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Verschrottungsprämie 2109
Die Mutter aller Krisen setzte mir schon fast drei Monate lang zu. Mein Gehirn lief die ganze Zeit auf Hochleistung, um einen Ausweg zu finden. Und schlussendlich hatte ich beschlossen, Schrotter zu werden. Eine gebrauchte LOPIK gab es zum Glück ganz günstig bei Ebay. Nach mehreren Tests waren die Akkus fast leer, doch ich fühlte mich bereit für den ersten Einsatz. Das Kampfsystem sah von weitem aus wie ein Klettergurt mit vielen Anhängseln. Seine Hauptwaffe, ein fünf Terawatt Laser befand sich an der Spitze eines dünnen Metallhelms, der wie eine Reiterkappe aussah. Ich schnürte ihn fest. Die Infusionsschläuche in seinen Riemen verwuchsen augenblicklich mit meiner blassen Wangenhaut. Für einen Moment spürte ich ein leichtes Brennen, dann war die Verbindung perfekt.
Die Systemzeit zeigte 4 Uhr 30 morgens. Ich hatte mich versichert, dass der Regenerator meine Frau nicht vor zwölf Uhr mittags aus ihrem künstlichen Tiefschlaf holen würde.
Sie wusste nicht, dass ich arbeitslos war. Verdammte Krise, verdammte evolutionäre Roboter, verdammtes Haus, das wir auf Kredit gekauft hatten.
Im Fernseher liefen die Nachrichten. Bei uns hatte es diese Nacht keine Kämpfe gegeben. In Indien war es schlimmer. Geschah ihnen recht. Sie hatten mit ihren evolutionären Robotern zuerst die Preise gedrückt und schließlich den gesamten Weltmarkt zerstört. Kolonnen von Polizeirobotern marschierten durch die Straßen. Unbeeindruckt von den Granaten, die links und rechts neben ihnen einschlugen. Ich hatte genug gesehen und schaltete ab.
Als ich das Datenkabel der Lopik mit dem Anschluss über meinem Bauchnabel verband, kam das System sofort hoch und wies mich darauf hin, dass ich seine Akkus nachladen sollte. Ich ignorierte die Warnung und stapfte nach draußen. Mein Defender zirpte, als er meinen ID-Chip las und öffnete dann die Stahltüre. Draußen vor dem Zaun patrouillierte ein Roboterpolizist. Seine roten Scanneraugen fixierten mich, während er meinen ID-Chip auslas. Ihn interessierte auch die Genehmigung für die LOPIK. Hätte ich mir denken können. Nachdem er sie überprüft hatte, schwebte er auf seinen Hooverfeldern grußlos davon.
Arroganter Kerl.
Vor der U-Bahn standen gleich vier Polizisten. Hinter ihnen lagen ein paar Obdachlose in ihren Kartons. Es stank nach Pisse.
Der Zylinder der U-Bahn raste in die Station, bremste, die großen Tore öffneten sich, ich stieg ein, wich der Jugendgang aus, deren Mitglieder mich durch ihre billigen Datenbrillen misstrauisch beäugten, und stieg hoch in den dritten Stock.
Ein Kerl in meinem Alter hing zusammengekauert in einem Polstersessel. Der Scanner der LOPIK zeigte mir die Zusammensetzung seins alkoholhaltigen Atems an. Ich richtete probeweise das Fadenkreuz auf den Typen. Die Software war drei Monate alt und ich konnte mir keine Updates mehr leisten. Darum fuhr ich auch in einen anderen Teil der Stadt. Bei mir um die Ecke wohnten zu viele Inder. Sie wissen ja, wie die sind. Die programmieren dich zum Straßenkehrer um, wenn du einen Moment nicht aufpasst.
Endstation. Ich blickte mich nochmal nach dem Besoffenen um. Zwei Jahre. Rechnete ich mir aus und dann würde es vorbei sein, mit ihm. Im Osten begann die Morgendämmerung. Ich ging in der Mitte der leeren Straße, denn die Müllberge hatten alle Gehsteige eingenommen. Als wäre die Wirtschaftskrise nicht schlimm genug, gab es täglich neue Streiks. Die Müllabfuhr war am schlimmsten. Viel schlimmer noch als die Fluglotsen. Mit denen konnte ich mitfühlen, denn ihre sündteure Steuersoftware war plötzlich nur noch zum Wing Commander spielen gut.
Ich blickte über den kleinen Platz. In der Mitte stand ein mit Graffiti übersäter Essensautomat. Meine LOPIK zeigte mir die Verteidigungssysteme der Häuser an.
„Standard Defender 2099 mit einem Hochleistungslader. Zwei unabhängige Drohnen und im System integriert ein uralter 69er Watchdog.“ Pfeile leuchteten kurz auf meiner Netzhaut auf, dann verebbte die Stimme. Ich brachte der LOPIK kurz etwas Ehrfurcht entgegen. Dann überwog wieder der Frust. Ich hätte auf der Universität bleiben bleiben sollen und niemals in die Versicherungsbranche wechseln. Wenig Gehalt. Aber sicher. Mit jedem Schritt wurde ich frustrierter. Plötzlich sah ich auf der anderen Seite eine männliche Gestalt mit rötlich leuchtenden Brillen. Unsere beiden LOPIKS starrten sich an. Mikrowellen und Infrarotdaten wurden hektisch ausgetauscht. Ich erfuhr, dass seine Software älter war, aber upgegradet mit einem panzerbrechenden Granatwerfer, welcher locker an seinem Gürtel schwebte. Donnerwetter! Dass er mit so einer Waffe einfach spazieren gehen durfte. Sie kostete neu mehr als meine Wohnung. Der Schrotter nickte mir zu. Sein Gesicht war braun gebrannt und von tiefen, horizontalen Falten durchzogen.
Ich tat so, als hätte ich ihn nicht bemerkt. So war das also. Hätte ich mir ja denken können, dass ich nicht der Einzige war. Und dann kam ich mir ziemlich blöd vor und eine innere Stimme sagte: “Kehr um, dafür bist du nicht gemacht!“
Ich dachte an all die nicht bezahlten Rechnungen, meinen neuen Schweber, für den ich mir den Treibstoff nicht mehr leisten konnte, und ging weiter.
Aus einem Tanzschuppen drang Musik. Alte Musik. Mein Herzschlag beschleunigte. Ich trat näher, doch zwei pyramidenförmige Türsteher schüttelten nur den Kopf. Ich tippte an meinen Hut und ging um die Ecke. Das Gebäude war alt, ein Backsteinbau aus dem neunzehnten Jahrhundert. Eine enge Gasse führte zur Rückseite. Ich stieg über Plastiksäcke und komatöse Junkies. Aus einem Auto ohne Räder starrte mich jemand an. Die LOPIK zeigte mir, dass er ein Illegaler war. Ich ignorierte ihn und ging weiter.
Ich duckte mich ins Dunkle und beobachtete die Hintertüre. Eine kleine weiße Halogenlampe beleuchtete die abplatzende graue Farbe. Hoffnungsvoll schlich ich zur Tür, machte sie langsam auf, und starrte in das Gesicht und sechs verschiedene Waffenöffnungen eines Türstehers. Die elektronischen Systeme der LOPIK schrien grell auf. Ich taumelte zurück, aktivierte den Nebel, doch er grinste nur und ließ mich laufen. Ich raste um die Ecke, doch dann gingen meine Speeder zur Neige. Ich wurde müde und setzte mich einen Moment hin.
Wo waren die ganzen alten Knacker, die dem Aufschwung im Wege standen? Ich stapfte ziellos weiter in die Vorstadt, dort wo sich halb verfallen Häuser mit ausgebrannten Ruinen abwechselten. Und dann hatte ich Glück. Ein Haus ohne Defender. Ich zerschnitt mit dem Laser den Metallzaun. Ein Alarm ging los, aber das scherte mich wenig. Die LOPIK pumpte die letzten Speeder in meinen Kreislauf. Ein Kerl mit einer UZI erschien am Fenster. Bevor er ihren Lauf nur einen Zentimeter in meine Richtung bewegte, hatte der Laser seinen Kopf weggebrannt. Die LOPIK behauptet, er wäre eine Prämie wert. Ich biss die Zähne zusammen, schloss die Türe auf, um zu verhindern, dass jemand den Körper entfernt. Eine Bombe ging hoch, doch die LOPIK reagierte souverän und ein Airbag dämpfte die Explosion ab. Drinnen war noch einer. Ich konnte ihn nicht sehen, doch die Minilaser vorne am Gürtel hatten 200 Millisekunden ihre liebe Not, den Kugelhagel aus einer weiteren UZI abzuwehren. Endlich erfasste ihn ein Mikrowellensensor der LOPIK und zehn Millisekunden später fiel die UZI und drei Finger auf den staubbedeckten grauen Betonboden. Schritte entfernten sich. Ich hastete in den ersten Stock, sah meine Beute an, schnitt den ID-Chip heraus und fuhr dann zur Zweigstelle des Wirtschaftsministeriums, das für die Verschrottung zuständig ist. Circa fünfzig andere Schrotter warteten schon vor mir. Ein schwarzhaariger Typ mit bleichen, dünnen Lippen sah mich abschätzig an. Seine LOPIk war noch immer aktiviert. Ich konnte mir den dauernden Energieverbrauch nicht leisten. Der ganze Vormittag verging mit Warten. Ich schaltete meinen Musikplayer ein und es ging mir langsam besser. Die Tussi am Schalter schlich mit den ID-Chips zum Testplatz und überwies den Schrottern erst nach einem Tiefenscann die Prämie. Endlich bin ich dran. Ohne meine Stimuli stand ich nur mehr kraft meines eigenen Willens. Mit zittrigen Fingern legte ich den ID-Chip in ihre Hand. Sie wischte missmutig die eingetrockneten roten Tropfen ab und ging zurück zum Tester.
Nach einer Ewigkeit schlurfte sie wieder zum Schalter.
„Abgelehnt“, nuschelte sie. „Die Verschrottungsprämie gilt nur für inländische Individuen Baujahr 2049 und jünger. Dieses Individuum war kein europäischer Staatsbürger.“
„Aber meine LOPIK hat ihn korrekt identifiziert!“
Sie schaute mich ausdruckslos an. „Sein Chip war gefälscht. Lassen sie doch mal ihre Software updaten. Viel Glück beim nächsten Mal.“
Zu Hause ist Elena bereits wach. Ihre Augen sind feucht. Ich muss nichts gestehen.
Wortlos ergreift sie meine Hand.
„Ich kann mir doch auch einen Job suchen“, sagt sie und kuschelt sich an mich. Ihre Tränen rühren meinen Gefühlskernel und ich beginne ebenfalls zu weinen. Liebeshormone fluten mein System. Wir stehen einige Zeit fest umschlungen schließlich löst sie sich von mir, und trocknet ihre Tränen. Im Steuern der Gefühle ist sie mir als Naturmensch einfach voraus. Mein Gefühlskernel braucht einige Minuten, bis er mein Stimmungsbild anpassen kann. Sie wartet taktvoll, bevor sie sagt:
„Du siehst schrecklich aus. Geh ins Schlafzimmer und gönn dir mal eine lange Pause.“
Mir bleibt ohnehin nichts anderes übrig. Zu viele Bilder schwirren in mir herum. Draußen scheint die Sonne. Wie gut, dass am Dach Solarzellen montiert sind. Ich stecke mich an das Energienetz an. Wohltuend registriere ich, wie sich meine Akkus aufladen. Noch ist nicht alles verloren. Wenn wir genug Energie sparen, kann ich die LOPIK mit dem Haussystem aufladen. Ich beginne mit dem Säubern und defragmentieren meiner Festplatten. Während ich in einem wahrhaft traumlosen Schlaf liege, fasst mein Betriebssystem das erste Verschrotten zusammen, notiert die wichtigsten Erfahrungen und lösche alles Überflüssige. Die Bilder von der blutigen Leiche werden auch gelöscht. Ich hasse Gewalt so wie alle Menschen der zweiten Generation. Die Bilder sind zwar gelöscht, doch mein unabhängiger Gefühlskernel speichert ein Schuldgefühl. Als Schrotter werde ich lernen müssen, damit zu leben.