeben.
6. Farbige Getränke bekommen BS beigefügt.
Die Verhandlungen mit den Firmen der chemischen Industrie, die die Substanzen herstellen sollten, verliefen ohne Schwierigkeiten. Solche Substanzen hatte sie schon lange entwickelt und in ihren Firmen erprobt, sodass sie sofort einsetzbar waren.
Die Viehbauern und Metzger wurden mit Nährwertprämien motiviert, die neue Fütterung der Tiere als einen Beitrag zur „ökologischen Naturergänzung (ÖN)“ zu sehen.
Die Gemüse- und Obstbauern und ihre Händler erhielten alle Steuerbefreiungen. Für einzelne Leistungen wie „Birne mit Pfiff“ (mit SS versetzt) oder „Apfel der Ruhe“ (mit BS behandelt) gab es erhebliche Sonderzahlungen. Konnten die Politiker doch mit dieser Art von Nahrungsmitteln minutiös die Stimmung des Volkes erzeugen. Zu Weihnachten gab es nur „Äpfel der Ruhe“, im September, wenn die Ferien vorbei waren, nur „Birnen mit Pfiff“ mit Einzelprämien.
Trotz des Reinheitsgebots öffneten sich die Bierbrauer den Neuerungen, denn viele Biertrinker wurden aggressiver und ertränkten ihren Ärger in Bierfluten.
Die Mineralwasserhersteller gewann man sehr leicht mit der Formel „Wasser der doppelten Gesundheit“, das deswegen auch gerne getrunken und von den Hausärzten zur Schonung ihres Budgets den Patienten wärmstens empfohlen wurde gegen Husten, Heiserkeit, Magenweh, Darmträgheit und Depressionen.
Alle die Maßnahmen setzten die Akteure klammheimlich durch.
Um den Teil des Volkes, der die Regierung so genau kontrollierte, abzulenken, inszenierte die Presseabteilung des Regierungschefs die Kampagne: Frieden für die Menschheit. Die Regierung flocht einen Strauß von Werten: Fleiß, Ruhe, Ordnung, Achtung, Liebe, Gehorsam, Sauberkeit. In groß angelegten Feldzügen im Fernsehen und Radio, in Theatern, Büchern, Zeitschriften und Vorträgen schilderten die Meinungsmacher die schöne neue Zeit in prächtigen Farben. Fluten von Friedenswörtern und Tugendforderungen schossen durch Kabel und Lüfte, internettiesierten Moral, twittscherten von Mensch zu Mensch und facebukten die Torte der homöostatischen Bewegung. Wie schön griff eines in das andere über. Ora et labora überall.
Und es begab sich, dass die Wirkung der Friedenskampagne und der Medikamente zeitlich zusammenfielen.
Drei Wochen nach Beginn zeigten sich die ersten Erfolge: Von den 45 Demonstrationen, die vor vier Wochen stattgefunden hatten, waren es jetzt nur noch sieben. Die Zahl der der Verkehrsunfälle war auf ein Drittel gesunken. Die Kriminalitätsrate hatte sich auf 33 Prozent gegenüber der vor vier Wochen gesenkt. Es kam zu keiner einzigen Familientragödie verglichen mit den zweiundzwanzig im Monat davor. Die Wirtschaftsproduktivität hingegen war um vierzehn Prozent gestiegen. Die Arbeitsausfälle durch Krankheit näherten sich der 0-Fehlzeit. Sogar die Gewerkschaften forderten eine Stunde unbezahlte Mehrarbeit, was ihnen die Politiker und Fabrikanten gerne gewährten.
Und am wichtigsten: Die Regierung erhielt nur Lob von allen Seiten.
*
Das Volk wunderte sich anfangs über die neue Leichtigkeit des Seins. Die Fleißigen und Aktiven machten alles geduldiger, die Faulen begannen das Lob der Arbeit zu singen. War der Wandel eigenes Verdienst? War das Wetter schöner geworden? War es die neue „Mode der wehenden Röcke“? Kommt ein neuer Messias? Einige hatten über dem Kanzleramt schon einen merkwürdig leuchtenden Stern aufgehen sehen!
Jedenfalls kehrte Frieden ein ins Land. Die kämpferischen Familienmitglieder kümmerten sich liebevoll um das Neugeborene, der faule Ehemann brachte den Müll runter und die Kinder sagten, „Mutti, wir lieben dich.“ Die Scheidungsrate sank.
Feindschaften mit den Nachbarn und Arbeitskollegen verschwanden in der Versenkung. Versöhnungsfeste kultivierten den Umgang miteinander.
Die Nachrichtensendungen beruhigten die Menschen im Land mit Sätzen wie: Die Regierung hat … Die Regierung will … Die Regierung wird …
Ja, unsere Regierung, das sind doch ganze Kerle und Kerlinnen, wenn wir die nicht hätten!
Das Volk war glücklich.
*
Nun war es aber so, dass diejenigen, die das EIBHK erfunden und durchgeführt haben, nicht daran teilnahmen. Sie fürchteten die Nebenwirkungen dieser beruhigenden und stimulierenden Substanzen aus dem chemischen Kochtopf. Die Führungsschicht der chemischen Industrie kannte die Gefahren der Einnahme ihrer Substanzen genau und warnte die „Eingeweihten“ davor. Die Esswaren für diese kleine Gruppe der Bevölkerung kamen aus dem Ausland.
Die Regierung arbeitete ruhig vor sich hin und genoss es, vom Volk nur noch Positives zu hören. Bald wusste sie nicht mehr, wie sie ihre eigene Aggressivität ausleben sollte; denn das Volk war ja kein Gegner mehr. Sich gegenseitig anzugreifen, das hatten sie ja immer schon getan. Aber ihre überschüssige Aggressionslust suchte weitere Objekte zur Befriedigung. Wer passte dazu besser als die Firmenchefs, die ihrerseits das gleiche Problem lösen mussten. Nach kurzer Zeit entbrannte heftiger Streit zwischen den Politikern und den Fabrikanten. Es kam zu einem heillosen Hauen und Stechen, sogar zu Morden. Wo immer sich deren Mitglieder begegneten, da kam es zu Kampf, Schlägereien, Beleidigungen, Körperverletzungen.
Unberührt und verwundert schaute das beruhigte und ausgeglichene Volk auf dieses Schauspiel, das es nicht verstand.
Im Laufe der Kämpfe verwelkten die blühenden Landschaften. Der Berg der Staatsschulden wuchs, die Zahl der Arbeitslosen, aber ausgeglichenen Menschen auch. Schweigend erlitt das Volk das maßlose Chaos, das seine kleine Welt erschütterte. Es litt schweigend die Kämpfe der Mächtigen.
Als die Politiker immer mehr Oberwasser gewannen, griffen die Firmenchefs zum letzten Mittel. Sie stoppten die Produktion von SS und BS.
Und siehe da, nach kurzer Zeit war die alte Ordnung wiederhergestellt.
Und alle waren glücklich. Auch die Politiker.
Und die Zeitungen: Sie berichteten wieder über Demonstrationen, Familientragödien, Kriminalität.
Nur ein einsamer Weltverbesserer schrieb in einer Ecke eines Obdachlosenheims in ein geklautes Schulheft: „Und da beschloss ich, Politiker zu werden.“

 

Lieber Qinn,

da hast du dir aber den Ärger von der Seele geschrieben, siebenundvierzig Minuten nach Einstellen des Textes. Gerne lese ich Deine Kommentare zu anderen Texten, denn sie sind scharf und treffen auch (nicht immer) Schwachpunkte. Natürlich habe ich auch diesen Kommentar gerne und mit Vergnügen gelesen, denn er bietet Diskussionsstoff.

meiner Ansicht nach ist diese Art von Text immer auch eine Absage an die Möglichkeit des Erzählens.
Meiner Ansicht nach ist diese Art von Text eine Möglichkeit lakonischen Erzählens. Lakonisches Erzählen zeichnet sich durch Wortkargheit und Kürze aus. Lakonisches Erzählen erscheint mir deshalb wichtig, weil in Zeiten von Wörterüberproduktion Wesentliches überdeckt wird.

Ich gehöre zu den Leuten, die hier im Forum Geschichten lesen wollen. Die Geschichten können gerne politisch relevant sein, das würde mich freuen,. Worauf ich aber nicht stehe, ist, wenn das Forum hier Texte hat, die genauso gut in irgendeinem privaten Blog stehen könnten. Wenn da überhaupt kein Anspruch zu erkennen ist, eine Geschichte zu erzählen.

Ich merk das immer, ich ärgere mich darüber auch, ich vermisse bei vielen Autoren die Lust am Erzählen, den Glauben an eine Geschichte. Wahrscheinlich macht das einfach zu viel Mühe.

Ich lese gerne jede Art von Texten, wenn sie inhaltlich mich anregen (oder auch erregen).
Lust am Erzählen habe ich und hatte ich, aber halt Lust am lakonischen Erzählen. Das scheint mir zeitgemäß zu sein.
Was ist der Glaube an eine Geschichte, den du forderst?
Anderen Faulheit oder Bequemlichkeit als Ursache für die Wahl der Textform vorzuwerfen, na ja, lieber Quinn, dazu müsste man einen besser kennen und nicht aus Ärger beurteilen. Ärger ist ein schlechter Ratgeber. Solches Argument entlarvt sich selber.

Man müsste sich mal überlegen, wieviel Mühe und Arbeit es erfordern würde, diese "Message" in dem Text in einem erzählerischen Rahmen zu verarbeiten. Da bräuchte man Protagonisten; Antagonisten, es müsste einem Geheimnis auf die Spur gegangen werden, es gäbe Dialoge, es gäbe Gefühle, es gäbe Ideen und Beschreibungen, man könnte als Leser den Stoff ernst nehmen und herangeführt werden, man könnte sich damit auseinandersetzen. All diese wunderbaren Sachen, die das Erzählen doch ausmacht. Das ist ja über tausende Jahre dasselbe.

Ich kann verstehen, dass man das nicht will, weil es aufwändig ist. Aber ... das ist halt so. Wer hätte je gesagt, dass Erzählen einfach ist? Einfach schreiben, was man denkt. So einen groben "Erzählrahmen" vortäuschen - das ist einfach, klar.

Alles richtig für einen ausgewachsenen Roman. Würde Spaß machen, ihn zu schreiben. Aber das wäre dann eine Langgeschichte. Lakonisches Schreiben möchte eher schockieren als ausführen. In der Knappheit liegt die Überzeugungskraft. Die „flächliche“ Erzählung ist der Ausgangspunkt für Möglichkeiten, wie du sie in dem Romanentwurf angedeutet hast. Aphorismen sind ähnlich kurz, um Anschlussmöglichkeit für den Leser zu schaffen. Er soll nicht in (m)einem Wörtersee ertrinken. Der Leser soll die Möglichkeit und Freiheit haben, das Ausgesparte zu ergänzen.
Holzschnittartig könnte man solche Geschichten auch bezeichnen.

Das mit deinem Ärger ist so eine Sache. Schließlich ärgere ich dich nicht, das machst du schon selber. Deinen (Selbst)Ärger gegen mich (und andere) in Stellung zu bringen, das sagt mehr über dich aus als über die Geschichte.
Gerne gelesen und kommentiert.
Herzlichst
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm!

Hier ein paar subjektive Gedanken zu deiner Geschichte.

Ja die Regierungen sind mit dem Volk nicht zufrieden. Leider können sie es nicht abwählen oder austauschen. Was macht man nun mit so einem lästigen Volk? Wohin damit?
Bei deiner Geschichte sollte es durch chemische Substanzen „rechtgeleitet“ werden. Natürlich fällt uns da sofort die subventionierte Droge Alkohol ein, die im Gegensatz zu den illegalen, dem Staat einen schönen Batzen Steuern, als auch dem Arbeitervolk eine berugigende oder ruhigstellende Aussicht auf das Feierabendbier gibt.
Aber eine Substanz die arbeitswillig macht? Spaß an der Arbeit ist wohl mehr einer Sache der Selbstbestätigung, Selbsterfüllung. Ich glaube das sämtliche Substanzen/Drogen keine auslösende Faktoren für einen Menschen sein können, von der Kunst mal abgesehen, damit ein Mensch aus den Puschen kommt. Will nur sagen, das war für mich nicht überzeugend.
Dieser Teil der Volkes:

„Der eine Teil verlebte politikfern fröhlich und faul die Tage mit seinem Bürgergehalt“
Was sollte die Regierung gegen diesen Teil haben? Bei „schöne, neue Welt“ wurden solche Bürger herangezüchtet. Wie leicht und schön die doch zu Steuern sind.

Ich denke dein satirischer Text ist nicht mal so realitätsfern. Allerdings fehlen mir die MeinungsBildenden Medien, die Werbung, Stimmungsmache, der SSV, die populistischen Partein, Religionen, Traditionen, Kulturen, irgendwelche Mikrowellen aus dem All, … eben der ganze andere Kram, der einen so beeinflusst. Ich weigere mich, mich ausschließlich von chemischen Substanzen manipulieren zu lassen. Ich bin ja keine Amöbe. Ich kann schreiben.

So, ob dein Text nun eine Kurzgeschichte darstellt oder nicht. Also, mir persönlich fehlt auch der persönliche Bezug. Ich versetzte mich ungern in Regierungen, Geheimdienste oder andere kranke hierarchisch aufgebaute Institutionen. Persönliche Schicksale sind eben, was einen berührt, nicht die 500000 Tote aus dem Geschichtsbuch.

Aber, mir ist immer wichtig, was unterm Strich rauskommt. Ob sich bei mir was tut, von mir aus auch regt. Ob es der oder der Form entspricht … sollen sich doch andere drüber den Kopf verlieren.

Liebe Grüße,
Cybernator

 

Hallo Quinn,

ich will mir aus deiner Anmerkung einen Punkt herausgreifen:

Dann schreib doch den Text hier mal szenisch und guck, ob dir das liegt, ob dir das Freude macht und wie es dann anders wirkt. Dann stellen wir die beiden Texten mal gegeneinander und schauen, für was sich die Leute entscheiden, was ihnen besser gefällt

Das wird zwar einige Zeit dauern, scheint mir aber ein lohnenswertes Experiment zu sein.
Herzlichst
Wilhelm

Hallo Cybernator,

ich komme zur Zeit nicht dazu, eine angemessene Antwort zu schreiben. Deshalb bitte ich um Geduld bis nächste Woche.
Herzlichst
Wilhelm

 
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„Mutti, wir lieben dich.“

Hallo Wilhelm,

ich bin der Auffassung (und nicht nur ich), dass die Kurzgeschichte eine epische Kleinform ist, für die es keine allgemein anerkannte Definition dessen gibt, was sie denn genau sei. Schon beim „pointierten Schluss“ findet man die Eingrenzung „häufig“, womit ein „immer“ schon ausgegrenzt ist. Selbst eine „logische“ Handlungsverkettung wird nicht verlangt oder gar eine bevorzugt Darstellung von Grenzsituationen findet sich irgendwo zwingend. Den „Spannungsbogen“ find ich gar nirgends.

Meine Meinung ist, dass „Volksvergiftung“durchaus die beiden anerkannten Kriterien - episch und kurz – erfüllt, selbst wenn mir das Vorbild schon mit den einleitenden Sätzen

Es war einmal eine Regierung. Die war mit dem Volk unzufrieden,
klar war - es ist die Brecht'sche Lösung nach dem Volksaufstand 1953 in der DDR, der wie 1956 in Ungarn und 1968 (Prager Frühling) niedergewalzt wurde, nach der sich das Volk das Vertrauen seiner Regierung verscherzt habe, die mit der Frage endet, ob es nicht einfacher wäre, die Regierung WÄHLTE sich ein anderes Volk.
Die drei oder vier Zeilen lange Erzählung geht als vollständige Satire durch, wie ja auch schon Kafkas Wunsch, Indianer zu werden eine vollständige Erzählung ist.

Ob „Muttis“ geplauder von der „marktkonformen“ Demokratie in Deine Geschichte einfließt, mag ich noch nicht zu beurteilen. Ich vermut es mal. Der Schluss lässt freilich böses ahnen …

… dass ich an anderer Stelle gleich an Martin Luther King erinnern werde (wobei Dein Schluss auch indirekt eine Rolle spielt), schließlich hat der Marsch auf Washington in zwo Wochen Jubiläum ...

Ich komm bestimmt noch mal drauf zurück -

Friedel

 
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„wê dir tiusche lant!
sol in dîner ordenunge
minne alsô verderben.“
Neithart v. Reuenthal​

Was im märchenhaften Ton beginnt wächst sich aus zur Groteske,

lieber Wilhelm,

in die vielleicht allzu viel aus den Nachrichten der letzten Zeit (wenn man genau nimmt, zurück bis in die Weimarer Republik – siehe Schlusssatz der Geschichte) hineingepackt wird von der chemical wellfare, die wohl eher eine chemical warfare wäre, übern Lobbyismus, der die Parlamente unterwandert und offensichtlich nicht nur gelegentlich die Gesetzesvorlagen den Ministerien produziert (alles im Interesse – natürlich – der Wohlfahrt aller). Bis hinein in die Sprache geht’s, wenn die hirnlose Aküspra* sich mit Euphemismen und political corrctness verbündet. Und wenn es

Kerlinnen
gibt, dann gibt’s gar bald auch Mensch und Menschin, Menschen und Menschinnen - wobei die Universität Leipzig einen radikalen Schnitt im Voraus und real getan hat, indem sie den Titel Professor abgeschafft hat, um ihn durch den der Professorin zu ersetzen. Das nenn ich Wa(h)re Emanzipation. Sollte „Mutti“ im Amt bleiben, wird dieses natürlich in ein Kanzlerinnenamt umgewidmet.

Bis hin zur Spaltung der Gesellschaft geht’s hierorts.

Aber nicht in oben und unten, arm und reich meint die Groteske. Ihr Modell ist – so finde ich – durch Rückgriff auf die von Max Weber analysierte protestantische Ethik im Gegensatz von „fleißig“ und „faul“, was wiederum Sprengstoff spendet, ist diese Ethik doch zugleich die Ideologie der Eroberer, sich die Welt untertan zu machen und nach dem eigenen Bilde zu formen. Allen Kulturen anderer Weltanschauung kann damit das Etikett des kulturlosen, weil auf der faulen Haut liegenden Eingeborenen zugesprochen werden.

So frag ich mich letztlich, was das

Bürgergehalt
wohl wäre. Die Grundsicherung? Arbeitslosengeld II – auf das einer heutigentags schneller abstürzen kann, als er selbst glauben mag.

Gleichwohl

Machen wir es doch wie in Gefängnissen
ist eine treffende Aussage, selbst wenn einiges überzeichnet wirkt. Das aber muss in Satire und Groteske so sein, sonst rutscht dem Michel noch die Schlafmütz übers Auge, auf dass er ein(k)nicke.

Zweimal stolperstu flüchtig dahin

Die Führungsschicht der chemischen Industrie kannte die Gefahren der Einnahme ihrer Substanzen genau und und warnte die „Eingeweihten“ davor
wie auch in der
Darmmträgheit

& hier ein Vorschlag

Die Fehlzeiten näherten sich der 0
ließe sich doch dem zeitgemäßen Sprachgebrauch eine „Null-Fehlzeit“ einführen …

Gern gelesen vom Friedel,
der jetzt gleich Willy deVilles Chemical Warfare hören wird …

Anhang
* Aküspra = AbKÜrzungsSPRache

Und zu gestern noch der Nachtrag, der Text „Die Lösung // Nach dem Aufstand des 17. Juni ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands in der Stalinallee Flugblätter verteilen auf denen zu lesen war, daß das Volk das Vertrauen der Regierung verscherzt habe und es nur durch doppelte Arbeit zurückerobern könne. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Bert Brecht & Kafkas„Wunsch, Indianer zu werden // Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf,denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als
Glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf."

 

Hallo Cybernator

Ja die Regierungen sind mit dem Volk nicht zufrieden. Leider können sie es nicht abwählen oder austauschen. Was macht man nun mit so einem lästigen Volk? Wohin damit?

Das Problem hast du richtig formuliert.
Es gibt und gab viele Möglichkeiten für Regierungen: panem et circenses, Kartätschen, Arbeitsdienst, Gulag, Kreuzzüge und eben Biopolitik. Die gegenwärtige Bio-Macht reguliert die Masse der Menschen, indem sie die Lebensumstände und die Körper der Bevölkerung analysiert, um einen Normalisierungsprozess zu initiieren, der die Gesellschaft „ausgeglichen“ macht.

Bei deiner Geschichte sollte es durch chemische Substanzen „rechtgeleitet“ werden. Natürlich fällt uns da sofort die subventionierte Droge Alkohol ein, die im Gegensatz zu den illegalen, dem Staat einen schönen Batzen Steuern, als auch dem Arbeitervolk eine beruhigende oder ruhigstellende Aussicht auf das Feierabendbier gibt.

Dazu kommen Psychopharmaka, Drogen, Zigaretten, Aspirin, Genpflanzen, Pflanzenschutzmittel und wahrscheinlich viel mehr, als ich weiß.

Aber eine Substanz die arbeitswillig macht?
Spaß an der Arbeit ist wohl mehr einer Sache der Selbstbestätigung, Selbsterfüllung. Ich glaube das sämtliche Substanzen/Drogen keine auslösende Faktoren für einen Menschen sein können, von der Kunst mal abgesehen, damit ein Mensch aus den Puschen kommt. Will nur sagen, das war für mich nicht überzeugend.
Pervitin machte in den Kriegen sogar feige Soldaten zu Helden.
Dieser Teil der Volkes:
Zitat: „Der eine Teil verlebte politikfern fröhlich und faul die Tage mit seinem Bürgergehalt“

Was sollte die Regierung gegen diesen Teil haben? Bei „schöne, neue Welt“ wurden solche Bürger herangezüchtet. Wie leicht und schön die doch zu Steuern sind.


Sie sollen zum Bruttosozialprodukt beitragen. Wer nichts tut, kommt auf dumme Gedanken.

Ich denke dein satirischer Text ist nicht mal so realitätsfern.
Übereinstimmung. Das ist wohl so. Ich hoffe, er ist viel Satire und wenig Wirklichkeit.

Allerdings fehlen mir die MeinungsBildenden Medien, die Werbung, Stimmungsmache, der SSV, die populistischen Partein, Religionen, Traditionen, Kulturen, irgendwelche Mikrowellen aus dem All, … eben der ganze andere Kram, der einen so beeinflusst. Ich weigere mich, mich ausschließlich von chemischen Substanzen manipulieren zu lassen. Ich bin ja keine Amöbe. Ich kann schreiben.
Ausschließlich ist nichts auf dieser Welt. Wie weit wir von chemischen Substanzen abhängen, wer mag das feststellen. Ich wollte nur diese Schiene Bio-Macht/Bio-Politik darstellen: Was Dir fehlt, darauf weist der letzte Satz hin.

So, ob dein Text nun eine Kurzgeschichte darstellt oder nicht. Also, mir persönlich fehlt auch der persönliche Bezug. Ich versetzte mich ungern in Regierungen, Geheimdienste oder andere kranke hierarchisch aufgebaute Institutionen. Persönliche Schicksale sind eben, was einen berührt, nicht die 500000 Tote aus dem Geschichtsbuch.
Mich berühren beide: die Millionen und die einzelnen, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Auf die problematischen Wirkungen der Human-Interest-Stories will ich nur hinweisen. Sie lenken von der Ebene der Planung und der Verantwortung ab. Das Einzelschicksal ist Produkt des Spieles von vielen Komponenten, die aber meistens auf der Institutionsebenen zu finden sind.
Ob Körper oder Korporation – faszinierend sind für mich beide. Man könnte ein Kabinett, eine Konferenz, eine Gruppe ja als eine Person ansehen und als solche betrachten.

Aber, mir ist immer wichtig, was unterm Strich rauskommt.
Ob sich bei mir was tut, von mir aus auch regt.
Formulierungsverbesserungsvorschlag: Was „ich“ aus einem Text herausziehe. „Es“ kommt nichts aus einem Text heraus, ich muss mich bemühen oder es lassen.

Ob es der oder der Form entspricht … sollen sich doch andere drüber den Kopf verlieren.
Zustimmung! Gattungsgrenzen sollte man in Zeiten allgegenwärtigen Cross-overs nicht pflegen. Definitionen ändern sich. Für mich ist ein Text ein Text.


Vielen Dank für Deine Hinweise und das Lesen.
Herzlichst
Wilhelm

 
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hallo Wilhelm Berliner,
ich schramme ja selbst auch gelegentlich an dieser Grenze des Die-Welt-Erklärens-ohne-eine-Geschichte-zu-erzählen, bin mir des Dilemmas bewußt und kann Quinns Kritik nachempfinden, besonders, wenn sie nicht gerade mich trifft, weil ich überzeugt bin, dass die Form der Kurzgeschichte enorme Stärken hat, sie berührt den Leser ungleich tiefer als dieses Welterklären. Nun kann man ja, wie Friedel, hier eine Geschichte lesen; schließlich passiert sogar etwas. Die Schmerzgrenze liegt für mich da, wo es keine Personen mehr gibt, keinen Egon und keine Gretel, sondern nur noch "Die Regierung", das Volk" etc., das erzeugt Abstand zum Thema und bewirkt damit das Gegenteil von dem, wofür ich zu schreiben versuche.
Zum Inhalt: es gibt sie ja, die Leute, die glauben, dass bestimmte Gifte bewußt in die Welt gesetzt werden, um uns zu verdummen, unfruchtbar zu machen etc., und diese Glosse versimpelt diese Sachlage derart, dass ich sie fast für eine Satire auf diese Art von Verschwörungsphobie gelesen habe.
Die Grundidee und der Schluss sind witzig, aber Du hast mich nicht in Dein Boot geholt.

Herzlichen Gruß Set

 

Peter: Der Mensch muss denken und ich muss für meine Unterthanen denken, denn sie denken nicht, sie denken nicht.
Georg Büchner: Leonce und Lena, I., 2

Die erste Bürgerpflicht ist Ruhe.
Friedrich Wilhelm, Graf von der Schulenburg, am 18.10.1806 in Berlin


Lieber Friedel

Was im märchenhaften Ton beginnt wächst sich aus zur Groteske,

Utopien gulagisieren sich – notwendigerweise?

in die vielleicht allzu viel aus den Nachrichten der letzten Zeit (wenn man genau nimmt, zurück bis in die Weimarer Republik – siehe Schlusssatz der Geschichte) hineingepackt wird
Von denen manche noch unglaubwürdiger ist als diese.

Bis hin zur Spaltung der Gesellschaft geht’s hierorts, sei es nun eine Kurzgeschichte oder auch nicht mitsamt der gutgemeinten Ratschläge, wie denn nun eine „richtige“ Kurzgeschichte auszusehen habe. Wenigstens wird diese Kurzgeschichte hier nicht von den Hütern der wahren Ordnung Pamphlet gescholten, wie’s dem Dowdy Jones 2008 erging.
Spaltung in fleißige Kurzgeschichtler und faule?

Aber nicht in oben und unten, arm und reich meint die Groteske. Ihr Modell ist – so finde ich – durch Rückgriff auf die von Max Weber analysierte protestantische Ethik im Gegensatz von „fleißig“ und „faul“, was wiederum Sprengstoff spendet, ist diese Ethik doch zugleich die Ideologie der Eroberer, sich die Welt untertan zu machen und nach dem eigenen Bilde zu formen. Allen Kulturen anderer Weltanschauung kann damit das Etikett des kulturlosen, weil auf der faulen Haut liegenden Eingeborenen zugesprochen werden.
Ach ja, Max Weber, hat eine protestantische Ethik amerikanischer Sektierer beschrieben, aber keine Ethik der Kurzgeschichte, die natürlich auch eine Ethik der Askese sein müsste. Tatsächlich ist Askese ein Machtmittel der Erfolgreichen, die ihren Lebensstil als allein selig machenden ansehen, denn das Leben hat den Fleiß belohnt: Masters of the universe.

So frag ich mich letztlich, was das
Zitat: Bürgergehalt

wohl wäre. Die Grundsicherung? Arbeitslosengeld II – auf das einer heutigentags schneller abstürzen kann, als er selbst glauben mag.

Als Junge wollte ich Rentner sein, lebenslang.

Gleichwohl
Zitat: Machen wir es doch wie in Gefängnissen

ist eine treffende Aussage, selbst wenn einiges überzeichnet wirkt. Das aber muss in Satire und Groteske so sein, sonst rutscht dem Michel noch die Schlafmütz übers Auge, auf dass er ein(k)nicke.

Schlafmütze? Heute trägt der deutsche Mike doch das Farmerkäppi mit Sonnenschirm.

Und zu gestern noch der Nachtrag, der Text „Die Lösung // Nach dem Aufstand des 17. Juni ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands in der Stalinallee Flugblätter verteilen auf denen zu lesen war, daß das Volk das Vertrauen der Regierung verscherzt habe und es nur durch doppelte Arbeit zurückerobern könne. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“
Bert Brecht:
Richtig erkannt hast du den Vorbildtext vom armen BB. Oh, hätte ich die Gabe, es auch so knapp zu machen wie dieser Bruder in Faulheit.

Ein Versuch

Das Scheitern

Ein Regierungschef war von seinem Volk voller Wutbürger so genervt, dass er Chemiker beauftragte, ein Mittel zu finden, das die Menschen auf ein einheitliches Stimmungs-, Denk- und Handlungsniveau brachte, um immer genau berechnen zu können, wie es zu behandeln ist, ohne dass es weitere Schwierigkeiten machte. Die Chemiker entwickelten eine Substanz, die, in Nahrungsmittel gegeben, einen ruhigen Volkskörper herstellte. Da aber der Regierungschef und seine Freunde dieses Mittel wegen befürchteter Nebenwirkungen nicht einnahmen und sie deswegen weiterhin an Unausgewogenheiten in Stimmung, Denken und Handlungen litten, kam es bei ihnen zum Kampf um die Macht. Um das Volk als Verbündeten zu gewinnen, stellten die Chemiker keine Medikamente mehr her, sodass das Volk wieder die Regierung nervte und die Chemiker anderweitig in Ruhe ihre Geschäfte machen konnten.
Nur einer dachte, das müsse man anders machen, und beschloss, Politiker zu werden.

Heiliger BB, zu lang, ich kürze noch mehr.

Die Beruhigung

„Ich
brauche ein ruhiges Volk, keine Krakeeler.
Ich
brauche ein treues Volk, keine Wutbürger.
Ich
brauche ein jubelndes Volk, keine Kritiker.“

„Ach, Herr,
gebt ihm Glückspillen.“

Ist das nun das Maximum an Faulheit?

Ein Fleißiger schreibt:

Der Mann. Die Macht. Das Volk.

Um zwei Uhr nachts wachte Udo Meier auf und weinte bitterlich. Als Staatspräsident hatte er die Feiern zu seinem fünfundfünfzigsten Geburtstag absolviert, hatte sich die Lobeshymnen seiner Parteifreunde und seiner politischen Gegner angehört, hatte drei Reden gehalten, war im Fernsehen aufgetreten und hatte den Tag mit seiner Frau gemütlich ausklingen lassen wollen.
Da hatte sie ihm mitgeteilt, dass sie am nächsten Tag „verreisen“ werde, um zu sich zu kommen. Angeschrien hatte er sie, sie möge sich gleich scheiden lassen nach siebenundzwanzig Ehejahren. Er habe das Land zu regieren, was immer schwieriger werde, und könne deshalb nicht mehr ihre Launen aushalten. Die chinesische Vase hatte er zerschmettert, als er von ihr den Satz hörte „Wir wollen doch als Freunde auseinandergehen“.
„Du willst also die Scheidung!“
„Ich ziehe sie in Erwägung!“
Dieser arrogante Ton, mit dem sie, die Tochter eines Hamburger Großreeders, ihn abfertigte, hatte ihn vor Wut platzen lassen: Er hatte sie geohrfeigt. Sie war in die Nacht hinausgelaufen.
Seine Entschuldigungsrufe verhallten wirkungslos.
Sie war nicht zurückgekommen.
Nach einem Ermattungsschlaf von einer Stunde quälte sich sein Bewusstsein durch die Wirrträume und konfrontierte Udo Meier mit Udo Meier, dem Häufchen Elend, das schon jetzt vor Sehnsucht nach seiner Frau verging. Ihren Namen schreiend lief er durch seine Villa: „Carina!“ Er warf Stühle um, riss Bücher aus den Regalen, warf mit CDs um sich, trommelte auf seinem Leib herum, um durch den körperlichen Schmerz den seelischen zu überdecken, stellte das Radio überlaut ein, um die Stimme seiner Frau zu übertönen - „Ich ziehe sie in Erwägung!“ - und trampelte zum „Dies irae“ des Verdi-Requiems, einer CD, die sein Freund Julius Kraft mit den Berliner Philharmonikern aufgenommen hatte, seine Wut in den Boden, rief den Dirigenten an, klagte ihm sein Leid „Sie hat mich verlassen kann ich nicht verstehen alles habe ich für sie getan verfluchte Weiber was für eine Blamage wie soll ich die nächste Wahl gewinnen muss morgen nach Brüssel“ und warf das Telefon in die Ecke, als sein Freund ihn tröstete. Untröstlich wollte er seine innere Qual auskosten, bis sie ihn vernichten würde.
Nach stundenlangem Wüten sank er todmüde ins Bett.
Am Morgen weckte ihn, den Frühaufsteher, sein jüngster Sohn: „Mensch, ist acht Uhr. Wasn los? Muss zur Schule. Wo is Mutti?“ usw.usw

Nun würde zu zeigen sein, wie persönliche Überforderung ihn dazu bringt, sich das Regieren zu erleichtern, denn die Scheidung, das Alter, das sich bemerkbar macht, und die Komplexität modernen Regierens überfordern ihn. Zwischen dem Gefühl von Nicht-Genügen und dem DRang, alle die Vorteile eines Regierungsamtes möglichst lange zu genießen, drängt sich ihm die chemische Lösung auf usw usw.

Was ist der Gewinn der längeren Form?
Für manches taugt die lange, für manches die kürzere Form. Wahrlich keine Überraschung.

Trifft nun auf Brecht, mich und andere der Vorwurf von Quinn zu?

Der "allwissende, ungebrochene" Erzähler, der ohne jede Erzählkonstruktion, wertend und erklärend dem Publikum vom Olymp heraus die Welt erklärt, der Gott in der Geschichte, der ist nicht ohne Grund nach den beiden Weltkriegen aus der Literatur verschwunden. Und heute wird der eingeführt von Leuten, weil er die Dinge so schön einfach, kurz und leicht macht. Und auf diesen allwissenden Erzähler dann das Etikett "lakonisch" zu kleben ... tja.
Der „allwissende ungebrochene“ Theoretiker ist nach den beiden Weltkriegen verschwunden, wohin? Im postmodernen Schlund der Unverbindlichkeit! Anything goes? Na denn, schönen Feyerabend und gute Nacht.
Und Oskar? Kein allwissender Gottvater der Erzählung?
Aber seis drum, ich habe eine Geschichte erzählt, mag sie gefallen oder nicht oder nur ein wenig, geschehen ist etwas, es gab handelnde Personen und sogar eine Fortsetzung.
Ein Abgesang an das Erzählen soll es sein?
Multi multum dicunt.

Und nun, lieber Friedel, höre ich den ungeschriebenen Song „chemical welfare“ an, was vielleicht die kürzeste Variante meiner „Volksvergiftung“ ist.

„Chemical human welfare is a political fair.“

Mag sein, dass das eine Liedzeile ist, aber sie erzählt eine Geschichte. Man muss nur einen Kommunikationszusammenhang herstellen.
Dank dir, lieber Friedel, fürs Lesen und Kommentieren,
Herzlichst
Wilhelm

 

Nix zu danken,

lieber Wilhelm,

da hastu viel Holz vor die Hütte gestapelt. Ich komm auf jeden Fall darauf zurück ...

Gruß

Friedel

 

Hallo Set,

ich schramme ja selbst auch gelegentlich an dieser Grenze des Die-Welt-Erklärens-ohne-eine-Geschichte-zu-erzählen, bin mir des Dilemmas bewußt und kann Quinns Kritik nachempfinden, besonders, wenn sie nicht gerade mich trifft, weil ich überzeugt bin, dass die Form der Kurzgeschichte enorme Stärken hat, sie berührt den Leser ungleich tiefer als dieses Welterklären.
Ich habe nirgendwo die Stärken von Kurzgeschichten bezweifelt.
Auch Kurzgeschichten erklären die Welt, nur didaktischer, anschaulicher und versteckter als mein gar nicht sooo kurzer Text.


Nun kann man ja, wie Friedel, hier eine Geschichte lesen; schließlich passiert sogar etwas. Die Schmerzgrenze liegt für mich da, wo es keine Personen mehr gibt, keinen Egon und keine Gretel, sondern nur noch "Die Regierung", das Volk" etc., das erzeugt Abstand zum Thema und bewirkt damit das Gegenteil von dem, wofür ich zu schreiben versuche.
Nun gibt es aber diese überindividuellen Gruppen, die vor allem Geschichte haben und machen. Dort sitzen die Player, die eine human-interest-story dem Egon und der Gretel inszenieren.
Du hast ein wesentliches Ziel solcher kurzen Kurzgeschichten schon beschrieben: Abstand von Thema, nicht Fesselung durch Spannung. Distanzierung ist das Ziel. Der Leser soll sich die Frage stellen und beantworten: „So ist es! Ist es so?“ (Luigi Pirandello). Keine „Berührung“ (Emotionen), sondern „Ernüchterung“ (Ratio), wobei ja eines das andere nicht ausschließt.

Zum Inhalt: es gibt sie ja, die Leute, die glauben, dass bestimmte Gifte bewußt in die Welt gesetzt werden, um uns zu verdummen, unfruchtbar zu machen etc., und diese Glosse versimpelt diese Sachlage derart, dass ich sie fast für eine Satire auf diese Art von Verschwörungsphobie gelesen habe.

Richtig erkannt, deswegen scheitert die „Vergiftung“ auch. Der Traum von reibungsloser Führerschaft ist so unrealistisch wie der Albtraum von funktionierenden Verschwörungen. Einer erzeugt den anderen. Aber schon der Versuch des Umsetzens hat gewaltige Kollateralschäden. Das meint der Schluss.
Und Gift muss nicht ganz so real sein: Auch mit Wörtern kann man Menschen und Völker vergiften, da findet man sicher Beispiele.
Nur weil man an Verschwörungstheorien nicht glaubt, so gibt es Verschwörungen doch. Der Beginn des Vietnam-Kriegs oder des Irakkriegs sind doch schöne Beispiele.

Die Grundidee und der Schluss sind witzig, aber Du hast mich nicht in Dein Boot geholt.

Das tröstet mich, nur habe ich kein Boot. Ich wandere lieber.

Vielen Dank für deine inhaltliche Kritik
Herzlichst
Wilhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Wilhelm,

nachträgliche kleine Änderungen im Text wie angekündigt, weil ich was falsch verstanden hatte

über die Form deiner Geschichte gab es ja eine kleine, aber zum Teil interessante Debatte.
Aber ich wollte euch doch alle bitten, keine offtopic-Spitzen mehr zu schreiben. Das Thema ist doch auch so interessant genug.

Du selbst schreibst:

Ich habe nirgendwo die Stärken von Kurzgeschichten bezweifelt.
Auch Kurzgeschichten erklären die Welt, nur didaktischer, anschaulicher und versteckter als mein gar nicht sooo kurzer Text.

Nein, kurz ist dein Text nicht. Aber darum geht es, finde ich auch nicht. Den Rest dieses Zitats sehe ich zum Teil anders. Kurzgeschichten, so wie sie heute oft geschrieben werden, wollen die Welt nicht erklären. Sie wollen unterhalten, eine andere Lesart des Lebens, einen möglichen Sinn anbieten, indem sie einen Ausschnitt aus dem Leben eines Menschen erzählen. Das hat seine Stärken. Aber didaktisch ist es mitnichten. Es lässt mitfühlen.

Du hast mit der Volksvergiftung was anderes gemacht. In deiner Antwort an Set schreibst du:

Du hast ein wesentliches Ziel solcher kurzen Kurzgeschichten schon beschrieben: Abstand von Thema, nicht Fesselung durch Spannung. Distanzierung ist das Ziel. Der Leser soll sich die Frage stellen und beantworten: „So ist es! Ist es so?“ (Luigi Pirandello). Keine „Berührung“ (Emotionen), sondern „Ernüchterung“ (Ratio), wobei ja eines das andere nicht ausschließt.

Das kann ich unterschreiben. Von dieser Intention wird deine Parabel, dein satirischer Text getragen. Das ist (klar) etwas völlig anderes als der erzählte Lebensausschnitt eines Menschen. Es geht um Aufklärung, Reflektion, um Verhaltensänderung im weiteren Sinne, nicht um das Mitfühlen oder um Identifikation mit dem Schicksal eines Menschen. Ja, in der Tradition der Distanzierung steht dein Text.
Und hat natürlich seine Berechtigung, wie andere Geschichten auch. Es geht mir hier auch gar nicht darum, ob die eine Weise Geschichten zu schreiben berechtigter ist als die andere. Von daher lasst uns auch die Frage, ob das nun eine Geschichte ist oder nicht, einfach mal ad acta legen.
Aber in deinem Statement (und das merkt man natürlich auch deiner Geschichte an) formulierst du eine unterschiedliche Herangehensweisen an Literatur. Auch eine Forderung an Literatur, die wenn man ein bisschen weiterdenkt, dahinter steht.
Hier bei dir: Literatur soll aufklärerisch sein, aufwecken, Literatur hat eine agitatorische Aufgabe. Das mein ich jetzt gar nicht mal negativ, sondern man muss sich nur im Klaren sein, was das heißt.
Ich bin eine Brechtfreundin. Absolut. Seine Lehrstücke liebe ich. Aber sie haben zwei ganz gewaltige Nachteile in meinen Augen. So sehe ich das jedenfalls heute.

1.Wenn man eine Verhaltensänderung bei Leuten will, dann soll man argumentieren, sie überzeugen, von mir aus ein Flugblatt schreiben. Aber man soll nicht glauben, die Kunst sei ein Mittel dazu oder könnte das leisten, was die eigene Überzeugungskraft nicht hinkriegt.

2.Wenn Kunst zu einem Mittel der Agitation wird, Botschaften vermitteln, überzeugen will, dann geht sie in der Form Kompromisse (oder macht Innovationen) ein, um diesem Zweck gerecht zu werden. Das mag damals, als Brecht sein epische Theater und den Verfremdungseffekt „erfunden“ hat, eine historisch bedeutsame Sache gewesen sein. Und ich persönlich freu mich auch heut noch, wenn ich Sachen in dieser Richtung lese, wenn sie gut gemacht sind. Aber die gewählte Form lenkt unweigerlich den Blick auf die Aussage, das Résumé des Textes. Und zwar in Reinform.
Und dann haben wir einen sehr nackten Blick auf die Botschaft des Autors. Dann steht nur noch die im Vordergrund. Und das kann ganz erhebliche Nachteile haben. Zum Beispiel den, dass der Leser sagt, naja, eine sehr dünne Botschaft. Oder eine falsche. Um Literatur geht es dann nicht mehr.

Ich finde, das passiert auch deinem Text.
Wäre deine Pointe am Schluss nicht, was bleibt denn dann? Politische Aussagen über das Verhältnis Volk Regierung, die aus meiner Sicht nicht stimmen, sondern das Verhältnis verharmlosen, über das man sich also wie am Stammtisch streiten kann, was ich gar nicht negativ meine, ich will damit sagen, dass es folgenlos bleibt und nichts mit Literatur zu tun hat. Wir sind da unterschiedlicher Auffassung über das Verhältnis von Macht und Herrschaft und perfekter Führung einerseits und Volk und Untertänigkeit andererseits. Das aber müsste man in einer ganz anderen Diskussion klären.

Was anderes ist es, Soldaten oder Spirtlern was ins Essen zu tun. Dass sowas passiert, ich will es gar nicht abstreiten. Und es dient auf jeden Fall Zwecken, die mit dem Wohlergehen des solchermaßen Beglückten nichts zu tun haben. Aber es ist andererseits auch nicht erlaubt. Das Ideal von perfekter Führung ist ein existierendes, aber es geht anders, das wage ich einfach mal zu behaupten. Aber ich denke, man verharmlost es, wenn man es auf die Ebene dieser Missbräuche (ungewolltes Doping oder Substanzen im Soldatenessen) bezieht.

Ich habe nichts gegen die Form, diese Sorte Lehrdichtung, im Gegenteil, ich les es gerne, hast es ja auch stilistisch schön geschrieben. Aber man muss sich ihrer Nachteile bewusst sein. Und man landet sehr schnell bei völlig neuen Themen.
Hier würde ich sagen, klar, es gibt natürlich geheim gehaltene Regierungsvorhaben, ein Naivling in meinen Augen, wer sich nachträglich darüber wundert, wenn mal wieder was rauskommt.
Aber deine ganze Darstellung des Verhältnisses von Regierung, Volk, Macht und Untertan, die Darstellung des Grundproblems, fleißig aber anspruchsvoll und faul, dafür leicht zu handhaben, das trifft alles aus meiner Sicht nicht zu, genausowenig wie die Lösung, den Leuten was ins Gesöff zu schütten, damit sie willfährig werden.
Die Beispiele, die ich deiner PM entnommen habe, die sprechen aus meiner Sicht auch eine andere Sprache, die sind ja nicht zur Beruhigung politisch sich einmischender Leute da, sondern dienen der Leistungssteigerung und Funktionalität ihrer Opfer im weitesten Sinne (der Sportler, der nationale Ehre einlegen soll, der Soldat, der sein Feindbild ja kennen soll). Da gebe ich dir natürlich Recht, das sind fast schon notwendige Missbräuche, aber zur Leistungs- und Funktionalitätssteigerung.
Mit der perfekten Fühung ist das was anderes. Ich finde, die Leute kriegen ihre Willfährigkeit schon ganz alleine hin. Und wie das geht, das ist, finde ich eine sehr spannende Sache. Aber das gehört nicht hierher. Ich hätte auch echt keine Ahnung, wie man das in eine Kurzgeschichte weder der einen noch der anderen Art bringen könnte.

Aber zurück zu dem eigentlichen Thema, man kommt, so sehe ich das, bei deiner gewählten Form superschnell auf politische Themen. Was du vielleicht ja sogar willst. Ich meine dagegen, dass man entweder sich ohnehin im inhaltlichen Bereich völlig einig ist oder aber sehr sehr schnell das Thema wechselt hin zu einer politischen Debatte.

Ich war übrigens super gespannt auf deine Langfassung. Aber du schlitzohriger Schelm hast uns natürlich die Nase gedreht. Wenn du die so schreibst, dann gewinnt logischerweise dein Ursprungstext.
Aber nach deiner PM sehe ich das auch so, ich glaube, das geht echt nicht, wenn man das Thema perfekte Führung wählt. Was ich mir allerdings vorstellen kann, das ist eine Geschichte über die Substanzbeimischung und wie sich der Sportler damit auseinandersetzt, wenn es rauskommt. Oder der Soldat. Naja, da sind natürlich die verschiedensten Spielarten möglich.

Das waren meine fünf cent, wie Jimmy immer so schön sagt.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende wünscht dir Novak

 

Liebe Novak,

Kurzgeschichten, so wie sie heute oft geschrieben werden, wollen die Welt nicht erklären. Sie wollen unterhalten, eine andere Lesart des Lebens, einen möglichen Sinn anbieten, indem sie einen Ausschnitt aus dem Leben eines Menschen erzählen. Das hat seine Stärken. Aber didaktisch ist es mitnichten. Es lässt mitfühlen.
Richtig, „eine andere Lesart des Lebens, einen möglichen Sinn“ bieten Geschichten an, das ist aber ohne didaktisch-manipulative Elemente nicht erfolgreich. Die Art und Weise von Wortwahl, Leserführung usw wollen ja den Leser „führen“, wie ja in einem Kommunikationszusammenhang immer Absichten da sind, die ein Partner durchsetzen möchte.

Aber in deinem Statement (und das merkt man natürlich auch deiner Geschichte an) formulierst du eine unterschiedliche Herangehensweisen an Literatur. Auch eine Forderung an Literatur, die wenn man ein bisschen weiterdenkt, dahinter steht.
Hier bei dir: Literatur soll aufklärerisch sein, aufwecken, Literatur hat eine agitatorische Aufgabe. Das mein ich jetzt gar nicht mal negativ, sondern man muss sich nur im Klaren sein, was das heißt.
Ich bin eine Brechtfreundin. Absolut. Seine Lehrstücke liebe ich. Aber sie haben zwei ganz gewaltige Nachteile in meinen Augen. So sehe ich das jedenfalls heute.

1.Wenn man eine Verhaltensänderung bei Leuten will, dann soll man argumentieren, sie überzeugen, von mir aus ein Flugblatt schreiben. Aber man soll nicht glauben, die Kunst sei ein Mittel dazu oder könnte das leisten, was die eigene Überzeugungskraft nicht hinkriegt.

(A parte) Meistens nützt auch das nichts.

2.Wenn Kunst zu einem Mittel der Agitation wird, Botschaften vermitteln, überzeugen will, dann geht sie in der Form Kompromisse (oder macht Innovationen) ein, um diesem Zweck gerecht zu werden. Das mag damals, als Brecht sein epische Theater und den Verfremdungseffekt „erfunden“ hat, eine historisch bedeutsame Sache gewesen sein. Und ich persönlich freu mich auch heut noch, wenn ich Sachen in dieser Richtung lese, wenn sie gut gemacht sind. Aber die gewählte Form lenkt unweigerlich den Blick auf die Aussage, das Résumé des Textes. Und zwar in Reinform.
Aber wenn ich Manns Faustus lese, geht mein Blick unweigerlich, geführt von Zeitblom, auf die Quintessenz des Romans hin, Entstehungsbedingungen des 3. Reichs aufzuzeigen – ohne Absicht, ohne Manipulation, ohne belehrende Absicht?

Wenn ich kurz idealtypisch systematisiere, so stehen auf der einen Seite Geschichten, die unterhalten wollen, indem sie einen Lebensabschnitt eines Menschen darstellen, auf der anderen Seite Geschichten, die aufklären wollen, wobei immer mitgedacht wird, dass es keine reinen Typen gibt, sondern meistens Mischformen.
Also keine reine Unterhaltungsliteratur ohne Absichten und keine politische Aufklärung ohne Unterhaltung (was ja Brecht genügend gemacht hat.)
Es gibt nur graduelle Unterschiede, meine ich.
(Nebenbemerkung: Wer hat nur das Wort Unterhaltung erfunden. Wer oder was soll unten gehalten werden? Das Volk?)

Und dann haben wir einen sehr nackten Blick auf die Botschaft des Autors. Dann steht nur noch die im Vordergrund. Und das kann ganz erhebliche Nachteile haben. Zum Beispiel den, dass der Leser sagt, naja, eine sehr dünne Botschaft. Oder eine falsche. Um Literatur geht es dann nicht mehr.
Das kommt auf den Literaturbegriff an.

Ich finde, das passiert auch deinem Text. Wäre deine Pointe am Schluss nicht, was bleibt denn dann?
Sie ist aber immerhin da.

Ein Haufen politischer Aussagen über das Verhältnis Volk Regierung, die aus meiner Sicht noch nicht mal stimmen, sondern das Verhältnis verharmlosen, über das man sich also wie am Stammtisch locker streiten kann, was ich gar nicht negativ meine, ich will damit sagen, dass es folgenlos bleibt und nichts mit Literatur zu tun hat.
Wenn ich dir zustimme, schließe ich aber mit ein, dass jede literarische Form die Wirklichkeit verharmlost. Deshalb zeitigt unterhaltende Literatur kaum Folgen, sondern bleibt (ich hoffe, es gibt Ausnahmen) im Alltagleben folgenlos.

Hier würde ich sagen, klar, es gibt natürlich geheim gehaltene Regierungsvorhaben, ein Naivling in meinen Augen, wer sich nachträglich darüber wundert, wenn mal wieder was rauskommt.
Aber deine ganze Darstellung des Verhältnisses von Regierung, Volk, Macht und Untertan, die Darstellung des Grundproblems, fleißig aber anspruchsvoll und faul, dafür leicht zu handhaben, das trifft alles aus meiner Sicht so überhaupt nicht zu, genausowenig wie die Lösung, den Leuten was ins Gesöff zu schütten, damit sie willfährig werden. Naja, finde ich alles sehr verharmlosend, wenn ich mich schon auf die pure Botschaft konzentriere.
Die Verharmlosung kann ich nicht nachvollziehen: Manche Sportler wurden, ohne es zu wissen, gedopt, Soldaten bekommen ebenfalls Essenzen ins Essen (Irakkrieg), was mit Medikamenten geschieht, wurde auch erst kürzlich offenkundig. Darauf hinzuweisen – harmlos?

Die Leute kriegen ihre Willfährigkeit schon ganz alleine hin. Und wie das geht, das ist, finde ich eine sehr spannende Sache. Aber das gehört nicht hierher.
Auch das wäre ein schöner Roman zu schreiben, aber das hat wohl schon Littell gemacht.

Aber genau auf solche Themen kommt man, wenn man diese Form wählt.
Das finde ich nicht schlimm.

Das waren meine fünf cent, wie Jimmy immer so schön sagt.
Ich lege deine fünf Cent in Aktien der Chemieindustrie an und hoffe, dass mir die Geschichte so zu Reichtum verhilft.

Vielen Dank für deinen Kommentar und deine Anregungen
Herzlichst
Wilhelm

Postskriptum: Als Brechtverehrerin müsstest du drei Groschen mir schenken. Ich nehm aber lieber Cent, die steigen noch im Wert.s.

 

Hi mein Lieber, ich noch mal,

Die Verharmlosung kann ich nicht nachvollziehen: Manche Sportler wurden, ohne es zu wissen, gedopt, Soldaten bekommen ebenfalls Essenzen ins Essen (Irakkrieg), was mit Medikamenten geschieht, wurde auch erst kürzlich offenkundig. Darauf hinzuweisen – harmlos?
Verharmlosung war nicht in dem Sinne gemeint, dass die Sache harmlos ist oder man nicht darauf hinweisen sollte. Sondern ich meinte, dass perfekte Führung und das Ideal von einer Einheit zwischen Führung und Volk anders zustande kommt als durch Ingredienzien, die ins Essen geschüttet werden. Der Zusammenhang ist komplizierter und meines Erachtens perfider .
Nochmal schöne Grüße
Novak
Ach und PS: Die Groschen äh Cent sind schon unterwegs.

 
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Neulich -
als ich übern Wochenmarkt ging, in aller Vorsicht rohe Eier heil übern Markt zu rollen, pries an einem Stand einer eine wundersame Ware zum Tausch an – doch keiner fragte nach. Selbst als Häppchen gab’s Freiheit nicht als Schnäppchen und erst Recht taugte sie nichts als Geschenk. Also packte der Enttäuschte Ladenhüter zusammen und spülte sie durch den Abfluss einer öffentlichen Bedürfnisanstalt. Aufgehoben hatte er aber ein Hütchen Freiheit, das er mit der Klofrau statt des Obolus teilte. Naja, beim König Peter von Popo steht ja auch der freie Wille an der Hose offen, aber ein bisschen geht’s mir manchmal wie dem Lenz, wenn der übers Gebirg geht (freilich nicht im Ährenmonat und auch nicht auf dem Kopf), mag mir die schwierigste Frage, die Du,

lieber Wilhelm,

aufwirfst, zugleich die letzte zu sein – wiewohl es keine der letzten Fragen ist (das wäre wirklich eine Überraschung!):

Trifft nun auf Brecht, mich und andere der Vorwurf von Quinn zu?
Da ist die Frage
Utopien gulagisieren sich – notwendigerweise?
mit einem geradezu schlichten „nee!“ zu beantworten, sofern nicht ein kontraproduktiver Machtwille und Herrschaftsanspruch dagegen antreten. Wer Zeit hat, der sehe sich Spielberg’s Lincoln an, der darin buchstäblich entzaubert wird, indem der Machterhalt über die Sklavenbefreiung zugleich neue Konsumenten „frei“setzt - obwohl selbst das Schlaraffenland
Als Junge wollte ich Rentner sein, lebenslang
(Gegenfrage: Wer wollt’ es nicht?) zwanghaft werden kann wie ein Arbeitslager, das einen auch ohne Lügen wie ‚Arbeit macht frei’ in Abhängigkeiten führen will.

Gruß

vridel

 

Ich hab meine Beiträge aus dem Text gelöscht. Ich hab weder Lust darauf, als Ziel für Spott zu dienen, noch möchte ich als Feindbild wahrgenommen werden. Nachdem jetzt sicher ein halbes Dutzend Spitzen in meine Richtung geflogen sind, ist mein Bedarf auch wirklich gedeckt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Das ist sehr schade, aber auch verständlich.
Ich meine, dass es nun genügend Spitzen gegeben hat. Ich habe daher alle offtopics, die in Richtung "Spitze" gehen, aus den bisherigen Kommentaren gelöscht. Und den Thread zumindest für die nächsteZeit geschlossen.

 

Liebe Novak,
die Welt ist voller Wunder, das größte davon ist der PC. Es ist mir bei deiner Antwort aufgefallen, dass in dem Text ein Absatz fehlt! Bei der Übertragung von meinem PC auf KG muss er mir entwischt sein. Bei der Kontrolle habe ich ihn dann auch noch überlesen; so stand er wohl vor meinem geistigen Auge, aber nicht im Netz.
Ich stelle ihn der Bequemlickeit halber hier ein und in die Geschichte.

Um den Teil des Volkes, der die Regierung so genau kontrollierte, abzulenken, inszenierte die Presseabteilung des Regierungschefs die Kampagne: Frieden für die Menschheit. Die Regierung flocht einen Strauß von Werten: Fleiß, Ruhe, Ordnung, Achtung, Liebe, Gehorsam, Sauberkeit. In groß angelegten Feldzügen im Fernsehen und Radio, in Theatern, Büchern, Zeitschriften und Vorträgen schilderten die Meinungsmacher die schöne neue Zeit in prächtigen Farben.
Und es begab sich, dass die Wirkung der Friedenskampagne und der Medikamente zeitlich zusammenfielen.
Herzlichst
Wilhelm

 

Guten Tag, Herr Berliner!

Ja, ja. Der Titel, der Titel war's, der mich anzog!

Auch ich bin ob des Textes etwas zwiegespalten. Was ist das nun? Eine Groteske, eine Parabel, Dystopie? Ich hätte mir nicht zwingend eine Erzählung gewünscht, aber zumindest etwas, das ich besser greifen könnte. Denn das Märchenhafte, mit dem sich der Text einführt ("Es war einmal eine Regierung.") setzt sich irgendwie nicht recht fort. Da wird sogar der Schwank gestriffen, die Glosse, von allem etwas.
Aber letzten Endes ist das wohl dein Beitrag zu einem Thema.

Mein Landwirtschaftsministerium hat gesicherte Daten, dass die Politisch-Aggressiven mehr Fleisch essen, die Faulen und Politikfernen mehr Gemüse und Salate.

Ich hätte es umgekehrt erwartet.:D

Das muss ich dann noch kritisieren: Willkürlich werden Volksgruppen (ich sag mal so) mit bestimmten Mittelchen behandelt, die Frage der Logik, das Funktionieren wird dabei vollkommen außer Acht gelassen.
Ich hatte dann auch zeitweise den Verdacht, dass du ein Stück über die weitestgehende Manipulation der Massen (Hej, wir sind im Wahlkampf!) verfassen wolltest, aber ich denke, da gibt es weiß Gott subtilere Methoden.

In groß angelegten Feldzügen im Fernsehen und Radio, in Theatern, Büchern, Zeitschriften

Wo bleibt das sogenannte Internetz?

Na sicher, man kann schon über die angesprochenen Fragen diskutieren, und insofern ist das wohl doch deine Intention. Aber, nochmal, gibt es da nicht subtilere Methoden, etwas beizubringen?

Obwohl, als Text, war das Teil nicht unamüsant.:D


Die besten Grüße von meiner Seite!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Hannibal,

Ja, ja. Der Titel, der Titel war's, der mich anzog!
Immerhin ist das nicht der unwichtigste Teil.

Denn das Märchenhafte, mit dem sich der Text einführt ("Es war einmal eine Regierung.") setzt sich irgendwie nicht recht fort. Da wird sogar der Schwank gestriffen, die Glosse, von allem etwas.
Das Märchenhafte ist ironischer Hinweise auf Allgemeingültigkeit, die aber auch als Spezialfall angesehen werden kann. Gemeint sind nicht die BRD oder Frankreich oder USA. Ansätze für das Problem, Vergiftung des Volkes, gilt für viele Staaten in vielen Zeiten und für viele Mittel. Deswegen das Zitat am Schluss: Vergiftung durch Wörter reicht.

Das muss ich dann noch kritisieren: Willkürlich werden Volksgruppen (ich sag mal so) mit bestimmten Mittelchen behandelt, die Frage der Logik, das Funktionieren wird dabei vollkommen außer Acht gelassen.
Das ist richtig. Wie viele Entscheidungen werden getroffen (nicht nur von Politikern), in denen das geschieht? Barbara Tuchmann hat dies in der „Torheit der Regierenden“ wunderbar beschrieben.

Ich hatte dann auch zeitweise den Verdacht, dass du ein Stück über die weitestgehende Manipulation der Massen (Hej, wir sind im Wahlkampf!) verfassen wolltest, aber ich denke, da gibt es weiß Gott subtilere Methoden.
Subtilität verwässert manchmal durch Differenzierung: Alles ist nicht so schlimm, weil doch der und der davon verschont geblieben ist.

Zitat: In groß angelegten Feldzügen im Fernsehen und Radio, in Theatern, Büchern, Zeitschriften

Wo bleibt das sogenannte Internetz?

Danke, guter Hinweise, ist eingearbeitet.


Obwohl, als Text, war das Teil nicht unamüsant.

Danke; immerhin etwas.

Die besten Grüße von meiner Seite!

Ich grüße herzlichst zurück und danke für die Hinweise.
Herzlichst
Wilhelm

 

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