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Verkehrte Welt

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06.05.2007
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Verkehrte Welt

Er hatte keine Ahnung, was überhaupt los war. Er wusste nur, was er sah. Und er sah eine ganze Menge.
Vor sich reihte sich ein Pfefferkuchenhaus nach dem anderen bis zum Horizont, und nicht einmal er, das Matheass der Schule, hätte sie zählen können. Jedenfalls schauten aus unglaublich vielen Fenstern die gleichen unverkennbar zweifelhaften Wesen, deren knubbelige Arme auf von Zuckerguss bedeckten Fensterbrettern ruhten. Sie hatten alle die gleiche, rote Knollennase, kleine Augen, die fast unter ihren buschigen Augenbrauen verschwanden, und scheinbar sangen alle aus voller Kehle das gleiche nervige Lied, das nun schon seit fünf Minuten Toms Ohren betäubte.
Wo war er hier gelandet? Irgendwie erinnerte ihn das alles an ein Märchen, das jedoch keineswegs so spannend war wie andere. Tatsächlich blieben die seltsamen Wesen die ganze Zeit in gleicher Position, als hätten sie noch nie eine andere Bewegung ausgeführt.
Ungläubig starrte Tom nun die Menge an, die sich auf der Straße tummelte. Neben einem großen Schild, auf dem eine Spielfigur neben einer grünen Ampel abgebildet war, spielten die sieben Zwerge Mensch – Ärger – dich – nicht. Doch scheinbar hatten sie ihre Partie beendet, denn ein kleiner Zwerg mit roter Pudelmütze sprang plötzlich begeistert aus seinem Schneidersitz auf, und wollte bestimmt die Straße überqueren, doch schließlich war er noch so im Freudentaumel, dass er versehentlich einem Ferrari genau vor die lackierte Nase lief. Erschrocken stieg der Fahrer mit lautem Fluchen aus. Bei näherem Hinsehen stellte Tom verblüffend fest, dass es ein Pfefferkuchenmann mit Krückstock war.
Tom blinzelte, kniff sich in den Arm, tat, was immer man für das Ende eines verrückten Traumes tun konnte, doch immer noch stand er auf derselben Straße, blickte in die Augen derselben Geschöpfe und sah in der Ferne dieselben spitzen Berge, jede dieser Spitzen mit einer riesigen roten Weihnachtsmütze dekoriert. Und je länger er überlegte, ob er vielleicht nicht doch verrückt geworden war, desto unwirklicher kam ihm das alles vor.
Plötzlich spürte er einen etwas zu groben Klaps auf der Schulter und drehte sich auf den Fersen um. Sein Herz klopfte ziemlich schnell. Wohl, weil er bis zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung gehegt hatte, sich in einer Traumwelt zu befinden. Schließlich hatte er in seinen Träumen noch nie Schmerzen empfunden. Es musste einfach alles real sein, was er in diesen Minuten erlebte, und er hoffte inständig, dass ihn dieser Schulterklapser nicht erneut heimsuchen würde.
Tom brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was er da vor sich hatte. Sein Blick heftete sich nicht an das Gesicht seines seltsamen Gegenübers. Schon der Körper - wenn man ihn tatsächlich so nennen konnte - war äußerst interessant.
Wie der Stiel einer der schrecklichen Regenschirme von Mama, schoss es Tom durch den Kopf, während er den großen gestreiften Kringel betrachtete, der diesem Wesen wohl als Körper genügte. Seine Augen wanderten immer höher und schließlich hatte er den Kopfteil erreicht, der nicht weniger unglaublich war. Tom trat einen Schritt zurück, um das Geschöpf in seiner Gesamtheit zu betrachten, und musste sich schwer zusammenreißen, nicht laut loszulachen. Tatsächlich stand er vor einer sehr weihnachtlich aussehenden Zuckerstange, rot – weiß – gestreift, und ein schiefes Grinsen auf dem Gesicht, das sich sogar durch ihren widerspenstigen Schnurrbart Bahn brach. Eine Weihnachtsmütze prangte auf seinem Kopf. Das erklärte zumindest die Bergspitzen.
„Nein, das ist nicht wahr“, rief Tom unwillkürlich, und einige der Passanten um ihn herum blieben abrupt stehen.
Doch das Grinsen auf dem Zuckerstangengesicht wurde immer breiter, und plötzlich öffnete es den blassen Zuckermund, und eine raue Stimme sagte: „Das ist hier immer so.“
Im nächsten Moment war alles so rasch verschwunden wie es gekommen war.
„Tom, wachst du endlich auf?“
Er spürte, wie er leicht durchgerüttelt wurde. Schlaftrunken setzte er sich auf, sah seine Mutter vor sich, und sagte: „Wo ist Herr Zuckerstange und die sieben Zwerge?“
Seine Mutter lachte auf, sagte aber forsch: „Keine Ahnung, aber wenn du dich nicht sofort aus deinem Bett erhebst, ruf ich Schneewittchen oder den Weihnachtsmann, ob er dich vielleicht in die Schule zaubern kann.“
Sie verließ das Zimmer, und ließ Tom zurück mit komischen Gedanken über spitzbergige Weihnachtsmützen.

 

Hallo Segelengel,

die Idee zu der Geschichte hat mir gefallen, die Umsetzung weniger.
Erst betrachtet Tom seltsame Wesen in den Fenstern, dann tauchen da auf einmal die sieben Zwerge auf und ich dachte zuerst, das wären die gleichen. Dann haut ihm noch eine Zuckerstange auf die Schulter und schließlich wacht er auf und alles war doch nur ein Traum.

Nun finde ich, Geschichten mit der Traum-Pointe sind - auch für Kinder - schwer zu schreiben, ohne dass die Pointe wie eine Notlösung aussieht (selbst, wenn sie von vornherein geplant war - es wirkt oft einfach, als sei da nix Besseres eingefallen).

Ich mag auch generell bizarre Traumwelten, und diese hier ist dir gut gelungen. Ich frage mich aber, wie viel Kinder mit dieser Geschichte anfangen können. Mir wäre sie damals (als ob mein Kindsein so lang her wäre ... :) ) irgendwie zu mager erschienen, das weiß ich. Für wirkliche Faszination reichen ein, zwei seltsame Momente, die Tom im Zuckerstangenland erlebt, nicht aus. Vieles wird nur zu kurz angerissen - gerade das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel würde so viel Potential bieten -, und vieles ist sicher auch einfach zu unverständlich. Ich als Kind wäre enttäuscht gewesen, weil ich auf ein kleines Abenteuer gehofft hätte, das Tom mit den seltsamen Wesen erleben könnte. Da hast du meiner Meinung nach viel Potential verschenkt.

Was mir textlich noch aufgefallen ist:

und scheinbar sangen alle aus voller Kehle das gleiche nervige Lied
Das "scheinbar" würde ich rausnehmen. Erstens merkt man ziemlich gut, wenn viele Leute aus voller Kehle das gleiche nervige Lied singen (das könntest du auch deutlicher machen, was die da singen, wie es klingt, etc. ...), da braucht's kein "scheinbar". Zweitens kommt das Wort später noch mal.

Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Hallo Segelengel,

ich kann mich der Kritik von Malinche nur anschließen.
Du hast in deinem Text viele Dinge nur angerissen und nicht genügend ausgearbeitet. So weiß man nicht, was es mit den singenden Gestalten am Anfang auf sich hat. Die Frage, warum sie singen, habe ich mir sofort gestellt. Aber im Laufe des Textes keine Antwort erhalten, weil du bereits auf die sieben Zwerge umgeschaltet hast. Auch hierzu schreibst du nicht viel und schaltest weiter zum Pfefferkuchenmann. Einzig bei der Zuckerstange verweilst du ein wenig länger.
Und dann ist auch schon der Traum zu Ende.

Schön fand ich hingegen am Ende, dass die Mutter mitspielt und Schneewittchen und den Weihnachtsmann mit ins Spiel bringt, und nicht einfach sagt: "Los, auf jetzt, in die Schule mit dir!"

Ich finde, es würde sich lohnen, den Text zu einer größeren Geschichte auszubauen, wo du dann Gelegenheit hast, die nur kurz angerissenen Szenen ausführlicher zu beschreiben.

Liebe Grüße
bambu

 

Hi Malinche, hi bambu,
danke, dass ihr so schnell eingeschätzt habt.

Für wirkliche Faszination reichen ein, zwei seltsame Momente, die Tom im Zuckerstangenland erlebt, nicht aus.

Da hast du Recht, Malinche.:) Vielleicht ist das wirklich das Problem der Geschichte. Ich komme mit Kurzgeschichten immer nicht ganz zurecht, weil ich Angst habe, sie könnten zu lang geraten. Doch hier ist es wohl wirklich ein Fehler gewesen, die Sachen nur kurz anzuschneiden.:hmm:
Ich muss zugeben, dass ich diese Geschichte vor langer Zeit einmal geschrieben habe und einfach mal wissen wollte, was die Leser hier für einen Eindruck davon haben.

Gerade das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel würde so viel Potential bieten.

Ja, darüber denke ich nochmal nach.

Schön fand ich hingegen am Ende, dass die Mutter mitspielt ...

Ich bin froh, dass es dir gefällt, bambu. Ich war mir an dieser Stelle nicht so sicher.

Es würde sich lohnen, den Text zu einer größeren Geschichte auszubauen ...

Sicher ein Punkt, über den ich ebenfalls nachdenken werde.
Das war mein erster Ausflug in die Rubrik Kinder und ich hoffe, ich habe es nicht zu sehr vermasselt.
Danke nochmal für konstruktive Kritik,

Gruß,
Segelengel:D

 

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