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Mir ist schwindelig. Meine Kopfhaut fühlt sich an, als würde sich jedes einzelne Haar wie ein Speer in meinen Skalp bohren.
Ich schaffe es grade noch mich nach links zu beugen. In dicken Schüben ergießt sich ein Schwall aus Magensäure und viskosem Saft über meine Schulter auf die Holzpritsche.
Immer wieder flutet grelles Flackern die tiefschwarze Kammer mit Licht - gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag.
Wo bin ich? Was ist mit mir passiert?
Als ich mich erheben will, merke ich wie dünnes Leinengestrüpp meinen Unterarm abschnürt.
Ich bin gefesselt.
Mit Mühe versuche ich meinen Blick zu fixieren. Ich erkenne die Maserung in den Wänden. Sie erinnern mich an den Beschlag in der Hütte meiner Eltern.
„Sie werden dich töten“, zischt es in meinem Kopf.
Allmählich fange ich an mich zu erinnern.
Sie…
Sie wollten mich holen! Es trifft mich wie ein Schlag: Sie haben mich.
„Ganz recht Penalio, sie haben dich.“
Die Inquisition. Der Tempel und ihre Anhänger.
„Und du kennst die Geschichten. Du weißt, was sie mit dir machen werden.“
Erbarme dich Allmächtiger…
„Die Inquisitoren des Tempels sind dafür bekannt ihren Opfern in den letzten Stunden einen Vorgeschmack auf die brennenden Höllen zu geben. Durch ihre Studien von der menschlichen Folter sind sie wahre Meister dieses Fachs. Sie beherrschen es die Qualen auf das höchst erdenkliche Maß zu steigern, bevor der Körper unter der Traktur nachgibt. Es geht um das Verlangen. Du wirst schon sehen. Ein Verlangen, so stark, wie es der Gepeinigte nie zuvor erlebt hat. Das Verlangen zu sterben.“
„Halt endlich dein verdammtes Maul, ich muss mich konzentrieren“, brülle ich.
Schweißtropfen brennen mir in den Augen. Tausend Bilder stürmen an meinem geistigen Auge vorbei, doch ich kann sie nicht greifen. Sie in keine Ordnung bringen.
Plötzlich knarren Schritte über die biegsamen Holzdielen.
Mein Herz überschlägt sich.
Doch für einen kurzen Moment… Es ist, als würde ich das Lachen eines Mädchens hören.
„Er ist wach. Padre Salvador – Penalito – er ist wach!“
Diese kindliche Stimme, sie klingt so vertraut. Sie nannte mich bei meinem Kosenamen.
„Das Gift wirkt also schon. Du fantasierst von fröhlichen Kindertagen. Aber keine Sorge, es wird schnell genug nachlassen. Schließlich musst du bei klarem Verstand sein, wenn sie mit Ihrem Handwerk beginnen.“
Mir ist schrecklich heiß. Das Rauschen in meinen Ohren ist so laut, dass ich Mühe habe etwas zu verstehen.
Wieder leuchten Blitze auf.
Ich bin mir sicher eine zweite Stimme gehört zu haben: „ Schnell! Br… mir d‘s Way‘assa!“
„Jetzt geht es los. Vorher werden sie dir noch die Augenlider abschneiden, damit du es auch mit ansiehst.“
Es riecht schweflig, als würden sie eine Transplantation vorbereiten.
Ich höre wie das Schloss der Tür aufschnappt. Quietschend dringt das flammende Licht einer Fackel in die Kammer.
Er steht vor mir.
Sonderbar.
Ich fühle mich plötzlich so federleicht. Wie durch Geisterhand scheint meine Furcht zu verfliegen. Das Gift macht seine Sache wirklich gut. Fast wünsche ich mir, es würde nicht nachlassen. Für einen kurzen Moment wähnt mich eine beruhigende Wärme in selten erlebter Sicherheit.
Sie scheint dem Schleier der Verzweiflung trotzen zu wollen, der sich über meinen Verstand gelegt hat.
Doch dann setzt wieder dieser lähmende Kopfschmerz ein. Ich übergebe mich erneut. Dieses Mal ist es nur Magensäure. Sie hinterlässt einen ätzenden Belag auf meinem Gaumen.
„Wir müssen ihn beruhigen! Passt auf, dass er seine Zunge nicht verschluckt!“
„Du musst dich befreien! Wehre dich, solange du noch kannst!“
Vor meinen Augen beginnen die Bilder zu verschwimmen.
Das speckige Grinsen eines Greises beugt sich über mich. Er trägt sogar eine Schürze über der Robe. Die Blutspuren an dem fusseligen Stoff lassen keinen Zweifel über vergangene Gräueltaten zu.
Tief rot - vermutlich noch frisch. Mit prüfendem Blick durch sein Monokel kontrolliert er die Schärfe des Skalpells.
Hinter ihm betreten zwei weitere Personen den Raum. Die vermummten Gestalten schleppen ein Tablett mit Chemikalien und metallischen Gerätschaften vor sich her.
Der Greis beginnt eine rituelle Formel oder eine Art Gebet vor sich hin zu säuseln. Mit bedächtiger Ruhe benetzt er meine Stirn mit einer Flüssigkeit. Anfangs merke ich nicht viel.
Doch plötzlich… Ich… Es wird mich zerreißen…
Ich merke wie etwas Gewaltiges aus dem inneren meines Kopfes mit aller Macht nach außen drängt. Ich bin mir sicher, mein Schädel gibt dem Druck jeden Augenblick nach und zerschellt in tausend Teile.
„Du musst sie töten, Penalio. Töte sie, bevor sie dich töten können! Töte Sie! Töte sie!“
Ein dröhnendes Rauchen lässt die Stimme verstummen.
Ich beiße die Zähne zusammen und versuche den Schmerz für einen Moment lang zu verdrängen. Ich winde mich von rechts nach links. Erhebe mein Becken und lasse es immer wieder mit voller Kraft auf die Pritsche krachen. Ich ziehe an den an Fesseln, als wollte ich mir selbst die Hände abreißen. Vermutlich würde ich das sogar tun - angesichts dessen, was mir bevorsteht.
„Gut so! Gib noch nicht auf! Du kannst es schaffen.“
Ich ziehe und reiße, bis ich schließlich merke, wie der Knochen meines rechten Daumens nachgibt. Ich spüre den Schmerz nicht einmal.
Der schweißige Film auf meiner Haut tut sein übriges und lässt mich schließlich durch die Fesseln flutschen.
Ich bin frei.
Bevor mich der grauhaarige Metzger zu fassen kriegt, springe ich auf, und löse auch noch die Schlinge an meinem anderen Arm.
„Und jetzt töte sie, bevor sie dich erwischen!“
Das Rauschen in meinen Ohren wird immer lauter. Rasende Wut vernebelt meine Sinne. Es ist, als würde mein erschöpfter Körper seine letzten Kräfte freisetzen.
Mit der Wucht meiner ganzen Körpermasse stürze ich mich auf den Alten. Auf ihm kniend blicke ich noch einmal tief in die weit aufgerissenen Augen.
Jetzt bin ich an der Reihe.
Früh geben seine Schädelknochen dem Hagel meiner Faustschläge nach. Ich weiß nicht wie oft ich auf ihn eindresche. Am Ende ist es nur noch der Fußboden, bei dem ich auf Widerstand stoße.
„Vergiss die anderen nicht! Sie fliehen. Sie werden Hilfe holen.“
Instinktiv reiße ich ein stumpfes Holzscheit aus der Bettlehne und nehme die Verfolgung auf. Noch bevor die vermummten Gestalten den Ausgang des Saals erreichen, erwische ich sie. Ich strecke sie mit zwei wuchtigen Hieben nieder.
„Jaaa - Gut so! Das ist gut“, jodelt die Stimme beinahe erheitert.
Plötzlich holt mich die Erschöpfung wieder ein.
Ich muss das Gift aus meinem Körper kriegen. Erneut schlägt mir diese furchtbare Übelkeit in den Magen. Ich würge, doch außer ein paar blutigen Speichelfäden gibt mein Körper nichts her.
Unkontrollierte torkel ich durch die engen Räume der verwinkelten Anstalt, bis ich schließlich über meine eigenen Füße stolpere und niederstürze. Mein Schädel schmettert auf den Fußboden. Ich ver… Ich…
***
Es muss früh am Morgen sein. Die ersten Sonnenstrahlen kitzeln mich im Gesicht.
Wo bin ich? Ehrlichgesagt habe ich mir diese Frage in den letzten Wochen ziemlich häufig gestellt.
Bei dem Versuch mich zu erheben, fährt mir ein stechender Schmerz, der von meinem rechten Daumen ausgeht, direkt ins Hirn.
Als ich mich umsehe, erkenne die Küche meines Elternhauses. Der kleine Eichenholztisch ist noch gedeckt wie zum Abendmahl. Das elfenbeinfarbene Wachs einer Kerze ist über ihrem Ständer zu einer turmförmigen Masse zerschmolzen. Niemand ist zu sehen oder zu hören. Nicht einmal, als ich nach meiner Mutter und meiner Schwester rufe, regt sich etwas.
Warum liege ich in der Küche? Und warum auf dem Boden?
Umso mehr ich versuche meine Gedanken zu ordnen, desto mehr Fragen tun sich auf.
In den letzten Tagen hatte ich immer wieder Erinnerungslücken. Teilweise sogar so stark, dass ich mich an völlig fremden Orten wiederfand, ohne zu wissen, wie ich dort hinkam.
Ich schleppe mich durch die Küche in den Flur.
Mit vernebeltem Blick entdecke ich an der Eingangstür…
Erbarme dich Allmächtiger...
***
Ich weiß nicht wie lange ich auf den kalten Dielen in der Verandaecke kauere. Im rechten Arm meine kleine Schwester, in der linken Mutter. Ihr geronnenes Blut klebt in meiner Armbeuge.
Ich presse ihre zertrümmerten Schädel an meine Brust in der absurden Hoffnung ihnen irgendwie einen Lebensfunken einverleiben zu können.
Tod.
Erschlagen von einer Bestie.
Eine unendliche Leere scheint mein Inneres aufzusaugen.
Ich starre gegen die Wand, als würde ich auf eine Antwort von ihr warten.
Im Schlafzimmer hatte ich den Leib eines Priesters gefunden. Von seinem Kopf war nichts mehr übrig. Ein entsetzlicher Anblick. Neben ihm lag die Heilige Schrift und eine zerbrochene Schüssel Weihwasser. Er muss meiner Mutter Beistand gespendet haben, als die Mörder kamen.
Als die Sonne dämmert, stören die Fliegen diese letzte Ruhe, um sich an den offenen Wunden meiner Liebsten zu laben.
Es ist makaber mit ansehen zu müssen, wie die Natur das zurückfordert, was in Ihrem Schoß entsprungen ist.
„Sie werden keine Ruhe geben, bis sie alles, was die Welt an dich erinnert, von ihr getilgt haben.“
Sie haben mir alles genommen.
Ich hätte sofort mein Leben gegen das meiner Mutter, oder meiner Schwester getauscht. Was hält mich jetzt noch in dieser gottlosen Welt?
„Rache.“
Alles was mir je etwas bedeutet hat, liegt jetzt in Scherben vor mir, und es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte.
„Sie müssen leiden! Lass sie ihre Verderbtheit am eigenen Leibe erfahren.“
Ich habe nichts mehr zu verlieren.
Ich sehe den Weg, den ich gehen muss plötzlich ganz klar vor mir.
Mein Leben ist nur noch die Qualen wert, die ich ihnen zufügen kann.
Sie sollen für ihre Abscheulichkeiten bezahlen.
Sie.
Ich werde ihre Katakomben mit Blut fluten.
Mein unbändiger Zorn soll ihr Fleisch zerschmettern, und ihre trostlosen Seelen in den Hort unendlicher Verzweiflung verbannen.
Ich werde leben, bis die Morde an meinem eigen Fleisch und Blutes gesühnt sind.
Bis ich den Letzten dieser mörderischen Brut in die Untiefen der Ewigen Höllenfeuer geschickt habe.
Und dann, werde ich ihnen folgen…