Vitamin-B-Fresserin
Es war im kalten Februar und die Sonne strahlte scheinheilige Frühlingsboten aus. Gemeinsam gingen sie ein paar Meter durch die belebte Hauptstraße. Lärm wirbelte ihr um die Ohren, Gesprächsfetzen brausten auf, sammelten sich zu einem Orkan in ihren Ohren, doch gaben keinen Sinn.
Stierend folgte sie dem Strom der Masse, einfach so, ohne Ziel. Die Schaufenster, sie starrten die junge hübsche Frau gierend an: "Kauf mich, kauf mich und ärger dich zu hause darüber. O ja, bitte kauf mich." Doch sie hörte die lautlosen Rufe nicht, hörte lediglich ihre inneren Schreie, ihre kühle Seele wollte raus aus ihrem Körper, der Sonne entgegen, Vitamin D fressen (fast so gut wie Johanniskraut), doch sie ist gefangen, gefangen, in einem geschändeten Körper. Einem Körper, der nicht mehr ihrer sein wollte, den sie nicht beherrschte, indem lediglich einfache Biologie herrschte, der ganz normale
Grundlagen-Scheiß, Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin, die sich lieb haben und händchenhaltend durch ihren Körper marschieren, damit Transkription, Translation und so was alles stattfindet, damit sie atmet, nein, nicht sie, nicht ihr Geist, nein, ihr vergewaltigter Körper.
Sie befand sich auch nicht in einem falschen Körper, nein, niemals nicht, obwohl manch Transsexueller das wohl von sich annimmt.
Aber sie war weder transsexuell, noch wollte sie anderen Frauen an die Brustwarzen lutschen. Einfach gesagt, sie war hetero (Erklärung für die älteren Semester unter uns: normal)
Oh, jetzt habe ich vergessen zu sagen, da lief noch jemand neben ihr, nicht der Pastor, nicht ihr Ehemann, (noch einmal eine Anmerkung für die betagteren Leser: wie bereits erwähnt, sie war ja hetero, was heißt, ganz normal: Reichen Kerl suchen, Hausfrau werden, heiraten, zwei Kinder kriegen, sie großziehen und dann sterben) und auch nicht ihr Callboy.
Hmmh, wer war das bloß, wer war das bloß? Ich habe eine Idee, wir verfolgen die Beiden weiter. Sie verlassen die Hauptstraße, biegen in eine kleine Nebenstraße mit schnuckeligen Läden in denen man Sachen für sein späteres Leben (noch einmal eine Anmerkung für die nicht mehr ganz junge Generation: das sind Sachen, die den AUSSTAND betreffen) kaufen kann.
Er zieht sie hinter sich her, betritt den Zebrastreifen, einen Moment zu früh. "DAS AUTO!!!" brüllt jemand. Der Knall läßt sie erwachen. Verletzt liegt er da. Im Schaufenster sah sie ihr Gesicht.
Hatte sie etwa einen Moment gelächelt?