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Vier Uhr nachmittags

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16.12.2016
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Vier Uhr nachmittags

Als der Zeiger der Uhr am grossen Kirchturm auf drei vorrückt, ahnt Monika nicht, dass ihr nur noch knapp eine Stunde bleibt, bevor sich die überschaubare Realität ihres Lebens auflösen wird. Um drei haben sie vor dem Warenhaus gegenüber der Kirche abgemacht. Sie ist nervös, eigentlich schon seit dem Moment als Steffen sie vor zwei Wochen angerufen hat. Einfach so: Steffen. Mit einem Mal war die Vergangenheit zurück. Sie erkannte ihn sofort am Telefon, diese Stimme kann sie aus tausenden heraushören. Ich weiss, wo du wohnst, sagte er ohne Begrüssung. Er grüsste nie – auch damals nicht, das war ihr zum ersten Mal richtig bewusst geworden. Und dann, ich will dich sehen. Na klar, hatte sie geantwortet; ihre Stimme zitterte. Die Gedanken rasten im Kopf: Was will er von ihr? Wie hat er sie gefunden? Zwei Wochen können lang sein und trotzdem hat sie auf keine der Fragen eine Antwort gefunden.

Als Kind hatte sie sich vor Steffen gefürchtet, weil sein rechtes Auge zuckte und ihm ein verschlagenes Aussehen verlieh. In der Schulzeit hatte sie nur mit ihm zu tun, wenn sie gemeinsam Weihnachtssterne verkaufen mussten. Zusammen klingelten sie sich die Wohnsilos rauf und runter. Er drückte die Klingel, sie sagte den Spruch auf. Monika verkaufte meist mehr, wenn sie allein unterwegs war. Steffen lächelte nie; er verschreckte die Nachbarn mit seinen dunklen Augen und dem düsteren Aussehen. Monika hoffte jedes Mal, er käme nicht, wenn sie unten im Eingang auf ihn wartete. Er kam immer, bis sie ihm schliesslich vorschlug, alleine auf Tour zu gehen, er dürfe nur der Lehrerin nichts verraten. Von da an verkaufte sie zwar alle Weihnachtssterne, das Unbehagen, er könne unerwartet neben ihr auftauchen, wenn sie alleine durch die hohen Treppenhäuser irrte, blieb. Die Vorstellung, er könnte neben ihr auftauchen, beängstigte sie noch mehr, als wenn er einen Nachmittag lang schweigend neben ihr her ging.

Und jetzt steht sie da, gegenüber der Kirche und wünscht sich einmal mehr, er käme nicht. Nervös reibt sie die schwitzigen Hände am Rock trocken und versucht zu vergessen, dass sie eigentlich keine andere Wahl gehabt hatte, als ihn zu treffen. Was will er nach all den Jahren? Warum ausgerechnet sie? Die Gruppe von damals hatte sich ziemlich schnell aufgelöst, nachdem Steffen und Robert nicht mehr da waren. Wie er wohl aussieht, Steffen? Trägt er die Haare immer noch halblang, so dass ihm die dunkelbraunen Strähnen ins Gesicht fallen? Monika blickt sich um, versucht im Menschengewimmel jemand auszumachen, der ihm ähnlich sehen könnte. Der Platz ist belebt, am Mittwochnachmittag dient er hauptsächlich als Treffpunkt für Schüler und Hausfrauen.

„Hallo“. Er ist immer noch gross und hager, hält sich jedoch leicht nach vorn gebeugt, die Haare schütter. Sie hätte nie gedacht, dass er zu jenen gehört, die schon Anfang dreissig das Haar verlieren.
„Hallo“, Monikas Versuch zu lächeln scheitert an seinem eisigen Blick. Sie zupft an ihrem Rock, will sagen, er sehe gut aus und verbeisst sich die Bemerkung in letzter Sekunde. Die Lüge wäre nicht nur unangebracht, sondern auch schlecht gewesen.
„Lange her“, sagt sie stattdessen mit einer Stimme, die sie selbst nicht wiedererkennt. „Wollen wir am Fluss spazieren gehen?“, fragt Steffen und fasst sie am Ellbogen.
„Ja klar, aber ich habe nicht viel Zeit, um vier Uhr muss ich meine Tochter abholen“, Monika wehrt sich nicht gegen seinen Griff, sie kann nicht. Das Wissen um die Vergangenheit lähmt sie. Schweigend gehen sie nebeneinander her.
„Wie alt ist deine Tochter?“, kaum hat Steffen die Frage ausgesprochen, bereut Monika, ihr Kind erwähnt zu haben.
„Sie ist drei Jahre alt. Ich habe kurz nach der Ausbildung geheiratet, da war ich schon schwanger.“ Steffen schweigt.
Sie erinnert sich, dass er auch früher die Angewohnheit hatte, einfach zu schweigen. Dabei fixiert er sein Gegenüber mit durchdringenden Augen. Das war schon damals unangenehm. Monika ist nervös und sucht fieberhaft nach einem unverfänglichen Thema. Seit wann ist er wieder draussen? Wenn sie sich recht erinnert, hat er damals sieben Jahre gekriegt. Mittlerweile gehen sie ziemlich schnell. Steffen hat ihren Arm losgelassen und steuert Richtung Tierpark. Es ist windig, ausser vereinzelten Spaziergängern, die ihre Hunde Gassi führen, sind nicht viele Menschen auf der Strasse.
„Wohnst du in der Stadt?“ Steffen zuckt bloss mit den Schultern. „Warum interessiert dich das? All die Jahre hast du dich keinen Deut um mein Leben geschert.“
„Naja, ich hab nur gedacht, weil du mich angerufen hast…“, Monika verstummt, sie ist unsicher. Was will er bloss von ihr?

Seit dieser Sache ist ihr Leben weitgehend ereignislos verlaufen. Ihr Mann arbeitet in der Verwaltung und sie Teilzeit als Sekretärin in einem Bauunternehmen. Die Mietwohnung ist geräumig und hell, die Nachbarn nicht der Rede wert. Näher betrachtet geschieht in ihrem Leben sowieso wenig Erwähnenswertes. Und genau so mag sie es. Die Tage reihen sich aneinander wie gleichförmige Plastikperlen an einer Halskette. Sie hat die Ereignisse jener Nacht schon lange vergessen und verdrängt, wie einen Albtraum, der zwar in regelmässigen Abständen wieder auftaucht, in der Handlung jedoch vage und verschwommen bleibt. Das unangenehme Gefühl, das er zuweilen zurücklässt, übertönt sie mit lauter Musik oder einem Ausflug in das lokale Einkaufscenter. Steffens Auftauchen hat sie überrumpelt, sie will das Treffen so schnell wie möglich hinter sich bringen.

„Weißt du, es tut mir leid, wie es damals gelaufen ist, das war nicht recht“, bricht es aus ihr heraus. „Ich …“
Steffen lacht höhnend „Ja, leid tut es mir auch! Immerhin habe ich sieben meiner besten Jahre verloren und die Hoffnung auf eine unbeschwerte Zukunft. Hast du dir jemals Gedanken gemacht, was euer Schweigen für mich bedeutet hat? Wir kennen uns seit wir Kinder waren, und du hast keinen Finger gekrümmt für mich – für die Wahrheit! Nein, du hast bloss die Lügen der Anderen nachgeplappert“, seine Stimme ist schneidend.
Monika zittert. Wie kann sie ihm erklären, dass damals vor allem zählte, was Lukas sagte. Er definierte ihre Welt, ihre Kleidung, die Musik, die sie hörte und wie sie sich ausdrückte. Er war stark, laut und gut gekleidet. Solange sie zu seiner Gruppe gehörte, konnte ihr keiner was anhaben. Die Angst, nicht dazuzugehören, war schon immer das stärkste Gefühl in ihr gewesen – bis zu diesem Augenblick.

Später konnte keiner von ihnen so genau erklären, wie es dazu kam: Lukas hatte als erster das Wort ergriffen, gleich nachdem es geschehen war. Steffen habe Robert gestossen, gab er der Polizistin zu Protokoll und keiner widersprach. Später wurde es immer schwieriger, das Gesagte zu revidieren. Mit jeder Minute, in der Lukas Aussage unwidersprochen blieb, erschien es unmöglicher daran zu rütteln. Zu fünft waren sie gewesen an diesem Abend: Steffen, Robert, Lukas, Maria und sie. Lukas, der starke Mann der Gruppe, der Anführer. Er bestimmte meistens, nicht nur was sie unternahmen, er legte auch die Hierarchie zwischen ihnen fest. Am Abend des Unglücks war er auf Maria aus gewesen. Sie war erst seit kurzem hergezogen und stammte ursprünglich aus Italien. Sie war schön und fröhlich. Maria lachte viel und sprach wenig, das lag vor allem an ihren spärlichen Deutschkenntnissen. Monika hatte sie immer gemocht, den Kontakt zu ihr jedoch verloren, als Maria kurz nach der Urteilsverkündung zurück nach Italien ging. Monika war sich nie ganz sicher, ob Maria überhaupt mitbekommen hatte, was wirklich geschehen war? Bei der Befragung verstummte sie fast völlig, wiederholte nur, was Lukas gesagt hatte und weinte viel.

Mittlerweile ist es halb vier. Sie kommen am Restaurant beim Tierpark vorbei. Die Stühle im Park sind leer, das Gelände verlassen. Es beginnt leicht zu nieseln. Monika wäre gerne eingekehrt, Steffen geht jedoch unbeirrt am Flussufer entlang.
„Weißt du, dass Lukas vor fünf Jahren ums Leben gekommen ist? Sein Motorrad ist mit einem Lieferwagen zusammengestossen. Er war sofort tot.“, sagt Steffen leise.
Monika ist sich nicht sicher, ob er sie überhaupt bemerkt; er scheint in Gedanken versunken, hält die Augen starr vor sich auf den Boden gerichtet, die Lippen ein Strich, einzig die Tränen, die langsam über die Backen rinnen, zeigen Gefühle. Sie hatte nichts von Lukas tödlichem Unfall gewusst, wie Steffen wohl davon erfahren hat?

Verstohlen blickt Monika auf die Uhr, noch eine halbe Stunde und sie ist erlöst. Danach wird Steffen gehen, aus ihrem Leben verschwinden, wie er gekommen ist. Und sie wird sich wieder ihrem Alltag widmen, der Tochter, dem Mann und den Lifestyle-Katalogen, die es ihr erlauben, in der Masse unterzugehen. Nur noch dreissig Minuten muss sie sich mit jener fernen, unglücklichen Episode ihres Lebens herumschlagen und dann ist das definitiv erledigt. Steffen will sie klarmachen, dass sie nichts für ihn tun kann. Er wird doch wohl nicht erwarten, dass sie ihre geordnete Welt wegen dieser abgestandenen Geschichte aufs Spiel setzt? Das würde ja jetzt sowieso nichts mehr ändern. Nein, er soll gehen, ihretwegen nach Neuseeland oder Indien. Das ist das einzige, das sie für ihn tun kann, ist ihm zu raten, sich möglichst weit weg ein neues Leben aufzubauen.
„Du standest ganz nah neben uns, du hast gesehen, dass ich Robert nicht gestossen habe; du musst das gesehen haben“, Steffen spricht mit tonloser Stimme. Sein Blick ist noch immer auf den Boden gerichtet. „Was hätte ich denn tun sollen? Mich beleidigen lassen? Ihr habt sowieso immer über mich gelacht, heimlich, habt gedacht, ich höre es nicht. Habt ihr echt geglaubt, ich sei so doof? Einzig, wenn ich euch nützlich war, habt ihr so getan als wären wir Freunde. Das Dope habt ihr gern genommen, jedoch nicht, ohne mich immer wieder an meinem Platz zu verweisen. Ich war der schlecht geduldete Gast. Robert hatte es doch nur wieder darauf angelegt, sich zu prügeln. Nur hat er nicht damit gerechnet, dass ich wirklich mal zurückschlagen würde. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich das genossen habe, ihm einmal zu verpassen, was er verdiente. Aber gestossen habe ich ihn nicht, das weißt du!“, Steffens Tränen sind versiegt; sein Blick ist kalt und glatt wie ein Kieselstein.

„Ich weiss gar nichts. Es ist viel zu lang her! Was willst du überhaupt von mir?“, Monika spricht schnell. „Was denkst du dir dabei? Du kommst nach einer halben Ewigkeit in mein Leben und ziehst alte Geschichten hervor. Ich habe nichts damit zu tun und will auch gar nichts mit dir zu tun haben. Was passiert ist, ist passiert. Wir haben uns alle verändert in der Zwischenzeit. Kannst du vorwärts schauen? Ich jedenfalls kann nichts für dich tun, gar nichts! Oder denkst du etwa, dass ich mir mein Leben ruiniere nur wegen einer Sache, die schon längst verjährt ist?“ Monika schüttelt den Kopf: „Ich kann dir nicht helfen und sowieso, ich muss jetzt zurück, es ist bald vier.“

Steffen bleibt abrupt stehen, packt Monika am Arm und schüttelt sie. Das Grün der Blätter verschwimmt vor ihren Augen, Regentropfen fallen auf ihr Gesicht. Sie verliert den Boden unter den Füssen; für einen kurzen Moment kann sie Steffens Atem riechen: bitter, nach abgestandenem Kaffee, dann schlägt sie hart auf dem Boden auf. Steffens Gewicht liegt auf ihr.
„Diesmal ist es anders: Du wirst dich nicht mehr hinter deinen Freunden und deiner Familie verstecken. Du wirst mir zuhören.“
Wieder riecht sie seinen Atem. Langsam kriecht Panik in ihr hoch. Monika fängt an zu keuchen, „Ich krieg keine Luft mehr. Geh von mir runter“. Dann – wie in Zeitlupe – spürt sie, wie Steffen von ihr ablässt, sieht wie er nach vorn sinkt; seine Schultern zucken. Ohne zu zögern, erhebt sie sich, greift nach einem Stein und schlägt ihn auf Steffens Hinterkopf, er taumelt, kippt, rollt die schmale Böschung hinunter und schlägt mit dem Bauch im Wasser auf. Sein Gesicht ist unter Wasser. Er rührt sich nicht. Minuten vergehen, es könnten auch Tage sein – oder Jahre. Langsam erfasst die Strömung den reglosen Körper und zieht ihn mit sich fort. Monika lässt den Stein ins Wasser fallen. Sie schüttelt das Laub und den Dreck so gut es geht von den Kleidern. Zum Glück ist das mit der Tochter nur eine Ausrede gewesen, die weilt bei den Grosseltern in den Ferien. Nein, niemand weiss von ihrer Bekanntschaft mit Steffen, geschweige denn von dem heutigen Treffen. Sieben Jahre hatte Steffen gekriegt für Totschlag. Das wird ihr nicht passieren. Bestimmt nicht.

 

Hallo corinne!

Schön, dass du dich bei den Wortkriegern beteiligst.

Ich schreibe dir diesmal einen ausführlicheren Kommentar.

Erstmal: Sieh dir bitte die Regeln zur Zeichensetzung und Groß- und Kleinschreibung im Umfeld der Dialoge an.
Kurz ein paar Beispiel von mir:
„Hallo“. => Punkt in die wörtliche Rede, nicht dahinter.
"weil du mich angerufen hast…“, Monika verstummt" => Leerzeichen vor die Auslassungspünktchen (immer, wenn davor ein vollständiges Wort steht), kein Komma hinter die wörtliche Rede (da danach ein vollständiger Satz folgt).
Und immer einen Zeilenumbruch, wenn der Sprecher im Dialog wechselt. Sonst verliert der Leser den Überblick.

Und dann zum Wichtigsten, dem Inhalt, Stil usw.:

Gleich der erste Satz gefällt mir nicht. Warum nicht? Wegen der 08/15- Vorausdeutung: "Noch ahnt sie nicht, dass das Unglück kommen wird." Ehrlich, wenn ich so was lese, verdrehe ich gleich genervt die Augen. Geht's nicht weniger plump? (Ich hoffe, meine Kritik klingt dir nicht zu harsch, aber Kritik in blümeranten Floskeln zu verstecken, mag ich auch nicht.) Da ich auch deinen ersten Text hier gelesen habe, bin ich mir sicher, dass du eleganter Spannung aufbauen könntest.

"Er grüsste nie – auch damals nicht, das war ihr zum ersten Mal richtig bewusst geworden."
=> Wann war ihr das bewusst geworden? Damals oder heute? Ist nicht wirklich klar.

"Und dann, ich will dich sehen."
=> Stilistisch gefällt mir das nicht. Das ist zu unklar, was er gesagt hat, was sie gerade denkt ... Würdest du schreiben: Und dann: "Ich will dich sehen." => wäre klar, das erste ist die Erzählerin, das zweite ist die Wiedergabe der wörtlichen Rede Steffens. Hast du dir Gedanken über die Zeichensetzung gemacht? Falls nicht: Das solltest du. Falls doch, würde mich interessieren, warum du deine Zeichensetzung so gewählt und gesetzt hast.

"Die Gedanken rasten im Kopf:"
=> Wo sollten sie sonst rasen, als im Kopf?

"Die Gedanken rasten im Kopf: Was will er von ihr?"
=> Allerdings: Wenn du einen Doppelpunkt setzt, müsstest du die Gedanken direkt wiedergeben, nicht indirekt. Also: Ihre Gedanken rasten: Was will er von mir? (Direkte Rede bzw. Gedanken solltest du ohnhin vorziehen, weil das den Leser näher an die Protagonisten heranbringt.)

Inhaltlich: "Na klar, hatte sie geantwortet; ihre Stimme zitterte. Die Gedanken rasten im Kopf: Was will er von ihr? Wie hat er sie gefunden?"
=> Ich kann mich nicht in deine Protagonistin hineinversetzen, weil ich einfach kein klares Bild von ihr kriege. Dieses "Na klar" klingt, als wäre sie froh, ihn wiederzusehen; ihr Stimme zittert vor Freude. (Und warum sollte sie sonst zustimmen, ihn zu sehen?) Die Fragen danach klingen, als sei er ein Stalker, den sie fürchtet.

"Zwei Wochen können lang sein und trotzdem hat sie auf keine der Fragen eine Antwort gefunden."
=> Hat sie denn versucht, Antworten zu finden? Und wenn ja, wie?

"dass sie eigentlich keine andere Wahl gehabt hatte, als ihn zu treffen."
=> Klar hat sie 'ne Wahl. Man hat immer eine Wahl. Wenn du sie wirklich in einer derartige Zwangslage haben willst, dass sie "keine Wahl hat", dann muss das im Text begründet sein. Mir ein paar getellten (show, don't tell) Andeutungen kann ich nichts anfangen.

Übrigens, ich, als erfahrene Krimi- und Spannungsleserin weiß bereits hier, worauf es hinausläuft: Um vier Uhr wird Steffen von ihr gekillt. Deshalb hat sie "keine Wahl". Sie muss da hin, damit sie ihn endlich los wird, und das geht nur, wenn sie ihn umbringt.
=> Kurz gescrollt zum Ende: Ich hab's ja gesagt.
Dazu noch ein Edit: Monika ahnt am Anfang angeblich nicht, dass sich ihr Leben ändern wird? Wie passt das zu "keiner Wahl"? Sie geht doch zum Treffen, damit sich etwas ändert. Warum sonst sollte sie hingehen?

Dann folgt sehr, sehr viel Tell im Rückblick. So und so ist das damals gewesen. Lukas war der Anführer, alles Tell, kein Show. Behauptungen von der Erzählerin, von Steffen, nichts kann der Leser sehen, er ist nicht dabei. Das ist eine sehr passive, indirekte Erzählweise. (Falls du nicht weißt, was Show, don't tell bedeutet, dann google es.)

"Ihr habt sowieso immer über mich gelacht, heimlich"
=> Alles nur getellt, Behauptungen, Meinungen, Andeutungen. Dabei wäre das doch wirklich eine spannende Geschichte. Was damals passiert ist. Wie die Leute zueinander standen. Wie der eine am Ende im Knast landete, für etwas, das er nicht getan hatte. Usw. Warum erzählst du nicht diese Geschichte? Die würde mich wirklich interessieren.

Okay, so viel von mir. Nur meine Gedanken zum Text, nur meine Meinung.

Grüße,
Chris

 

Hallo Corinne,
Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Sie ist spannend erzählt und gut aufgebaut, weil Du mich immer wieder auf den falschen Pfad gelockt hast. Auch hast Du ein paar schöne Vergleiche drin, z.B.:"Sein Blick ist kalt und glatt wie ein Ziegelstein." Das hat mir sehr gut gefallen.
Ich dachte zunächst auch, Monika wäre mal in Steffen verliebt gewesen, aber dann wird ziemlich schnell klar, dass sie Angst vor ihm hat. Steffen selbst hast Du super beschrieben mit seinem zuckenden Auge, den konnte ich mir sehr gut vorstellen. Auch den Wechsel, dass eigentlich Monika die "Böse" ist und Steffen einem auf einmal leid tut, fand ich sehr gut gelungen.
Die Monika war mir aber auch zu unausgegoren, da muss ich Chris zustimmen. Sie ist Sekretärin und hat ein langweiliges Leben, gut, das haben viele. Und unter denen sind auch nicht alle gleich. Auch Monikas Handeln ist ziemlich undurchdichtig. Einerseits ist sie feige und verdrängt, andererseits geht sie aber zu dem Treffen. Sie weiß doch von Anfang an, dass das kein Kaffeeklatsch wird, also scheint sie ja nur hinzugehen, um ihm zu sagen, dass er keine ollen Kamellen aufwärmen soll. Das finde ich nicht nachvollziehbar, zumal sie ja eh Angst vor ihm hat. Ich hätte es authentischer gefunden, wenn sie sich um Kopf und Kragen geredet hätte.
Zu den Rückblicken hat sich Chris ja bereits geäußert. Das hab ich auch so empfunden. Die Charaktere werden nur überflogen, dadurch kann ich keinen Bezug zu ihnen herstellen. Nur Steffen war mir am Ende sympathisch, das hast Du wirklich gut hinbekommen.
Hier noch ein paar Sachen, über die ich gestolpert bin:
1) ..." Mit einem Mal war die Vergangenheit zurück..." Klingt komisch für mich. Da würd ich entweder " kam die V. zurück" oder "war zurückgekommen" schreiben.
2) Als sich M. die Hände am Rock abwischt, würde ich erwähnen, was das für ein Rock ist. Cord, Jeans, Mini usw. Die Beschreibung des Rocks sagt für mich mehr über M. als Person aus, als die Tatsache, dass sie ein gleichförmiges Leben hat.
3) ..."Er ist immernoch groß und hager..."
"groß" weg. Er ist erst Anfang dreißig, also ist es unwahrscheinlich, dass er bereits zu schrumpfen beginnt.
4) ..." Es ist windig, außer..."
Nach "windig" würd ich einen Punkt machen. Den Rest des Satzes würde ich umkehren:"... Es sind nicht viele Menschen auf der Straße, außer..."
5)..."Die Lügen der anderen nachgeplappert,..."
Auch da käme ein Punkt besser.
6)..."ist ihm zu raten, sich möglichst weit..."
"ist" weg, das kommt in dem Satz 2x vor.
7..."an meinem Platz zu verweisen..."
meinen

Insgesamt gerne gelesen.
Viele Grüße, Chai

 

Ich nochmal. Habe nochmal über Chris' Vermutung nachgedacht, dass der Mord von Anfang an geplant war. Das kam für mich nicht klar genug heraus. Es sah eher nach Notwehr aus. Erst ist sie aufgeregt, dann eiskalt. Da hat mir der Wegweiser gefehlt.

 

Hallo Chris

Schön hast du dir die Zeit genommen, den Text zu lesen und so ausführlich zu kommentieren. Ich finde direkte Kritik hilfreicher als blümerante, weil sie klarer rüberkommt und schätze deshalb deinen Kommentar. Als Kritikerin bemühe ich mich aber immer auch darum, positive Aspekte (oder wenigstens Ansätze dazu) zu erwähnen, weil ich finde, dass ein Kommentar/Kritik so gesamthafter und glaubwürdiger rüberkommt.

Diesen Text habe ich vor ein paar Jahren geschrieben und ihn ohne gross zu überarbeiten ins Forum gestellt. Ich muss nun sagen, dass dein Kommentar und vorallem auch der Kommentar von Chai mich motivieren, die Geschichte nochmals grundlegend zu überdenken.

Viele Grüsse und ein schönes Neues Jahr!
corinne

 

Hallo Chai

Herzlichen Dank für deinen Kommentar. Ich freue mich, dass du dem Text auch Positives abgewinnen kannst ;)

Monika hat den Mord nicht von Anfang an geplant, sie handelt aus dem Moment und auch, weil Steffen sie angreift. Der Übergang fehlt, da hast du Recht. Das ist mir bis jetzt noch nie aufgefallen, weil die Sache in meinem Kopf klar ist. Ich stimme dir auch darin zu, dass Monika zu wenig Charakter hat und nicht ganz klar ist, warum sie zum Treffen geht.

Herzlichen Dank, du hast mir gute und konstruktive Tipps gegeben, um die Geschichte zu verbessern.

Viele Grüsse und einen guten Rutsch

corinne

 

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