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Verzicht
Unruhig wälzte er sich in seinem Bett, der ersehnte Schlaf will sich nicht einstellen. Immer wieder sieht er ihr Bild vor Augen, wie sie an den Klippen steht, die rotbrauenen Locken wehen ihr um die Schultern. Starr wie eine Statue schaut sie in die Ferne über das Meer. Alles in ihm drängt zu ihr, er weiss, dass sie es fühlt, lockt ihn und bleibt doch unerreichbar. Zum ersten Mal denkt er daran abzureisen um vor ihr zu fliehen, obwohl er weiss, er flieht vor sich selbst, vor seiner verzehrenden Sehnsucht, ihrer Unerreichbarkeit. Sie ist die grösste Versuchung - alles in ihm hungert nach ihrer Berührung. Endlich fällt er in einen unruhigen Schlaf.
Als er erwacht, scheint die Sonne von einem azurblauen Himmel, trotzdem stellt sich keine rechte Urlaubsstimmung ein. Das hatte vor ungefähr zwei Wochen noch ganz anders ausgesehen, als er nach über zehn Jahren, unerwartet seinem Jugendfreund Harald gegenüberstand, beide völlig überrascht sich ausgerechnet hier wiederzusehen. Es war, als hätte es nie eine Trennung gegeben. Sie fanden im Handumdrehen zu ihrem alten schnoddrigen Ton zurück, verabredeten sich für den Abend auf einen Zug durch die Gemeinde, wie sie es nannten und waren völlig aus dem Häuschen über dieses plötzliche Wiedersehen. Harald lebte jetzt in Köln und war seit einem Jahr glücklich verheiratet. Klaus war noch Single, bzw. wieder, und lebte nach wie vor in München. Er hatte die Richtige noch nicht gefunden, aber sein Freund meinte nur lachend, irgendwann erwischt es dich auch. Darauf fragte Klaus, wo denn Haralds Angebetete sei und warum er allein im Urlaub war. Da erfuhr er, dass Sabine aus beruflichen Gründen erst eine Woche später nachkomme. Ihm war es recht, denn so hatte er seinen Freund für sich alleine, sie waren wie früher unzertrennlich, es gab so viel zu erzählen, sie hatten sich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Tagsüber surften sie, lagen am Strand, gingen gemeinsam Tauchen und abends ging es ins Nachtleben. Harald legte sich ungemein ins Zeug, eine Urlaubsbekanntschaft für Klaus zu finden, sie alberten mit einigen Touristinnen, aber die Erneuerung ihrer Freundschaft liess nur Platz für ein paar oberflächliche Flirts. Harald indess schwärmte von Sabine, seiner Traumfrau. Klaus zog ihn ab und zu auf, belächelte ihn innerlich jedoch ein wenig. Ausgerechnet Harald, der nie etwas anbrennen liess, hatte es so erwischt. Er war neugierig darauf, diese Sabine kennenzulernen, der sein Freund, allem Anschein nach, aus der Hand frass.
Und dann traf die sehnlichst von ihrem Mann Erwartete endlich ein. Die Freunde hatten sich in der Lobby verabredet. Als Harald dann mit seiner Sabine erschien, musste Klaus sich eingestehen, dass sie wirklich sehr attraktiv war - allein ihre Beine waren schon eine Sensation und erst diese graugrünen Augen, Harald war wirklich ein Glückspilz! Er fühlte eine leichte Unruhe in sich aufsteigen, überspielte seine Befangenheit aber, indem er über das unerwartete Wiedersehen der Freunde sprach und fand unmerklich zu einem unverbindlichen Ton zurück. Harald war die kurze Sprachlosigkeit seines Freundes völlig entgangen, nur Sabine sah ihm einen kurzen Moment tief ind die Augen, begrüsste ihn dann jedoch mit einer unglaublichen Unbefangenheit, so dass er glaubte, sich wohl geirrt zu haben. Der Ton zwischen den Dreien war von Anfang an locker und ungezwungen, als würden sie sich schon immer kennen. Nahtlos integrierte sich Sabine in die Männerfreundschaft. Sie passte sich dem raueren Ton der Freunde an, war unkompliziert und locker. Doch mit der Zeit spürte er, wie sich eine knisternde Spannung zwischen ihr und ihm entwickelte, nur sein verliebter Freund Harald bemerkte von all dem nichts. Wenn sie sich abends verabschiedeten und gemeinsam auf ihr Zimmer gingen und Klaus allein in seinem Bett lag, fielen die Dämonen über ihn her.
Die Situation spitzte sich zu, Harald hatte sich einen leichten Sonnenbrand eingefangen, weil er in der prallen Sonne geschlafen hatte, deshalb war er schon etwas früher zum Hotel aufgebrochen. Sabine und Klaus sollten ruhig noch etwas bleiben meinte er. Am liebsten wäre er hinter seinem Freund hergelaufen, doch er wusste, dass er damit sicherlich Argwohn in Harald erzeugt hätte. So war er also mit Sabine zurückgeblieben! Als sie ihn dann fragte, ob er Lust habe, mit ihr ein wenig oben an den Klippen durch den kleinen Pinienhain zu gehen, stimmte er ihrem Vorschlag zu. An manchen Stellen reichte er ihr seine Hand um ihr über das lose Geröll, dass zum Teil den Weg blockierte, zu helfen. So kurz die Berührung auch war, es durchlief ihn jedesmal heiss, wenn er sie anfasste. Einmal stolperte sie leicht und er legte schnell seinen Arm um ihre Taille um sie zu stützen, wo er ihn am liebsten nie mehr weggenommen hätte! Sabine machte auch einen fahrigen Eindruck auf ihn, wo war ihre Unbekümmertheit geblieben? Was taten sie hier, wohin sollte das führen? Harald vertraute ihm - und er, er war rettungslos verliebt - in die Frau seines besten Freundes!
Plötzlich blieb er stehen, es wäre besser, wenn sie sich langsam auf den Rückweg machten. Sabine sah ihn fragend an, er wich ihrem Blick so lange er konnte aus, dann erwiderte er ihre stumme Frage. Er las die Sehnsucht und die Angst in ihnen, seine Sehnsucht, seine Angst. Langsam schüttelte er den Kopf, da ging sie weiter bis zum Rand der Klippen, schaute auf's Meer und er konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Er wusste, sie wartete, überliess ihm die Entscheidung. Dann, es schien als ob die Zeit stillstehe, drehte er sich um, schaute den Weg hinunter, den sie heraufgekommen waren, streckte ihr seine Hand entgegen und meinte: "Lass uns gehen, Harald wird schon auf uns warten!" Sie nickte. Schweigend stiegen sie zum Strand herab und machten sich auf den Weg ins Hotel. Sabine ging auf's Zimmer und er zur Bar, wo er sich einen doppelten Cognac bestellte.
Am nächsten Morgen teilte er seinen Freunden mit, dass er geschäftlich dringend in München erwartet werde und deshalb schon einen Flug für den Nachmittag gebucht habe. Harald war masslos enttäuscht, den gerade wiedergefundenen Freund so schnell wieder zu verlieren und sagte es Klaus auch. Eigentlich ist es genau andersherum, wenn du nur wüsstest, dachte dieser. Ich gehe, weil ich den Freund nicht verlieren will!