Verordnungen
„Hey!“
„Hi Vicky, wie geht’s?“
Ich hatte mit meiner Freundin ausgemacht, dass wir uns zu einer Fahrradtour treffen; und jetzt ging es los.
„Und, was sagst Du dazu?“, wollte sie wissen.
„Naja, das gleiche wie immer. Typisch EU halt.“
„Ich hätt auch nie gedacht, dass wir mal über so einen Mist wie Europa-Politik diskutieren.“ Vicky schüttelte seufzend den Kopf.
„Tja, siehste, aber die ganzen Erwachsenen freuen sich – dass sich die Jugend auch mal um was kümmert.“
Wir waren beide so mit unserer Empörung über die EU beschäftigt, dass wir die Demo vor uns erst im letzten Moment bemerkten. Auf der von genormten Bäumen gesäumten Straße tummelte sich eine Menschenmenge mit Schildern.
Ich lachte laut. „Na, jetzt gibt’s mal wieder Demos … Vielleicht machen wir auch mit? Es wär bestimmt lustig.“
Zu meiner Überraschung stimmte mir Vicky zu und wir lehnten unsere Fahrräder an einen Laternenmast.
Ein Mann vor uns hielt ein Banner hoch:
„NIEDER MIT DEN VERORDNUNGEN!“
Dieses Banner regte uns zu einer neuen Diskussion an.
„Was hältst Du eigentlich davon, dass die Gurken jetzt wieder genormt werden?“, fragte mich meine Freundin.
Ich grinste. „Du bist aber ziemlich von vorgestern! Gurken können die von mir aus wieder normen, gegen den vorgeschriebenen Rotton von Tomaten hab ich auch nichts, aber was die jetzt machen, ist echt das allerletzte! Uns einfach vorzuschreiben, wie man schreiben soll! Oder wie ich mir meine Schuhe zubinde! Am besten finde ich ja, dass es verboten ist, ein Buch von hinten nach vorne zu lesen. Was ist dann mit Mangas? Daran haben die wieder nicht gedacht! Die verdammten EU-Angeordneten haben doch echt nichts zu tun! Jetzt fehlt nur noch, dass die uns vorschreiben, wie wir aufs Klo gehen sollen.“
Der Mann vor uns drehte sich zu uns um. „Hey, Kleine. Du hast ja eine sehr bestimmte Meinung – aber Recht hast Du. Das muss ich schon mal sagen.“
Die Demonstranten, die weiter vorne standen, begannen zu rufen:
„VERORDNUNGEN SIND FÜR DEPPEN – WIR LASSEN UNS NICHT VERÄPPELN!“
„NIEDER MT DER EU – SIE IST NE BLÖDE KUH!“
Vicky und ich sahen uns an – jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem wir lieber gehen sollten, denn gleich würde es wieder losgehen mit Polizeiaufgebot, Pressewirbel und dem ganzen üblichen Getue.
Wir holten unsere Fahrräder wieder und überholten die Demonstranten.
Uns gingen zwei Polizisten entgegen, die uns prompt auch gleich anhielten.
ich schnaubte genervt und auch etwas verunsichert: „Was ist denn?!“
Die Polizistin erwiderte kopfschüttelnd: „Reine Formsache. Wir müssen euch verwarnen, weil es laut der EU-Verordnung Nummer 248 Artikel 3 Absatz 2b nicht erlaubt ist, demonstrierende Gruppen mit Fahrrädern zu überholen.“
Der Polizist, der hinter ihr stand, konnte sein Lachen nur schwer unterdrücken und die Frau, die mit uns gesprochen hatte, fand die ganze Sache wohl auch ziemlich lächerlich.
Trotzdem hatte sie uns verwarnt – typisch Beamte halt …
Auf der Weiterfahrt sahen wir die ganzen Polizeifahrzeuge vorbeidüsen. Natürlich in genormten Wägen mit EU-Normzeichen.
Bei einem (ebenfalls genormten) EDEKA-Markt blieben wir stehen, weil wir uns ein Eis kaufen wollten.
Vicky lachte auf und deutete mit einem Kopfnicken auf die Zeitungen. Dort sprang mir die Schlagzeile entgegen:
„EU BERÄT ÜBER NORMUNG DES UMGANGS MIT TOILETTENPAPIER“
Tja, jetzt sind die wohl schon so tief gesunken ...