Verzweifelte Liebe
„Ich hätte es ihr sagen sollen.“, sagte ich. Man konnte die Verzweiflung in meiner Stimme hören.
„Und wieso ? Was hätte das geändert?“, antwortete Jack, der schon seit 8 Jahren mein bester Freund war. Wir hatten viel zusammen erlebt, hatten gute und schlechte Zeiten, aber immer, wenn es darauf ankam, konnten wir uns mit voller Sicherheit auf den Anderen verlassen. So wie jetzt. „Vielleicht hätte es sie umgestimmt. Sie aufgehalten. Sie...“ - „Mach maln Punkt, Maik.“ Jack unterbrach mich. „Sie hat sich das gut überlegt und nichts und niemand hätte sie umstimmen können. Glaub mir.“ „Aber wenn doch...Was, wenn ich ihre letzte Rettung gewesen wäre...Vielleicht hat sie nur darauf gewartet und..“ - „Wieso ist sie dann nicht einfach auf dich zugekommen ?“ „Vielleicht wusste sie nicht, dass ich in sie verliebt war.“ - „Doch Maik, das wusste sie, ganz sicher. So wie du immer mit ihr geredet hast. Du bist immer von ihr zurück gekommen, als hättest du gerade im Lotto gewonnen. Deine Freude war unübersehbar. Jeder wusste, dass du was von ihr wolltest. Und jetzt Schluss mit dem Thema. Lass uns lieber ein bisschen zocken.“ Mir war zwar überhaupt nicht nach Ablenkung, aber ich konnte das Thema einfach nicht weiter mit Jack bereden. Er war nicht der richtige dafür; er zeigte einfach zu wenig Verständnis für meine Lage. Aber außer ihm hatte ich nicht wirklich jemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Nach einigen Stunden ging Jack nach Hause, ich bereitete mich auf die morgige Schule vor und ging zu Bett.
Am nächsten Morgen wachte ich todmüde auf. Ich hatte kaum geschlafen. Ich musste die ganze Nacht an sie denken. Ich machte mich fertig und schlappte nach unten zum Frühstück. Mein Vater erwartete mich schon. „Und Sohn, wie geht’s dir heute?“ - „Ja, ganz okay“, log ich. „Sie haben schon wieder über deine Schule berichtet. Über dieses Mädchen, Liz Barker.“ Mir blieb mein Essen im Hals stecken. Es war, als würde eine genähte Wunde erneut aufgerissen werden. „Und?“, fragte ich, den Tränen nahe, jedoch konnte ich vor meinem Vater nicht anfangen zu weinen. „Nichts neues. Sie sagen nur, dass ihre Beerdigung in drei Tagen stattfinden wird.“ Ihre Beerdigung. Ich hatte nur noch drei Tage, um mich wirklich von ihr zu verabschieden, ohne, dass uns dabei 2 Meter Erde und ein Sarg trennten. Aber war ich dazu bereit ? Schon allein der Gedanke daran, das zu tun, lies mich fast ohnmächtig werden. „Du musst übrigens noch deine Sachen packen, Maik“, sagte mein Vater. „Meine Sachen? Ich gehe doch erst am Wochenende wieder zu Mama.“, entgegnete ich.
„Nein du musst heute mal eher zu deiner Mutter, ich habe noch einige wichtige Termine wahrzunehmen“. „Achso, ja okay. “ Ich wusste, dass mein Vater mich nur mal wieder loswerden wollte, damit seine neue Flamme und er freie Bahn hatten. Meine Eltern haben sich schon vor vielen Jahren getrennt und ich bin bei meinem Vater geblieben. Meine Mutter lebte mit ihrer neuen Familie ein Dorf weiter.
In der Schule konnte ich mich kaum konzentrieren. Ich starrte nur gedankenverloren auf den leeren Platz in der zweiten Reihe. Dort, wo sie gesessen hatte. Liz. Sie war das mit Abstand hübscheste und schlauste Mädchen der ganzen Klasse. Sie hatte eine fröhliche Art, war jedem gegenüber tolerant und betrachtete die Welt mit viel Humor. Zumindest kam es mir immer so vor. Aber anscheinend hatte sie auch eine Seite, die sie verbarg. Nach außen spielte sie das perfekte Mädchen, doch innerlich war sie zerrissen. Zumindest lässt sich ihr Selbstmord nicht anders erklären. Alle waren geschockt, niemand hatte damit gerechnet, dass ein Mädchen wie Liz sich das Leben nehmen könnte. Als ich davon erfahren habe, ist in mir eine Welt zerbrochen. Ich war schon viele Jahre in Liz verliebt. Ich musste immer zusehen, wie sie sich Hals über Kopf in irgendwelche Jungs verliebt hat.
Nur leider nicht in mich. Sie hat mich erst richtig wahrgenommen, als ich im Musikunterricht einen Vortrag über ihre Lieblingsband gehalten habe. Nach dem Unterricht haben wir uns mehrere Stunden über die Band unterhalten und ich hatte erstmals wirklich Hoffnung, dass wir endlich zusammen kommen könnten. Wir hatten dann auch weiterhin ein gutes Verhältnis, trafen uns auf Partys, gingen nach der Schule zusammen Essen und hatten immer jede Menge Spaß. Umso schlimmer traf mich die überraschende Nachricht von ihrem Tod.
„Heute musst du aber hingehen. Es ist deine letzte Chance!“, sagte ich mir selber. Es war der letzte Tag, an dem man von Liz im Leichenhaus Abschied nehmen konnte. Die letzen Tage waren für mich die reinste Qual. Ich konnte nur an sie denken. An nichts anderes. Ich verstand mich zudem sehr schlecht mit der neuen Familie meiner Mutter, bei der ich die letzten Tage war. Ihr neuer Mann hatte zwei Kinder mit in die Beziehung gebracht und diese liesen keine Gelegenheit aus, mich fertig zu machen. Ich hasste es zu meiner Mutter zu gehen. Ich hätte gerne bei Jack geschlafen, aber seine Eltern waren weg und er war mit seiner neuen Freundin beschäftigt. Ich fühlte mich allein und leer. Einfach leer. Ich sagte meiner Mutter, ich müsste nochmal los, aber sie schien es nicht wirklich zu interessieren. „Jaja, bis später“, sagte sie. Ich schnappte mir mein Fahrrad und fuhr in der Dunkelheit zum Leichenhaus. Es war alles still und ruhig. Familien essen um diese Zeit normalerweise zusammen zu Abend. Ich hatte keine Familie. Ich hatte niemanden. Außer Jack und Liz. Doch Jack war beschäftigt und Liz lag tot in einem Leichenhaus. Ich erreichte das Haus, stellte mein Fahrrad ab und ging hinein.
Der Raum ist mit Blumen geschmückt. Anscheinend hatte Liz viele Freunde und Familienmitglieder, der ihr Tod wohl sehr nahe ging. Sie war beliebt und nahm sich das Leben und was hatte Ich ? Ich bin allein auf dieser Welt. Ich gehe zum einzigen Glaskasten in Raum und sehe sie, wie sie da liegt. Völlig ruhig. Es scheint fast, als wäre sie ein wenig erleichtert, nicht mehr auf dieser Welt leben zu müssen. Ich sehe ihre braunen Haare, die an ihrem Kopf entlang an ihrem Körper liegen. Selbst als totes Mädchen, hat sie das schönste Lächeln der Welt. „Liz, ich wollte dir schon immer sagen, dass du das einzige Mädchen für mich warst. Ich habe immer nur dich geliebt. Seitdem wir uns kennen. Ich habe jede Sekunde, die wir zusammen hatten, genossen. Aber jetzt bist du weg. Du lässt mich allein auf dieser Gott verlassenen Welt. Ohne Hoffnung auf Besserung. Mit deinem Tod hast du mir das wichtigste, was ich je hatte, genommen. Jetzt habe ich nichts mehr und so kann es nicht weiter gehen. Als Jessy von der Toilette kam und völlig aufgelöst erzählte, dass sie deine Leiche gefunden hat, hast du mich mit umgebracht.“ Ich stehe vor ihr und weine. Dann greife ich mir in die Hosentasche und hole eine grüne Pille heraus. „Eine Leben ohne dich hat für mich keinen Wert. Ich möchte mit dir zusammen lebendig oder tot sein.“ Ich stecke mir die Pille in den Mund und schlucke sie. Ich schaue auf Liz und lächle.