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Verdammte Lehrlinge oder Adep(p)ten allein zu Haus
Hoch oben im Barg-Astaroth-Gebirge, umgeben von jähen Abgründen und schroffen Steilwänden thront das finstere Refugium des Hexenmeisters Ba‘al-Och. Schwarze Wände, unheilvoll rot erleuchtete Fensternischen, grausame Eisenspitzen, die jeden unwillkommenen Eindringling aufzuspießen drohten – dieser Ort wurde nicht von ungefähr von allen Lebewesen gemieden. Selbst die schrecklichen Blutadler des Nordens machten auf ihren Raubzügen in den Süden einen weiten Bogen um diesen Teil des Gebirgszuges. Zu oft hatten die hinterhältigen Zauber und thaumaturgischen Fallen, die Ba’al-Och ausgelegt hatte, einen der ihren getötet oder gar in einen der unaussprechlichen Wächter der Burg verwandelt. Wesen ohne Gesicht, die nur aus gepanzerten Platten zu bestehen schienen und die ohne zu zögern jeden Angreifer in Einzelteile zerrissen. Kurz: Die Festung ohne Namen gehörte zu den unzugänglichsten und am besten bewachten Orten in der ganzen nördlichen Hemisphäre – und einen ruhigeren Ort hätte sich kein schwarzer Zauberer wünschen können.
Ba’al-Och seufzte. Schon wieder flackerte der Palantir. Diesmal in giftigem Grün. Jetzt konnte er die komplizierte Beschwörung vergessen, an der er die letzten drei Wochen gearbeitet hatte. All die Mühe, all das Forschen, um endlich einen finsteren Dämonenfürsten aus dem achten Kreis der Hölle seinem Willen zu unterwerfen – alles für die Katz!
Ba’al-Och seufzte noch einmal, holte tief Luft und drehte sich mit dunkelrot geäderten Augen zu dem Palantir. „Was willst du vom Hexenmeister des Nordens?“, donnerte er und elektrische Entladungen des Unmuts brandeten gegen die Wände des Saals. Die beiden Wächter-Wesen am Tor duckten sich und bebten – obwohl ihnen Furcht sonst völlig fremd war. Der Frust Ba’al-Ochs über die misslungene Beschwörung übertrug sich auf sie, wie auf alle anderen Wesen in diesem Teil des Barg-Astaroth-Gebirges, und entlud sich schließlich knapp zwei Meilen westlich: Die Spitze eines der geringeren Gipfel glühte rot auf und schmolz zu Lava, die sich in die Täler ergoss.
„Ääääh… hallo Ochi, wie geht’s?“ quäkte eine Stimme durch den Äther. Der Palantir verlor sein grünes Glühen und seine Oberfläche verwandelte sich in eine Art Spiegel – nur dass dieser nicht Ba’al-Ochs wütendes Gesicht zeigte, sondern das eines anderen Zauberers, der, den Hängebacken nach zu urteilen, wohl mehr Wert auf gutes Essen als auf einen schauerlichen Auftritt legte.
„Ich will dich nicht lange stören, aber in diesem Jahr BRAUCHEN wir dich unbedingt beim Gildentreffen hier in Ostrian“, fuhr der wohlgenährte Anrufer fort. „Seit unser Oberhaupt, Arghwart der Grausame, letzten Mittsommer von den weißen Elfen besiegt wurde, haben wir keinen neuen Meistermagier gewählt. Die Söhne des Lichts gewinnen Oberhand und das darf nicht sein!“
„Dann zum Kuckuck wählt doch einfach einen aus eurer Mitte, Borislav“, sagte Ba’al-Och mit schneidender Stimme, „Was habe ich mit euren Querelen zu schaffen?“
„Nuuuun das geht nicht so einfach, wie du weißt“, entgegnete Borislav, „Wir brauchen den Rat ALLER bösen Zauberer, Hexenmeister, Nekromanten und Eishexen – und wir alle haben einen heiligen Eid mit unserem Blut besiegelt, dass wir in Zeiten der Not zusammenkommen. Willst du wirklich mit den Konsequenzen leben?“
Ba’al-Och seufzte zum dritten Mal. Natürlich war ihm klar, dass der heilige Eid, den er und die Bruderschaft der Finsteren Magier geschworen hatten, nicht einfach nur so ein Studenten-Spaß gewesen war. Würde er dem Ruf nicht Folge leisten, verlöre er alles und noch viel mehr als das. Der Blutzauber würde ihn im Handumdrehen in die Hölle schicken und dort hatte er sich mit seinen Beschwörungen mittlerweile ausgesprochen viele Gegner geschaffen, die ihm mit Vergnügen und höchster Kreativität ihre Dankbarkeit für jahrzehntelange Fronarbeit in seinen Diensten bezeugen würden. Ba’al-Och fröstelte. Dafür hatte er noch keinen wirksamen Gegenzauber gefunden.
„Schon gut“, murmelte er „ich mache mich auf den Weg, Borislav. Für wann ist das Treffen anberaumt?“
„In drei Tagen, Ochi“, sagte Borislav.
„Ich komme…aber wenn Dir etwas am reibungslosen Funktionieren Deiner Organe liegt, dann nenn‘ mich nie wieder Ochi!“ Eine leere Drohung, denn bereits während ihrer gemeinsamen Zeit auf dem „Internat für Magisch doch Seltsam Talentierte“ (IMST) hatte Borislav ein überwältigendes Können an den Tag gelegt. Und das joviale Auftreten und das harmlos erscheinende Gesicht waren nur Fassade für einen der grausamsten Hexer, der je die Erde unsicher gemacht hat. Würde es hart auf hart kommen, war sich Ba’al-Och nicht sicher, wer das Rennen machen würde – obwohl er fast Tag und Nacht lernte und seine Fähigkeiten zu verbessern suchte, während Borislav lieber zechte und mehr jungen Dingern und fallweise auch Burschen hinterherstieg als selbst die Wiking-Barbaren aus Ijsbjorg.
Wenig später sandte Ba’al-Och einen Diener-Vampir in die Unterkunft seiner Zauberlehrlinge und zitierte sie zu sich.
Als der untote Bote in die Unterkunft der Lehrlinge glitt, saßen die drei Adepten Ba’al-Ochs gerade über einem kniffligen Problem: „Wie zum Teufel kann man ein ausgewachsenes Kaninchen durch dieses blöde Loch im Raum-Zeit-Kontinuum in einem Zylinder ziehen, ohne dass sich sein Inneres nach außen dreht?“, schimpfte Baldur der Schöne und wischte sich die Überreste besagten Kaninchens von den Händen. Baldur war ein ausgesprochen hässliches Exemplar der Gattung Mensch, wenn man den Begriff wirklich seeeeehr großzügig auslegen wollte, und der sichere Beweis dafür, dass Studenten – egal an welcher Universität sie studieren oder welches Fach sie gewählt haben – seltsame Vorstellungen von Spitznamen haben.
„Da hast du Recht“, stimmte Bones zu und rührte in einem Topf, „aber wenigstens gibt’s so was Leckeres zu essen.“ Mit diesen Worten sammelte er die Reste des Kaninchens ein und warf sie in den Topf – natürlich ohne Fell und Innereien, die Baldur freundlicherweise ja schon externalisiert hatte. Der 16-jährige Bones sah eigentlich ganz normal aus, aber er hatte seine Gründe, die Einsamkeit der Zauberer-Burg zu suchen: Aufgrund einer Drüsenüberfunktion bekam er schon mit zehn Jahren jedes Mal, wenn er ein Mädchen oder eine Frau sah, eine massive Erektion. Dieser Dauerständer war nicht nur peinlich – Bones war von der Natur besonders großzügig bedacht worden und daher war sein Problem nur zu offensichtlich – es tat auf Dauer auch echt weh, da er keine Gelegenheit hatte, Dampf abzulassen. Und so rannte er mit zwölf von zu Hause weg und suchte den einsamsten Ort, den er finden konnte, wo Ba’al-Och ihn schließlich fand und als Lehrling aufnahm.
Der Hexer tat das natürlich nicht uneigennützig, so wie er nie etwas uneigennützig machte. Er hoffte, mit dem normal aussehenden Bones davon ablenken zu können, dass er mit Baldur eine magische Beinahe-Vollniete gezogen hatte. Das machte sich überhaupt nicht gut, wenn es einem seiner Zauberer-Kollegen einfiel, auf einen Schwatz vorbeizukommen – nicht, dass das unbedingt zu deren Lieblingsbeschäftigungen gehörte, aber man kann ja nie wissen! Und mit Bones konnte er solche Peinlichkeiten so lange vermeiden, bis Baldur endlich mal was Gescheites zustande brachte.
Allerdings wusste Ba’al-Och, dass das Verfallsdatum bei Bones wahrscheinlich recht knapp bemessen war. Er hatte den Verdacht, dass der Junge nur solange Interesse am Zaubern zeigen würde, bis er es schaffte diverse Sukkuben zu beschwören und sich anschließend tot zu vögeln. Aber sei’s drum!
Dritter im Bunde war Seamus, der Austausch-Adept eines befreundeten – wenn man das bei finsteren Hexenmeistern überhaupt sagen kann – Zauberer aus dem Süden. Seamus war schweigsam, nahm aber alles was er lernen konnte mit seltsam funkelnden Augen auf, um irgendwann dann eine überraschend neue Kombination von Zaubersprüchen zu präsentieren. Er war Ba’al-Ochs Liebling und der alte Hexer würde ihn nur allzu gern in seiner Burg halten. Doch jedes Mal, wenn er die Sprache darauf lenkte, man müsse die im Lehrlingseid beschworene Treue über den Tod hinaus nicht so ernst nehmen, flüsterte Seamus irgendetwas in seiner gutturalen Heimatsprache, was sich wie ein verdammter Teleport-Zauberspruch anhörte und Ba’al-Och verstummte, bevor der Lehrling die Formel vollenden konnte. Sehr schade! Schließlich könnte Seamus das Zeug haben, der erste wirklich Kreative Magus seit mehr als 250 Jahren zu werden. Es wäre eine überaus große Ehre, der Meister zu sein, der die verborgenen Talente entdeckt und gefördert hatte. Natürlich eine Ehre, die mitunter von nicht allzu langer Dauer wäre, da die kreativen Zauberer bisher ohne Ausnahme dahin tendierten, die Magie aus ihrem Umfeld für besonders kraftvolle und gewaltige neue thaumaturgische Projekte zu nutzen. Ein Vorhaben, das in 100 Prozent aller Fälle dazu führte, dass die ursprünglichen Besitzer der magischen Kräfte schneller verdorrten, als eine Eisblume in der Wüste. „Vielleicht ist es doch ganz gut, dass der Junge nur ein paar Monate bleibt“, dachte Ba’al-Och, der doch ganz gern im Hier und Jetzt lebte, hin und wieder. Schließlich würde er auch als ausgelutschter Zauberer in der Hölle landen – Ehre hin, Ehre her.
Ba’al-Och schritt ungeduldig in seinem finsteren Thronsaal auf und ab. Erwartete bereits eine halbe Stunde. Hatte der verfluchte Vampir sich verlaufen?
Knarrend öffnete sich die Tür (Klar, wie sollte sie sich auch anders in der Burg eines schrecklichen Hexenmeisters öffnen?). Der Diener-Vampir betrat den Saal und obwohl diese Wesen nicht im Geringsten in der Lage sind, Gefühle zu zeigen, wirkte das Geschöpf auf diffuse Weise betreten und unangenehm berührt. Es stieß den Türflügel weiter auf und drei Gestalten zeichneten sich im Schein der fackeln ab. Zwei von ihnen sahen wie normale Menschen aus, einer hatte irgendwie etwas Amorphes an sich.
„Lux!“ donnerte Ba’al-Och und der Saal wurde hell erleuchtet. Sogleich wünschte sich der Hexer, er hätte es nicht getan, denn flankiert von Bones und Seamus stand dort Baldur, dem ganz offensichtlich eine ganze Wagenladung Kaninchen um die Ohren geflogen waren. „Ääääh, du wolltest und sprechen, Herr?“, sagte der ungeschickte Adept tropfend. „Wir hatten gerade an dem Zylinder-Trick gearbeitet, als dein Bote kam und…“
„Genug“, knirschte der Hexer, „Keine Einzelheiten! Du schrubbst nachher das Labor und wehe ich finde noch irgendetwas Kaninchen-artiges, wenn ich zurückkomme!“
„Willst du etwa verreisen, Herr?“ fragte Bones sogleich.
„Ich will nicht, aber ich werde sieben Tage fort sein. Und ich übergebe die Burg so lange eurer Obhut.“
„Oh, danke Herr“, strahlte Bones, der sich Hoffnung machte, in dieser Zeit mal einen Blick in die verbotenen Bücher werfen zu können. Irgendwo musste doch was über diese Sukkuben stehen, von denen er gehört hatte…
Bones hätte seine Gedanken vielleicht etwas mehr im Zaum halten sollen, denn die vor seinem inneren Auge entstehenden Bilder zu den unausprechlichen Freuden, die ihm die erotischen Geister bereiten sollten, schlugen sich sofort und überdies auch ausgesprochen deutlich nieder. Er senkte den Blick, sah wieder auf uns bemerkte gerade noch ein ärgerliches Glimmen in den Augen seines Meisters. Dann eine Geste der Macht und Bones wurde von einem todeskalten Schwall Wasser gegen die nächstliegende Wand gespült.
„Ich habe deine Spielchen und Schwächen vielleicht bald satt,“ knurrte Ba’al-Och ungehalten, „Und vielleicht entferne ich dir bald mehr, als dir lieb ist. Doch zur Sache: Ihr drei werdet meine Burg hüten, während ich zum Zauberer-Kongress reise. Und ihr werdet keinen Unfug anstellen, denn sonst…werde ich euer Blut kochen lassen, bis die Augen platzen und DANN stelle ich etwas WIRKLICH Unangenehmes mit euch an.“
Den Lehrlingen krochen eisige Schauer über den Rücken. Sogar der abgebrühte Seamus spürte, dass es dem Hexer wirklich ernst war.
„Ihr werdet auch nicht faul herumgammeln und meinen Wein saufen, ihr werdet an euch arbeiten und den Weichmacher-Fluch lernen.“
„Den Weichmacher-Fluch, Herr?“ flüsterte Bones mit klappernden Zähnen. „Was ist das?“
„Das werdet ihr schon selbst herausfinden müssen“, sagte Ba‘al-Och mit einem hämischen Grinsen; „Und vielleicht überlebt ihr es ja auch…“
Der Hexer wedelte mit der Hand und vor ihm materialisierte sich ein scheinbar uraltes Buch. Ba’al-Och pflückte es aus der Luft, ging auf die drei Jungen zu und überreichte es mit einem gewissen Zögern – angesichts der immer noch ziemlich ekligen Erscheinung – schließlich Baldur. „Du bist der Treueste, du sollst der Hüter des Spruchs sein.“ „D-d-d-d-d-danke Herr“, stotterte der Schöne und versuchte nicht, den Menschenhaut-Umschlag mit Kaninchen-Innereien zu verschmieren.
„Noch ein Wort der Warnung: Schnüffelt nicht dort herum, wo ihr nichts zu suchen habt. Das könnte euere Lebenszeit deutlich verlängern.“
„Aber wie sollen wir wissen, was es mit dem Spruch auf sich hat?“ sagte Seamus. „Wer zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind?“
Einen Augenblick grübelte Ba’al-Och, dann erhellte sich sein Gesicht. Er erinnerte sich an einen alten Trick aus seinen Studententagen. Rasch murmelte er ein paar Silben, ließ den Finger drei Mal rotieren und zeigte auf einen Besen in einer entfernten Ecke, den er vor Jahren von einer angeschickerten Hexe bei einer heftig unanständigen Mittsommerfeier gewonnen hatte.
Kaum war die letzte Silbe verklungen, da regte sich der Besen. Er glitt auf seinen Borsten näher und – so schien es – verneigte sich etwas linkisch vor dem Hexer. Ba’al-Och wandte sich an seine Lehrlinge: „Das ist jetzt mein Alter Ego. Es wird euch auf Schritt und Tritt überwachen … UND hilft euch, wenn ihr nicht mehr weiterwisst. ABER: Seine Macht ist begrenzt und seine Magie nutzt sich ab. Überlegt euch also gut, worum ihr den Besen bittet.“
Neugierig kamen die Lehrlinge näher und bestaunten den Besen, der sie – scheinbar – ebenfalls interessiert musterte.
„Also: In sieben Tagen bin ich zurück“, Ba’al-Och formte mit den Händen einen Kreis, zog sie auseinander und vor ihm öffnete sich ein funkensprühendes Portal in der Luft, das größer wurde. Sobald es groß genug war, um einen Menschen passieren zu lassen, ging Ba’al-Och ohne zu zögern durch. Und während sich das Tor hinter ihm schloss, hörten die Lehrlinge seinen letzten Gruß: „Baut keinen SCHEISS!!!!!“
Stille. Noch mehr Stille. Noch viel mehr Stille. Dann ein Hüsteln. „Tja, weg isser. Wer hat Hunger?“
Wenig später saßen die drei Lehrlinge in der Burgküche und mampften Pfannkuchen, die ihnen ein dienstbarer Geist zubereitete hatte. Genauer gesagt der dienstbare Geist eines Meisterkochs, der im Disput über ein Käsesouffle gegenüber dem Hexenmeister etwas aus der Rolle gefallen war – und nun angekettet an den gewaltigen Herd sein Dasein als ektoplasmatischer Löffelschwinger fristete.
„Nicht schlecht, Monsieur Bokkuse“, sagte Seamus, der es liebte, den Geist zu piesacken, „Aber da fehlt ja wohl ein wenig Pfeffer, oder?“ Erbost rasselte der verblichene Koch mit seiner Kette, doch mehr konnte er nicht tun. Noch nicht einmal in die Suppe zu spucken war ihm möglich, der Fluch des Zauberers ließ es nicht zu, dass er irgendein Essen ruinieren konnte.
„Lass ihn doch.“, sagte Bones und deute auf das Buch, „Sag mir lieber, was wir hiermit machen sollen?“
„Na was wohl“, antwortete Baldur stattdessen, „Wir lesen es und probieren den Spruch aus. Sooo schwer kann es doch nicht sein.“
Doch er irrte sich – wie so oft – gewaltig.
„Leere Blätter? Wieso leere Blätter?“ Bones nahm Baldur das Zauberbuch weg und begann es hektisch durchzublättern. „Das ist ja wohl ein Witz, der nimmt uns auf den Arm!“ Schließlich packte Bones das Buch an beiden Deckeln und schüttelte es mit den Blättern nach unten in der Hoffnung, irgendetwas Hilfreiches würde herausfallen.
Seamus, der still daneben gesessen hatte, legte Bones die Hand auf den Arm: „Mach es nicht kaputt. Ich spüre, dass es eine Probe ist. Der Boss will, dass wir nachdenken.“
„Wie, nachdenken?“ fragte Baldur. „Glaubst Du, wir haben es mit unsichtbarer Schrift zu tun?“
„Genau. Und es gibt Wege, dass zu prüfen.“
Streber, dachte Bones missmutig, aber er nahm an, Seamus hatte Recht. Der Austausch-Adept war seinen beiden Kollegen an Wissen meilenweit überlegen.
„Lasst uns in den Raum der Sprüche gehen. Ich glaube, da finde ich, was ich suche“, schlug Seamus vor.
Die drei Lehrlinge machten sich sogleich auf den Weg – aber nicht, ohne dass Baldur rasch noch den Rest der Pfannkuchen und eine große Flasche Ahornsirup stibitzte. Der Besen, der bis dahin reglos in der Ecke gestanden hatte, trottete hinterher.
Der Raum der Sprüche – anderswo hätte man schlicht Bibliothek gesagt, aber das war Ba’al-Och zu billig – lagerten einige tausend Zauberbücher. Der riesige Saal war taghell erleuchtet, obwohl nur eine Kerze brannte. Ein Phänomen, dass aber keineswegs magischer Natur war: Einer von Ba’al-Och Vorgängern war es leid, ein Heidengeld für Kerzen auszugeben und verspürte dazu wenig Neigung sein kostbares Mana mit der Beschwörung von Licht zu vergeuden. Damals nahmen die Magier noch an, dass jedem Menschen nur eine bestimmte Menge Mana zur Verfügung stünde und er – der Mensch – sterbe, sobald es aufgebraucht war. Also horteten die Hexer ihr eigenes Mana und experimentierten stattdessen mit diversen greulichen Methoden, sich das Mana anderer zu Nutze zu machen. Kein Wunder, dass die Hexer alsbald die einsamsten Wesen des Universums waren …
Doch bevor die Gegend um das Barg-Astaroth-Gebirge vollends zur No-Go-Area wurde, hatte der alte, geizige Hexer einen begabten Feinschmied beauftragt, eine besondere Beleuchtung für die Bibliothek zu entwerfen. Nach vielen Versuchen und unzähligen Drohungen von Seiten seines Auftraggebers hatte der arme Mann schließlich eine Idee: Er konstruierte um die Kerze herum eine Anzahl Spiegel, die das Licht einfingen und zu anderen Spiegeln schickten, die ihrerseits das Licht an wieder andere Spiegel weitergaben. Das Geniale dabei: Jede Spiegelstufe wirkte gleichzeitig wie ein Vergrößerungsglas, so dass sich die Leuchtkraft der Kerze vervielfachte. Glücklich präsentierte der Feinschmied sein Werk dem Hexer. Fast schon unnötig zu sagen, dass dieser sich um die Bezahlung drückte und sich stattdessen zum Dank das Mana des Schmiedes einverleibte. Geizige Magier können halt auch nicht aus ihrer Haut heraus …
Normalerweise durften die Adepten den Raum der Sprüche nur betreten, wenn es ihnen der Hexenmeister gestattete – und selbst dann hatten sie nur Zugang zu den Büchern, die sie unbedingt brauchten. Alle anderen befanden sich hinter einer bläulich schimmernden, magischen Barriere, die keiner von Ihnen zu durchdringen vermochte. So war es auch diesmal. Ratlos musterten die Lehrlinge die Bücherborde. Wie zur Hölle sollten sie die Barriere überwinden?
Seamus versuchte es mit dem naheliegenden Spruch wie „Apero! Ich öffne!“. Dann versuchte er, ein Buch durch die Barriere zu ziehen: „Accede! Komm zu mir“. Und auch der Versuch mit „Penetro! Ich durchdringe!“ ein Loch zu schaffen, scheiterte. „Nein, so einfach kann es nicht sein“, murmelte der Zauber-Schüler in sich hinein und begann sich in der Bibliothek umzuschauen.
Bones hatte schon begonnen, die Schubladen der Schreibtische zu durchwühlen und Baldur tröpfelte gerade den letzten Rest Ahornsirup auf den verbliebenen Pfannkuchen. „Mmmmh, ein Künstler dieser Monsieur Bokkuse. Da ist eine Spur Zitrone drin, das macht die Pfannkuchen so herrlich frisch.“
Bones hielt inne. War das wirklich so einfach? Er griff sich das Buch, das Seamus auf einem kleinen Tischchen neben der Flügeltür abgelegt hatte, beschwor eine kleine Flamme und hielt eine Seite darüber. Zuerst tat sich nichts und Bones glaubte schon, er habe sich geirrt doch dann erschienen nach und nach Buchstaben auf dem Papier. „Jaaaaa!“ jubelte er, als plötzlich hinter seinem Rücken ein furchtbares Brausen anhob. Bones wirbelte herum.
Am anderen Ende des Raums stand Seamus und hielt den Besen mit beiden Händen wie einen zu groß geratenen Zauberstab.
„Also, dafür sind wir aber noch laaaaange nicht bereit“, kommentierte Baldur und leckte sich die Finger ab. Zauberstäbe kommen erst im vierten Lehrjahr.
Seamus achtete nicht auf seinen hässlichen Kumpel, sondern konzentrierte sich darauf, den bockenden Besen festzuhalten und Worte der Macht zu murmeln.
„Das wird doch nix“, sagte Baldur, „Und ich glaube, dem Meister wird das ganz und gar nicht gefallen…“
Der Besen bäumte sich in Seamus Händen immer wilder auf. Es schien, als wolle er sich mit aller Macht, die Ba’al-Och ihm verpasst hatte gegen die Beschwörung wehren, doch als der mittlerweile arg verschwitzte Seamus das letzte Wort „Iubo!“ (Ich befehle) gesprochen hatte, wurde er (der Besen) im wahrsten Sinne des Wortes stocksteif und begann zu leuchten. „Complano ericius! Ich reiße die Barriere nieder!“ sagte Seamus leise und das bläuliche Schimmern begann an den äußeren Rändern zu verblassen. Wenige Sekunden später waren alle Regale frei zugänglich.
„Wow“, sagte Baldur und nahm dem schwer atmenden Seamus den irgendwie schlapp wirkenden Besen aus den Händen, „Also ganz ehrlich, dafür kriegst Du ganz sicher `ne Eins. Bringst Du mir das auch bei?“ Der Austausch-Adept stützte sich auf seinen Knien ab, grinste und sagte „Ich glaub, du hast mit den Karnickeln noch genug zu tun.“
„Äääähm Seamus? Meinst du wirklich, der Meister hatte das im Sinn, als er uns die Aufgabe gestellt hat?“ fragte Bones, der inzwischen herübergeschlendert war. „Ich meine, Baldur ist bald im dritten Jahr und nicht soooo sonderlich begabt und ich habe doch erst das zweite Jahr begonnen… Na gut, du scheinst ja schon ein bisschen weiter zu sein, aber das war doch schon richtig schwer für einen Lehrling.“
„Vielleicht bin ich ja auch kein gewöhnlicher Lehrling?“ entgegnete Seamus spitz.
„Kann sein. Aber schau mal, was ich herausgefunden habe.“ Mit diesen Worten beschwor Bones wieder eine magische Flamme, die er unter eine Seite des Buchs hielt. Die Buchstaben erschienen: „Wisset, dass der Strafen viele auf die Feinde des Ba’al-Och warten. Erkennet, wie es ist, ohne Gerüst zu sein. Übet an niederem Gewürm. Vollkommnet des Zauberers Fluch.“
Darunter hieß es weniger pathetisch: Lernt den Zauber des Knochenlosen, ihr Toren. Er dient der Verteidigung gegen allzu mutige Krieger, die ihr noch befragen wollt. Doch nur wenn ihr euch konzentriert und den Spruch richtig sagt, tut er seine Wirkung.
„Exos es! Sei knochenlos!“
„Was für ein blöder Zauber“, maulte Baldur, der viel lieber einen Tischlein-deck-Dich-Spruch gelernt hätte. Seamus Augen funkelten: „Da muss ich Dir widersprechen, das dürfte Spass machen. Lass uns ein paar Versuchsobjekte holen.“
Bones sagte nichts. Er war damit beschäftigt, die Buchrücken zu studieren. Irgendwo musste hier doch das passende Buch sein…
„Mal ganz ehrlich, Seamus: Du bist doch kein einfacher Lehrling mehr, oder?“
Der Austausch-Adept schwieg.
„Ich meine, du hast da diese Sprüche runtergerasselt wie Ba’al-Och persönlich. Und dann die Nummer mit dem Besen. Das hätte ganz schön in die Hose gehen können. Total verrückt! Ich hätte mich das niieeee getraut. Aber du? Du hast das einfach so gemacht. Dein Meister da im Süden muss ja was ganz Besonderes sein, wenn er dir so was beibringt. Ich wette, das ist einer der neuen Magier, die dran glauben, dass man Wissen gar nicht früh genug erwerben kann. Nicht so, wie mein Meister. Der lässt einen ja jahrelang schmoren, bis man die ersten wirklich mächtigen Sprüche lernen darf. Ehrlich. Karnickel aus dem Zylinder ziehen: Wie arm ist das denn?“
„Wenn du mehr üben, weniger fressen und weniger labern würdest, dann könntest du diesen Trick wenigstens und würdest nicht jedes Mal die Küche versauen…“
Baldur der Schöne schnappte beinahe hörbar ein. Wie jeder Zauberer glaubte er fest daran, dass er ein ausgezeichneter Magier war… und tiefgründige Kritikgespräche waren nun mal KEIN essentieller Bestandteil der Ausbildung. „Grrrrmmm“, knirschte Baldur, „Dir zeig ich’s, Ich werde den neuen Spruch als erster beherrschen, wirst schon sehen…“
Kurz darauf betraten die beiden Jungen das Labor und schnappten sich zwei Körbe mit Versuchstieren. Schweigend machten sie sich auf den Rückweg in die Bibliothek…
…wo Bones sich mittlerweile in die Abteilung „Erotomanische Magie“ vorgearbeitet hatte. Obwohl ihm sein Hals vom ständigen Schiefhalten – Logisch, wie sollte man sonst die Titel auch lesen? – schon mächtig weh tat, glühten seine Ohren mittlerweile: Die alten Hexer hatten es faustdick hinter den Ohren gehabt, wenn es um das Thema Entspannung nach einem harten Tag voller Verwünschungen, Beschwörungen und anstrengendem Brauen höchst unerquicklich wirkender Zaubertränke ging.
Neugierig hatte Bones durch das „Reich illustrierte Shiva-Kamasutra“ geblättert, das in einem speziell gekühlten Regal untergebracht war und einen ausführlichen Einblick über die Freuden verbotener Zusammenkünfte mit sechsarmigen Göttinnen gewährte. Auch die anderen Bücher in diesem Regal waren ausgesprochen anregende Lektüre, aber ihre einzige Magie bestand darin, dass ihr Inhalt so heiß war, dass er permanenter Kühlung bedurfte. In Gedanken beschloss Bones, dem Autor, einem gewissen Grafen Giacomo di Pohr ‚n‘ Ho, einen Besuch abzustatten, sobald er den Teleport-Zauber beherrschte. Hoffentlich lebte der Kerl noch so lange…
Als Baldur und Seamus wieder in die Bibliothek polterten, wurde Bones in einem hinter dem Kühlregal versteckten, zweiten Regal fündig: „De Scientia Succubi incantare – Die Wissenschaft Sukkuben zu beschwören“. Endlich! Bones wurde schon beim Gedanken an den Inhalt des Buches seinem Namen voll und ganz gerecht.
Während die beiden anderen Lehrlinge ein Kaninchen auf einen Tisch setzten und begannen, den Exos-Es-Fluch zu üben, las Bones das knappe Vorwort, das eindeutig darauf hinwies, dass der Autor was viel Besseres vorhatte, als den Leser mit episch langen Schilderungen zu langweilen. Bones blätterte weiter.
„Äääääxos es!“ quäkte Baldur – erfolglos.
„EXXXos ES!“ donnerte Seamus – ohne Wirkung.
„exOOOs Esssss!“ versuchte es Baldur mit anderer Betonung – nichts geschah.
„Eeeehexxxxos EeeeeeSSSSS!“ versuchte es Seamus.
Doch egal, wie sie es auch versuchten, Das Kaninchen zeigte sich nicht nur unbeeindruckt, es veränderte sich auch nicht ein kleines bisschen.
Bones fand, was er suchte: „Sukkubus accede! Sukkubus erscheine“. Aber welchen sollte er wählen? Es gab so viele in dem Buch und jeder hatte sein eigenes „Spezialgebiet“. Schließlich entschied er sich für ein Wesen mit dem verheißungsvollen Namen „Super-Vixen“.
„Eheheheheheeeeexos Es!“
„‘xos es“
„Öhöxos Essssssss!“
„Verflucht nochmal, warum klappt das nicht!“
Man sagt, jeder Zauberer hat eine besondere Begabung. Ba‘al-Och verstand es, wie kein anderer Dämonen zu beschwören und in seinen Bann zu zwingen. Laurenz der Weise hatte die Gabe, Metalle und Erze seinem Willen zu unterwerfen. Rincewind konnte jeder Gefahr in Sekundenschnelle entfliehen. Und Bones? Nun ganz offenkundig war sein besonderes Talent auf die körperlichen Freuden ausgerichtet. Und so brauchte er nur einen Versuch, um erfolgreich einen Sukkubus zu beschwören. Der weibliche Dämon mit den ausgeprägten Kurven und der Ausstrahlung einer sinnlichen Super-Nova materialisierte mit einem dumpfen Puff in einer zartvioletten Rauchwolke unmittelbar neben Baldur.
Der zuckte zu Tode erschrocken zusammen, stieß vielleicht gerade deshalb die Worte „Exos es!“ mit genau der richtigen Betonung aus und feuerte den Fluch ab. Leider nicht auf das Kaninchen, das ahnungslos an einem Salatblatt knabberte, mit dem Baldur und Seamus es zum Stillhalten motivieren wollten, sondern, da er sich zu dem Sukkubus gedreht hatte, in Richtung eines Beleuchtungsspiegels.
Der Fluch traf die polierte Oberfläche, prallte ab, gewann aufgrund des Vergrößerungseffektes an Macht und schoss anschließend zwischen dem Spiegelsystem im ganzen Raum hin und her. Baldur und Seamus warfen sich instinktiv zu Boden, nur Bones rührte sich nicht. Er war ganz und gar gefangen vom Anblick der verführerischen Dämonin, die ihm allein durch ihre Blicke unendliche erotische Freuden versprach. Wie in Trance schritt Bones auf sie zu. Er zog sein Hemd über den Kopf und ließ noch im Gehen die Hose fallen. Dann streckte er die Hand nach dem sich wollüstig räkelnden Sukkubus aus… und schmolz dahin. Nicht im übertragenen sondern im tatsächlichen Sinn, denn der wild im Raum herumzischende Knochenlos-Fluch erwischte ihn schließlich frontal.
Verdutzt blickte die Dämonin dorthin, wo sich bis eben noch ihr Opfer befunden hatte. Dann senkte sie den Blick zu einer fleischfarbenen Lache am Boden, in der ganz offensichtlich zwei Augen, ein Haarschopf und ein Mund herumschwammen. Der Fluch hatte ganze Arbeit geleistet. „Wos is nu loas?“ grunzte die Lache, die bis eben Bones gewesen war.
Baldur verdrehte die Augen und fiel in Ohnmacht.
Als der hässliche Lehrling wieder zu sich kam, hörte er eine erboste Stimme: „… und was soll ich jetzt machen? Ich bin hier, um zu vögeln und DER da bekommt doch im Leben keinen Steifen mehr.“ keifte der Sukkubus. „Mann, da freut man sich, dass man endlich mal so richtig dreckige Sachen anstellen kann und dann so eine Pleite. Wenn das rauskommt, bin ich für die nächsten zehntausend Jahre das Gespött der Hölle…“
Baldur hörte jemanden schniefen und schließlich in Tränen ausbrechen.
„Nanana…“, stammelte Seamus hilflos, „Sooo schlimm ist das doch gar nicht…“
„DOOOOOOOOOOOCH“, plärrte die Dämonin, „Ich kann da nie wieder zu-zu-rühühück! Woho soholl ihich denn hihin?“
Baldur setzte sich auf und sah wie Seamus dem nur leicht bekleideten, verführerischen Wesen eine Decke umlegte und ihr die Schulter tätschelte. „Besen, hol einen Tee“, befahl der Adept und zu der Dämonin gewandt sagte er: „Das wird dir guttun!“
„Memememeinst Du-u? Ich bibibin do-do-doch zum Nananageln hihihier…“
„Du trinkst deinen Tee und wir schauen mal, ob wir deinen Lover nicht wieder hinkriegen…“, sagte Seamus und blickte mit einer hochgezogenen Augenbraue von Baldur zu Bones.
„Doas is aba ein gan plöde Gefühl“, stöhnte die Lache und rollte die Augen. Das heißt, Bones versuchte es, worauf hin seine Augäpfel sich zu unterschiedlichen Ufern seines Körpers aufmachten. Baldur erschauerte.
Kurz darauf erschien der Besen mit einem Tablett, dass er auf den Tisch einer Leseecke stellte. Ungeschickt schenkte er drei Becher Kräutertee ein und stellte sie vor Seamus, Baldur und die Dämonin, die mittlerweile ihre üppigen Formen in Bones abgestreifte Kleidung gehüllt hatte, ab.
„Also, zuerst müssen wir dich wieder zurückschicken“, sagte Seamus zur Dämonin, die an einem Scones-Plätzchen knabberte. „Wie schaffen wir das?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete der Sukkubus, „Ich weiß nur, dass ich hier einen Job zu erledigen habe und denjenigen, der mich beschworen hat, die unerhörtesten, höllischen Freuden bereiten muss. Zum Beispiel soll ich…“
„Schon gut, schon gut“, unterbrach Baldur hastig; „So genau will das keiner wissen. Naja, ääääh, außer Bones vielleicht.“
„Joa Maaaann, die Süße soll aanfangn“, gluckste die Lache fröhlich. Bones war sich sicher, dass der Zauber ganz leicht rückgängig zu machen sei und freute sich schon auf das Après.
Angewidert blickte die Dämonin auf die Pfütze, die offensichtlich vor lauter erotischem Eifer blubberte und Blasen warf.
Seamus hatte inzwischen in dem Sukkuben-Zauberbuch bis zum letzten Kapitel geblättert. Hier hatte der Autor mit ausgesprochen zittriger Handschrift festgehalten, wie man Sukkuben nach getaner Arbeit wieder los wird. „Oh, Scheisse“, murmelte Seamus, „Der Sukkubus muss auf jeden Fall aktiv gewesen sein, bevor man ihn wieder in die Hölle schickt. Und das heisst, er muss von seinem Opfer Lebensernergie abgezapft haben…“
„Ööööhm, steht da auch, wie viel Lebensenergie?“ wollte Baldur wissen.
„Genug für ein halbes Leben“, antwortete Seamus.
„Ja, äh, DAS klingt doch mal interessant. Ich mache mir ja nicht so viel aus Frauen, Seamus, da will ich mich nicht vordrängeln.“
„Meinst du ich?“ zischelte Seamus leise, „Da muss mir was anderes einfallen.“ Nachdenklich lehnte sich der Austausch-Adept in seinem Sessel zurück.
Die Dämonin stellte ihren Teebecher ab und musterte die beiden Lehrlinge. „Also,“ sagte sie munter, „wie sieht’s aus? Wer hat Lust auf eine Runde Matratzen-Sport? Es tut auch gar nicht weh und macht gaaaanz viel Spaß!“
„Ich hab’s.“ Seamus beugte sich vor und betrachtete den Besen …
Eine Viertelstunde später zeugte nur noch ein sich rasch auflösendes zartlila Wölkchen davon, dass ein Sukkubus anwesend gewesen war.
„Das war ja wirklich unterhaltsam. Wie bist du nur darauf gekommen?“ fragte Baldur bewundernd und betrachtete das kleine Häufchen angekokelter Holzsplitter und Borsten auf dem arg ramponierten Chesterfiel-Ledersofa.
„Das war ganz einfach“, sagte Seamus, „Der alte Ba’al-Och hatte den Besen doch belebt und dafür musste er ihm etwas von seiner Lebensenergie übertragen.“
„Ja, aber da stand doch ´Lebensenergie für ein halbes Leben´. Das kann doch nie und nimmer ausgereicht haben.“
„Doch, klar. Du vergisst, dass Ba’al-Och ein Großmagier ist und sich selbst bis obenhin mit Lebensenergie anderer abgefüllt hat. Davon hat er ganz sicher sehr viel mehr, als ein gewöhnlicher Zauberer. Und weil der Besen auch auf die Festung aufpassen soll, hat er ihn ordentlich aufgeladen.“
„Mann, was die da eben mit dem Besen angestellt hat“, sinnierte Baldur, „Zu dumm, dass wir uns nicht vorher von Monsieur Bokkuse Popcorn geholt haben. Nun ja, lass uns Schluss für heuet machen. Unser zweites Problem kannst Du auch morgen lösen…“ Das aber sollte sich als etwas kniffligere Aufgabe herausstellen.
Fünf Tage später lümmelten die beiden Adepten erschöpft auf den Bänken in der Küche herum. Zwischen ihnen stand ein großer Zuber, in den sie mit Schöpfkelle und Feudel schließlich die Bones-Pfütze verfrachtet hatten, nachdem sich dieser auf dem kalten Fußboden im Raum der Sprüche eine Erkältung eingefangen hatte. Wenn Bones nieste, klang das mächtig feucht und sein knochenloser Körper schwappte fast über den Rand des Zubers. Baldur und Seamus hatten Monsieur Bokkuse angewiesen, den Zuber immer mal wieder für ein, zwei Minuten auf den Herd zu stellen, damit Bones wieder warm wurde. Und der Küchenchef sollte versuchen, dem unglücklichen Lehrling ab und zu etwas Hühnerbrühe einzuflößen – ein höchst schwieriges Unterfangen, da sowohl Augen als auch Haare und Mund ständig über die Oberfläche der Pfütze drifteten und bei jedem Nieser ungeahnte und nicht vorhersehbare Beschleunigungen erfuhren. „AUAAAAAA!“, plärrte Bones gerade, als Bokkuse ihm wieder ungeschickt Brühe ins Auge geschüttet hatte. Aber der Koch machte sich unverdrossen weiter daran, doch mal den Mund zu erwischen.
„Jetzt haben wir alles durch, nicht wahr?“ sagte Baldur. „Ich meine, wir haben sechs Tage und fünf Nächte hindurch alles versucht, um Bones wieder hinzubekommen. Wir haben das ganze Zauberbuch von vorn bis hinten durchgelesen und jeden verflixten Zauber und jedes verfluchte Ritual ausprobiert, um die Wirkung von Exos Es aufzuheben. Warum geht das immer schief? Ich KANN nicht mehr!“
Seamus blinzelte erschöpft. „Das ist ein echt hartnäckiges Problem. Da scheint es keine Lösung zu geben. Haben wir etwas übersehen?“
„Jaahaa und morgen ist der Meister wieder da. Der wird gar nicht glücklich sein. Und alles nur wegen dieses blöden Knochenlos-Zaubers…“ Baldur lutschte weiter an dem Gerippe des Suppenhuhns, das Bokkuse für die Brühe ausgekocht hatte. Knochen? Huhn? Gerippe? Baldur kam ein Gedanke. „Du Seamus…?“
„Ja?“
„Mit dem Exos-Es-Zauber haben wir doch alle Knochen aus Bones‘ Körper verschwinden lassen, richtig?“
„Ja.“
„Und jetzt versuchen wir, etwas zu erschaffen, was nicht da ist.“
„Auch richtig.“
„Wenn ich das aber richtig gelernt habe, geht das nicht, denn Ba’al-Och hat gesagt, man kann nichts aus nichts erschaffen. Wir brauchen etwas, was wir in Knochen umwandeln können!“
Seamus‘ Gesicht erhellte sich. „Mensch, da könntest du Recht haben.“ Er schnappt sich das Buch und begann aufgeregt zu blättern. „Vielleicht haben wir da was übersehen…“
„Knochen? Also einfach nur Knochen? Echt jetzt?!?“
„Nix anderes“, zischte Seamus und legte das Buch beiseite.
„Aber wir haben doch keine Knochen außer denen hier.“ Baldur und zeigt auf die sauber abgenagten Hähnchengerippe.
„Ne ne“, sagte Seamus „Dann kommt Bones möglicherweise als Gockel zurück.“ Der Austausch-Adept erschauerte. „DAS würde er uns NIE verzeihen…“
„Aber waaaarte maaaal….“, Baldur’s Stimme wurde im gleichen Maße leiser, wie seine Stirn faltiger wurde. „Das ist doch eine uralte Zaubererfestung hier, oder? Und wenn hier schon seit Ewigkeiten Zauberer gehaust haben und die nicht anders gewesen sind als Ba’al-Och…“
„Tann habn tie aoch Typn abbemurgst“, blubberte Bones fröhlich von der Kochplatte, auf der ihn Bokkuse gerade abgestellt hatte.
„Und deren Knochen haben die irgendwo gebunkert“, vollendete Seamus den Satz triumphierend.
„Aber wo?“ fragte sich Baldur.
„Na klaa inne Valieß… autsch, tas wiad haiss, Bokkuse“, tönte der aufgeheizte Bones aufgeregt.
Das Verließ. Wer auch immer in die Tiefe einer Magierburg vorstoßen will, sollte sich das gut überlegen: Nur allzu oft sickerte die Essenz böser Flüche und Verwünschungen zusammen mit den Resten unheilvoller Tränke und den Echos beschworener Dämonen durch die Mauern bis hinunter in die tiefsten Ebenen, um sich auf dem harten, schroffen Granitfußboden der untersten Keller zu sammeln und zu etwas Unaussprechlichem zu werden. Das war natürlich auch jedem Hexer klar und keiner wäre auf die bescheuerte Idee gekommen, so tief in die Eingeweide seiner Burg einzudringen.
Die Reste der Unglücklichen denen Ba’al-Och und seine Vorgänger ihre Aufmerksamkeit oder ihr wissenschaftliches Interesse schenkten – oder an denen sie einfach nur ihr Verlangen danach, etwas wirklich Ekliges zu tun, gestillt hatten – mussten also einige Etagen darüber endgelagert worden sein.
„Sag mal, Bokkuse, wo ist denn hier der Müllschlucker?“ fragte Seamus beinahe harmlos. Der tote Koch führte ihn und Baldur in eine Ecke der Küche, wo er eine gut getarnte Klappe in der Wand öffnete. „Hier, seht selbst“, haucht er und trat beiseite. Die beiden Adepten traten an den Schacht, blickten hinein und mussten augenblicklich würgen – der Gestank, der ihnen entgegenwehte war unbeschreiblich.
„Boah, ist das widerlich“, krächzte Baldur, der Mühe hatte, nicht seine beiden letzten Mahlzeiten auszukotzen. „Was IST das? Ist das Verwesungsgeruch?“
„Nein“, sagte Bokkuse ungerührt, „Das ist das lieblische Aroma unserer Ghule. Sehr nützlisch, fressen alles, müffeln nur ein wenisch.“
„GHULE?“ fragte Baldur entsetzt, während Seamus ganz offensichtlich darüber nachdachte, wie man dieses Problem lösen kann.
„Da habe ich schon mal was drüber gelesen“, murmelte er und eilte fort in Richtung Raum der Sprüche. Doch bevor er die Küche verließ, befahl er Baldur, ein paar Seile oder – noch besser – Strickleitern sowie einen Sack zu besorgen.
Wenig später kam Seamus zurück, unter dem Arm das „Standardwerk für fortgeschrittene Nekromanten“. „Hier, Kapitel 23: `Umgang mit unerwünschten Folgen – Teil drei: Ghule`. Ein erwachsener Ghul kann bis zu 24 Leichen pro Tag bis auf die Knochen abnagen. Im Fressrausch stellen sie normalerweise keine Gefahr für lebende Menschen dar, doch werden sie unweigerlich von Magie angezogen, so dass zum Beispiel Helden, die sich im Besitz magischer Waffen oder Artefakte befinden, bevorzugtes Ziel und mitunter auch willkommene Mahlzeit der Aasfresser werden. Aber auch der eine oder andere unvorsichtige Magier ist bereits Teil der Ghul-Nahrungskette geworden. Um diesem Schicksal zu entgehen, sende man einen hochenergetischen Zauberspruch zu einem Ziel, das sich vorzugsweise VOR einem selbst, aber auch weit HINTER dem Ghul befindet. Der Impuls lockt den Ghul an, wie Licht eine Motte. Sodann verbleiben fünf Minuten Zeit für Aktivitäten jedweder Art. Danach empfiehlt es sich eine möglichst große Distanz zwischen sich und die hurtigen Gesellen zu bringen. Ein ausgewachsener Ghul kann es im Sprint durchaus mit einem Geparden aus den Steppen von Munhk-Bay aufnehmen.“
„Gruuuuuuselig…uuuund, kennst Du einen hochenergetischen Spruch, Seamus?“ fragte Baldur.
„Noch nicht…“
Kurz darauf warf Baldur eine Strickleiter, deren Ende er sorgsam an einem massiven Haken in der Küchenwand verknotet hatte, in den Müllschlucker. Ein hölzernes Klappern signalisierte, dass das Ende irgendwo fünfzehn Meter tiefer aufgeschlagen war. Anschließend ließ Seamus, der sich als Schutz gegen den Gestank einen Schal um Mund und Nase gebunden hatte, vorsichtig eine Laterne an einem Seil herunter. Angestrengt starrte er in den Schacht. Als sich nach zehn Minuten immer noch kein Ghul im Schein der Kerze zeigen wollte drehte sich Seamus zu Baldur um und signalisierte ihm, als Erster hinabzusteigen. Der ältere Lehrling erschauerte, zog dann seinerseits einen Schal vor Mund und Nase und kletterte ungeschickt in den Schacht.
Eine (gefühlte) Ewigkeit später standen die beiden Adepten am Grund des Schachtes, der mit allerlei undefinierbarem und mitunter verdächtig wabbeligen Zeug, von dem Baldur beschloss zu vermuten, dass es sich um misslungene Götterspeise handelte anstatt um irgendwelche höchst unappetitlichen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit tödlichen Krankheiten verseuchte organische Überreste kranker Experimente. Vor ihnen erstreckte sich eine sanft geneigte Rutsche, die umso breiter wurde, je tiefer sie ging.
Baldur wollte schon eine Lichtkugel beschwören, als Seamus ihm in den Arm fiel. „Mh-mh!“
‚Ach ja‘, dachte sich Baldur, ‚Ghule werden von Magie angezogen. Wäre wohl keine so schlaue Idee gewesen…‘
Inzwischen hatte Seamus den oberen Bereich der Rutsche mit der Laterne abgeleuchtet und schmale Stufen entdeckt, die Abwärts führten. Langsam schlich er sich Stufe für Stufe nach unten in die Dunkelheit. Baldur folgte ihm.
Schon bald waren sie am Fuß der Rutsche angelangt und folgten ominösen Schleifspuren auf dem Boden zu einem Durchgang, hinter dem sie ein mehrstimmiges Schmatzen vernahmen. Seamus deckte die Laterne mit seiner Jacke ab und lauschte.
„Noch jemand ein paar Rippchen?“ fragte eine muntere Stimme.
„Jaaa, ich!“ antwortete ihr ein Chor Kinderstimmen.
„Also ehrlich, Marie-Jeanette, du verwöhnst sie zu sehr. Sie müssen lernen, dass Rippen nicht vom Himmel fallen… - naja, oder jedenfalls nicht andauernd vom Himmel fallen.“
„Ach Schatz, hier gibt es soooo viel zu essen, da kann ich die Kleinen doch gar nicht verwöhnen.“
Ein irgendwie feuchtes, reißendes Geräusch ertönte, gefolgt vom Jubel jugendlicher Stimmen und kurz darauf andächtigen Nagegeräuschen.
Seamus sah Baldur im schwachen Licht der abgedeckten Laterne an, der aber zuckte nur mit den Achseln und signalisierte in Zeichensprache, dass in dem Raum mit Sicherheit keine Ghule lauerten sondern nur eine fröhliche kleine Familie picknickte. Baldur holte entschlossen die Laterne unter Seamus’s Jacke hervor und marschierte mit einem entspannten „Hallo Leute, wie geht’s?“ durch den Torbogen – um sogleich wie angewurzelt stehen zu bleiben. Fünf rote Augenpaare starrte ihn aus schwarzen, ungesund verkrusteten und mit höckrigen Warzen übersäten Gesichtern an.
„Och, sieh mal an“, sagte Marie-Jeanette und schwenkte den Unterschenkel, an dem sie gerade noch geknabbert hatte in Baldurs Richtung. „Ein Mensch und dazu auch noch ein lebendiger…“
„Neeeee, ich kann jetzt wirklich nicht mehr, bin pappsatt“, sagte der andere erwachsene Ghul. Doch die Kinder johlten: „NACHTISCH!“
„Claude, dürfen sie?“ fragte Marie-Jeanette.
„Na, meinetwegen“, sagte der angesichts solcher Gefrässigkeit sichtlich von väterlichem Stolz erfüllte Ghul-Papa.
Unter lautem Ächzen und Stöhnen setzte sich die Brut der Ghule in Bewegung – oder hätte sich in Bewegung gesetzt, wenn sie nicht so ungeheuer fett gewesen wäre. So aber rollten sich die Ghul-Kids zuerst einmal nach vorne, um sich mit ihren Wurstfingern quälend langsam auf Baldur zuzuziehen. Ihre kolossal aufgeblähten Eltern waren sogar noch langsamer und bewegten sich hurtig wie eine Endmoräne.
Baldur war perplex und fragte den ebenfalls durch den Torbogen gekommenen Seamus, ob das auch in dem Buch gestanden hätte. Der Austausch-Adept starrte die feisten Ghule an. „Vermutlich hat Ba’al-Och sie etwas überfüttert“, murmelte er.
Nachdem klar war, dass auch ein Beinamputierter mit Gicht in den Fingern den Aasfressern auf 100 Meter gut 99,5 Meter abgenommen hätte, würde Ba’al-Och solche absurden Rennen veranstalten (Obwohl: Ausschließen sollte man so etwas nie…), beschwor Baldur erleichtert eine große Lichtkugel, um den Keller besser in Augenschein nehmen zu können. Ein vielstimmiges Geheul signalisierte, dass nicht nur Familie Ghul ein Picknick veranstaltete sondern auch zahlreiche Ghul-Onkel, -Tanten, -Neffen, -Nichten und dem Anschein nach auch Ghul-Mumien den schönen Tag für einen Ausflug zu den Fleischtöpfen genutzt hatten: Überall, wohin Baldur mit der Kugel leuchtete, krochen extrem gut genährte Aasfresser zwischen diversen Bauteilen eines Bones-Knochensets am Boden herum.
„Na gut, einer behält die Brut im Auge und der andere sucht ein paar Knochen zusammen“, sagte Seamus und schnappte sich den Sack. Dummerweise waren sowohl sein als auch die Kenntnisse von Baldur bezüglich des menschlichen Knochenbaus eher rudimentär ausgeprägt.
„Aaah, ein Schdel, was brauchen wir noch?“
„Hände und Füße?“
„Sehr gut“, zischte Seamus und stibitzte einem besonders hässlichen Ghul-Balg einen Unterarm nebst Hand. Die beiden Lehrlinge marschierten weiter in das Gelass hinein und bald schon hatte Seamus einen zweiten Arm gefunden, während Baldur nach Rippen Ausschau hielt: „Wie viele brauchen wir davon? Acht?“
„Zähl mal bei Dir nach“, empfahl Seamus, der sich nach einem Haufen Zehenknochen bückte und dabei einen irgendwie schimmelig aussehenden Ghul im Auge behielt, der in Slow-Motion nach ihm greifen wollte.
„Ääääh, ich finde da nix“, sagte Baldur, der zwar schlanker als ein Ghul, aber doch viel mopsiger als Seamus war.
„Dann nimm halt ein paar mehr mit…“
Eine gefühlte Ewigkeit später richtet sich Seamus auf und hielt triumphierend ein wohlgeformtes Becken in die Luft: „Dasss war’sss. Wir können losss.“
Als sich die beiden umdrehten, um zum Schacht zurück zu gehen, erstarrten sie. Die versammelte Ghul-Truppe hatte sich – ohne Hast wie man vermuten darf – vor dem einzigen Ausgang zusammengerottet und wartete gespannt und offensichtlich auch in Vorfreude auf einen frischen Snack darauf, dass die beiden Lehrlinge den Rückweg antraten.
„Uh, oh, gar nicht gut“, sagte Baldur und versuchte eine Lücke in der feisten Ghul-Phalanx zu entdecken.
Neben ihm raschelte etwas und Seamus bat ihn, mal mit der Lichtkugel zu leuchten.
„Du hast ein Blatt aus einem Zauberbuch gerissen? Ba’al-Och wird uns umbringen!“
„Jaja…wenn die da das nicht früher schaffen. Die müssen doch nur warten, bis wir einschlafen, dann sind wir geliefert.“
„W-w-w-wieso sollten w-w-w-wir denn einschlafen?“
„Guck mal, wie die Laterne brennt“, sagte Seamus und zeigte auf die Flamme, die nicht mehr gelb sondern beunruhigend schwachrosa brannte. „Der Sauerstoff wird weniger und das macht müde….Ha, ich hab’s!“
Tatsächlich hatte der Austausch-Lehrling die Stelle wiedergefunden, die ihm beim Überfliegen des Textes aufgefallen war. „Ghule haben kaum eine Schwachstelle, ausser sie sind in den Genuss von fettigem Fleisch gekommen. Das Fett können sie nur sehr schlecht verwerten, weshalb erhöhte Brandgefahr herrscht…“
Kurz entschlossen beschwor Seamus eine Flammenkugel schleuderte sie in die Mitte der Ghul-Horde, duckte sich und dreht den Kopf weg. Baldur, dessen Überlebensinstinkt weniger – um nicht zu sagen gar nicht – ausgeprägt war, sah der Kugel nach, bis sie mit einem eher kläglichen Puff zwischen zwei besonders fetten Ghulen explodierte und erlosch.
„Na toll! Hast Du nicht gesagt, dass der Sauerstoff zur Neige geht? Sieh Dir das an: Die brennen nicht, die glimmen!“
Tatsächlich kokelten die beiden Ghule eher lustlos vor sich hin – was sie aber nicht hinderte, sich vor Schmerzen hin und her zu werfen und andere Ghule zum Schwelen zu bringen. In panischer, wenn auch ausgesprochen bedächtig von statten gehender Angst rollten und glitten die restlichen Ghule aus der Reichweite ihrer unglücklichen Brüder, Schwestern oder weiß der Geier was – das lässt sich bei Ghulen, zumal bei brennenden Ghulen schwer feststellen.
Öliger Rauch begann den Raum zu füllen und die beiden Lehrlinge sprinteten los. Sie sprangen über einen besonders furchterregenden Aasfresser, traten zwei weitere aus dem Weg und erreichten das untere Ende der Treppe. Einem Ghul, in dem Baldur Claude zur erkennen glaubte, schmetterte Seamus den Sack mit den Knochen gegen den Kopf, dann war der Weg frei. In fliegender Hast flitzten die Adepten den Weg hoch und erreichten die Strickleiter. Hand über Hand kletterten sie nach rasch oben, doch auf halbem Weg starrte ihnen ein kleiner, aber dennoch recht runder Ghul mit breitem Grinsen entgegen. „NAAAAAACHTISCH!“ brüllte das Nachtwesen und ließ sich fallen. Seamus, der voran kletterte, zog den Kopf ein und der Mini-Ghul prallte ab, knallte gegen die Wand des Schachts und verschwand im Dunkeln. „Autsch!“ hörten sie noch, dann kletterten sie weiter. Seamus war gerade durch die Öffnung in der Küchenwand geschlüpft, da spürte Baldur, dass irgendetwas unten heftig an der Strickleiter zog. ‚Hartnäckiger kleiner Scheißer‘ dachte er, während er verzweifelt versuchte nicht den Halt zu verlieren und gleichzeitig weiter nach oben zu kommen.
Kaum hatte er den Rand des Ausstiegs erreicht und sich festgekrallt, da sah er, wie Seamus mit einem Messer das Halteseil durchtrennte.
„Bist du bescheuert?“ brüllte Baldur, „Da wäre ich fast mit abgestürzt…!“
Seamus murmelte etwas Unverständliches, zog dann aber den Schönen in die Küche und schlug die Luke zu. Schwer atmend lagen die beiden Adepten auf dem Boden, zwischen sich die beiden Säcke mit den Überresten der Unglücklichen, die Ba’al-Och wohl irgendwie auf die Nerven gegangen waren.
„Was ist denn nun was?“ fragte Baldur, nachdem sie die Säcke auf dem Boden ausgeschüttet hatten. „Da müssen wir wohl puzzlen“, antwortete Seamus und fing an, die Knochen zu sortieren.
Drei Stunden später hatten sie – zumindest theoretisch – alles zusammen, was Bones so brauchen würde. Monsieur Bokkuse umschwebte die beiden und musterte das Ergebnis zweifelnd. „Isch weiß nischt, ob das nischt ein Frauenbecken ist… aber was weiß isch denn schon?“
Seufzend machten sich Baldur und Seamus erneut daran, zu sortieren. Sie mussten sich beeilen, denn so langsam lief ihnen die Zeit davon.
„Ja, isch bin sisscher, das wird eurem Freund gefallen“, strahlte der verblichene Koch und Bones blubberte aus seinem Zuber Zustimmung.
Die beiden Lehrlinge warfen alle Überreste hinein. Baldur schaute Seamus erwartungsvoll an. Seamus blickte verlegen zurück. „Was?“
„Ich habe ein wenig Angst, dass es schief geht“, druckste er herum.
„Nun mach schon“, drängte ihn Baldur, „Ba’al-Och ist bald zurück.“
Also intonierte Seamus den Zauber, den er auf der letzten Seite des Knochenlos-Zauberbuchs gefunden hatte.
„Na bitte, das war doch nicht soooo schwer…“
„Ääääh hallo?“ fragte Bones und wedelte mit seinem längeren Arm, „Und was ist hiermit?“
„In Anbetracht der Tatsache, wie wir das Zeug bekommen haben, finde ich ist ein zu langer Arm ein geringer Preis. Da ist uns eben noch ein zusätzlicher Unterarm mit reingefallen. Außerdem ist das praktisch: Jetzt kannst Du mir den Honig von der Anrichte reichen, ohne aufzustehen UND Du kannst Dich überall am Rücken selber kratzen…“
Die drei Zauberlehrlinge machten sich auf den Weg zu Ba’al-Ochs Thronsaal, denn ihr Meister würde in wenigen Minuten zurückkehren. Und richtig, kaum hatten sie die Flügeltüren passiert, begann sich in der Mitte des Raums die Luft zu kräuseln und ein kleiner, funkensprühender Kreis erschien, der langsam größer wurde.
„Willkommen zurück, Meister. Wie war Eure Reise?“ flötete Baldur als sich die Umrisse des Zauberers im Portal abzeichneten. Und Bones verbarg seinen Arm in den Tiefen seines Umhangs.
**** ENDE ****