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Verlierer fürs Leben
Ich bin wieder auf der Straße. In den Gassen der Stadt ist Ruhe eingekehrt. Die Bässe wummern nicht mehr aus den Kneipen und Clubs. Der flüchtige Piepton in meinen Ohren wird verstummen. Mein linker Fuß steigt über eine leere Bierflasche, während mein rechter eine Aluminiumdose den Bordstein entlang schießt. Das Blut an meinen Händen ist geronnen. Ich werde gleich zu Hause sein, in meinem Bett liegen und vergessen.
Seit Jahren haben wir es nicht mehr gemacht. Ich freue mich, wie ein Kind auf Weihnachten, auch, wenn ich mich selber noch auf Weihnachten freue. Diese Freude ist größer. Ich liebe sie, und hab sie lange nicht mehr gesehen. Sind es drei Jahre oder vier, fünf waren es nicht. Ich habe oft zurückgedacht, jede Szene, jeder Ort, wie könnte ich vergessen? Jetzt ist es zehn, sie werden kommen, ganz sicher. Ich stelle mich vor das Haus, hier hab ich immer gestanden, gewartet, getrunken und gehofft. Ich bin nie enttäuscht worden, wir haben jede Nacht unsere Geschichte geschrieben. Sie fortgeführt und gelebt. Heute ist es nur noch Geschichte, bestehend aus Geschichten und gefühlten Erinnerungen. Scheinwerfer strahlen die Straße entlang, ihr Kegel erfasst mich. Ich erkenne die Scheinwerfer, die ich sehen will.
„Hey, Lust auf eine kleine Tour.“
Ich steige vorne ein, ich saß immer vorne. Hände umfassen meine Schultern, Jordan sitzt hinter mir, er saß immer hinter mir. Collin fährt. Sie sehen gut aus, beide.
„Lange nicht gesehen.“
„Yep, aber das wird jetzt anders.“
„Hat jemand was zu trinken?“
Der Wagen fährt, wir trinken, hören Musik, hängen unsere Köpfe aus den elektronisch geöffneten Fenstern. Der Fahrtwind, er bläst uns ins Gesicht, die Nacht ist warm, der Wind auch. Die Musik hat sich nie geändert, nur die Bands sind andere, nur die Texte und die Melodie, die Musik, sie hat sich davon nicht beeinflussen lassen.
„"We are the champions"
playing out on the radio station
everyone's singing along with these anthems of our generation
cruisin down Pacific Coast Highway
with the top down, crawl into the back seat
let's create anthems of our own tonight"
Wir sind da. Unsere Turnschuhe betreten den Boden, den warmen Beton. Wir hören die Musik schon von draußen, sie ist schlecht, wie immer hier. Die Schlange ist lang. Wir gehen heute nicht daran vorbei, die solariumbraunen Türsteher kennen uns nicht, werden uns nicht vor allen anderen hinein lassen. Das war mal anders, aber das sind Geschichten.
Wir sind drin. Gemeinsam zur Bar.
Das Bier ist kühl. Jeder Schluck bringt uns wieder näher zusammen. Es gab eigentlich nie einen Zweifel daran, dass wir zusammen gehören. Die Menschen hier wirken fremd, unfreundlich und affektiert. Aber das ist wohl so heutzutage. Es läuft Hip Hop- Musik. Teens recken ihre Arme in die Höhe. Wir umklammern unsere grünen Flaschen.
Ich hätte Lust meine Flasche zu schmeißen. Nach vorne, hoch, von oben in die Menge. Reaktionen würden folgen, Konsequenzen uns erwarten. Alles nur Gedanken, aber niemals Realität.
Zwei Stunden sind wir jetzt hier. Haben uns selten bewegt. Das Bier schmeckt noch immer. Die Musik scheint kontinuierlich schlechter zu werden. Es ist voller geworden. Man drängt sich an uns vorbei, zur Tanzfläche, die in hellem Blitzlicht getränkt ist und zuckende Körper beheimatet. Wir sehen uns an, kurzes Zunicken. Wir gehen nach Unten, zum Ausgang. Die Glatze von Türsteher sieht uns an, deutet mit seinem knochigen Kinn auf ein Stempelkissen.
„Falls ihr Pussies hier noch mal reinwollt brauchta aber nen Stempel.“
Wir denken uns unseren Teil. Der Himmel ist bewölkt, nur vereinzelt spendet die Sonne durch den Mond der Erde ihre Aufmerksamkeit. Erstmal zur Tanke.
Wir sitzen auf einer Kante, die das Tankstellengelände vom Bürgersteig trennt. Worte werden nicht gewechselt. Der Rauch unserer Zigaretten verliert sich schnell in der Nacht. Zehn Minuten sind vergangen, seitdem wir die Sambuca- Flasche kreisen ließen. Wir sind betrunken, auf unsere eigene, kreative Art.
Wir gehen die Straße entlang. Stehen vor dem Eingang des „Vortex“- Clubs. Wir haben nicht vor hineinzugehen. Der muskelbepackte Bomberjackenträger hebt seinen kahlen Kopf. Seine Augen treffen sich mit meinen, mit unseren.
„Ha, ihr kleinen Scheißer, jetzt fehlt euch son verfickter Stempel, ne?“
Collin zieht eine Augenbraue hoch. Wir drehen uns um. Gehen zwei Meter. Jordan blickt über seine linke Schulter, in der selben Bewegung bewegt sich sein Oberkörper in die gleiche Richtung, sein rechter Arm schleudert die fast leere Sambuca- Flasche gegen den nackten Hinterkopf des Nazischlägers. Wir sind bereit für jegliche Reaktion, bereit für die Konsequenzen.
Wir rennen los. Alle gleichzeitig in Richtung Eingang. Fünf Securitykräfte laufen uns entgegen. Wir werden jetzt verdroschen. Die erste Faust, die ich sehe trifft mich auf dem rechten Ohr. Die zweite haut mir auf die Unterlippe. Ich bleibe stehen, schlage nach vorne, spüre Stoff. Collin und Jordan schreien.
„Weg hier!“
Ich laufe. Sehe mich nicht um, hoffe nur, dass mir meine Freunde folgen. Hinter mir sind Schritte, schnell kommen sie näher. Ich kann nicht mehr weiter rennen. Das Atmen fällt schwer. An eine Wand gelehnt sehe ich Collin und Jordan. Ihnen fehlen Zähne, mir auf der rechten Seite mein Gehör und Blut, welches aus meiner Unterlippe auf den Asphalt tropft.
Es ist vorbei. Wir sitzen im Auto, die Türen geöffnet, das Radio läuft. Wir denken nicht, wir reden nicht, wir hören Musik. Schmerzen spüre ich keine mehr. Enttäuschung auch nicht.
Ich stehe auf, gehe durch die langsam verblassende Nacht. Ich sehe mich um. Jordan und Collin blicken mir hinterher. Ich hebe den linken Arm, balle meine Hand zur Faust, schreite aus ihrem Blickfeld.
Ich will nur noch nach Hause. Schlafen. Schlafen und vergessen.