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Verraten
Blicke verhaken sich ineinander, die Luft ist voller Energie, aufgeladen von verbotenen Gedanken. Ihr Blick schweift durch den Raum, bleibt immer wieder an ihm hängen. Wie zufällig verändern sich ihre Positionen, kommen sie sich immer näher. Die anderen gehen nach und nach, sie allein sind übrig. Endlich können sie reden, aussprechen, was ihre Gedanken schon seit Stunden schreien: Ich will dich.
Das letzte Bier in der Kneipe, dann ein Spaziergang zu ihm. Sie sitzt im Sessel, er ihr, durch den Tisch getrennt, gegenüber. Zu gefährlich wäre es, keine Barrieren zu bauen, da nur einer von beiden frei ist, zu tun und zu lassen, wonach ihm der Sinn steht. Sie will ihn, will seine Finger auf ihrem Körper spüren, will sein Zeichen tragen, stolz und erhobenen Hauptes, doch will sie zugleich keinen Verrat begehen und hält sich so mühsam zurück.
Stunden vergehen voller Gespräche, Lachen und lustvoller Blicke; es ist, als würde gerade das Verbot die Gier noch steigern. Als die Sonne wieder aufgeht, nimmt er sie in den Arm, zärtlich und doch mit festem Griff, sieht ihr in die Augen und sagt nur ein Wort: Biest.
Dann küsst er sie, und die aufgestaute Energie scheint sich in diesem einen Moment zu entladen. Wie Ertrinkende klammern sie sich aneinander, ihre Münder verschmelzen zu einem Mund, ihre Hände wandern immer sehnlicher erforschend über ihre Körper. Dann trennen sie sich abrupt, sehen sich mit einem schuldbewussten und zugleich zärtlichen Lächeln an und versuchen, wieder zu Atem zu kommen.
Er nimmt ihr Gesicht in seine Hände und sagt ihr die Worte, die sie nicht mehr vergessen wird: Was auch immer geschieht, wie auch immer du dich entscheidest, ich stehe hier und warte auf dich. Diese Tür steht dir offen, wann immer dir der Sinn danach steht, mich zu sehen. Ob zum Reden, Anlehnen oder Küssen, ich bin da. Du bist mir wichtiger als die meisten Menschen, die ich kenne.
Eine letzte Umarmung, ein sehnsuchtsvoller Blick zurück, dann ist sie in ihrem Auto, fährt heim, um wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.
Eine Woche, zwei, in denen sie die wenigen Stunden nutzen, die sie haben. Zum Reden, Lachen, aneinander Festklammern. Und wieder seine Worte: Ich habe alles so gemeint, wie ich es sagte. Das Gefühl des Angekommenseins ist stark auf ihrer Seite. Seine Augen sind ehrlich, seine Hände auch. Nichts wird er tun, was ihr missfällt, nichts, was sie verrät. Sie fühlt sich sicher, gibt ihm, was er fordert und nimmt sich, was sie sich ersehnt.
Es ist nicht alles, was sein könnte, aber es ist gut, wie es ist. Sie will nicht mehr, will nur ihn.
Der Montag gehört Dir.
Sie weiß, dass sie dieses Versprechen um alles in der Welt einhalten wird. Er nimmt an und lacht, weiß, dass sie bereits alles für ihn tun würde.
Ich bin beziehungsunfähig. Seine Worte. Ihr fällt ein Stein vom Herzen, denn das war nie ihr Ziel. Nicht schon wieder die harte Bürde der Verantwortung, lieber die Leichtigkeit des Moments, ohne Reue, ohne Fragen, ohne Plan.
Ein Montag mit Freunden. Ein neues Gesicht, argwöhnisch von ihr betrachtet. Die Neue sieht gut aus, zu gut, und sie sitzt zu nah an ihm, trägt sein Zeichen, trinkt seine Worte. Eifersucht macht sich breit, für die es keine Erlaubnis gibt. Sitzt sie doch auch mit ihrem Freund in der Runde, dürfen ihre Blicke sie doch niemals verraten. Doch in ihr lodert die Glut, sie will die andere mit Gehässigkeiten überhäufen, ihr sagen, der Mann sei nichts für sie, würde bereits ihr gehören. Nichts dergleichen tut sie, stattdessen rennt sie Stunde um Stunde durch die Straßenschluchten, läßt sich den Wind durch das Gehirn blasen, bis nichts mehr übrig ist. Erschöpft schläft sie ein, eine letzte Nachricht an ihn schickend: Der Montag gehört Dir.
Er reagiert nicht. Keine Mail, keine Nachricht auf dem Telefon. Sein Anrufbeantworter von einer Fremden Frau besprochen, sie legt gelähmt auf. Ihre Wut steigert sich, sie will ihn sehen, ihn anschreien, ihn zerstören. Will seine Rechtfertigungen hören, seine Ausreden, seine Fluchten, um ihn entlarven zu können, ihn zu beschimpfen und zu bespucken, will mit ihren Fäusten auf ihn einschlagen, hoffend und bangend, er könnte ihre rasenden Hände festhalten und sie wieder in seinen Bann ziehen.
Weinend bricht sie zusammen, seinen Namen verfluchend, voller Hass, voller Verzweiflung.
Er hat sie verraten, leichten Herzens Worte gesagt, die er niemals meinte, ohne Gedanken ihr seine Neue vorgesetzt.
Das Messer in ihrer Hand sucht noch seine Bestimmung.
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10.09.02