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Vater unser.
Ich hatte vor drei Tagen ein Telefonat mit meiner Mutter. Sie meinte, sie finde es schön, alleine zu wohnen, vielleicht in einer eigenen Wohnung. Es gebe im Haus zehn Stockwerke höher eine kleine gemütliche Einraumwohnung zu kaufen. Nicht günstig, aber... da könnte sie halt ihre Ruhe haben. Und das sagte sie zu mir! Der überhaupt kein Geld hat. Sie sagte es nicht zu meinen älteren Schwestern, auch nicht zu meiner Zwillingsschwester, auch nicht zu meiner jüngsten Schwester, die alle hübsch verheiratet und schön versorgt waren, sondern zu mir, der überhaupt kein Geld besaß. Ich nahm an, sie setzte dabei allein auf mein Talent, andere Leute zu motivieren, das Geld auszugeben. Vielleicht für eine gut geschnittene Einraumwohnung irgendwo in einem Moskauer Vorort.
- Gut, sagte ich, aber Ignat (mein jüngerer Brüder), der kümmert sich doch um dich oder? Es ist doch schön, ihn dabei zu haben? Wie willst du ohne ihn leben? Und der Vater?
- Ja, sagte sie, das schon, aber, weißt du, Ignats Kinder sind die ganze Zeit krank. Zur Zeit sitzen sie – alle neun – daheim mit einer Grippe. Kaum auszuhalten!
Ich stellte mir meine Kindheit vor, wie wir sechs Kinder und die Eltern in dieser Vierzimmerwohnung lebten, und machte ihr direkt einen Vorschlag:
- Mutter, warte doch den nächsten Sonntag ab! Der Vater wird schwimmen gehen, der Bruder samt Familie wird sich sicherlich brav zum Gottesdienst schleichen. Tausche einfach das Wohnungsschloss aus, während niemand zu Hause ist!
Dann legte ich auf. Den guten Sinn für Humor muss man immer parat haben.
Am Sonntag wurde ich von meinem Telefon geweckt. Ich schaute auf die Uhr. 3 Uhr nachts. Die Mutter meiner sieben Nichten und Neffen, die Frau meines einzigen Bruders, die einzige Schwiegertochter meiner Mutter war am Apparat. Sie ging direkt zur Sache:
- Max, du musst mit der Großmutter reden, sie ist total durchgedreht!
- Was ist mit der Mutter los? – meinte ich, und rechnete im Kopf, welche Zeit es wohl in Moskau war. Man hatte dort definitiv keine Vorstellung von Zeitverschiebung, die die ganzen Kontinente trennen könnte.
Die Schwägerin meinte, die Großmutter habe das Wohnungsschloss austauschen lassen. Niemand könnte in die Wohnung.
- Wo ist das Problem? - fragte ich. - Es wird langsam Zeit, dass ihr das Familiennest endgültig verlasst. Die Alte spinnt nicht, sie hat Recht. Ihr müsst die Bude räumen! Ich habe gehört, es gibt gerade im Haus eine nette Einraumwohnung zu kaufen! - Den guten Sinn für Humor darf man selbst um drei Uhr nachts nicht vergessen.
- Ja, das schon, sagte die Schwägerin, aber wir machen uns die Sorgen nicht um uns, sondern um die Großmutter selbst. Der Großvater ist nämlich schwimmen gegangen und wird gleich zurückkommen. Wir haben draußen gerade -20 Grad, und er mag keine Verzögerungen auf dem Weg nach Hause. Wenn er nach dem Schwimmen im Eisloch daheim ankommt und feststellt, was die Sache ist, reißt er die Wohnungstür samt der Großmutter aus den Angeln.
Ich musste kurz an meinen Vater denken. Mein feiner Sinn für Humor verflüchtigte sich. Mein Vater? Er hatte schon 75 Jahre am Buckel, aber immer noch eine goldene Medaille im Stoßen von der Weltmeisterschaft 1965 im Schrank. Die würde er sich natürlich um jeden Preis holen wollen. Samt des Schrankes, der Tür und des Leichnams meiner Mutter. Ohne Schlüssel... Ich rief sie an und versprach ihr, diese wunderbare Idee über den Kauf der Wohnung zehn Stockwerke höher meinen Geschwistern etwas schmackhafter zu machen.
Vor drei Tagen rief mich meine Mutter an. Sie sagte, sie fände es schön, nicht in einer Wohnung mit so vielen Menschen zusammenzuleben. Sie möchte gerne allein leben. Es stünde gerade eine Zweiraumwohnung im Haus zehn Stockwerke tiefer zum Verkauf. Sie sei zwar etwas teurer, als die Wohnung vor einem Monat, aber sehr nett geschnitten.
Ich fragte sie, ob sie nicht bis zum nächsten Sonntag warten kann. Da würde der Bruder samt Familie brav zur Kirche gehen. Der Vater würde schwimmen... Nein, nein und noch mal nein! Den Vater muss sie definitiv mit ins Boot holen!