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Verlangen

PHE

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25.08.2001
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Verlangen

"Haben Sie auch das Verlangen mich zu küssen?"
Ihr Lover, oder wer auch immer dieser Kerl gewesen war, der neben ihr gesessen hatte, war nun an dem Ort, wo man sich hinbegibt, um sich zu erleichtern.
"Sie haben mich angeschaut, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen", fügte er hinzu.
"Aber, mein Freund?" stammelte sie.
Kleinkariert, dachte er, sollte er es trotzdem wagen?
"Haben Sie angst? Vielleicht sogar vor ihm?" Er setzte sich einfach auf den Stuhl, auf dem vor kurzem noch eben dieser Freund gesessen hatte. Er spürte noch dessen Wärme.
Das Café war jetzt am späten Nachmittag halb voll, wie der Optimist sagen würde. Die Musik rieselte vor sich hin und auf den Tischen brannten schon die Kerzen. Und im Monat Dezember brachten Kerzen in den Menschen immer ganz besondere Gefühle hervor.
Ihr blondes Haar stand wirr und doch durch Haarlack geordnet vom Kopf ab. Dieser Haarton war sicherlich vom Friseur kreiert worden, denn die Augenbrauen waren viel zu dunkel. Sie hatte einen kleinen freundlichen Mund und die obligatorischen stahlblauen Augen. Augen, in denen man sich verlieren konnte.
Ihr Mund stand immer noch leicht geöffnet, zwei Grübchen zeigten sich. War sie erstaunt oder erheitert? Wahrscheinlich nur erstaunt, dachte er, es fehlt in ihrem Wesen das gewisse Etwas, als daß sie an dieser Situation etwas Erheiterndes finden könnte.
Ich verschwende doch nur meine Zeit, dachte er.
Er stand ohne ein weiteres Wort auf, und da war auch schon der Freund dieser Dame auf dem Weg zurück von der Toilette.
Ein schneller Pisser, dachte er.
Als er an ihm vorbeiging, nickte er ihm kurz zu. Jetzt würde er sicherlich seine Flamme fragen, wer das gewesen war. Und auf diese Reaktion ihrerseits war er gespannt. Bezeichnenderweise spielte sie die Unschuldige und zuckte mit ihren Schultern. Was würde er jetzt machen? Würde er zu ihm kommen und ihn zur Rede stellen wollen oder aber eine gewisse Größe zeigen und das ganze mehr oder weniger ignorieren?
Bingo, der Kerl stand auf und schon spielte sich die klassische Szene ab: Er will der Sache auf den Grund gehen und sie versucht ihn zurückzuhalten und macht damit alles noch viel schlimmer, weil das seine Neugier und seine Eifersucht weiter anstachelt. Die Neugier ist ein Förderer der Eifersucht.
"Was..?" fing er an, als er vor dem manifestierten Grund seiner Eifersucht angekommen war, doch dieser ließ ihn nicht weiterreden.
"Weißt du, daß du äußerst sexy aussiehst, wenn du dich bemühst ruhig zu bleiben?" Diese Äußerung war begleitet von einem Augenaufschlag rehbrauner Augen.
Blitzschnell war die Wut verschwunden und nur Verwirrung breitete sich in dem Gemüt des Angreifers aus. Sein Gegner streckte ihm eine Karte hin: "Hier meine Nummer."
Auf der schmalen Pappe standen nur acht Ziffern und darüber das Wort ‘Jederzeit’ mit einem versetzt stehenden Ausrufungszeichen.
"Ich..." stammelte er noch und zog sich dann zurück zu seinem Tisch und seiner Freundin.
Mit einem breiten Grinsen blickte er zu den beiden hinüber, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schlürfte etwas von seinem Espresso. Er beobachtete noch die erregte Diskussion und die wilden Blicke auf ihn, aber das langweilte ihn schon und er begann wieder seine Lektüre. Die Karte hatte inzwischen nochmals den Besitzer gewechselt und damit das eigentliche Ziel erreicht.
Im Grunde könnte er jetzt auch gehen und da vor dem Fenster wieder der Schnee rieselte, bezahlte er und verließ das Café.
Er liebte es, im Schnee spazieren zu gehen. Mit diesen tanzenden Schneeflocken strahlte die Luft eine Leichtigkeit aus, unvergleichlich. Man brauchte eigentlich keinen Schirm, denn dieser kann diesen Tanz ohnehin nicht aufhalten. Und bei diesen Wintern heutzutage ist Schnee ein Luxus, den man genießen muß.
Die Straßenbeleuchtung schien diffus in die Dunkelheit.

Ein paar Tage später, er wollte gerade ein paar Oliven und etwas Schafskäse auf dem Markt einkaufen, sah er sie wieder.
"Haben Sie meine Karte noch?" fragte er in ihr Ohr.
Sie drehte sich um.
"Ich habe sie weggeschmissen", sagte sie ohne weitere Begrüßung.
"Lügnerin."
Dieser Vorwurf entlockte ihr ein Lächeln.
"Mein Freund ist immer noch ganz baff, daß er angemacht wurde. Ihr Trick hat also funktioniert."
"Vielleicht ist es gar kein Trick."
Ihre Augen fuhren nach oben.
"Sie sehen eigentlich nicht aus wie ein Schwuler."
"Ich bin vielleicht bi und will euch beide haben."
Sie suchte in seinem Gesicht nach Zeichen, wie sie diese Aussage zu deuten hatte. War es die Wahrheit oder nur ein Vorwand? Aber ein Vorwand wofür? Oder doch ein Trick, wie sie es zunächst vermutet hatte oder gar Sarkasmus?
Der Schnee war schon wieder geschmolzen und die Dezembersonne ließ den Frühling erahnen.
Sie steckte in Jeans und Lederboots und hatte einen langen weißen Norweger an. Ihr Haar war streng nach hinten gekämmt, mit Gel fixiert und zeigte Furchen wie ein frisch gepflügtes Feld.
"Der Schafskäse hier ist wirklich gut."
"Ich weiß." Sie zeigte in ihrem Korb, wo schon eine Tüte mit einer Plastikschale mit einem großen Stück darin lag. Er nahm seine Bestellung entgegen und bezahlte.
"Die Orangen da drüben sehen gut aus." Er ging voraus und sie folgte ihm. Dabei lächelte er in sich hinein.
War der Sieg seiner?
"Was wollen Sie wirklich von mir, von uns?" fragte sie mit Nachdruck.
"Wo ist eigentlich Ihr Freund?" entgegnete er und ließ sich dann ein halbes Dutzend Orangen einpacken. Er legte sie in ihren Korb.
"Für Ihre Abwehrkräfte."
"Danke sehr. Mein Freund arbeitet. Und jetzt beantworten Sie bitte meine Frage."
"Sie sind nicht glücklich mit ihm", stellte er sachlich fest.
"Wie..?"
"Sonst würden Sie jetzt nicht hier mit mir zusammensein."
"Ich kann zusammensein mit wem ich will." Sie war erbost über die Unterstellung.
"Aber nicht nachdem was zwischen uns passiert ist."
"Was ist denn schon passiert? Ich bin nun mal neugierig, was wirklich dahintersteckt."
"Das werden Sie niemals erfahren", sagte er mit einem Kopfschütteln.
"Wie meinen Sie das?"
"Man wird niemals ganz genau wissen was dahinter steckt. Nicht einmal man selbst weiß das so genau." Sie hatte ihn nachdenklich gemacht.
"Ist es für Sie ein Spiel?"
"Eine einfache Theorie. Sie stimmt oder stimmt nicht, ganz wie man es sehen will. Jede Theorie ist auch eine Verallgemeinerung und somit falsch. Wohlgemerkt, wir sprechen hier über Theorien, die einen Menschen erklären sollen."
Sie waren nun bei einem Stand angelangt, der Eier und Nudeln anbot.
"Ich brauche noch Eier", sagte er und bestellte dann ein Dutzend. Nach der Bezahlung legte er sie zum Schafskäse und den anderen Sachen in den Stoffbeutel, den er bei sich trug.
"Wofür brauchen Sie denn so viele Eier? Keine Angst vor dem Cholesterin?"
"Nein. Mit dem Cholesterin ist es wie mit allem im Leben, der richtige Ausgleich muß da sein. - Ich möchte einen Kuchen backen", fügte er hinzu.
"Einen Kuchen?" fragte sie erstaunt.
"Natürlich", er war irgendwie erleichtert über das neue Thema, "Ich war früher Konditor."
Wie jeder weiß gibt es Dinge über sich, über die spricht man gerne und über andere spricht man nicht so gerne.
"Und was machen Sie jetzt?" bohrte sie weiter.
"Jetzt stehe ich hier mit Ihnen auf dem Markt."
Sie lachte nicht, sie wartete weiter auf eine Antwort.
"Ich schreibe Kochbücher."
"Interessant."
"Und Sie?"
"Finanzamt."
"Langweilig."
Sie schauten sich tief in die Augen und mußten plötzlich beide lachen.
"Was treibt Sie eigentlich dazu, solche Spielchen zu treiben", nahm sie den Faden wieder auf.
"Es scheint eine fixe Idee von Ihnen zu sein, es sei alles nur ein Spiel", wich er wieder aus.
"Wäre es kein Spiel, müßten Sie in ärztliche Behandlung."
"Ihren Gedankengang folgend, müßte ich doch in jedem Fall in ärztliche Behandlung. Ob Spiel oder nicht."
Sie schwieg einen Augenblick.
Sie waren immer weiter geschlendert und kamen an einer Wurstbude vorbei.
"Wie wäre es mit einer Bratwurst?" fragte er. Sie stimmte zu und so bestellte er für beide.
"Also, was ist es, das Sie bewegt?" fragte sie nachdem sie von den Würsten probiert hatten.
"Ich sagte doch schon, daß man das niemals wissen kann."
"Aber, was ist Ihre Theorie? Oder sollte ich eher sagen Ihre Rechtfertigung?"
Er lächelte.
"Es ist meine Art der Suche. Ist es nicht besser zu suchen und immer wieder zu finden und auch zu verlieren, als nie zu suchen?"
Jetzt lächelte sie.
"Hast du auch das Verlangen mich zu küssen?" fragte sie.
Er hatte wieder gefunden. Und es schmeckte nach Senf.

 

Hmm... das nenne ich einmal eine äußerst charmante und witzig geschriebene Geschichte über die Beziehung zwischen Mann und Frau bzw. deren Versuche, dem jeweils anderem Geschlecht näher kommen zu wollen! (So sehe ich das zumindest!) Resepkt! Auch wenn ich Deine Erzählung durch die starke Betonung, welche auf den Dialogen liegt (vor allem im zweiten Teil), nicht unbedingt zum Genre der Kurzgeschichte zählen würde, so finde ich Deinen „stilistischen Kniff“, die beiden Personen fast ausschließlich durch die Dialoge zu charakterisieren (eine indirekte Charakterisierung eben) besonders gut gelungen. Aber auch andere – scheinbar kleine, unwichtige - Details (wie z.B. die Tatsache, daß die Frau blond gefärbte Haare hat oder der Schneefall) werden innerhalb Deiner Geschichte mit viel Witz und Augenzwinkern hinübergebracht! Eine Frage noch: hat der Ort des Marktplatzes eine tiefere Bedeutung? Ist es eine Metapher für die beiden? Ich würde den Besuch am Markt nämlich als eine Art Reise mit verschiedenen Stationen sehen, die Mann und Frau gehen (müssen) bis die beiden endlich am Ende des Marktes – bei Bratwurst und Senf – das Ziel (seines? oder gar das beider?) erreicht haben.....

 

Noch etwas: Ich finde, Deine Erzählung würde gut in eine Anthologie mit Geschichten diverser Autorinnen passen; hat - vom (sprachlichen) Witz her - etwas vom Stil von Doris Dörrie oder – wenn es denn sein muß – von Hera Lind....

 

Vielen Dank für deine lobenden Worte. Zunächst die Antwort auf deine Frage: Die Örtlichkeiten Café und Markt wurden gewählt, weil ich die Geschichte in einem Café mit Blick auf einen Markt geschrieben habe. Aber natürlich haben sich dann die Örtlichkeiten im Laufe der Entwicklung der Geschichte mitentwickelt. (Siehe die Orangen zur Stärkung der Abwehrkräfte.)

Jetzt aber eine Frage an dich: Wieso denkst du, daß diese Geschichte eine Frau geschrieben hat? An welchen Eigenheiten machst du das fest? Sicherlich gab es bei kurzgeschichten.de schon eine Diskussion, was die Geschichten von weiblichen Autoren und von männlichen Autoren ausmachen und ob man diese Unterscheidung überhaupt treffen kann, nur auf grund der Geschichte. Das hat dann schon fast etwas von einem Turing-Test.

 

Hmm... Danke für Deine Antworten. Ach so, das Café liegt direkt am Markt; das geht aus der Geschichte nicht ganz hervor.... na gut.....
Warum ich denke, daß diese Geschichte von einer Frau geschrieben wurde (stelle mich richtig, wenn ich falsch liege!)? Hmm... eben, WEIL sie mich durch gewisse Dinge - die sehr vielfältig sind! - eben an Geschichten anderer Autorinnen erinnert. Außerdem fand ich, daß Du Dich besonders gut in die beiden Protagonisten hineinversetzt hast (die Art, wie Du schreibst, empfand ich als sehr weiblich - und das meine ich postiv! Im Sinne von sehr sensiblem Einfühlungsvermögen, ohne aber nicht auch einen gewissen Witz vermissen zu lassen); zudem glaube ich, daß nur sehr wenige Männer solche Themen, wie Du sie in Deiner Erzählung aufgreifst, behandeln würden.... Hmm.... Du siehst: ich ringe nach Worte; dennoch glaube ich, Deine ERzählung steht in der Tradition anderer Autorinnen wie eben Hera Lind, Doris Dörrie, etc.

 

Daß das Café am Markt bzw. der Markt am Cafè liegt sollte, mußte, brauchte auch nicht rauszukommen. Es ist nur ein Detail der Entstehungsgeschichte, nicht aber der eigentlichen Geschichte.

Wenn du mich jetzt so drängst, muß ich zugeben, daß ich männlichen Geschlechts bin. Ich müßte mir also ein Pseudonym zulegen, um in die Anthologie mit Geschichten diverser Autorinnen zu kommen...

 

Oh! Dann lag ich ja völlig falsch! Sorry! Aber.... vielleicht ist es sogar ein Kompliment? D.h., daß du dich bsonders gut in Frauen hineinversetzen kannst? Du kanst ja, wen Du willst, mal meine beiden Geschichten, die ich in dieser Rubrik gepostet habe, lesen; vielleicht ist es da "einfacher" herauszulesen, welches Geschlecht der Autor hat ? ;-)

 

.....aber irgendwie finde ich es schon etwas ungewöhnlich, daß ein Mann SO ein Thema in DIESEM Stil und auf diese Weise behandelt.... vielleicht lag ich deswegen falsch? Vielleicht ist es auch nur ein blödes Vorurteil??

 

Hallo Hilzi666,

okay, ich hab mir gerade deine Kurzgeschichte über den Musiker durchgelesen. Sorry, daß es bei mir etwas länger dauert bis ich antworte.

Nun zu unserem kleinen Diskussionsthema, ob man nur an Hand der Geschichte entscheiden kann, ob der Autor männlich oder weiblich ist. Also, ich würde sagen, die Geschichte hat ein Mann geschrieben. Aber, als ich mich gefragt habe, woran an der Geschichte ich das festmachen würde, konnte ich nichts finden... Wahrscheinlich bin ich einfach von mir ausgegangen. Ich bin ein Mann, also sehe ich die Geschichte (zunächst und unbewußt) mit den Augen eines Mannes. Und erst dann versucht man die Geschichte mit objektiven Augen zu sehen. Vielleicht sind Kurzgeschichten einfach zu kurz für eine objektive Beurteilung. Außerdem muß man sich als Schriftsteller in die Gefühlswelt seiner Protagonisten hineinversetzen können, um sie realistisch darzustellen. Und das geht in einer Kurzgeschichte wohl besser, weil man nur einen Aspekt der Persönlichkeit beleuchtet.

Wenn ich jetzt jedoch unsere kleine Diskussion mit einbeziehe in meine Überlegungen, wäre ich geneigt, den Autor der Geschichte und damit dich als weiblich anzusehen, weil du versucht hast, die Geschichte mit den Augen einer Frau zu sehen.

So long...

 

Hmm.... eine interessante Interpretation meiner Geschichte. Aus dem Blickwinkel welcher Frau habe ich denn Deiner Meinung nach geschrieben? Um ehrlich zu sein, habe ich eher versucht, etwas von meiner eigenen Persönlichkeit in die des Komponisten Dave zu legen.....
Danke aber für die bisherige wirklich interessante Diskussion...!!

 

Da hatte ich mich wohl etwas unklar ausgedrückt. Ich meinte, meine Geschichte hast du mit dem Blick einer Frau gelesen und interpretiert.

 

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