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Vergiss den Tod!
„Wo bin ich?“
Langsam kommt Magnus zu sich und erblickt eine neue Welt. Benommen rollt er über den Boden und stemmt sich allmählich auf die Beine. Er fühlt sie nur wenig, als wären sie Pudding. Nur schwer gelingt es ihm einen Fuß vor den Anderen zu setzen.
„Ich bin unversehrt. Aber, wie kann das sein? Wo ist dieses Monster auf einmal? Ist das hier ein weiterer Traum oder die Realität?“
Er bemerkt, dass die Verletzung, die er in seinem vorherigen Traum davon getragen hat, sich in Luft auflöst. Langsam, einen Schritt nach dem Anderen taumelt Magnus unter dem hellen Schein der Sonne durch die Leere.
Als wären es Stunden gewesen, lässt er sich erschöpft auf den heißen Boden sinken und sucht nach einer nahen Rast, am besten einem Gewässer. Hin und her wandert sein Blick und schaut dennoch nur ins Leere. Nichts zu sehen weit und breit. Kein Haus, kein Wasser, schlicht keine Zivilisation. Einzig und allein der blaue, wolkenlose Himmel über ihm und der heiße, asphaltierte Boden unter seinen Füßen. Doch am Horizont scheint ein Hoffnungsschimmer. In dieser verlassenen Gegend entdeckt er schließlich doch noch etwas, dass ihn retten könnte.
„Wasser! Gott sei Dank.“
Magnus leckt seine vor Hitze und Trockenheit aufgesprungenen Lippen und kriecht auf allen Vieren über den langsam weich werdenden Boden.
„Nicht mehr weit. Komm schon, nur noch drei Meter! Du schaffst das und dann suchst du einen Weg nach Hause!“
Noch vor wenigen Minuten kurz vor der Verzweiflung erreicht er seinen persönlichen Rettungsring. Am Ziel angekommen, dreht er sich lachend auf den Rücken und stemmt sich mit einem Schwung auf die Beine.
„Keine Ahnung, wie hier ein Kaktus wachsen kann, aber mir soll es recht sein, nach allem, was ich im letzten Traum durchgemacht habe.“
Voller Vorfreude reibt er sich die Hände und will den Kaktus berühren. Immer und immer näher, dass seine Nadeln ihn schon beim nächsten Millimeter stechen würden, ist er im Begriff den Kaktus zu packen. Mit einem Mal packt er zu, doch seine Hand gleitet einfach durch ihn hindurch.
Er fällt auf den Boden und der Kaktus verschwindet vor seinen Augen im Nichts.
„Was soll das hier? Was habe ich verbrochen, dass ich immer wieder in solchen Situationen lande?“, schreit er wutentbrannt dem Himmel entgegen. Niedergeschlagen legt Magnus sich auf den Boden und schließt die Augen.
„Das ist alles nicht echt. Nicht echt. Du hast wieder nur einen Traum und wirst hoffentlich endlich aufwachen und deine Schwester wieder in die Arme schließen können. Du hast sie gerettet. Das Auto kam nicht mal in ihre Nähe. Du liegst zu Hause in deinem Bett. Alles was in den letzten Stunden passiert ist, war nichts als ein Hirngespinst. Ausgelöst durch diesen dummen Streit, der Cynthia beinahe das Leben gekostet hätte“, flüstert er immer wieder vor sich hin und wird bei jedem Mal etwas trostloser.
„Verdammt, ich wache einfach nicht auf. Wenn ich wenigstens wüsste, wie ich das hier für mich beeinflussen könnte.“
Magnus gibt immer mehr die Hoffnung auf, etwas zu erfahren und entschließt sich, einfach liegenzubleiben.
„Das wird mir mal guttun, einfach liegen bleiben und den Dingen ihren Lauf lassen, bis ich schließlich aufwache. Das ist schließlich alles nur ein Traum!“
„Ein Traum?“, unterbricht eine raue Stimme die Einsamkeit der Gedanken von Magnus. Mit aufgerissenen Augen dreht er sich auf den Bauch und sucht nach der Herkunft der unbekannten Stimme.
„Hallo! Ist da wer? Wo sind Sie?“, fragt er panisch in die immer noch einsame Leere. Niedergeschlagen lässt er seinen Kopf auf die Hände fallen.
„Jetzt hast du es geschafft, Magnus. Die Paranoia durch die Wahrträume hat dein Leben übernommen. Stimmen hören. Wie tief sind ich und mein gesunder Verstand gesunken?“
„Also, wenn du mich fragst noch nicht weit genug, wenn du denkst, du bildest dir das hier nur ein“, raunt ihm dieselbe Stimme nun direkt ins Ohr.
Er schreckt auf und sieht einen Mann neben sich stehen. Furchtsam rollt er zur Seite und richtet sich sachte auf. In Verteidigungshaltung steht er nun vor ihm und stottert:
„Wer bist du? Wo bin ich? Was hat das hier alles zu bedeuten?“
Mit jeder seiner Fragen wird er immer verzweifelter und schaut sein älteres Gegenüber flehend an.
Es ist, als wäre er schon lange tot. Die Gesichtszüge eingefallen, wie die einer Leiche, die kurz vor der Verwesung steht und der restliche Körper klapprig, wie ein wandelndes Skelett. Der Alte lächelt und erklärt, dass er ruhig bleiben kann. Mit einer Handbewegung, die durch sein langes Gewand nur zu deuten ist, verwandelt der Mann die Leere in ein riesiges Spektakel für Auge und Seele. Zusammen finden sie sich in einem reich geschmückten Raum wieder.
Bei diesem Anblick fühlt Magnus eher Geborgenheit. Riesige Bücherregale und goldbeschlagene Schränke, Tische und Fenster, soweit das Auge reicht. Ein wahrer Palast für das ungeübte Auge.
„Das ist schon angenehmer als die olle Straße, oder?", fragt der Alte freudestrahlend, „Komm setzt dich!"
Mit einem Mal tauchen mitten im Raum zwei altmodische, braune Ledersessel auf. Ohne weiter nachzudenken, lässt sich Marco in einen davon fallen. So bequem wie der zu Hause. Das wohlgeformte Leder schmiegt sich langsam an seinen Körper an und lässt ihn förmlich darin versinken.
„Möchtest du auch einen?", fragt der Mann und deutet auf den Whiskey, den er gerade eben einschenkt. In seinen Bann gezogen fixiert Magnus den Quaich und ist in Versuchung einen zu nehmen.
„Ich nehme dann doch lieber ein Wasser. Über das da, können wir später reden", sagt er schlussendlich. Der Mann lacht und setzt sich ihm gegenüber.
Ein Glas Wasser steht, wie durch Zauberhand, auf dem wohlgeformten Beistelltisch aus Elfenbein, der neben dem Sessel von Magnus steht. Überwältigt von dem bloßen Anblick einer so selbstverständlichen Sache, greift er das Literglas und kippt es mit einem Mal hinter die Kiemen. Das ganze Glas leer getrunken, wischt er sich den Mund ab und stellt es wieder an seinen Platz.
„Also, wo sind wir hier?“
Der Alte kippt seinen Drink mit einem Schlag hinunter und lacht.
„Kommst gleich zum Punkt. Das gefällt mir. So war ich auch, in deinem Alter." An den Seitenlehnen seines Sessels stemmt der Alte sich nach oben und deutet an, dass Magnus ihm folgen soll. Auf einmal sind sie auf eine Art Balkon und Magnus erblickt eine Welt, wie in den kühnsten Träumen von Weltenschöpfern, wie Lucas. Wohin das Auge auch reicht, sieht Magnus eine Geschichte nach der Anderen. Der ganze Himmel ist mit ihnen ausgeschmückt.
Von diesem Balkon aus sieht er die Armee von Alexander dem Großen, wie sie gegen Großkönig Dareios in den Kampf ziehen. Direkt daneben dröhnt die Stimme von Roosevelts Quarantäne-Rede. Völlig perplex fragt er:
„Also was ist das Alles hier?“ Der Alte legt seine Hand auf die Schulter von Magnus und reist seinen rechten Arm präsentierend zur Seite.
„Das ist das Land hinter dem Leben und ich bin der Hüter von den Erinnerungen jedes Einzelnen, der sich hier befindet.“
Der Alte schaut sein Gegenüber freudestrahlend in die fragenden Augen. In dem Blick von Magnus erkennt er, dass er immer noch keine Ahnung hat, was das alles zu bedeuten hat. Der Hüter bittet ihn wieder hereinzukommen und lässt sich in seinen Sessel sinken, um zu erklärten:
„Das hier ist eine Stätte für wandernde Seelen.“
„Ich verstehe nicht ganz“, erwidert Magnus, der vor dem Sessel sitzt. Der Alte überlegt, wie er es seinem neuen Schützling auf die behutsamste Art erklären könne.
„Das hier ist ein Ort, an dem die Toten ihre Erinnerungen behalten und weiterleben können.“
„Wie, Tote? Warum bin ich dann hier und sehe diese Erinnerungen?“, fragt Magnus, obwohl er in seinem Innersten die Antwort auf seine Frage zu kennen scheint. Der Alte geht auf ihn zu und nimmt ihn an der Hand, nach draußen. Mit seinem Zeigefinger deutet er auf einen hell aufleuchtenden Stern, der mit seinem Licht noch viele Nachthimmel zu erleuchten vermag.
„Schau nach da oben!“, deutet der Alte mit dem Finger. Perplex folgt Magnus der Anweisung des Hüters und sieht eine Szene aus seinem Leben in dem Stern. Beim Anblick der Szene wird ihm ganz übel. Seine Augen füllen sich mit Tränen und er sackt in sich zusammen.
„Das kann nicht sein. Das ist unmöglich!“, wimmert er zu den Füßen des Alten. Mitfühlend setzt er sich neben Magnus und zieht ihn zu sich heran. Seine Tränen befeuchten das Gewand des Hüters immer mehr, bis es komplett durchnässt ist.
„Du hast deine Schwester vor dem sicheren Tod bewahrt, aber konntest selber nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Du bist als Held gestorben und wirst jedem so in Erinnerung bleiben und wirst hier und in ihren Herzen immer weiter leben. Vergiss den Tod einfach!“