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Vogelfrei
Fare thee well, little broken heart, downcast eyes, lifetime lonelyness, whatever walks in my heart, will walk alone...
Es waren keine Tränen in meinen Augen, als ich meinen Freund verließ. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, eine viel zu lange Zeit für mich. Ich hatte das Gefühl, mein Leben verschwendet zu haben. Zu warten, aber nicht zu wissen, auf was.
Als ich noch fünfzehn war, kam mir die Sechzehn vor wie die Freiheit, der verheißene Tag in meinem Leben, an dem sich alles ändern würde. Als ich noch fünfzehn war, war es für mich wie damals, mit sechs Jahren, als der sechzehnte Level mir eine neue Rüstung bringen wollte. Nun würde er mir neue Flügel schenken.
Und so kam es. Ich flog davon und ließ meinen Freund hinter mir. In den Ferien, nach meinem Geburtstag, bat ich ihn das erste Mal um eine Trennung auf Zeit.
Wie es dazu kam, dass ich dann in den Armen eines Anderen aufwachte, weiß ich nicht mehr. Ich war erfüllt von Einsamkeit und Trauer. Sein Motiv? Ich weiß es nicht. Aber damals, als ich meine neuen Flügel ausprobieren wollte, hob er mich zu den Sternen in dieser Nacht. Er war älter als ich, er flog schon lange durch den Wind, und als ich am nächsten Morgen wieder landete und in mein altes Leben zurückkehrte, spürte ich noch die Berührung seiner Hände und seine Lippen auf meiner Haut.
Meinem Freund sagte ich nie etwas davon. Ich kehrte zu ihm zurück, glücklich über den kleinen Ausflug in die Freiheit. Freiheit, zu tun was ich will.
Aber als die Ferien endeten, stutzte man die Flügel wieder, damit ich nicht davonflog. Und als ihnen das nicht genug wurde, sperrten sie mich in einen großen Käfig und machten ein eisernes Schloss an die Tür.
Ich siechte dahin, aß nicht mehr, mein Lebenswille war gebrochen. Bis jemand die Tür aufschloß und mir eine andere Art von Fesseln anlegte, mich das Leben wieder spüren ließ.
Da sagte ich meinem Partner Lebewohl und stahl mich hin und wieder von dannen, um in den Händen meines Liebhabers meinen Körper wieder zu spüren. Die Spuren trug ich noch Tage später wie Ehrenmale, in meinem kleinen dunklen Käfig. Aber dann floh ich vor ihm, und ließ ihn allein zurück. Er brauchte mich nicht. Er kam nicht mehr zu mir und ich nicht mehr zu ihm, und die Einsamkeit gefiel mir immer besser.
Bis sie mich schließlich gehen lassen mussten. Der Glanz meiner Augen hatte sie erschreckt, und das Zittern meiner Hände beim Anblick anderer Menschen.
Erst ließen sie mich nur wenige Flügelschläge weit gehen. Dann gaben sie mir eine Zeitbefristung. Und als ich mich wieder traute, ging ich zaghaft erste Schritte auf andere Menschen zu.
Jetzt habe ich sie gebrochen. Und sie bestraften mich - an einem anderen Tag wollen sie mich wieder einsperren. Kann ich das dulden? Kann ich das nehmen als wäre es nichts gewesen? Was ist dabei, wenn ein Vogel im Schwarm fliegt? Und mit welchem Recht verbieten sie es, nur weil eine bestimmte Zahl weit hinter ihnen liegt?
Haben sie das Recht, den Schwarm zu verurteilen, nur weil ihre Flügel verkümmert sind? Mit welcher Berechtigung urteilen sie über Unbekanntes? Warum soll ich denn laufen, wenn ich fliegen kann?
Ich traf den Mann wieder, der mich damals in den Himmel gehoben hatte. Er erschrak vor mir. Du bist zu jung, um so abgebrüht zu sein, sagte er.
Jetzt warte ich auf die Achtzehn. Irgendwann wird sie zu mir kommen, und vielleicht haben sie meine Flügel dann noch nicht zum Verdorren gebracht.