Vergessenheit
Ich habe gerade festgestellt, dass es im Bereich Fantasy eine Geschichte gibt, deren Anfang sehr ähnlich klingt, wie der meines Machwerks. Ich hoffe mal, man glaubt mir, dass ich diese Geschichte nicht gelesen hatte, bevor ich mich ans Schreiben gemacht habe
Wie auch immer: Hier die Geschichte. Könnt euch selbst euren Reim drauf machen...
Vergessenheit
Der Regen prasselt auch mich herab. Er durchdringt meinen Mantel und lässt mich zittern. Kalt läuft er meine Wangen herunter. Mein dunkles Haar klebt klamm am Kopf. Die Straße ist aufgeweicht vom Wasser, braun und matschig, und immer wieder stolpere ich über Ranken, die über den schmalen Weg wachsen. Spitze Dornen haben sie, die Ranken. Sie schneiden meine Haut auf, ich blute an den Knöcheln.
Ich friere erbärmlich, einsam und allein hier draußen im Wald. Um mich herum ist alles schwarz, außer dem Regen rührt sich nichts. Nicht einmal die Tiere wagen sich aus ihren Höhlen. Nur ich setze beständig, wenn auch taumelnd einen bloßen Fuß vor den anderen. Hinter jeder Wegbiegung hoffe ich auf die Lichter des Dorfs. Doch hinter jeder liegt nur eine weitere Kurve, ein steiler Anstieg oder ein wucherndes Gestrüpp.
Ich beginne zu phantasieren. Ich sehe Lichter im Regen und die Schatten greifen nach mir. Ich bleibe mit dem zerschlissenen Mantel an einem Zweig hängen, der in den Weg ragt. Ich zerre daran und fluche. Ein Stück des Mantels bleibt an dem Zweig hängen. Ich erinnere mich nicht mehr daran, dass ich verfolgt werde und stolpere weiter, ohne den Fetzen mitzunehmen.
Der Weg führt jetzt wieder nach unten, hinein in die Dunkelheit. Ich trete auf etwas Glitschiges und verliere den Halt. Ein erstickter Schrei entweicht meiner Kehle und ich falle. Ich rolle den Hang hinab, verliere die Orientierung, und ächze geschunden, als ein entwurzelter Baum meinen Abstieg beendet. Mein Kopf schmerzt, und das Wasser auf meiner Stirn mischt sich mit warmem Blut. Ich will aufstehen, doch mein Bein ist gebrochen. Ich kann nichts sehen, aber ich spüre, dass ich in einer Pfütze liege.
Was hat dich hierher getrieben? Ich frage es mich immer wieder, doch ich habe die Antwort vergessen. Die Nacht scheint ewig zu dauern und nichts kündigt den Morgen an. Der Regen lässt jetzt nach. Ich merke es nicht. Ich habe auch den Regen vergessen, nehme ihn nicht mehr war. Plötzlich bemerke ich, dass es still geworden ist. Völlig still. Der Regen ist verschwunden, doch alles ist feucht um mich herum. Es ist immer noch dunkel. Nur noch wenig Wasser tropft von den Bäumen herab und weicht den Waldboden auf.
Ich muss zurück zur Straße, denke ich und stütze mich auf die Hände. Mein Bein schmerzt und ich kann nicht aufstehen. Dann finde ich einen langen Ast mit einer Gabelung. Ich klemme ihn mir unter den Arm und benutze ihn als Krücke. Ich stöhne vor Schmerz als ich mich aufrichte und beiße mir auf die Zunge. Blut strömt nun auch in meinen Mund. Es schmeckt süßlich und ist warm.
Schemenhaft erkenne ich die Bäume um mich herum und will meinen Weg fortsetzen. Dann höre ich die Stimme. Wie ein Glockenspiel klingt sie in meinen Ohren. Die Stimme ist aus Silber und Gold, aus Schneeflocken und Frühjahrswind. Melodisch und zauberhaft klingt sie in meinen Ohren, doch ich kann nicht verstehen, was sie sagt. Vielleicht spricht sie in einer fremden Sprache, vielleicht sind auch meine Ohren schon blutig und verzerren den Klang der Stimme. Ich weiß es nicht, ich habe es vergessen.
Ich will wissen wo die Stimme ist, ich will zu dem Wesen, dem diese Stimme gehört, doch ich kann die Richtung nicht bestimmen. Ich taumle ziellos durch den Wald, mein Bein tut immer noch weh. Bald höre ich die Stimme nicht mehr. Sie ist verschwunden und ich bin wieder allein. Ich atme erleichtert auf, und wundere mich gleichzeitig darüber.
Mein Weg führt mich tiefer in den Wald, oder in Richtung seines Randes. Ich weiß es nicht. Ich habe mich verlaufen, weiß nicht woher ich gekommen bin und weiß nicht wohin ich gehe. Die Nacht dauert an und ich vergesse immer mehr. Ich vergesse die Stimme und den Schmerz, die Kälte und die Dunkelheit, und schließlich vergesse ich den Wald und mich selbst.
Ich werfe die Krücke zur Seite und gehe weiter. Ich weiß nichts mehr von meinen Wunden, nichts von der Nacht und nichts von meinem Ziel. Warum bin ich aufgebrochen? Woher komme ich? Ich kenne die Antworten nicht. Ich werde nachdenklich und setze mich auf den Waldboden. Mein Bein kracht laut, als ich mich hinsetze, und der Knochen durchbricht am Schienbein die Haut und steht heraus. Ich vergesse zu stöhnen und ohnmächtig zu werden.
Ich habe vergessen, weil ich in Vergessenheit geraten bin, vergessen worden bin. Der Klang des Wortes liegt bitter auf meiner Zunge, es ist ein hässliches Wort, hart und klanglos, und ich versuche mich an eine Sprache zu erinnern, in der es angenehm klingt – vergessen.
Wortspiele kommen mir in den Sinn. Sinnlose Spielereien der Sprache. Ich vergesse, ich vergaß, vergaste. Alles ist vergessen und vergeben. Ironie kocht in mir hoch, brodelt wie heißes Wasser und ich muss lachen, ich weiß nicht warum, denn auch das habe ich vergessen. Es ist noch immer still. Die Welt schwindet um mich herum. Dann blicke ich nach oben und schließe die Augen und vergesse zu leben.
[Beitrag editiert von: Talwyn am 26.03.2002 um 00:22]