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Verschwiegene Schatten
Sie stand noch heute Vormittag am sonnigsten Fleck, draußen im Garten. Sie blickte durch das Fenster hinein, sah ihn, den Gefährten Ihrer Seele. Die Lampen würden abends leuchten, in einem warmen gelben Ton, dem Ton, nach dem sie ewig in zig Baumärkten gesucht hatten. „Lampen? Das ist also eine Priorität?“ – fragte er sie. Sie lächelte, drehte sich um, nahm die Lampen stolz an sich und watschelte triumphierend an ihm vorbei. „Ja, Lampen!“. Kopfschüttelnd folgte er ihr. In sich hineingrinsend. So einfach würde er ihr den Sieg nicht überlassen. Auf der Heimfahrt würde er sie noch ein bisschen aufziehen, warum Lampen eine Priorität sein konnten, während das Gitterbett noch nicht aufgebaut war. Sie würde darauf einsteigen, sich über ihn aufregen, eine kleine Diskussion über die Aufgabenverteilung im Haushalt losbrechen, aber eigentlich nichts Böses so meinen. Wissend, dass auch er nichts so meinte. Ihre Verbundenheit ging über Worte hinaus, beide wussten das. Morgen würden sie das Gitterbett wahrscheinlich auch nicht aufbauen. Übermorgen eher auch nicht. Nicht aus Zeitmangel – sie waren einfach so und es war perfekt.
Alles am Haus war eine Baustelle, aber es war Hochsommer und zumindest Kälte war damit kein Problem. Egal wie sehr es überall nach Baustelle aussah, für sie beide war es ein Zuhause. Die Bilder, die sie sich in ihren Köpfen gemeinsam ausgemalt hatten, reichten ihnen aus. Die Zukunft war oft ein Thema, allerdings hatten beide keine Lust, ihr beider Leben von Grenzen bestimmen zu lassen. Konkrete Familienplanung war so eine Grenze – zumindest für sie. Daher war damals die Nachricht über den Familienzuwachs eine unvermutete Herausforderung immensen Ausmaßes, in einer Zeit, in der sie sich seit langem wieder in Ordnung fühlte.
Wie schon so oft, hatte sie nach der Nachricht das Gefühl, er war alles, das sie zusammenhielt. Er schaffte es, sie zu bestärken und zu überzeugen, dass auch dieses Abenteuer ein Abenteuer sein würde, das sie beide gemeinsam erleben würden.
Daher sah auch sie bald, was für ein schönes, kleines Wunder in ihr heranwuchs – das Ergebnis wahrer Verbundenheit.
Zweifel in ihr blieben – darüber, ob sie eine gute Mutter sein würde, darüber, ob sie es verkraften würde, Leben zu schenken und Leben zu formen, in einer Welt voller Grausamkeiten, stark zu sein für eine unschuldige Seele, während sie für sich selbst so selten stark sein kann.
Die Zweifel nagten - mal stärker, mal schwächer, waren aber so gut wie vergessen, wenn er sie hielt, wenn er ihr Geschichten erzählte, die er seinem Kind erzählen würde, wenn sie sich gemeinsam Geschichten ausdachten voller Wunder und voller Liebe. Die Selbstverständlichkeit mit der er sie auffing, war der Grund, dass sich ihre Liebe anfühlte, als sei sie uralt, natürlich und das leichteste auf der Welt.
„Sie wird bestimmt ein Papa-Kind!“ meinte er mit leuchtenden Augen. Der Stolz in seinem Gesicht war unverkennbar. „Darüber reden wir in 15 Jahren noch einmal.“ lachte sie als Antwort. In Gedanken waren sie schon überall mit ihr, war ihr Kind schon alt geworden, älter als sie beide.
Heute Vormittag noch waren die Gedanken verbunden, die Seelen rein, die Zukunft klar.
Die Gießkanne in Ihrer Hand fiel zu Boden als der Schmerz begann. Alles war nass, sie lag dort, schreiend. Er begleitete sie in das Krankenhaus, er war immer da, auch wenn sie noch nicht einmal wusste, dass sie ihn brauchen würde, mehr als sonst. Er war da, er hielt sie zusammen, er gab sein bestes, er ließ keine Schwäche erkennen, selbst als sie nicht mehr konnte und jeder wusste, es war verloren.
Drei Tage später waren sie wieder zu Hause. Sie waren beide im Kinderzimmer, es war das einzige Zimmer mit gestrichenen Wänden. Zwei Paare Handabdrücke warteten noch auf das dritte Paar, das niemals kommen würde. Tausende Erinnerungen waren in dem Zimmer geboren worden ohne jemals die Gelegenheit zu bekommen, gelebt zu werden.
Beide saßen neben dem leeren Gitterbett, gebrochen, verlassen, alleine mit den Gedanken, alleine im Haus.
Er kratzt an seinem Innersten, möchte dem Schmerz des Verlustes entfliehen, fühlt sich verlassen, der möglichen Zukunft als Familie bestohlen.
Sie wird erdrückt von unendlichem Hass, der in jeder Faser ihres Körpers brennt. Hass, der so heiß in ihr glüht, dass ihre Seele daran verbrennt. Hoffnungslosigkeit und ein mächtiges Gefühl der Orientierungslosigkeit machen sich in ihr breit, als sie keine Kraft mehr hat, um zu hassen. Wie sollte sie jemals ihren Weg finden, einen Weg verdienen, während sie das Schuldbewusstsein überall hin begleiten wird, Schuldbewusstsein, für den kurzen Moment im Krankenhaus, als sie Erleichterung empfand.