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Versuch über den Krieg

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27.05.2008
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Versuch über den Krieg

Der kleine Dicke rieb sich aufgeregt das Kinn. Seine Augen funkelten, als wolle er jeden Moment zum Angriff übergehen.
„Hast du dir einmal überlegt welche psychischen Schäden ein Bombenangriff bei einem Menschen hinterlassen kann? Welchen irreversiblen Schaden dergleichen auf eine Seele ausübt? Auf eine Kultur? Stell dir vor, du sitzt im Keller deines Hauses. Von oben her hörst du noch Dumpf das Jaulen der Luftschlagsirenen. Du hockst zusammengekauert in einer Ecke, die Hände gefaltet und vor den Mund gepresst. Deine Atem pfeift durch die Nase und du blickst an die Decke, in den Himmel. Du weißt nicht, was passieren wird. Das wissen nicht einmal die Männer, die die Bomben abwerfen. Es ist wie Roulette. Trifft es dich? Deinen Nachbarn? Einen Verwandten? Du weißt es nicht. Keiner weiß es; hockst nur da in deiner Nische, direkt unter dem massiven Balken an der Decke, in der Hoffnung, er möge dir Schutz gewähren oder dich sofort erschlagen. Und dann beginnt es.
Die Detonation kommt nicht wie erwartet von oben herab, sondern von unten. Durch den Boden, die Sohlen deiner Schuhe, über deine Füße, die Beine, Knie, Becken, Rumpf, Hals und bis in die Füllungen deiner Zähne. Eine blitzschnelle Erschütterung jagt in den Himmel, Sekundenbruchteile später knallt es draußen. Du zuckst zusammen, sucht mit den Füßen neuen Halt, machst dich noch etwas kleiner. Und ehe du irgendetwas begreifen kannst, bevor dein Hirn irgendein Ausmaß des Ganzen fassen kann, bebt der Boden erneut und dir wird klar, dass sind die Bomben, die dort draußen so einen Krach machen. Oben im Haus klappern die Fensterläden. Das ganze Gebäude scheint einen kurzen Hüpfer gemacht zu haben. An der Kellerklappe schabt etwas. Es ist die Katze. Im Bombenhagel entgegen all ihrer Gewohnheiten tagsüber in ihr Heim zurück gekehrt. Doch du gehst nicht hin, lässt sie nicht herein. Ihr Leben für deines - Milchmädchenrechnung. Eine weitere Fliegerbombe schlägt ein, das ganze Haus ruckt hin und her, verrückt das Mobiliar, das Schaben der Katze verstummt unter einem erstickten Schrei. Draußen ist das Krachen von Holz zu hören, ein Regen von Schutt trommelt auf die Erde, es rieselt Sand herab und legt sich wie ein kurzer Schauer. Sekunden lang ist alles still. Mit geschlossener Augen versucht du den Momenten zu entrinnen, doch dein Mund ist nicht geöffnet, denn du schläfst nicht. Ist dein Haus schon verschwunden? Ist es alles bereits dem Erdboden gleich gemacht? Du weißt es nicht, weißt gar nichts. Atmest Zug für Zug, bewusst, nichts steuert noch deinen Körper, musst dich dazu zwingen, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Du weißt gar nichts mehr. Nicht was dort draußen gerade geschieht, nicht den Namen dieser Stadt, dieser Straße oder deinen eigenen, bist weder Mann noch Frau, weder Kind noch Erwachsener, nicht einmal mehr Mensch, sondern nur ein einsames, erschüttertes Bewusstsein, das Sekunde um Sekunde weiter existiert. Doch was ist das? Leise, ganz leise und zaghaft wie eine Kinderseele beginnt das Kratzen an der Kellerklappe erneut. Deine Katze! Sie lebt noch. Lebt noch in irgendeiner Form dort oben, ein paar Mal kratzt sie schwach von außen an der Luke, das Haus muss noch da sein, dann wird es still. Dein Blick ist zur Decke hinaufgerichtet, du fokussierst all deine Gedanke auf das, was dahinter liegt. Denkst an diese gottlose Katze, hoffst dass sie weiterschaben wird oder aber ganz tot ist, dass sie als Zeichen der Ordnung dort draußen Stellung hält. Ab jetzt soll gar nichts mehr passieren, denkst du und hoffst, dass die Flieger abgedreht haben, für heute nur ein kurzes Bombardement geplant hatten, sich einen anderen Stadtteil vornehmen oder ganz umkehren. Du machst Pläne, wie du all deine Sachen packst, es ist doch inzwischen schon so lange still, und gehst; die Stadt verlässt, aufs Land flüchtest, im Wald lebst, ganz egal, wie ist es, zu sterben?, du würdest alles auf dich nehmen, um dieser Mausefalle zu entkommen, Tag um Tag von Beeren leben, in einer Höhle hausen, einem Erdloch, Sterben, unter freiem Himmel, ein frommer Christ werden. Und weißt du, was dann passiert? Ein heller Blitz.
Wie ist es, von einer Fliegerbombe getötet zu werden? Alles, was du siehst ist ein Aufleuchten von allen Dingen in deinem Sichtfeld. Kürzer, als man es jemals fassen könnte, es ist wie ein Federstreich für die Rezeptoren deiner Netzhaut, und nahtlos darauf, man könnte sagen tout de suite, ist dein Körper zerrissen wie ein platzender Ballon, alles Leben wird getrennt, zerteilt, pulverisiert in Nanosekunden, kein Knall dringt mehr an deine Ohren, keine Hitze verbrennt noch deine Haut, kein Gedanke bahnt sich seinen Weg, du stirbst schneller als der Schall. Es hat etwas schwereloses und ekelerregend voreiliges. Du kommst gewissermaßen zu spät. Wenn es Geister gibt, dann müssen sie so entstanden sein. Unheimlich oder? Nun fragst du mich: Ist es nicht vielleicht sogar ein gewisser Segen so zu sterben in Zeiten wie diesen? Und ich sage "ja", wenn nur nicht die Folter des Wartens wäre. Dieses ganze Ballett von Abwarten, von Warnungen, vom Schutzsuchen bis hin zum erneuten, noch bangeren Abwarten und vor allem dem elenden Hervorkriechen aus dem Schutt, wenn man es dann doch mal überlebt hat, in der trügerischen Empfindung, dass sich das Blatt im letzten Moment noch wenden könne, all das zerstört die menschliche Seele, die Kultur, lässt sie ihren eigenen Tod tausende und abertausende Male durchleben, um am Ende ungeachtet all der marternden Überlegungen doch wieder eines Besseren belehrt zu werden. Es sind nicht die Bomben selbst, nicht ihre Köpfe oder der Sprengstoff, sondern ihr Flug, der uns auseinander treibt. Und es ist ansteckend. Menschlichkeit ist so ansteckend. Ich glaube, dass wurmt uns am meisten - dass wir uns irren, irren, irren!“
Und er packte einen imaginären Gegner und schüttelte ihn nach Leibeskräften.

 

Hallo Herr Flussfrau,

finde ich keine gute Idee, über den Krieg mal was zu versuchen; das ist ja nicht gerade ein kleines Thema und verständlicherweise emotional stark besetzt. bei geeigneten Themen wirkt ein 'Versuch' im Titel sympathisch - da nähert sich jemand dem Gegenstand mit Bescheidenheit und Demut, signalisiert das. aber man kann eben nicht mit allem versuchen.

was ist deine Absicht? willst du unterhalten, aufklären, mahnen? der Text wirkt auf mich, als wolltest du Front gegen Krieg und Bombenangriffe machen. aber mal Hand aufs Herz, damit rennste doch offene Türen ein. Krieg ist schlimm, wir wollen nie wieder Krieg. Also jeder, der einen Funken Verstand hat, wird das so sehen. Und die das nicht so sehen, werden sich von so einem Text auch nicht davon abbringen lassen.

wenn Nichtbeteiligte über solche Themen schreiben und große Gefühle wie Angst und Verlorenheit zu beschwören versuchen, drängt sich mir der Eindruck von Effekt- und Betroffenheitshascherei auf. schlimmer sind nur noch die Texte, mit denen Erstweltler sich in indische Näherinnen hineinzuversetzen versuchen. bei aller mglw lobenswerter Absicht, über 'wichtige' Themen zu schreiben ... ich hab echt kein Bock, mir von jemandem eine Welt erklären zu lassen, die derjenige gar nicht kennen kann. literarische Texte sehe ich auch nicht als geeignetes Erziehungsmittel - denn so kommt der Text für mich rüber. allein schon der Kniff mit dem Du - das ist aufdringliche Didaktik, die da mit der Tür des Du ins Haus fällt, das ja ich, der Leser, ist. ich bezweifel auch, dass dieser Trick die Wirkung eines Textes verstärkt ...

Grüße
Kubus

 

Hallo Richy

Ein Nachdenken über den Krieg, dessen Notwendigkeit und seine Sinnlosigkeit, aber auch Schuld und Sühne, hat philosophische Tradition. Man kann es von verschiedenster Seite angehen, Aspekte abhandeln, oder auch global darüber sinnieren.
In deiner Abhandlung kam ich dem philosophischen Aspekt jedoch nicht auf die Spur. Die beschriebene Angst vor dem Tod scheint mir dazu nicht ausreichend, der eingewobene Religiositätsgedanke wohl eher ein Feigenblatt. Mich dünkt es mehr ein individuelles Kriegserleben deines Prot., seine seine Gedanken und Gefühle darstellend.
Deswegen finde ich die Geschichte nicht schlecht, doch für mein Empfinden die falsche Rubrikwahl.

Noch ein paar Dinge, die mir auffielen:

„Hast du dir einmal überlegt welche psychischen Schäden ein Bombenangriff bei einem Menschen hinterlassen kann? Welchen irreversiblen Schaden dergleichen auf eine Seele ausübt?

In den zwei einander folgenden Sätzen verdoppelst du die gleiche Aussage unnötigerweise.

Und ehe du irgendetwas begreifen kannst, bevor dein Hirn irgendein Ausmaß des Ganzen fassen kann, bebt der Boden erneut und dir wird klar, dass sind die Bomben, die dort draußen so einen Krach machen.

Hier fände ich Denken treffender. Es ist zwar tatsächlich das physische Hirn, welches die Wahrnehmung konzentriert, aber letztlich ist es das Denken, das dies bewusst werden lässt.

die Stadt verlässt, aufs Land flüchtest, im Wald lebst, ganz egal, wie ist es, zu sterben?, du würdest alles auf dich nehmen, um dieser Mausefalle zu entkommen,

Diesen Einschub im Satz, in dieser Form, finde ich nicht gut platziert. Besser vielleicht separat hintenan gestellt.

Alles, was du siehst ist ein Aufleuchten von allen Dingen in deinem Sichtfeld. Kürzer, als man es jemals fassen könnte, es ist wie ein Federstreich für die Rezeptoren deiner Netzhaut,

Federstrich

und nahtlos darauf, man könnte sagen tout de suite, ist dein Körper zerrissen wie ein platzender Ballon,

Warum die französische Wortwahl? Ich sehe da keinen Bezug für eine Notwendigkeit und das Deutsche sogleich oder sofort wäre kürzer.

Es sind nicht die Bomben selbst, nicht ihre Köpfe oder der Sprengstoff, sondern ihr Flug, der uns auseinander treibt. Und es ist ansteckend. Menschlichkeit ist so ansteckend. Ich glaube, dass wurmt uns am meisten - dass wir uns irren, irren, irren!“

In diesen Sätzen kann ich kaum einen Sinn im Kontext erkennen. Es sind allenfalls Metagedanken, aber m. E. nicht ausgereift.

Es hat noch einzelne fehlende Komma sowie Verwechslungen das/daß, die ich jetzt aber nicht mehr suchte.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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@ kubus: Also was den Titel angeht, muss ich dir leider widersprechen, denn gerade bei einem so weitläufigen und ernsten Thema wie dem Krieg erschien es mir angemessener von einem "Versuch" zu sprechen und nicht etwa von einer "Wahrheit" oder dergleichen... Du sagst ja selber, es klänge, als nähere sich jemand einem Thema mit Bescheidenheit und Demut und das war ganz meine Absicht, denn was soll ich schon vom Krieg wissen?
Ich möchte mit diesem Text weder ermahnen noch aufklären, denn das ist schon zur Genüge getan worden und es stünde mir auch nicht zu, ich möchte kurzweilig unterhalten; allerhöchstens zum Denken anregen.
Deine Kritik klingt teilweise so, als fühltest du dich in deinem Patriotismus auf den Schlips getreten, beispielsweise hier:
"Krieg ist schlimm, wir wollen nie wieder Krieg. Also jeder, der einen Funken Verstand hat, wird das so sehen." - oder - " ich hab echt kein Bock, mir von jemandem eine Welt erklären zu lassen, die derjenige gar nicht kennen kann." Dabei sind wir vollkommen einer Meinung, und ich für meinen Teil erhebe auch nicht den Anspruch hier irgendwelche Meinungen ändern zu wollen.
Dein so bezeichneter "Trick mit dem Du" ist im Grunde kein Trick, sondern einfach die Ansprache einer fiktiven Person an eine andere. Es mag unglücklich oder gar belehrend klingen, aber in meiner Vorstellung handelt es sich bei dem Text um ein Gespräch innerhalb einer nicht weiter benannten Handlung; der Leser bleibt als bloßer Zuhörer gewissermaßen außen vor und wird nicht direkt angesprochen.
Danke für die Kritik.

@anakreon: Gleich zu Anfang: Du hast Recht, die Rubrik mag falsch gewählt sein. Es fiel mir schwer, eine passende auszuwählen. Bei dem Zitat mit dem "Hirn" stimme ich dir voll und ganz zu, es war tatsächlich dieses eine Wort, das mich beim erneuten Lesen ebenfalls störte. Bei "tout de suite" könnte ich mich jetzt in wirre interlinguale Deutungsversuche flüchten, aber ehrlich gesagt klang es einfach schön in meinen Ohren. Und ich gebe dir Recht, man könnte es weglassen.
Um zu meinem (bescheidenen) philosophischen Ansatz zu kommen: Es ging mir darum, zu verdeutlichen, dass nicht die tatsächliche, materielle Zerstörung einer wie auch immer gearteten anonymen Kriegsmaschinerie dessen größte Verheerung ausmacht, sondern der psychologische Aspekt dahinter. Will heißen: Wenn - wie in diesem hypothetischen Fall - über einer Siedlung die Bomber kreuzen und selbst nur hier und da mal ein Bömbchen fallen lassen, was bedeutet das für den Zusammenhalt der Bewohner, für ihr Denken, ihre Vernunft, ihre - im weitesten Sinne - menschliche Kultur? Ein derartiges Szenario ist in unserem Breiten natürlich schwer vorstellbar, wir können uns kaum ein fassliches Bild davon machen, aber ich glaube, dass eine anonyme, willkürliche, man könnte sagen "beiläufig" arbeitende Waffe die schlimmsten Schäden vor allem auf den Geisteszustand eines Menschen ausübt. Um einen schmissigen Schlusssatz vom Stapel zu lassen: Was sind die von den Bomben Getöten schon für Menschen, im Gegensatz zu denen, die aus den Trümmern kriechen?
Danke auch für deine Kritik.

 

Hallo Richy,

was du schilderst beschreibt inhaltlich treffend eine Kriegssituation. Von der Form her ist der Text eher ein Bericht (oder monologische Abhandlung – möglichst viele Aspekte scheinen abgearbeitet zu werden), keine Geschichte. Vielleicht kann man am Ende noch einen leichten Hauch eines Epiphaniefokus spüren. Damit will ich sagen, dass der Text für den geschilderten Inhalt für mich nicht packend genug ist, die Empfehlung ‚Show, don’t tell‘ könnte hier hilfreich sein, verbunden mit der Fokussierung auf eine persönliche Krise, die von dir gewählte Erzählform läßt eine Distanz zwischen dem Leser und dem Geschehen.

L. G.

Woltochinon

 

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