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Verlustangst
Verlustangst
Es ist drei Uhr am Morgen und ich kann nicht schlafen. Tausend Gedanken blitzen in meinem Kopf auf. Alles dreht sich um diese wunderbare Frau, die ich heute getroffen habe. Ich habe sie vor einiger Zeit auf einer Feier kennen gelernt. Wir waren uns sofort sympathisch. Auf jeden Fall von meiner Seite aus, war ich sofort von ihr begeistert. Ich rief sie daraufhin vor einigen Tagen an, ob wir uns nicht mal treffen könnten. Sie sagte zu und wir verabredeten und für gestern. Wir schlenderten stundenlang an einem romantischen See entlang. Es war so schön, dass ich alles um mich herum vergaß. Es regnete in Strömen an diesem herrlichen Tag aber für mich war es, als strahlte die Sonne. Sie schien nur für uns beide. Die Bäume wiegten sich im Takt meines Herzens. Die Luft trug einen betörenden Duft zu mir herüber. Alles war so wunderbar. Ich glaube, ich bin in sie verliebt. Das Beste ist, dass sie wahrscheinlich auch in mich verliebt ist. Mein Blutdruck steigt an, wenn sie mich mit ihren wunderbaren klaren Augen ganz keck ansieht. Jede Berührung von ihr lässt meine Haut kribbeln. Eigentlich könnte man sich darüber freuen aber ich habe solch große Angst sie zu verlieren. Meine Angst, ich könnte irgendetwas falsch machen, macht mich noch wahnsinnig. Wann soll ich sie küssen? Gefällt es ihr, wenn ich sie küsse? Was soll ich zu ihr sagen? Ist sie beleidigt, wenn ich etwas Falsches sage? Mag sie mich wirklich? Es gibt so viele Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Was soll ich nur machen? Wenn ich nichts unternehme, verliere ich sie vielleicht. Wenn ich etwas unternehme und es ist falsch, verliere ich sie auch. Wieso muss es immer so schwer für mich sein? Andere Männer bekommen eine Frau nach der anderen und ich stehe immer da und überlege mir, was richtig und was falsch ist. Aber es ist wie bei all den anderen Frauen, denen ich bis jetzt begegnet bin. Langsam kriege ich das Gefühl, egal was ich mache, es ist genau das Falsche. Aber ich liebe und begehre sie doch so. Mehr als alles andere auf der Welt. Ich will sie einfach nicht verlieren indem ich etwas falsch mache. Vielleicht sollte ich das Gleiche machen, was ich mit all den anderen Frauen gemacht habe. Jedes Mal, wenn ich mich verliebt habe, war es genau das gleiche. Ich dachte tagelang darüber nach, was ich unternehmen sollte. Es war bis jetzt bei jeder Frau das gleiche. Letztendlich kam ich jedes Mal zu dem Schluss, ich konnte es gar nicht richtig machen. Aber ich wollte sie nicht verlieren. Ich konnte es nicht ertragen von ihnen abgewiesen zu werden. Ich wusste ich konnte sie nie besitzen aber ich wollte sie besitzen.
Also tötete ich sie. Ich brachte sie alle aus Liebe um. Es war nicht einfach für mich aber es musste sein. Was sollte ich sonst machen. Egal was ich anstellen würde, ich würde sie verlieren. Es gab nur diese eine Möglichkeit, sie mein Eigen zu nennen. Sie alle mussten sterben. Erst dann war ich mir sicher, nicht von ihnen verstoßen zu werden. Ich versuchte es so einfach und schmerzlos wie möglich zu machen. Schließlich wollte ich sie nicht leiden sehen, denn ich liebte sie ja. Am Anfang erstach ich sie. Es war einfach, billig und leicht zu erledigen. Diese Methode fand ich dann aber zu blutig. Jedes Mal musste ich ihr Blut von mir abwaschen. Es war auch für mich nicht einfach. Immerhin hatte ich das Blut eines von mir geliebten Menschen an den Händen. Meine Tränen tropften auf die roten Hände, so dass es ein faszinierendes Muster ergab, wenn sich die klaren Tränen mit dem trüben Blut mischten. Und mir gefiel der gequälte Gesichtsausdruck mit den vor Schreck aufgerissenen Augen nicht. Erdrosseln kam für mich nicht in Frage, weil es einfach zu lange dauerte. Es ist schwer einen Menschen so leiden zu sehen. Ich habe es einmal versucht. Es war schrecklich. Ich habe immer noch das Geräusch des Röchelns in meinen Ohren. Mittlerweile schütte ich immer einige Schlaftabletten in ihren Wein. Das ist schmerzlos und es bewahrt ein Lächeln auf den Lippen der Frauen. Wenn sie dann tot vor mir liegen weiß ich, sie gehören mir. Ich kann nicht mehr von ihnen abgewiesen werden. Damit ich lange etwas von ihnen habe lege ich sie dann sofort in die Tiefkühltruhe. Dort liegen sie dann einige Wochen. Fast jeden Tag gehe ich dann in den Keller und schaue mir meinen Besitz an. Manchmal nehme ich sie dann aus der Kühltruhe raus und setze sie mir gegenüber auf das Sofa. Dann blicke ich sie stundenlang nur an. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, muss ich weinen. Erstens aus Trauer, weil diese Beziehung nicht für ewig ist. Zweitens aus Stolz, denn ich sitze meiner Geliebten gegenüber. Sie lächelt mich dann immer an. Ihre Augen sind zwar etwas trüber als vorher aber nur ich kann ihnen in die Augen blicken. Dann denke ich: ‚Sie gehört nur mir und sonst niemanden.’ Nach einigen Wochen ist es dann natürlich nicht mehr so angenehm, mit ihr in einem Raum zu sitzen. Langsam verändert sich ihre Haut, sie wird immer blasser und grauer. Dann lasse ich sie unauffällig verschwinden. Bis jetzt habe ich sie immer im Garten vergraben aber langsam wird es voll. Ich habe mir deswegen einen großen Ofen gekauft. Ich bin mal gespannt ob er funktioniert. Nachdem ich die Leichen losgeworden bin, kann ich dann lange Zeit keine Leute mehr sehen. Es ist einfach zu schwer für mich, meine Trauer und meinen Kummer zu verbergen. Alle fragen mich dann immer, was mit mir los sei. Aber ich kann ja schlecht erzählen, dass ich eine Beziehung hinter mir habe. Es dauert immer einige Zeit bis ich mich wieder unter Leuten traue. Mindestens einige Wochen. Wenn ich mich dann wieder etwas gefangen habe und einsam werde, ziehe ich los. Jedes Mal, wenn ich dann wieder eine hübsche Frau kennen lerne, hoffe ich, dass diese Beziehung normal verläuft. Genau wie heute. Hoffentlich läuft alles gut mit ihr. Ich liebe sie und will ihr nichts tun. Aber bevor sie mich verlässt werde ich auf jeden Fall handeln. Ich kann es einfach nicht ertragen sie zu verlieren. Ich will eine Frau die mich genauso liebt, wie ich sie liebe. Aber ich kann es ja nicht wissen, ob sie mich liebt. Es ist schon zum Verrückt werden. Vielleicht sollte ich mir die Gebrauchsanweisung des Ofens noch mal ansehen.
Ende
by Christoph Zerneke