Verirrt
Peep, peeep, peeeep!
Schlaftrunken rieb sich Captian Decides die Augen. Wer wagte es ihn in seiner Ruhephase zu stören?
Peep. Peeep, peeep!
„Jaja, schon gut. Ich habe es gehört!“ Er schlug seine Decke zurück und setzte sich mit einem Ruck auf.
„Nur Sprechfunk, keine Bildübertragung!“, ordnete er mürrisch an. Wehe es ist nicht irgendwas wirklich wichtiges, dachte er ungehalten. Derjenige würde sofort zur Außenreinigung der Archimedes verdonnert. Und das in einer Umlaufbahn eines glühenden Gasriesen war mit Sicherheit weit weniger spaßig, als es sich anhört.
„Captain Decides?“ Oh nein, der schon wieder! Decides verdrehte die Augen. Der neue Lieutenant Baltimore war der Übeltäter der ihn, kaum eingeschlafen, geweckt hatte.
„Ja. Lieutenant Baltimore“ antwortete Decides mit der freundlichsten Stimme, welche er nach knapp 2 Stunden Schlaf zu Stande brachte.
„Sir, wir sinken.“ Decides dachte sich verhört zu haben.
„ Waas?“ wollte er ungläubig wissen.
„Wir sinken, Captain“, erwiderte der Neuzugang ruhig.
Mit einem Satz war Decides auf den Beinen.
„Wie konnte dass den passieren?“ Hektisch zerrte sich Decides den Schlafanzug vom Leib.
„Nun, ich weiß es nicht, Sir.“
Decides strauchelte über die halb abgestreifte Hose und fiel der Länge nach hin. Wütend zeriss er die Stolperfalle und kroch verstört auf allen Vieren zum Kleiderschrank.
„Und was gedenken Sie dagegen zu tun, Lieutenant Baltimore?“ Decides richtete sich auf und nahm seine Uniform vom Kleiderbügel.
„Sir, das wollte ich von Ihnen wissen, Sir.“ Mit ungelenken Verrenkungen zwängte sich Decides in seine Arbeitskleidung.
„Wie? Unser Akademieabsolvent mit Auszeichnung weiß nicht, was in solch einem Fall zu tun ist?“, spottete Decides und griff zu seinen Stiefeln. “Gibt es ausnahmsweise keine in Zement betonierte Vorgehensweise?“
„Nein Sir. Nicht das ich wüsste. Aber ich kann gern nachsehen, falls Sie das wünschen, Sir.“
„Warum überrascht mich das nicht?“, murmelte Decides und zog den rechten Stiefel über den linken Fuß. „Wo sind Sie Lieutenant?“
„Auf der Kommandobrücke, Sir“
Decides bemerkte seinen Fehler und wechselte kopfschüttelnd den Fuß.
„Wer ist diensthabender Wachoffizier?“
„Ich, Sir“, klang es selbstbewusst aus der Schiffskommunikationsanlage.
Decides erstarrte in der Bewegung. „Wo ist der Erste Offizier?“
„Betrunken, Sir“, fassungslos sah Decides auf den Lautsprecher an der Wand.
„Und der Zweite?“
„Ebenfalls betrunken, Sir“
Langsam stand Decides auf. „Wollen Sie damit andeuten, das während wir unsere Umlaufbahn verlassen und in den sicheren Tot stürzen, die gesamte Mannschaft besoffen ist?“
„Ja, Sir. Sturzbetrunken ist der passendere Ausdruck.“ Die Stimme des Lieutenant sprach dies so gelassen aus, als gäbe es neuerdings, anstatt Kaffee - Tee zum Frühstück.
Entschlossen nahm Decides den zweiten Stiefel und schlüpfte hinein.
„Lassen Sie das alberne Sir. Wann dringen wir in die Atmosphäre ein?“
„In fünfzehn Minuten, Sir!“, antwortete Baltimore emotionslos.
„War auch klar“, stöhne Decides und zog den Stiefel wieder aus, griff hinein und holte die Haarspange von Lieutenant Cathrin Decker heraus.
„Wie bitte Sir?“
„Wir sollten uns beeilen, das wir noch lebend rauskommen, Lieutenant.“ Erneut streifte er den Stiefel über, marschierte Richtung Tür und schnappte sich beim hinausgehen das tragbare Schiffskom.
„Meinen Sie, das wir es rechtzeitig schaffen, Sir?“
„Sir?“
„Ja, Baltimore“
„Sir, wenn mit die Frage gestattet ist, warum atmen Sie so schwer? Sind Sie krank?“
„Nein, Baltimore, ich renne.“, antwortete Decides keuchend.
„Wohin, Sir?“
Schnaufend bog Decides um eine Ecke. “Zu den Rettungsbooten. Das würde ich Ihnen auch empfehlen. Wenn wir in die Atmosphäre dieser Hölle eindringen, werden Sie hier drin geröstet wie eine Erdnuss.“
„Und die Mannschaft, Sir?“
„Meinetwegen, geben Sie Großalarm. Bei einem Schiffsuntergang ist jeder sich Selbst der Nächste.“ Im selben Moment heulte eine schrille Alarmsirene durch den Raumschiffskörper.
Decides rannte um eine weitere Ecke und wäre um ein Haar mit dem jungen Lieutenant zusammen geprallt.
„Hallo, Sir“ zackig stand Baltimore stramm und salutierte.
„Wo kommen Sie auf einmal her?“, verblüfft trat Decides ein Schritt zurück und starrte den Lieutnant an.
„Von der Brücke, Sir. Die ist gleich hinter dem Schott.“ Baltimore deutete mit dem Daumen über seine rechte Schulter.
„Mist!“, fluchte Decides. “Jetzt habe ich mich schon wieder verlaufen! Wir sollten farbige Markierungen auf den Boden malen lassen.“ Decides setzte sich wieder in Bewegung, diesmal in die entgegen gesetzte Richtung. Baltimore folgte ihm im lockeren Trab.
„Ich werde einen entsprechenden Befehl an den Wartungstrupp veranlassen, Sir.“
„Was?“, fragte Decides irritiert und bog nach rechts ab.
„Die Markierung, Sir. Wir müssen nach links, Sir.“
„Danke!“ Decides drehte auf dem Absatz um und lief zurück. „Welche Markierung?“
„Jetzt rechts, Sir. Ihr Vorschlag zur Orientierung, Sir.“
„Wenn ich es mir genau überlege, sollte jemand die Brücke halten.“, brummte Decides säuerlich.
„Was meinen Sie damit, Sir? Jetzt wieder links.“
„Dort ist doch die Kombüse!“ rief Decides verärgert und blieb wieder stehen. Für ihn sahen alle Gänge auf dem neuen Forschungsraumschiff gleich aus.
„Nein Sir, ich bedaure, aber die Kombüse ist ein Stockwerk tiefer, neben dem Vorratsdepot.“
„Wenn die Kombüse unter uns ist, wo ist dann die Waffenklammer?“ Decides trabte wieder an, direkt auf die sich öffnete Tür des Lifts.
„Warum, Sir? Erwarten sie heftige Schusswechsel im Lift, Sir?“ Verständnislosigkeit spiegelte sich auf Baltimores Gesichtszügen wider. Oder auch die unreife Naivität eines Frischlings beim Anblick eines heran stürzenden Berglöwen, schoss es Decides durch den Kopf.
„Nein“, erwiderte Decides gedehnt, “Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich mit gewissen Besatzungsmitgliedern in einem Rettungsboot sitzen möchte!“
Die Tür öffnete sich wieder.
„Wir sind da, Sir.“ Langsam trat Decides auf den Gang hinaus.
„Wo sind die Rettungsboote, Baltimore!“, fragte Decides entsetzt.
„Mir scheint, das sie weg sind, Sir!“
„Das sehe ich auch!“, brüllte Decides. „ Sie sagten doch, das die Mannschaft betrunken ist!“
Baltimore zucke bedauernd mit den Achseln. „Da habe ich mich wohl geirrt, Sir. Warum drücken Sie mir die Kehle zu Si-sir?“
„Weil ich dich jetzt erwürge. Auch wenn es das Letzte ist was ich mache! Wenn ich schon zum Teufel geschickt werde, dann gehst du voran! Vielleicht schickt man mich wegen Überfüllung der Hölle durch dich wieder zurück.“