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Thema des Monats Verkörperungen

Seniors
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12.02.2004
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Verkörperungen

Im Esszimmer hielten sich achtzehn Menschen auf. Sie verharrten nach vorne gebeugt oder mitten im Schritt. Gesprochene Worte blieben stecken, ebenso die Schallwellen in der Luft und sogar die Photonen des Lichts. Wie konnte das sein? Eine halbe Stunde vorher hatte ein Gespräch begonnen, eine Wendung zu nehmen, die der Szene eine Richtung gab, die sie an ihrem Ziel vorüber laufen ließ – woraufhin eine übergeordnete Instanz auf STOP gedrückt hatte.

* * *​

Karl, den sie alle Charlie nannten, fasste Hannes an der Schulter, um sich abzustützen. Er hatte mindestens drei Bier intus. Auch betrunken konnte er jeden in Grund und Boden reden: „Ich bin Empiriker! Ich glaube, was ich sehe.“

Wie zu Demonstrationszwecken wedelte er mit der Hand.
„Das andere ist alles Blödsinn. Da heißt es heute Ideal und Metaphysik und morgen kommt die Polizei, wenn du etwas Anderes auch nur zu denken wagst. Wir wissen ja, wo es hinführt! Unbefleckte Empfängnis und Wiederauferstehung des Fleisches: Sag etwas dagegen und du landest auf der Streckbank! Oder die Diktatur des Proletariats als dialektisch unabwendbarer Prozess: Ein Wort dagegen und viel Spaß in Sibirien! Hahaha!“

Charlie hatte eine feuchte Aussprache. Hannes wischte sich mit dem Handrücken die Spucke vom Gesicht. Auf dem Tisch waren alle Teller leer. Überall lagen zerknüllte Servietten. Joe, der Gastgeber, mit seiner roten Schürze, die bis zum Boden reichte. Er fragte alle einzeln, ob es ihnen geschmeckt hatte. Schräg gegenüber saß Bettina. Oh, Hannes wusste tief drinnen, dass er nicht gut genug war für diese Frau. Assistent an der geisteswissenschaftlichen Fakultät mit befristetem Vertrag, keine dreißig Jahre alt und schon schütteres Haar und gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich. Trotzdem...

Er dachte auch an den Anfang des Johannesevangeliums:
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott. Und das Wort war Gott.
Dasselbige war im Anfang bei Gott. Alles ward durch dasselbe, und ohne dasselbe ward nichts, was geworden ist.

Professor Bachler zitierte in der Vorlesung immer diese Stelle, wenn er wie das Rumpelstilzchen auf und ab lief und komische Grimassen machte: „Was halte ich da hin der Hand? Richtig, einen Kieselstein! Denken Sie etwa, auch nur ein Kieselstein könnte sich manifestieren, wenn es nicht die Idee gäbe, was ein Stein ist?“
Wie konnte man das verwenden, um diesem Typen das Maul zu stopfen? Das war doch geistreich, oder nicht?

Charlie setzte das Bierglas ab, stieß einmal kurz auf. Hannes dachte „Schwein“. Er sagte: Es geht ja nicht nur um die Fehler, die passieren. Es geht um die Wahrheit!“
„Die Wahrheit, klar! Ich sage ja: Was ich nicht hören oder sehen oder riechen oder sonstwie wahrnehmen kann, wie soll ich wissen, ob das wahr ist? Also geht es mich nichts an. Wenn ich mir ein System zurechtlege, muss ich es an der Realität überprüfen können. Sonst ist es nur ein Hirngespinst. Spiritismus und Esoterik und der ganze Quatsch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass da nichts ist.“

„Nicht so aggressiv, mein Junge!“, sagte Inge.
Joes Frau. Früher war sie Joes Freundin gewesen. Dann hatten sie geheiratet und jetzt wohnten sie in diesem Reihenhaus, zusammen mit den Kindern und dem Golden Retriever Bellman, der nicht ins Esszimmer durfte, weil er immer die Gäste anbettelte, auch wenn sie gerade Obstsalat aßen. Inge, die Steuerberaterin mit der tadellosen äußeren Erscheinung. Schwer zu sagen, ob sie Charlies philosophische Anwandlungen belächelte. Charlie grinste, weil er insgeheim eine erotische Phantasie hatte, in der sie eine Rolle spielte.

Hannes machte den Fehler, ihn aus seinen Tagträumen zu reißen und seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Er wollte den Glauben an das Übernatürliche verteidigen. In dieser Runde rief es dieselbe Reaktion hervor, als hätte man ein Alkoholproblem gestanden, wenn man das Wort „Gott“ aussprach. Buddha und Wiedergeburt waren hingegen okay. Seine Zunge stolperte. Seine Arme ruderten sich frei. Auch er hatte zuviel getrunken. Mit groben Worten redete er von den Tugenden der Idealisten. Opferbereitschaft und Heldentum! Und Kunst! Überhaupt alles, was den Menschen die Beschränkungen seiner prosaischen Existenz (mit Zahnarztbesuchen und Überstunden im Büro und dem Warten auf die Straßenbahn und dem ganzen Scheiß) abschütteln ließ.

„Da haben wir es, du bist ein Faschist!“
Schnell fuhr Charlie fort (weil der Mensch nicht gleichzeitig nachdenken und genau zuhören kann) und beschwor das Bild von Hannes herauf, der mit Begeisterung eine Nazi-Uniform anzog und lachend Zivilisten abknallte. Oder, wie er mit allen Anzeichen des Amüsements die Guillotine betätigte, als wäre es der Gurkenschneider aus dem Teleshopping-Programm. Angeekelt verzogen alle in Hörweite die Gesichter, als in ihrer Vorstellung Hannes mit Begeisterung einer netten alten Dame die Daumenschrauben anlegte. Ein Mönch in dreckiger Kutte hielt ihr das Kruzifix hin und schrie: Gestehe, Hexe! Du hast mit dem Teufel verkehrt!

Etwas unwohl fühlte sich Hannes natürlich, als er in der Vorstellung der Anwesenden (mit denen er schließlich quasi befreundet war) all diese Dinge tat. Aber in seinem Eigensinn beharrte er trotzdem darauf, dass der Mensch mehr sein musste als die Käserinden auf seinem Teller. Sonst hatte ja das Leben keinen Sinn.

Nicht übermäßig laut, aber deutlich artikuliert, sagte Bettina: „Wo bleibt da die Logik? Wieso klammerst du dich an etwas, das so schlimme Auswirkungen hat? Also wirklich... Ich versteh dich nicht.“
Ihre runden Augen, irisierend blau, deren Pupillen sich verengten. Ihr leicht geöffneter Mund. Die erstarrten Wangen, bedeckt mit einem Hauch von Make Up. Was Hannes eigentlich wünschte, war, den Kopf zwischen ihre Brüste zu legen, während sie ihm das Haar streichelte. Er wollte ihren Duft einatmen, sie umarmen, die köstliche Wärme ihres Körpers spüren. War das zuviel verlangt?
So wie die Dinge jetzt standen, tendierte die Eintrittswahrscheinlchkeit dieser Ereignisse allerdings gegen null.

Deshalb also drückte Panta'a auf STOP.

* * *​

Jetzt war er nicht mehr Hannes, sondern wieder er selbst und wanderte in der erstarrten Szenerie umher, um alles zu verstehen. Die folgenden 45 Jahre hätte er sich einerseits sparen können. Andererseits war diese Welt doch voller Schönheit. Die leuchtenden Farben aller Dinge und die vielen Schattierungen menschlicher Gesichter: Sie waren mehr als Avatare. Um noch einmal die Gerüche der Speisen und der Schnittblumen würdigen zu können, hätte er sich wieder als Mensch verkörpern müssen. In der wahren Gestalt fehlte ihm nämlich nicht nur der Geruchssinn, sondern auch die Nase. Stattdessen wollte er jetzt wissen, wo sich andere Spieler verbargen. Er freute sich natürlich, als das Programm Bettinas Gestalt farblich unterlegte und es verblüffte ihn, dass Charlie in dieser Realität nicht existierte, wohl aber ein anderes Subjekt: der Hund!

Farben spielten in der Wirklichkeit keine Rolle. Wie eine Katze sah Panta'a weitgehend in Schwarzweiß mit Andeutungen von Rot, Grün und Blau. Aus seinem kuppelförmigen Kopf ragten Hasenohren in die Luft. Sein Gehör war gut. Wenn er wollte, konnte er es deaktivieren. Darunter die leuchtenden Öffnungen seiner Augen und ein Schlitz, der als Mund fungierte. Fertig war das Gesicht! Der Körper, ein Zylinder, der nahtlos in diesen dürftigen Kopf überging, mit zarten Ärmchen und kurzen Beinen. Aber robust und langlebig. Wie alles hier.

Der Befehl in seiner Software, der während des ganzen Spiels die Erinnerung unterdrückt hatte, wirkte nun nicht mehr. Das erste was sein Gedächtnis ihm lieferte, war die plastische Vision seines Terminkalenders. Er glich ihn mit seinem sozialen Umfeld ab (ein paar Handgriffe an der Konsole des Kommunikators genügten) und bat um ein spontanes Treffen mit folgenden Zwecken: Gespräche, Nahrungsaufnahme, Sexualität. Drei Antworten waren positiv und mit Ortsangaben versehen.

Die Stadt draußen war wie ein stiller Wald. Vor allem groß, konzentrisch angelegt, mit Längs- und Querstraßen. Die Gebäude reichten bis zu fünfzig Ebenen in die Vertikale. Durch diese Gebäude schlängelten sich Laufbänder wie Lianen, auf denen die Bewohner manierlich aufgereiht stehen blieben, um ans Ziel zu kommen. Wenn der Wind über die Laufbänder pfiff, schaukelten sie sachte. Mit ihren Augenöffnungen blickten die Passanten um sich und bewegten die Ohren, wenn etwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie waren... niedlich.

Sex interessierte sie eigentlich nicht. Das Geschrei einer nackten Frau, die in der Spielwelt auf einem nackten Mann herumhüpfte und der Enthusiasmus, mit dem sich viele das anschauen konnten, erschien ihnen unpassend. Für sie handelte es sich mehr um eine in regelmäßigen Abständen notwendige Verrichtung, um der biologischen Notwendigkeit Genüge zu tun (wie das Rasenmähen). Wie die Menschen in der Spielwelt sich zum gemeinsamen Kochen trafen, bemühten sie sich, der Sache Raffinesse zu geben. Hauptsächlich ging es ihnen aber um gute Gespräche. Panta'a war natürlich nicht männlich in diesem Sinne. Er konnte je nach Bedarf den Nachwuchs austragen oder nur befruchten, ganz wie es in seinen Terminkalender passte. Ein paar Monate später brachte er dann die Kinder zur Annahmestelle.

Ihm (oder ihr) hingen die Gefühle aus dem Spiel noch nach. Der Wunsch, Charlie in dieser Realität zu finden und ihn zu ermorden, war nur erloschen, weil es einen Charlie in Wirklichkeit nicht gab. Aber das Leid und den süßen Schmerz und die Sehnsucht, die er empfunden hatte, die waren doch noch da, oder?

Er erinnerte sich an die formalen Gesetze der Einbettung von Fiktion und Spielwelten in die Realität. Sie lauteten:
Erstens: Das Gesetz der abnehmenden Komplexität.
Die Spielwelt und die fiktionale Welt können nicht die Komplexität der Realität erreichen, da eine übergeordnete Menge nicht vollständig in einer Teilmenge enthalten sein kann (außer sie ist mit ihr identisch).
Zweitens: Das Gesetz der gerichteten Wahrscheinlichkeit.
Von allen möglichen Ereignissen können nur jene eintreten, die den Verlauf der Handlung vorantreiben und zu einem von der Spielwelt darstellbaren Zustand führen.

„Dann hätte ja nichts dagegen gesprochen, mit Bettina ein paar schöne Stunden in einem Doppelbett zu verbringen oder einmal nach Hause zu kommen und sie fragen zu hören, wie mein Tag war“, murmelte Panta'a mit dem Schlitz in seinem blechdosenartigen Gesicht. Jedenfalls hätte man dafür nicht eigens bei der Zentrale die Änderung der Parameter der Spielwelt beantragen müssen. Noch immer kreisten seine Gedanken um das Leben dort. Er hüpfte vom Laufband auf eine Plattform, um für eine Weile auszuruhen. Schon taten ihm die Füße weh. Dieser Körper, der nur mit Trippelschritten vorankam, ermüdete zu rasch. Die Spielwelt war natürlich nicht nur schön gewesen. Er dachte an das Wort „Hölle“, das er dort gelernt hatte: Ein Ort des Leides, an dem du verurteilt wirst. Genau so war es dort gewesen!

Die Erkenntnis kündigte sich an wie Donnergrollen. Er dachte zuerst an die drei anderen, die wohl in diesem Augenblick versuchten, ihre zylindrischen Körper aufreizend zu kleiden und dann in den Gesprächen bei dem Treffen klug zu wirken. Am Horizont zogen Wolken auf. Da landete ein interstellarer Transporter aus einem anderen Teil ihres Imperiums. In all den Häusern seiner Stadt hingen die Bewohner an Konsolen, die ihnen die Realität ausblendeten. Ein gigantisches Netzwerk aus Computern erzeugte die andere Welt, die sogenannte Erde. Dort konnten sie morden und betrügen und fast jeden Blödsinn machen, ohne großen Schaden anzurichten. Dort machte das Leben Spaß! Hier hingegen hätte es dafür keine Ressourcen gegeben. Nur das Nötige durfte getan werden, nicht mehr! Trotzdem durfte ihnen die Fähigkeit zu handeln nicht abhanden kommen.

Weit unter Panta'as Füßchen wuchsen Bäume mit dem Aussehen von Schierlingen. Ihre grafische Qualität ließ selbst aus dieser Entfernung zu wünschen übrig. Konnte es denn sein? Lange schaute er seine eigene linke Hand an. Sie war eigentümlich rund und weich und hatte nur vier Finger. Er bewegte sie vor seinen Augen. Er begriff!

 

Hallo Berg,

Er hatte mindestens drei Bier intus. Auch schwer betrunken

Drei Bier? Sein Spitzname sollte eher was Japanisches sein.


dass er nicht gut genug war, für diese Frau.

Komma weg


weil er immer die Gäste anbettelte, auch wenn sie gerade Obstsalat aßen

Das hat sowas Absurdes, find ich gut.


was den Menschen die Beschränkungen seiner prosaischen Existenz

dem oder ihrer


Die Erkenntnis kündigte sich an wie Donnergrollen. Er dachte zuerst an die drei anderen, die wohl in diesem Augenblick versuchten, ihre zylindrischen Körper aufreizend zu kleiden und dann in den Gesprächen bei dem Treffen klug zu wirken. Am Horizont zogen Wolken auf. Da landete ein interstellarer Transporter aus einem anderen Teil ihres Imperiums. In all den Häusern seiner Stadt hingen die Bewohner an Konsolen, die ihnen die Realität ausblendeten. Ein gigantisches Netzwerk aus Computern erzeugte die andere Welt, die sogenannte Erde. Dort konnten sie morden und betrügen und fast jeden Blödsinn machen, ohne großen Schaden anzurichten. Dort machte das Leben Spaß! Hier hingegen hätte es dafür keine Ressourcen gegeben. Nur das Nötige durfte getan werden, nicht mehr! Trotzdem durfte ihnen die Fähigkeit zu handeln nicht abhanden kommen.

Irgendwie habe ich bei diesem Absatz gedacht: Star Wars! Matrix! Und warte, den kenn' ich auch!


Er begriff!

Ich nicht!


Jedenfalls nicht so richtig. Ist glaube ich zum mehrmaligen Lesen gedacht. Ich mag den Stil, kurze, klare Sätze, lang nichts mehr von dir gelesen, war das schon immer so oder hast du dich gemacht? Insgesamt lässt das schon die Hirnwindungen verkrampfen, ohne klugzuscheißen, das gefällt. Bin halt nur ein einfacher Mann und kein SF-Spezi.

Mmmmh, Thema des Monats ist Religion. Ist dein Prot also Gott, auch wenn es sich reimt? Was sich reimt ist ja bekanntlich gut, ich mag die Geschichte auch inhaltlich (glaube ich) und wollte das mal loswerden. Ich kann nicht genau sagen, warum, vielleicht komme ich drauf, wenn ich's ein zweites Mal gelesen habe. Reicht das erstmal? :D


Grüße
JC

 

Freut mich, Proof! :)

Ich habe lange nichts mehr in SciFi gepostet (eher Rubrik Seltsam) und hatte mir vor ein paar Wochen schon vorgenommen, etwas möglichst Kryptisches zu diesem Thema des Monats zu schreiben und überhaupt mal wieder Science Fiction zu lesen.

Korrekturen werden umgehend angewandt.

Beste Grüße,

Berg

 

Ich bin nicht so erfahren auf kg.de, kenne daher deine bisherigen Werke nicht. Schaun wir mal ob ich als Kritiker tauge.

Seit Matrix ist die Idee virtueller Welten nun Mainstream, da brauch es mehr. Ich weiß nicht sicher, ob das auch deine Intention war, aber ich sehe die Variation darin, dass hier physisch eher einfach gestrickte Entitäten eine neue Gefühls- und Sinnenwelt erleben. Das hat etwas. Dazu geschmückt mit deinen skurrilen Szenen ist das guter Stoff.

Etliche Stellen erscheinen mir allerdings als Stolpersteine und so bleibt die Geschichte etwas hinter ihrem Potential. Der erste Absatz hat mich schon mal aufgehalten. Gegen den rätselhaften Anfang habe ich nichts, nur in meinem Kopfkino kam ich mit dem Bild nicht klar. Erste Befürchtung: Achtzehn Leute ist sehr spezifisch, dabei spricht später nur eine Handvoll. Das lässt mich glauben, die Zahl hätte eine Bewandtnis. In einem Esszimmer stell ich mir sofort sitzende Leute vor. Als die im Schritt verharrten, habe ich zuerst an die Körperregion gedacht… Unfreiwillige Komik, persönlich würde ich "in Bewegung verharren" vorschlagen. Aber vielleicht bin ich einfach nur versaut.

Okay, ich bin wieder auf der Spur, Rückblick. Ein Gespräch. Urig erzählt, die Figuren werden gekonnt gezeichnet. Die Gruppe kann man sich gut vorstellen (d.h. die beschriebenen Figuren - die überzählige Besetzung ist imho unnötig). Das Gespräch ist etwas voll mit Metaphysik, läuft aber noch rund. Was mich verwirrt hat, sind die Perspektivwechsel. Sie erfolgen zu früh, bevor die ersten Hinweise erfolgen, dass Hannes mehr ist als ein normaler (simulierter) Mensch ist und die Gedanken seiner Freunde lesen und beeinflussen kann. Das macht es alles sehr holprig.

Danach schließt die Enthüllung der wahren Realität an. Diese gestaltet sich interessant, die Beschreibung dieser Welt hat den Platz verdient, den sie beansprucht. Nur einen Punkt ist überflüssig: Ich mag die Idee, dass diese Weise für sie völlig fremde Eindrücke simulieren. Ein völlig anderes Farbspektrum. Der Absatz über die Eigenschaften der Simulation ist mir da etwas zu trocken. Das mit der Komplexität ist ein logisch sehr schlüssiges Argument. Als Leser möchte ich aber an der Stelle lieber mehr erfahren, wieso die virtuelle Realität so reizvoll für diese Wesen ist.

Kurz gesagt: Ich hätte gern ein gestraftes Gespräch und mehr über die Welt dieser Wesen erfahren, wie z.B. über die angesprochene Spielweltbehörde. Was sind deren Regeln für das Gott spielen in der Simulation?

Das Ende wirkt etwas angeklatscht… Ich wüsste da auch nichts, aber es reicht so nicht um meine Fantasie zum weiterspinnen anzuregen.

Ich hoffe, das schockiert dich jetzt nicht zu sehr. Das sollen bloß meine laut formulierten Gedanken beim Lesen sein. Dein Idealer Leser würde sicherlich anders denken, aber vielleicht kannst du etwas damit anfangen und es für andere flüssiger denn kryptisch gestalten. Würde sich lohnen.

Grüße,
M1Labbe

 

Hallo M1Labbe,

deine Kritik ist gut! Sie enthält Vorschläge, wo ich an der Geschichte arbeiten kann und sie gibt deinen Eindruck wieder. Genau so soll es sein.

Freundliche Grüße,

Berg

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Berg!

Deine Geschichte lässt mich einwenig unzufrieden zurück.

Zu altbacken sind die Vorstellungen des Charly. „Ich bin Empiriker! Ich glaube, was ich sehe.“
Wie zu Demonstrationszwecken wedelte er mit der Hand.“
Das würd ich als „naiven Realismus“ bezeichnen, eine Denkweise in der Erkenntnistheorie, die für mich heute nicht mehr zu halten ist.

Auch Hannes, der hier wohl die Metaphysik verteidigt, (Denken Sie etwa, auch nur ein Kieselstein könnte sich manifestieren, wenn es nicht die Idee gäbe, was ein Stein ist?“) argumentiert mit unhaltbaren Phrasen.

Ein Kieselstein kann keine manifestierte Idee sein, denn den Stein, den er meint, gibt es nicht. Sein Erscheinungsbild ist nur die Summe der Täuschungen, die das Gehirn erzeugt. In Wirklichkeit kann man ihn weder sehen noch berühren, noch seine Temperatur erfühlen, er macht auch kein Geräusch, wenn man ihn gegen eine Wand schmeißt. Größe, Gewicht und Härte sind nur in Relation zu anderen Dingen fassbar.

Also, in dieser Diskussion hätte ich mir etwas mehr Mut zu unverbrauchten Ansätzen gewünscht.

Rätselhaft sind für mich die Unterschiede zwischen den beiden Welten. In der Spielwelt herrscht Entropie, in der Welt des Panta'a scheint sie zu verharren. Somit kann seine Welt nur eine künstliche sein.
Ein weiteres Rätsel ist der Geruchssinn der Spielwelt-Avatare. Da in der Welt des Panta'a niemand über einen solchen Sinn verfügt, können sie ihn auch nicht in einer Spielwelt hervorbringen (programmieren).

Ich weiß nicht, wie ich das alles deuten soll. Für mich ist hier der Punkt erreicht, an dem ich die Geschichte nicht mehr so wirklich verstehe. Verkörperung, ja, aber wer schlüpft da in wen, Hannes in Panta'a oder umgekehrt, und warum?

Lieben Gruß

Asterix

NACHTRAG:
In der Spielwelt herrscht Entropie, …
Hier ist Entropie im Sinne der Informationstheorie gemeint.

Zur „Verkörperung“ will ich nun doch noch meine zweit Variante äußern und Hannes Gedanken, dass der Mensch mehr sein musste als die Käserinden auf seinem Teller, etwas mehr beachtung schenken.

Demnach werden hier Welten als Stellvertreter zweier Weltanschauungen „verkörpert“. Welche davon eine künstliche ist oder ob gar alle beide nur Simulationen sind ist unerheblich.
Bei dieser Variante fällt alles ab: Rätselhaft sind für mich die Unterschiede zwischen den beiden Welten … aus der Kritik heraus.

 

Hallo Asterix,

du schreibst:

Zu altbacken sind die Vorstellungen des Charly. „Ich bin Empiriker! Ich glaube, was ich sehe.“
Wie zu Demonstrationszwecken wedelte er mit der Hand.“ Das würd ich als „naiven Realismus“ bezeichnen, eine Denkweise in der Erkenntnistheorie, die für mich heute nicht mehr zu halten ist.

Auch Hannes, der hier wohl die Metaphysik verteidigt, (Denken Sie etwa, auch nur ein Kieselstein könnte sich manifestieren, wenn es nicht die Idee gäbe, was ein Stein ist?“) argumentiert mit unhaltbaren Phrasen.

Natürlich hast du recht: Hier habe ich als Autor nicht sauber genug gearbeitet. Das wirkt etwas primitiv. Da müssen Recherchen und Überlegungen rein, um diese Teile besser zu machen.

Hier allerdings muss ich widersprechen:

Ein Kieselstein kann keine manifestierte Idee sein, denn den Stein, den er meint, gibt es nicht.
Nach Platons Ideenlehre existiert die Idee "Stein" vor dem konkreten Stein, den ich in der Hand halten kann, wie ja auch in unserer Zivilisation Patente vor realen Gegenständen existieren und der Plan eines Hauses nötig ist, um es bauen zu können.

Die Gründe für die unterschiedliche Komplexität von Spielwelt und Panta'as Realität sind es, was ich selbst an diesem Text interessant fand. Diese beiden Welten verkörpern zwei Weltanschauungen. Genau so war es gemeint!

Der etwas schludrige Autor verbeugt sich vor einem besonders klugen und ernsthaften Leser und verbleibt als sein ergebener

Berg

 
Zuletzt bearbeitet:

Der etwas schludrige Autor
Ja bitte, viel mehr Raum.
So Gedanken müssenmal entwickelt werden, ich kann denen so komprimiert nicht folgen.
Und wenn ich mir die Mühe machen, Gedanken nachzugehen, will ich vom Autor auch belohnt werden, mit einer Welt, in der ich mich umsehen kann.

Hier in der Geschichte fehlt mir auch die innere Logik. Da sind Wesen, deren Existenz es ihnen nicht mehr erlaubt, sich frei und leidenschaftlich zu verhalten, ihren Wünschen und Bestrebungen nachzugehen, weil das alles Ressourcen kostet (ist ja logisch), also erschaffen sie eine Simulation und die ist unsere Welt.
Und was tun sie in unserer Welt? Sie diskutieren über Philosophie. Bitte? Das könnten sie ja auch wirklich in ihrer eigenen Welt tun.

Lass dir das mal auf der Zunge zergehen: Ich sehne mich danach, mit meinem Leben etwas anzufangen. Ich habe die Möglichkeit, mich in jede nur denkbare Situation zu simulieren. Aber statt dass ich Terroristen auf dem Hindukusch erschieße oder in Aspen Ski fahre, simuliere ich mir lieber eine wahnsinnig detaillierte Schach-Simulation.

Also da fehlt die Lust des Autors am Geschriebenen, am Sehen. Das wird dann kurz gesagt: Die Welt ist ja so schön bunt! Und dann sagt auch jemand: Warum denkst du denn sowas, was das für Implikationen hat!
Aber der Autor hat ja gar kein Interesse an der Diskussion, da tauschen Leute Dinge aus, die der Autor schon kennt und von denen er erwartet, der Leser kenne sie auch, und dann geht's auch schon weiter.
Also wenn man eine Diskussion haben möchte, dann muss man das schreiben, du hast hier in dem Text nur die Illusion einer Diskussion und das ist bisschen unbefriedigend.

Als Autor tut man es gut daran, die eigenen Ideen wertzuschätzen und sie auf der Länge auszufürhren, die sie verdienen.
Und möglichst dann nur Ideen in einen Text, die auch zusammengehören.
Hier in der Geschichte haben wir einmal die Diskussion, die spannend sein könnte, aber nicht ausgeführt wird. Und dann die Meta-Ebene einer erstarrten Welt, einer Welt, die so perfekt ist, dass sie keine Leidenschaft mehr erlaubt (weil das Ressourcenverschwendung wäre).

Das ist ja eine der Frage zu Gott. Wenn Gott perfekt ist, über was denkt er denn dann nach, über was streitet er sich mit wem? Ist es nicht furchtbar langweilig Gott zu sein?
In der Bibel hat man dann die Antwort: Er hat den Teufel. Er streitet sich mit dem Teufel um den armen Hiob - aber die ganze Hiob-Geschichte fällt auch aus der Bibel stark raus.

Bitte mehr Mühe darauf verwenden, die Ideen und Fragen, die so eine Geschichte unbedingt benötigt, zu verkleiden und ansehnlich zu machen. Mehr Text pro Idee! Fast allen anderen Texten müsste man das Gegenteil empfehlen.
Hier wirklich: Länger verweilen oder ganz streichen. Entweder eine Diskussion über Philosophie oder keine, aber nicht nur die Illusion, den Abklatsch einer. Das ist unbefriedigend.

Gruß
Quinn

 

Noch vor Matrix gab es Die Fermate - siehe Nicholson Baker: Die Fermate. Bakers Prot konnte auch die Zeit anhalten und die in ihren Bewegungen erstarrten Menschen genauer zu studieren, vulgo: sie zu befummeln. :D

Dein Held dagegen sorgt sich um nichts weniger als um den Sinn des Lebens. Eine Frage, die wahrscheinlich ausschließlich Menschen sich stellen. Um ihre Sonderrolle im Universum zu unterstreichen? Als ob das Leben einen Sinn haben müsse! Oder ob der Stein ohne den Menschen nicht existieren könnte. Dabei weiß jeder, dass auch eine Bergziege den Stein kennt, wahrscheinlich ohne dass sie einen Namen dafür hat.

Aber der Mensch gab ihm den Namen. Weil: Am Anfang war das Wort. In der Tat: Wir können nur über Dinge denken und reden, die wir auch benennen können. Oder zumindest umschrieben. Aber dieser Text will mehr. Er will eine Lanze für Intelligent Design brechen. Daher redet er davon, dass jemand einen Plan entwerfen müsste, anders sei die Konstruktion des Steins nicht erklärbar. Für einfache Gemüter nicht erklärbar, möchte ich zufügen. Oder für Leute, die ihren Glauben einen wissenschaftlichen Anstrich geben wollen. Dabei kann Glaube per definitionem nur geglaubt, nicht erklärt werden.

Aber Hannes will es trotzdem wissen. Als seine Gegenspieler treten Personen auf, die sich praktisch nur an der Oberfläche bewegen: „Ich glaube, was ich sehe.“ Besonders wurmt es ihn, dass Buddha und Wiedergeburt keinen Anstoß erregen, sein Gott dagegen schon. Er vergisst zu sagen, woher das kommt: Vom Absolutheitsanspruch seines Gottes. Ein Mensch, der sich alles Wissen selbst erarbeitet hat, kann an einen Gott, der alles erdacht und sich selbst aus Nichts geschaffen hat, nicht glauben. Dies vor allem, wenn dieser Gott ihm dabei immer im Wege war, ihn Jahrhunderte daran gehindert hat, mehr zu wissen als dieser Gott in seinen Schriften hinterließ.

Dieser Text, Berg, ist ein netter Versuch, deinen Glauben an den Mann zu bringen. Mehr nicht. Okay, das Bild von Guillotine als Gurkenschneidemaschine aus dem Teleshopping-Programm, das hat was. Auch Sex mit Rasenmähen zu vergleichen – darauf muss einer erst kommen. Aber alles zusammen genommen ist das ein schöner, wenn auch nur angedeuteter Matrixverschnitt. Bei etwas mehr Mühe und unter Zuhilfenahme von Kritiken, die etwas tiefer schürften (z.B. von Slavoj Zizek Die zwei Seiten der Perversion), könnte daraus noch was werden. ;)

 

Ach was, Matrix hin oder her, diese Geschichte finde ich viel interessanter als den Wachowskis ihre Anime-Blade-Runner-Fan-Fiction, denn hier gibt es echte Philosophie zu bestaunen.

Kurze Idee: Panta'a sieht wie das Android-Logo-Männchen aus. Absicht?

Jedenfalls eine gute Geschichte, die ich eigentlich noch mal lesen müsste, um sie richtig würdigen zu können.

Grüße
Naut

 

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