Was ist neu

Verlorene Zeit (Arbeitstitel)

SBV

Mitglied
Beitritt
01.09.2011
Beiträge
4
Zuletzt bearbeitet:

Verlorene Zeit (Arbeitstitel)


Mambo

(überarbeitete Version)

21.14 Uhr. Noch einmal springe ich locker von einem Fuß auf den anderen, tänzle umher, um mich warm zu halten. Schnell tupfe ich mir den Schweiß vom Körper, der mir vor Nervosität schon wieder den Rücken entlang läuft. Es fühlt sich an, als würde man ganz sachte gekitzelt – und ich hasse es, wenn man mich kitzelt; wenn er mich kitzelt! Aber er liebt es wohl, mich damit zu ärgern. Und ich liebe sein Gesicht, wenn er sich mit kindlicher Freude daran macht. Wenn die kleinen Fältchen sich um seine Augen legen und Mund sich breit öffnet und seine weißen Zähne entblößt. Und heute werde ich es ihm sagen. Nach der Show; ganz bestimmt! Wie oft ich mir das schon geschworen habe. Das nimmt mir beinahe den Mut. Denn noch nie... nein! Heute ist alles anders! Es ist das erste Mal bei den Meisterschaften, dass wir ins Finale kommen, das erste Mal unter den Top Ten – der Traum wird wahr! Ich weiß es, ich spüre es. Noch nie waren wir so perfekt vorbereitet, nie waren wir besser in Form, nie standen wir uns näher. Das ist unser Abend – mein großer Abend!


21.19 Uhr. Schnell rein ins Kleid. Wie schön es glitzert. Es wurde nur für diesen Abend gefertigt. Wenn ich mich drehe, fliegt der kurze Rock und zeigt meine Beine. Er findet sie toll. Vielleicht sagt er das auch nur, um meine hysterischen Anfälle zu reduzieren, die ich regelmäßig vor Wettbewerben bekomme. Aber ich möchte ihm das gerne glauben. Vorsichtig ziehe ich den Reißverschluss an der Seite hoch – jetzt bloß nichts kaputt machen. Sonst ist der Abend gelaufen.


21.25 Uhr. Mein Make up muss ich selbst nachbessern. Meine Freundinnen begleiten mich schon lange nicht mehr, um mir zu helfen. Viel Puder um den Glanz zu verbergen, den mir die Angst übers Gesicht verteilt hat. Der Lippenstift hebt sich rot von meiner erbleichten Haut ab und steigert mein Selbstbewusstsein, wenn ich mir zur Aufmunterung einen Kussmund über den Spiegel zuwerfe. Nur noch ein paar Minuten bis zum Auftritt. Danach werde ich es ihm sagen. Nur noch die Schuhe...


21.31 Uhr. Oh Gott! Panik macht sich breit in mir. Eine meiner Sandalen ist verschwunden. Wie soll ich denn mit einem Stiletto elegant über das Parkett wirbeln? Bestimmt hat ihn das blonde Miststück von der Konkurrenz versteckt. Vorher hat sie mich so böse angelächelt. Womit habe ich das verdient? Ich rutsche auf den Knien in der Umkleide herum – immer bedacht darauf, das Glitzerkleid nicht zu beschmutzen oder einzureißen. Zum dritten Mal suche ich alles ab. Wo ist nur dieser verdammte Schuh? Ich möchte Sterben! Das gibt es doch nicht. Wer hat meinen Schuh geklaut? Ich habe sie immer gehasst, diese dünnen, hohen Absätze, auf denen man nicht richtig gehen kann – geschweige denn Tanzen! Ich habe schon so viele Paare weggeworfen, eines habe ich sogar verbrannt. Sie haben mir die Füße schlimm aufgerieben, mir dicke Blasen verursacht... Aber jetzt brauch ich sie. Das ist ein schlechtes Omen! Und als ich mich setze – ein leises Knacksen. Ist das Kleid jetzt endgültig auch noch kaputt? Heut ist wohl echt nicht mein....


21.34 Uhr. Mein Schuh! Wie er auf dieser kleinen Holzbank gestanden und sich über meine Suche lustig gemacht hat! Mein langer Schal, der aus dem Ärmel meiner Jacke darüber hängt, hatte sich über ihn ausgebreitet und erst wieder zum Vorschein gebracht, als ich mein Hinterteil darauf platziert habe. Jetzt noch einmal nachpudern. Da klopft es schon an der Tür – Miguel!

„Aufgeregt?“, fragt Miguel mich, als wir am Eingang zum Parkett warten, während das Paar vor uns einen heißen Tango zeigt. Verdammt, sie sind wirklich gut! Wie kann er nur so gelassen dastehen und das fragen? Er ist nie aufgeregt. Souverän steht er neben mir und hält meine Hand. Sein Atem ist gleichmäßig und ruhig. Langsam strahlt seine Ruhe auch auf mich – im Kopf gehe ich die Schrittfolge noch einmal durch. Wir haben es gefühlte 20.000 mal geübt. Jetzt muss es sitzen! Warum wollten wir gleich noch den Mambo tanzen? Eigentlich mag ich ihn gar nicht so besonders. Woran er wohl denkt? Ahnt er, was ich ihm sagen will? Er steht einfach nur da und starrt durch das Paar auf der Tanzfläche hindurch. Die Sicherheit meiner Schrittfolgen hat auch mich endlich beruhigt.


21.47 Uhr. Tosender Applaus – für den Tango .Dann werden unsere Namen aufgerufen. „Also“ ,sagt Miguel und drückt mir einen Kuss auf mein Haar – ein altes Ritual von uns, welches sämtliche verbliebene Angst von mir fallen lässt. Dann gehen wir in der Stille auf das Parkett. Aufstellung. Die Scheinwerfer strahlen grell. Sämtliche Augen richten sich auf uns. Die absolute Ruhe vor dem Sturm. Jetzt beginnt die Musik. Miguel kommt auf mich zu und als unsere Blicke sich treffen – so intensiv – muss ich unweigerlich lächeln. Gott sei Dank gehört das zur
Choreographie. Er kommt näher, berührt mich. Erster Schritt zurück. Volle Körperspannung. Wie eine Seele in zwei Körpern bewegen wir uns. Jetzt denken wir schon lange nicht mehr an die Schritte. Wir leben die Bewegung, füllen sie mit unseren Emotionen. Kurze, präzise Positionen. Feurige Spannung zwischen uns. Jetzt die Drehung.

Etwas unsicher steige ich mit dem rechten Fuß auf, er zittert. Warum wackelt mein Fuß? Ich stehe doch fest darauf... Noch während ich das denke höre ich ein Geräusch unter der Musik, ein leises Krachen, dass mich an etwas erinnert. Es fühlt sich an, als würde meine Ferse vom Schuh rutschen, aber ich habe den Schuh noch an. ...der Absatz! Vorhin in der Kabine. Als ich mich auf den Schuh gesetzt habe... Mein Knöchel verbiegt sich, ich stürze zu Boden. Das Kleid zerrissen und ein dumpfer Schlag auf den Kopf – dann ist es dunkel.

War das nur ein Traum? Langsam lichtet sich alles. Über mich gebeugt ist Miguel, der ein Gesicht macht, wie ich es von ihm nicht kenne, so verzerrt – ist es Angst? Der Moderator, den alle hier nur Grey nennen, kommt angelaufen und verkündet, dass der Notarzt auf dem Weg ist. Der Turnierarzt sitzt rechts neben mir und fingert an meinem Kopf herum. Das Licht wurde heruntergedreht und an meine Ohren dringt erschrockenes Stimmengewirr. Wie spät ist es? „Wie geht es Ihnen?“, fragt der Arzt. „Mein Kopf schmerzt und mein Fuß...“ Ich versuche mich aufzurichten, doch der Arzt hält mich am Boden fest. „Bleiben Sie bitte liegen! Sie haben eine Platzwunde am Kopf und ihr Fuß ist verletzt, möglicherweise liegt eine Fraktur vor.“ Vorsichtig, um nicht noch einmal vom Arzt gerügt zu werden, drehe ich meinen Kopf nach links zu Miguel. „Es tut mir leid!“ Doch er schüttelt den Kopf und küsst mich behutsam auf die Stirn. Er scheint kein bisschen traurig, dass er nicht den Tanz beenden konnte, dass er ihn gar nicht wirklich tanzen konnte. Es ging alles so schnell. „Ich hasse diese Stilettos.“ Ich versuche, ihn anzulächeln, was mir nur schwach gelingt, da mein Kopf vor lauter Pochen fast zerspringt.

Da kommen die Sanitäter mit der Bare. Vorsichtig werde ich auf eine darauf gehievt. Dann rollt man mich zum Ausgang, Miguel immer an meiner Seite. Bevor sie mich in den Wagen schieben, ziehe ich ihn am Ärmel. „Miguel, ich muss dir dringend noch was sagen!“, stammele ich. Mein Tag war heute schon schlimm genug – da kann es doch nicht schlimmer kommen, oder? Also halte ich an meinem Plan fest und sage es ihm – hier in diesen Hallen und jetzt, sofort. Wenn es auch nicht die Atmosphäre ist, die ich mir erdacht hatte. „Ist schon okay!“, erwidert er mir, noch bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen kann und drückt mir einen sanften Kuss auf die Lippen – unser erster Kuss! „Sag es mir später. Ich werde ins Krankenhaus fahren. Dann reden wir, worüber du willst.“ Er berührt noch meinen Arm, lächelt mich aufmunternd an, dieses Lächeln, dem ich nicht widerstehen kann. Ich hauche ihm nur noch ein leises „Okay“ zu, als ich in den Sanitätswagen geschoben werde und die Türen sich schließen.


8.12 Uhr. Noch ein wenig benebelt von den Medikamenten und der Narkose erwache ich am nächsten Morgen in einem kahlen Zimmer. Es ist außer mir keiner da, also klingele ich nach der Schwester. Ich habe großen Durst und Miguel ist gerade nicht da. Er wird mich doch nicht allein gelassen haben? Ich werde die Schwester fragen. Wahrscheinlich ist er sich einen Kaffee holen gegangen, weil er die ganze Nacht im Krankenhaus verbracht hat und jetzt hundemüde ist. Er ist immer so lieb. Ich bemerke, wie mir ein Lächeln über das Gesicht huscht. Wehe ihm, er bringt mir keinen Kaffee mit.
„Oh, Sie sind ja wieder wach! Wie fühlen Sie sich?“ Eine grauhaarige Schwester steht vor meinem Bett und lächelt mir nett zu. „Ich hätte gerne etwas zu trinken und suche meinen Partner.“ Wie schön dieses Wort in meinen Ohren klingt. „Oh“ macht die Schwester und wendet sich zum gehen. „Ich bringe Ihnen eine Tasse Tee und gebe dem Arzt Bescheid, dass Sie wach sind.“ Damit verschwindet sie.


08.26 Uhr. Der Oberarzt Dr. Grimaud betritt mein Zimmer. Er ist ein stattlicher Herr mittleren Alters. Seine Schläfen sind bereits leicht ergraut, was ihn noch sympathischer wirken lässt. Er kommt zu mir und setzt sich aufs Bett. „Schonen Sie mich nicht!“, platze ich heraus. „Sagen Sie mir einfach, ob ich wieder tanzen können werde.“ Selbst mit einer negativen Antwort habe ich mich schon angefreundet. Ich habe schon fast mit dem Tanzsport abgeschlossen, obwohl es seit über zehn Jahren nichts anderes in meinem Leben gab. Aber ich brauche es nicht mehr. Alles, was ich nun noch will ist er. Ich schließe vorweg mit jedem Urteil des Arztes Frieden, denn ich höre Schritte auf dem Gang. So schlimm kann die Nachricht nicht sein, wenn ich nun endlich mit Miguel reden kann und er mich trösten wird.
„Der Bruch ihres Schienbeines war Gott sei Dank nicht zu kompliziert, sodass er sich gut richten ließ. Ihr Knöchel ist nur leicht verstaucht, die Außenbänder überdehnt. Also werden Sie eine Pause von circa einem halben Jahr einhalten müssen. Sie bekommen für die nächsten sechs Wochen einen Gips, danach Physiotherapie für den Muskelaufbau. In drei Wochen sollten Sie noch einmal vorbeischauen. Dann röntgen wir noch einmal, um zu sehen, ob alles gut zusammen wächst. Über die Platzwunde am Kopf brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Sie ist genäht und liegt gut unter ihren Haaren versteckt. Wird bald nicht mehr zu sehen sein.“

Während er mir dies berichtet, sieht er mich ernst an. „Ich werde also schon bald wieder tanzen können?“, frage ich ihn ungläubig und beginne zu kichern, als ich merke, wie mir ein riesiger Stein vom Herzen fällt. Offenbar habe ich damit doch nicht abgeschlossen, wie ich mir das einreden wollte. „Nun ja. Aber Sie sollten erst Stück für Stück mit dem Training wieder beginnen, weil der Fuß noch eine lange Zeit nicht richtig zu belasten sein wird. Und Sie wollen den Fuß bestimmt nicht zu sehr belasten – das würde Sie wieder weit zurück werfen.“ Breit grinse ich den Arzt an.
"Oh, das macht mir nichts aus, Herr Doktor! Ich hatte das Tanzen innerlich sogar schon abgeschrieben.“ Auch, wenn ich nicht weiß, ob ich jemals wieder fit genug für Meisterschaften werde, bin ich doch glücklich, dass alles wieder gut wird. Ich versuche, mein Grinsen zu unterdrücken, doch bei dem Gedanken an den Satz, den ich nun zu ihm sage und seine Folgen muss ich unkontrollierbar lächeln. „Ich wäre Ihnen jetzt sehr dankbar, wenn Sie mich alleine lassen würden und Miguel, meinen Partner, hereinlassen würden. Er läuft sich vor der Tür ja schon die Hacken wund und ich will ihm die gute Nachricht gerne selbst mitteilen.“

Dr. Grimaud bleibt auf dem Bett sitzen und blickt mich weiterhin ernst an. „Ist denn noch etwas?“, frage ich nun doch etwas eingeschüchtert. Seine Anwesenheit wird mir irgendwie unangenehm. „Mademoiselle Angelique, ihr Freund läuft nicht vor der Tür auf und ab“, beginnt er und ich konzentriere mich, die Schritte zu hören. – Nichts. Wahrscheinlich hört man unsere Stimmen auf dem Gang. „Oh! Dann hat er sich hingesetzt. Es wäre kein Wunder! Schließlich ist er ja schon Stunden auf den Beinen“, lächle ich den Arzt freundlich an. Sein irritierter Blick bereitet mir
Unbehagen und mach mich nervös.

Ich spüre, wie mir das Blut in den Adern stockt und mein Magen sich verkrampft. Eine unangenehme, beinahe schmerzhafte Gänsehaut breitet sich über meinen ganzen Körper aus und ich fühle mich einer Ohnmacht nahe. Es muss ihm etwas zugestoßen sein. „Wo ist er? Wo ist mein Miguel?“, rufe ich in die erdrückende Stille des Raumes.

„Mademoiselle Angelique, es tut mir leid, aber es ist niemand gekommen...“


08.39 Uhr

 

Hey SBV,

und Willkommen bei KG.de.

Deine Geschichte konnte mich nicht vollständig überzeugen, sie ist gut geschrieben; hat eine angenehm, ruhige Erzählstimme und man treibt so durch den Text. Der Aufbau ist solide, klassisch geradezu, auch das fällt positiv auf.

Was mir jedoch nicht so richtig gefallen will, ist der Inhalt. Zum Ersten denke ich, ein Splitter im Boden kann niemals einen solchen Sturz verursachen. Ich meine, wir reden hier über einen Splitter, nicht über Stolperkanten. Wie wäre es, wenn der Sturz durch einen abbrechenden Absatz verursacht wird, sie kann den Schuh ja beim draufsetzen angeknackst haben, ohne dies weiter zu bemerken und unter der folgenden Belastung, bricht das Ding eben ab.

Und dann das Ende, die Pointe. Ich weiß nicht, warum man so oft das ganz große Drama will, immer endet es damit, dass wer stirbt. Man liest es so oft hier, dass man mit der Zeit wirklich darauf abstumpft.
Die Figuren bleiben alle hübsch in ihrer Rolle, die beiden sind so Null-Acht-Fünfzehn spannend, dass auch hier die Leselust etwas leidet. Auch ist der Einstieg etwas langatmig, die Hälfte des Textes spielt in der Umkleide, da könnte man sicher etwas straffen, damit es dann endlich losgehen kann ;).
Wirklich viel passiert da ja nicht.

Das sind so die Sachen, die mir durch den Kopf schossen. Ist aber auch nur meine individuelle Empfindung, wenn es meine Geschichte wäre, würde ich an diesen Punkten arbeiten. Ist es aber nicht ;).

Viel Spaß Dir hier an Deinen Geschichten und denen Anderer!

Beste Grüße Fliege

 

Hallo SBV!
Dein Schreibstil als solcher gefällt mir auch! Die Stelle mit dem "Splitter" ließ mich allerdings auch etwas stutzen und auch ich war überrascht von dem jähen und unerwarteten Ende. Ich hätte eher erwartet, dass z.B. sich heruasstellt, dass sie sich etwas vorgemacht hat und Miguel sie nicht wirklich liebt oder sie nur ausnutzt oder was auch immer... Der Unfall jedenfalls kommt mir auch etwas zu dramatisch vor. Vielleicht hätte es auch gereicht, dass der Doktor einfach mitteilt, dass ihr Partner nicht draussen auf sie wartet und die Geschichte hätte in offenes Ende.
Viele Grüße von Jesa

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Hey Fliege!

Vielen Dank.
Es war eine meiner ältesten Geschichten.

Habe einige Sachen jetzt nochmal überarbeitet.

LG,
sbv

Hey Jesa!

Dir auch danke für die Kritik.
Hab das mit dem offenen Ende mal umgesetzt. Aber perfekt ist es noch nicht. ;)

LG,
sbv

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom