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Vergänglichkeit

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08.08.2002
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Vergänglichkeit

Eva sitzt gemütlich im dämmrigen Zimmer. Vor sich hat sie die Tastatur, welche ihr ermöglicht, die Gedanken überzuleiten zu einem Bild aus Buchstaben, aus Worten. Der Kaffee ist ohnehin noch ein wenig heiß und sie schiebt die Tasse zurück. Sie denkt nach in der Behaglichkeit des stillen Zimmers, über das Wort das sich ihr in einem Gespräch genähert hat. Sie hatte damals den Pinsel genommen und die Farben von der Palette genommen und auf der Leinwand verteilt. Viele Gedanken sind ihr dabei durch den Kopf gegangen und jetzt hat sie den Wunsch sie auch niederzuschreiben. Die Finger gleiten über die Tasten, ein Wort entsteht: Vergänglichkeit ....

Sie schreibt, wir sind voll Energie und von Lebensfreude erfüllt, unverändert nach den vielen Jahren und dennoch gibt es Momente in denen wir spüren, dass die Kraft anders geworden ist. Sie verteilt sich neu in unserem Körper, in unserem Geist, verlagert den Schwerpunkt dorthin wo Kraft für Ausdauer und Durchhalten oder aber für neue Aufbrüche benötigt wird.

Wir blicken aus unseren Augen, und sehen wir nicht wie vor Jahren mit dem gleichen Interesse, mit der gleichen Intensität aus ihnen hinaus in eine Welt voll Wunder und Farben? Aber seit geraumer Zeit doch auch im Bewusstsein, dass es ebendort auch Einsamkeiten und Traurigkeit gibt? Lebensfreude und schöne Erlebnisse haben uns wärmer, Schicksalschläge und Bitterkeit kälter werden lassen. Der Blick wird frei auf die Vergänglichkeit dessen was ist.

Es gibt Zeiten da treiben wir geschützt in einem kleinen Boot über stille Wasser. Das Leben ist dann leicht und luftig, ohne Gedanken an Unzulänglichkeiten gibt es uns, was immer wir brauchen. Alles erscheint unbegrenzt und lässt die Sehnsucht nach Unendlichkeit und Ewigkeit in uns erwachen, lässt uns maßlos den Anspruch an das Leben stellen und die Leidenschaften werden bedingungslos eingefordert und gelebt. Dies sind Momente, Augenblicke des Glücklichseins, der Zärtlichkeit und des besinnungslosen Wahnsinns, hervorgerufen durch Liebe und Gefühlsausbruch. Doch das Leben lehrt uns, dass sie nicht ewig währen, jene Momente.

Denn immer sind wir auch gezwungen, Ausgleich zuzulassen. Letztlich werden wir wieder in unsere Schranken gewiesen durch Dinge die nicht vorhersehbar sind. Manchmal haben sie sich angekündigt um dann ausharrend, ignoriert von uns, abzuwarten. Sie haben Raum genommen im Laufe der Zeit um dann die wunderbaren Momente des Angekommenseins wieder der Vergänglichkeit zuzuführen.

Die anfangs noch ausschließlich lebhaften, frischen Farben ändern sich, werden erdverbundener. Die Leichtigkeit des hellen, grünen Blattes wird durch Regen und den ersten Frost zur Schwere der Last gezwungen. Der Mensch entwickelt in diesem Kreislauf der Natur eine wunderbare Strategie. Gleich schweren rubinroten Samtvorhängen legt er das Vergessen über jene Dinge, derer er sich nicht mehr erinnern will und lässt dort einsehbare Zwischenräume offen, wo er hinsehen möchte, erhalten will – nicht zerstören, sondern Augenblicke beschützen möchte vor dem Verlust der Illusion.

Einem Raster gleich schaut der Mensch nun zurück auf sein Dasein, hebt bebend in der Erinnerung die Dinge heraus, die er nicht vergessen möchte. Das was Schmerz und Schuld, vielleicht sogar Hass und Verrat bedeuten würde, das gibt er dann gerne preis – der Vergänglichkeit.

Und dann, irgendwann, merkt er, dass er sich etwas vorgemacht hat, versucht hat, es sich unbewusst leicht zu machen. Aber er hat sich dadurch nur selbst ausgetrickst, nicht gelernt die Wahrheit zu sehen, sie anzuerkennen in ihrer ganzen Tragweite. Irgendwann holt einen der Augenblick ein, in dem wir hinsehen müssen auf alles, die dichten und schweren Vorhänge werden zur Seite gezogen um das ganze Bild zu erkennen, in seiner ganzen Ausdehnung, nicht nur ausschnittsweise, und zu akzeptieren was da war und ist.

Das hat viel aufgewirbelten Staub zu Folge, aber der setzt sich wieder, und die Aussicht wird klar und das Licht dringt endlich von außen herein in den Raum. Und wir nehmen die Möglichkeit wahr, den Blick einmal von außen auch nach innen zu wenden, die Perspektive zu wechseln. Und so trägt uns Erkenntnis um Erkenntnis unseren Weg weiter bis wir eines Tages die Brücke überschreiten werden und den Begriff Vergänglichkeit vielleicht völlig neu erfahren dürfen.

Eva lehnt sich zurück, nimmt einen Schluck aus der Kaffeetasse. Ein schaler Geschmack macht sich breit in ihrem Mund. Der Kaffee ist kaum noch lauwarm und hat eine graubraune Farbe angenommen. Sie grübelt noch ein wenig nach über die Vergänglichkeit dieser Gedanken, die in Wochen oder Jahren vielleicht von ihr selbst längst wieder in Frage gestellt sind.

Dann liest sie den Text noch zwei- dreimal durch, bessert hier und da Kleinigkeiten aus, übersieht andere, und lässt ihren Mauszeiger die Taste „veröffentlichen“ niederdrücken.

 

Hallo schnee.eule,

am liebsten würde ich immer „geschützt in einem kleinen Boot, über stille Wasser“ durch`s Leben fahren. (Obwohl, stille Wasser gründen tief). Die Sortier- Mechanismen, die uns das leben erträglicher nach einem Sturm machen, hast Du in eine ansprechende, ruhige Story verpackt. Da kommt halt auch wieder die Frage auf: Wie viel Verdrängen ist nötig, ab wann ist es Ignoranz?
Gerne hätte ich das Bild gesehen, welches am Anfang erwähnt wird.
Apropos Bild: Es klingt so, als ob sich auch die „Farbpalette“ „auf der Leinwand verteilt“ (wegen dem „und“).
„blicken aus unseren Augen“ ich denke, es muß `mit´ heißen. Einmal hast Du einen ganzen Absatz als Satz: „Denn immer sind wir auch gezwungen ...“ vielleicht willst Du da einen Punkt einfügen, damit der Wolto nicht den Faden verliert.

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Lieber Woltochinon!

Danke für deine Hinweise, meine Gedankenschlangen sind manchmal wirklich unendlich. Auch die Palette wollte ich tatsächlich nicht im Ganzen gegen die Leinwand werfen. Jedoch, der Blick aus den Augen - das ist vielleicht grammatikalisch unrichtig, aber entspricht meinem Empfinden des Rausschauens.

Die stillen Bootsfahrten sind wertvolle Zeiten. Die Tiefe, die vielleicht die Leidenschaft und das bisserl Wahnsinn darstellen würde, können diese Zeit bereichern, sofern es zu keinem Kentern kommt und man in Gefahr gerät zu ertrinken.

Der Wunsch aus allem Gutes herauszuholen kann blind für Zusammenhänge machen. Alles wiederholt sich bis man endlich einmal aufmerksam hinsieht und auch die Schmerzen annimmt. Insofern ist es vielleicht wirklich Ignoranz der eigenen Verletzbarkeit, wenn man zu vieles verdrängt.

Lieben Gruß an dich - Eva

 
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Liebe Eva!

Ich glaube, wir müssen uns noch öfter treffen und uns unterhalten - zum Beispiel über dieses Thema... :) Denn ich finde Deine Gedanken sehr gut und Du hast es auch geschafft, sie als Geschichte zu verpacken, die sich gut liest. :thumbsup:

Du weißt schon, was jetzt kommt... ;)

Irgendwann holt einem der Augenblick ein
holt einen der Augenblick ein
in dem wir hinsehen müssen, auf alles, die dichten und schweren
Hier würde ich den Satz teilen und evtl. den Beistrich nach müssen wegnehmen.
sind wir auch gezwungen Ausgleich zuzulassen
Beistrich nach gezwungen
einmal vom außen auch nach innen zu wenden
von außen

Zum Kritikpunkt von Woltochinon:

und die Farben von der Palette genommen und auf der Leinwand verteilt.
fällt mir diese Formulierung ein, vielleicht gefällt sie Dir ja: und ließ die Farben von der Palette auf die Leinwand gleiten.

Alles liebe
Susi

 

Hallo schnee.eule,

Deine „Gedankenschlangen sind manchmal unendlich“ und deshalb interessant. Ein schönes Bild: Überall hin mit dem Boot fahren, ohne zu kentern. Mancher will aber auch duschen, ohne naß zu werden.

Tschüß... Siegbert

 

Servus Häferl!

Es freut mich, wenn wir Gedanken austauschen können, Themen finden die Kommunikation ermöglichen. Ein Erweitern der Pespektiven, durch Hinterfragen und Abwägen der Wertigkeiten, wunderbar. Und ich werde es mir zu Herzen nehmen und auch mal auf die Fehlerquellen eingehen.

Lieben Gruß an dich - Eva

Lieber Woltochinon!

Dein Duschvergleich hat mir ein herzliches Schmunzeln entlockt. Hoch lebe die Erfindung des Trockenschampoos.

Grüß dich - Eva

 

Hallo Eva,

dass der morgendliche Kaffeegenuss vergänglich ist, finde ich persönlich sehr schade...
Im Übrigen stimme ich mit deinen wirklich interessanten Gedankengängen überein. Ich überlege, ob ich die schmerzvollen Erfahrungen verdrängen will, wie du schreibst, obgleich sie doch auch dazu beigetragen haben, mich zu dem zu machen, der ich bin. Ich bin nicht sicher...

Manchmal verfluche ich diese Vergänglichkeit. Wenn ich z.B. an einem herrlichen Sommertag mit meiner Freundin an der Mosel sitze und wir miteinander kommunizieren, ohne zu sprechen, wünschte ich, ich könnte diesen Moment für immer festhalten. It's a pity.

Warum beginnst du eigentlich am Anfang mit Eva und später schreibst du Wir?

Eine formale Sache möchte ich noch kritisieren

dennoch gibt es Momente wo wir spüren,

Die Präposition "wo" ist leider falsch. Du kannst schreiben "in denen". Mit Komma vor in.

Alles Liebe:kuss:

Jan

 

Servus Peter Pan !

Das Kippen von Eva in Wir? Das passiert wenn man allgemein gedachte, philosophische Überlegungen in eine Geschichte einpackt wie in präsentatives Geschenkpapier.

Ja die Momente wo man im Glücklichsein auch wieder Schmerz empfindet. Augenblicke die man festhalten möchte, gehen leider meist schneller vorbei als jene die man hinter sich bringen möchte.

Dass die weniger guten Momente dein Leben mitbestimmt haben ist wohl richtig. Ich meine vor allem, dass das Hervorheben von Schönem in der Erinnerung das Bild verzerrt. Ich lerne was mich beglückt, werde aber nicht wachsam, erkenne nicht wo Verletzung entsteht, wo sie bereits ihren Anfang nimmt, unerkannt. Ich krieg es erst wieder mit, wenn bereits alles weh tut.

Ich wünsche dir und deiner Freundin noch unendliche Sonnentage in denen sich alle guten Geisterlein gegen sämtliche Uhrzeiger stemmen mögen.

Lieben Gruß an dich - Eva

 
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Hallo Eva,

ist es nicht so daß sobald sich der Vorhang vor den Bildern der Vergangenheit öffnet und alles Verdrängte zum Vorschein kommt, daß dann die See unruhig wird und das Boot zu kippen droht?
Kann man denn in diesem Boot sitzen wenn man den Vorhang nicht vorher vor dem Schmerz vergangener Bilder schließt?
"Den Ausgleich zu schaffen" hat mich nachdenklich gemacht. Doch sind die Dinge die nicht vorhersehbar sind nicht eher die, die wir selbst erzeugen.
Niemand sitzt lange in dem Boot ohne irgendwann auf die idee zu kommen einmal auszuprobieren wie weit man es kippen kann ohne ins Wasser zu fallen oder mal nachsehen zu wollen ob die See überall so ruhig ist.

Deine Geschichte bringt einem zum Nachdenken, man kann die Gedanken immer weiterführen, das finde ich sehr gut.

Bis denn

Micha

 
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Servus Micha!

Es freut mich, wenn ich dich zum Nachdenken anregen konnte. Ich kann nur von meinen Erfahrungen sprechen. Ich habe gedacht, in einem relativ ruhigen Boot zu sitzen. Zwar Angst vor der Tiefe des Wassers zu haben, aber wenn keiner schaukelt und nach hinten sieht auf den dunklen Himmel ...

RRRRatsch, der Vorhang ging auf. Das Boot begann sich zu bewegen. Das führte aber nicht zum Kentern, sondern ich nahm Fahrt auf. Ich habe mir die ganze Küste meines Lebens angesehen und bemerkt, ich habe immer die Prachtbauten angesehen, die Hinterhöfe wollte ich nicht wahrhaben. Das stimmt schon, das Betrachten des Elendsviertels schmerzt.
Und dann verlässt das Boot den Ententeich, der nur vermeintliches Zuhause war. Die Suche nach der Heimat der Schwäne beginnt.

Aber man kann auch im relativ sicheren Boot bleiben, den Vorhang wieder zuziehen und hoffen, dass keiner schaukelt oder die dunkle Wolke aufbricht.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Grüß dich, schnee.eule...

Du scheinst ein ausgeprägter Optimist zu sein. Das hat was für sich. Es nimmt einem die Angst vor der Zukunft. Und damit hat diese Einstellung ihre legitime Berechtigung.

Deine Schilderungen lesen sich sehr philosophisch, stellenweise gar lyrisch, aber auch sehr anspruchsvoll, was mitunter an deinen "Gedankenschlangen" liegen dürfte. Gefallen hat mir aber, dass du die Distanz zwischen Erzähler und Protagonist völlig aufgehoben hast. Das fand ich originell.

Eine Kleinigkeit fiel mir noch auf:

Das was Schmerz und Schuld, vielleicht sogar Hass und Verrat bedeuten würde, das gibt er dann gerne preis - der Vergänglichkeit.
Zwischen "Das" und "was" gehört ein Komma wegen des eingeschobenen Nebensatzes im Folgenden!

Gerade hier finde ich deine Verallgemeinerung des "Wir" (womit du ja andeutest, dass du nicht nur dich selbst damit meinst) am problematischsten: Was ist mit den ewigen Schwarzsehern? Die eher die guten Dinge der Vergänglichkeit preisgeben? Das sind doch auch "Menschen", nicht wahr? ;)

Ihre Sicht ist aber sicher genauso legitim, wie die des Optimisten. Nur die Polarität ist eben negativ.

Gruß
Philo-Ratte

 

Servus Philo-Ratte!

Persönlich denke ich zur Zeit, dass es wichtig ist, möglichst einen großen Bildausschnitt zu betrachten um Erkenntnisse für das Weiter sammeln zu können.

Nachdenklich macht mich, dass du meinst, das "wir" in meinem Text könnte bedeuten, dass in meinen Augen vielleicht nur jene eine Daseins-Berechtigung hätten die so denken wie ich.

Weißt du, die Welt ist soooo groß, die Menschen sooo vielschichtig, es wäre wohl die schlimmste Einschränkung meines Blickwinkels nur jene sehen zu wollen, die so fühlen wie ich. Wo könnte ich durch die Sichtweise anderer lernen, meine Ansicht bestärken oder ändern.

Ich kann aber in meinem Gedankenfluss nicht für diese Menschen denken - und da zeigt sich, dass du gar nicht so unrecht hast, wie ich erst dachte. Wenn ich beim Schreiben von mir ausgehe, kann ich nicht automatisch das Wort "wir" verwenden, sofern ich nicht als Sprecher einer Gruppe auftrete, was ich hier ja nicht tue. Also herzlichen Dank für deine Anmerkung, denn dass man im Gegenpol das Schöne ausspart um sich tiefer in die Traurigkeit und dem Schmerz zu ergeben, daran dachte ich tatsächlich nicht.

Aber vielleicht reißen die Schwarzmaler und die Weißdenker zusammen mal den Vorhang auf, und dann schauen "wir" alle zusammen auf ein gemeinsames, ganz buntes Lebensbild.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

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