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Vier Literaten und ein Todesfall
„Zweifacher Nobelpreisträger“, korrigierte Wiese und klopfte seine Pfeife auf das Pult.
„Haben sich aber die vergangenen fünfundzwanzig Jahre aus dem aktiven Betrieb mehr oder weniger“, der Moderator macht einige vage Gesten und wackelte mit dem Oberkörper, „zurückgezogen.“
Wiese, dessen Schnauzer noch immer buschig, wild und braun über der Oberlippe prangte, schmauchte an der Pfeife und erklärte gemächlich: „Ich schreibe an meinen Memoiren. Wenn man ein so umfassendes Leben gelebt hat wie ich, Herr wie auch immer Sie heißen mögen, dann braucht man für seine Memoiren etwas länger als andere. Die historische Relevanz kann da gar nicht hoch genug eingeschätzt werden und verdient sorgfältigste Erarbeitung. Es ist unsere Pflicht, Zeugnis abzulegen, Zeugnis ablegen müssen wir für die uns nachfolgenden Kindeskinder und Kindeskindeskinder.“
„Vielen Dank, Herr Wiese. Herr Schwätzing, Sie gelten als Steven Spielberg der deutschen Literaturszene.“
Schwätzing winkte ab und polterte: „Ich bin nicht wie irgendwer, ich bin wie ich! Diese Vergleiche sind doch lächerlich, wie würde es Ihnen gefallen, wenn man Sie den Roger Willemsen für die Generation Ikea nennen würde.“
„Gut, dann fangen wir noch mal neu an. Herr Schwätzing, Sie gelten als Strandbuchautor. Ich will das mal erklären.“ Unruhe im Publikum. „Millionen Deutsche lesen im Jahr nur ein Buch während ihres Sommerurlaubs. Und das ist dann häufig eines, auf dem ihr Name steht.“
„Soll ich mich jetzt schämen, dass ich gelesen werde?“
„Nein, nein.“ Der Moderator hob die Hände zu einer Abwehrgeste. Wiese klopfte lautstark die Pfeife auf das Pult.
„Wissen Sie!“, sagte Schwätzing. „Das ist ja so hier in Deutschland. Neid, Neid, Neid! In den Staaten ist man da viel weiter, da hat man keine Trennung zwischen U und E wie bei uns.“
„Manche werfen Ihnen vor, dass Sie schon immer mit der Verfilmung im Hinterkopf schreiben.“
„Seins ist doch auch verfilmt worden“, Schwätzing nickte abfällig in Richtung Wieses, „irgendwann in den 40ern.“
„In den 60ern“, korrigierte der Moderator.
Wiese schaute staatstragend über seinen Schnurrbart in die Menge und nickte einige Male energisch zu niemandem im Besonderen.
„Und ihn fragen Sie nicht danach?“
„Vielen Dank, Herr Schwätzing für das einleitende Statement.“
„Frau Blauer“, fuhr der Moderator fort. „Sie haben jahrelang das feministische Magazin-“
„Also hören Sie mal. Was soll das denn?“, keifte Blauer.
„Sie gelten als Speerspitze des deutschen Feminismus, Frau Blauer.“
„Das ist so typisch für unsere Gesellschaft. Schublade auf, Frau rein, Schublade zu.“ Blauer verschränkte die Arme vor der Brust. „Außerdem ist Speerspitze ein typisch männlicher Begriff. Da wird die emanzipierte Frau doch sofort zu einer Amazone. Erregt Sie das, Herr Bassberger?“
„Also, also, Frau Blauer.“
„Das hab ich mir gedacht“, Frau Blauer rückte ihre Nickelbrille zu Recht, das Haar hatte sie weiß zu einem Dutt nach oben gesteckt. „Die ambivalente Impotenz des Mannes angesichts einer bestimmt auftretenden Frau. Darum geht es auch in meinem Roman „Die Kastration des Priapus“. Sollten Sie mal lesen, wenn Sie etwas Zeit von Keulenschwingen und Grunzen abzwicken können.“
Der Moderator drückte ein Karteikärtchen fest gegen seine Brust.
Schwätzing lehnte sich mit süffisantem Lächeln in seinem Stuhl zurück.
„Vielen Dank, Frau Blauer“, murmelte der Moderator.
„Kommen wir nun zum letzten Teilnehmer an unserer heutigen Diskussionsrunde“, der Moderator strich mehrfach über die Karteikarte in seiner Hand. „Frau Nosbach. Sie haben ein bewegtes Leben geführt. Sie sind eine siebzehnjährige Deutschtürkin, sind mit zwölf Jahren von einem Mann entführt worden, der sie dann vier Jahre in seinem Keller gefangen hielt, sind bekennende Lesbe, Drogenabhängige, erfolgreiche Sänger- und Schauspielerin. Hab ich noch etwas vergessen?“
„Aids“, sagte Frau Nosbach. „Aber durch Spritze, nicht durch,“ Nosbach schlug die zarten Fäustchen zweimal aufeinander, „darauf leg ich wert.“
„In Ihrem Roman, der von der Kritik einhellig als Meister-“
Schwätzing stieß ein lautes „Ha!“ aus. Blauer nickte freundlich.
„Als Meisterwerk einer jungen Stimme aus Deutschland bezeichnet wird.“
„Scheiß Land, ist mir doch egal, was die schreiben“, sagte Nosbach und reckte die Nase keck in die Höhe.
Blauer legte ihr eine Hand mitfühlend auf die Schulter. „Soviel Zorn.“
„Finger weg, Nebelkrähe.“
Blauer schreckte zurück.
Das Publikum lachte und feixte; Wiese ruckte aus einem leichten Nickerchen hoch und klopfte die Pfeife zweimal auf das Pult.
„Vielen Dank, beginnen wir nun mit der Diskussion.“
„Herr Wiese, Sie gelten als Großschriftsteller.“
Wiese nickte einige Male, machte aber keine Anstalten zu antworten.
„Sie haben sich in der Vergangenheit häufig mit einzigartiger Stimme zu Themen der tagesaktuellen Politik geäußert und dabei wiederholt die sozialdemokratische Partei unterstützt.“
„Ich erinnre nicht“, sagte Wiese und zog an seiner Pfeife.
„Regie, bitte den Einspieler.“
Auf einem Monitor flimmerte ein deutlich jüngerer Wiese, der die Pfeife kräftig gegen Rednerpulte stieß und ein Plakat mit der Aufschrift „Es-Pe-De“ nach oben hielt.
„Was halten Sie denn von den heutigen Entwicklungen in unserem Land, Herr Wiese?“
Wiese schaute verdutzt auf den Monitor.
„Es muss Sie doch schmerzen, dass ausgerechnet einer ihrer persönlichen Imtimfeinde nun als Kanzler der deutschen Einheit eine historisch so wichtige Rolle spielt.“
Bei dem Wort „historisch“ war ein Rucken durch Wiese gegangen wie ein Stromstoß.
Wiese hob einen Finger und holte tief Luft, als Nosbach im Bariton brüllte: „Einheit, Schweinheit!“
Der Moderator fuhr herum.
„Baut doch die Mauer wieder auf!“, schrie Nosbach. „Dann haben wir noch ein paar Staaten zwischen uns und den Kanacken! Das denkt ihr doch, oder?“
Vereinzelte Buuh-Rufe im Publikum. Schwätzing lachte.
„Herr Schwätzing, Sie äußern sich selten zu politischen Themen, nicht wahr?“
„Das überlass ich gerne kompetenteren Leuten“, sagte Schwätzing und nickte in Wieses Richtung, der wieder auf den Monitor starrte.
„Haben Sie die Befürchtung, dass sie von den Anhängern bestimmter Parteien dann nicht mehr gelesen und vor allem gekauft werden würden?“, fragte der Moderator.
„Also“, sagte Schwätzing und schüttelte lächelnd den Kopf. „Es ist ja falsch, dass ich so etwas tun würde. In meinem neuesten Roman ergreife ich doch deutlich Partei.“
„Und für wen?“
„Na, für unseren Planeten“, sagte Schwätzing. „Haben Sie es überhaupt gelesen?“
„Zu weiten Teilen“, sagte der Moderator und blickte sich hilfesuchend um. „Frau Blauer, wenn Sie vielleicht ...“
„Also ich muss erstmal betonen, dass der Feminismus doch ein Erfolg auf der ganzen Linie war, wenn wir solche Frauen“, Blauer nickte in Nosbachs Richtung, die keck die Nase hob, „ hier an dieser Tafel haben können.“
„Aber zur aktuellen Lage?“
„Also wir haben einen Schwulen als Außenminister und eine Frau als Kanzlerin. Grade wir Deutschen! Die anderen beißen sich doch in den Hintern. Die Französinnen zum Beispiel und erst die Italienerinnen. Da können Sie doch unmöglich mithalten mit ihren chauvinistischen Staatsoberhäuptern.“
„Sie wissen aber schon, dass wir eine konservative Regierung haben?“, fragte Schwätzing.
„Mit Ihnen red ich doch gar nicht, Sie Stelzbock“, fauchte Blauer in dessen Richtung.
„Bitte?“
„Schauen Sie sich doch mal ihre Romane an. Da stellen Sie Frauen doch als meinungslose Weibchen dar, die dem Helden den Aktenkoffer tragen, aber auch gleichzeitig Yogameisterinnen sind, damit sie die obskursten Verrenkungen durchführen können, um dem Mann zu Willen zu sein.“
Hohes Johlen im Publikum.
„Wenigstens haben Sie mein Buch gelesen“, sagte Schwätzing triumphierend.
Tieferes Johlen im Publikum.
Wieses Kopf ruckte nach links und rechts.
„Da leitet sehr gut zu unserem zweiten Themenblock über, der Sexualität in den Romanen, meine Damen und Herren“, sagte der Moderator.
„Frau Nosbach, Sie schildern in ihrem Roman ausführlich verschiedene, auch provokante Sexualpraktiken.“
„Mit Tieren!“, schrie Nosbach.
„Die auch und gerade unter dem Einfluss von Drogen stattfinden, ist das eine Aussage, dass die Sexualität in ihrer Lebenswirklichkeit so zerstört ist, dass sie abseits von Drogen nicht mehr stattfinden kann?“
Nosbach klimperte mit den Augen, sagte aber nichts.
„Sind das Nachwirkungen Ihres Martyriums in der Gefangenschaft des-?“
Nosbach klimperte erneut mit den Augen.
„Nun lassen Sie sie doch“, mischte sich Frau Blauer ein. „Sie sehen doch, dass sie nicht darüber reden möchte.“
Nosbach wandte ihr Gesicht ab.
„Verzeihung“, stammelte der Moderator.
Blauer legte eine Hand fürsorglich um die Schultern Nosbachs, die augenblicklich zu schluchzen begann.
„Also bitte“, murmelte Schwätzing.
„Ja“, sagte der Moderator dankbar. „Kommen wir doch zu Ihnen. Bei Ihnen wird auf jeder fünfzigsten Seite gevögelt, schreibt das Feuilleton der norddeutschen Zeitung. Ist das ein Liebe machen im Akkordtakt, wie dort behauptet wird, um das Publikum in einem gleichbleibenden Erregungszustand zu halten, Herr Schwätzing?“
„Nein“, antwortete Schwätzing. „Das hat damit nichts zu tun. Das gelegentliche Austauschen von Zärtlichkeiten dient einzig und allein dazu, die Beziehung der verschiedenen Figuren genauer darzustellen.“
„Aha“, sagte der Moderator.
„Nun hören Sie doch mal“, sagte Schwätzing. „Sexualität gehört nun mal zum Leben dazu und wer sich weigert, das Leben abzubilden, der betreibt Eskapismus.“
„Sehr richtig“, sagte Wiese und klopfte die Pfeife zweimal auf das Pult. „Eskapismus.“
„Herr Wiese?“
„Ja?“, fragte Wiese.
Schwätzing fuhr erneut auf: „Oder wollen Sie vielleicht von Elfen lesen und kleinen Hobbits und Zauberschülern oder von Sternenkreuzern?“
Dem Moderator brach kalt der Schweiß durch die Maske. „Nun dann kommen wir doch zu unserem letzten Themenblock der heutigen Sendung, der deutschen Sprache.“
Nosbach heulte wie ein Tier auf und schaute an die Studiodecke. Das Publikum schwieg betreten.
„Frau Blauer, die Kritik-“
„Die Kritik einiger“, sagte Blauer entschlossen.
„Frau Blauer, die Kritik einiger wirft Ihnen vor, keine Prosasprache zu finden, die den durchaus bacchantischen Zügen Ihres Romans gerecht wird.“
Blauer stieß ein „Pff“ aus.
„Sondern man sagt-“
„Ja, genau. Mann sagt. Da haben Sie es doch. Die Sprache verrät den Sprecher.“
„Sehr richtig“, sagte Wiese und zog an seiner Pfeife.
„Sie verwenden die gleiche Journalistensprache, die Sie seit Jahren-“
„Also wirklich, das ist ein Vorwurf, den man keinem Mann machen würde. Nein, da ist diese Frau“, sagte Blauer und unterstrich die Aussage mit einigen schnellen Handbewegungen, „die in die letzte Bastion der Männlichkeit vordringen möchte. Und da müssen wir natürlich dagegenhalten.“
„Sehr richtig“, sagte Wiese.
„Gut“, sagte der Moderator ängstlich. „Frau Nosbach, Sie verwenden in Ihrem Roman durchaus einige Vulgärausdrücke.“
„Fotzensaft!“, schrie Nosbach auf. „Dem da!“ Sie zeigte auf Herrn Wiese. „Dem würd ich gern mal meinen Fotzensaft in den Schnurrbart reiben!“
Wiese klopfte zweimal energisch mit der Pfeife gegen das Pult.
Johlen im Publikum. Schwätzing warf die Hände über den Kopf.
Der Moderator winkte panisch in die Kamera.
„Meine Damen und Herren, die Tagesthemen beginnen heute eine Stunde früher.“
Amazon-Verkaufsränge, neun Monate nach besagtem Abend:
2012. „Mein Leben“ von Karl Wiese (Vorbestellung)
12. „Die Kastration des Priapus“ von Eva Blauer
3. „Der Tod der Literatur“ von Mirko Bassberger
2. „Die Horde“ von Walter Schwätzing
1. „Fotzensaft im Keller“ von Alexandra Nosbach-Schwätzing