Vampire der Großstadt
Der Tag ist mein Bruder, ein schlafender Bruder. Schützend hält er die Hand über mich und bewacht mich in der Zeit meiner Schwäche.
Meine Schwester hingegen, die lüsterne Hure, ist die Nacht: Voller Sünde, Ausschweifung und Skandal.
Sie ist es, die ich wieder und wieder ficke, ihre Essenz in mir aufsauge; deren Lebensflüssigkeit sich mir bis in die Ohren ergießt, wenn ich meine Reißzähne in das saftige Fleisch ihrer prallen Schenkel schlage…
Ein erneutes Erwachen.
Wieder einmal bin ich erwacht, wider besseren Willens.
Habe ich doch in der letzten Nacht alles getan dieses Aufwachen zu verhindern.
In meinem Mund die bekannte, faulige Kloake. Tausend Jahre Grabesgruft strömen auf mich ein, wollen mich zerfetzen, zersetzen und entkörpern. Doch mein ewig altes Gebein widersteht wie so oft. Mein Geist stellt sich seinem Schicksal und kapituliert, mein Körper jedoch schreit: „Flüssigkeit! Trink! Sauge!“
Scheiße! Was für eine geile Party war denn DAS gestern?
Nur eines meiner Augen öffnet sich vollständig, das andere liefert nur verschwommene Schlieren. Über mir, in sechs Meter Entfernung, die mir bekannte Zimmerdecke: speckig, bröckelig, abgeplatzt. Mein linker Arm ist völlig taub, ich muss mich nach rechts abrollen, aber da liegt irgendwas. Ich wälze mich über das taube Fleisch meines linken Armes und treffe mit dem rechten Fuß den Fußboden neben meinem Bett. Mist! Auf dem Tisch neben dem Bett nur eine halbvolle Flasche Rum, aber kein Wasser. Rum? Auf keinen Fall!
Ich brauche etwas Klares, Reines. Herum ums Bett in Richtung Bad, ein weiter Weg. Endlich angekommen (mein linker Arm kribbelt wie Sau!), dreh ich das Wasser auf. Mich mit der rechten Hand festhaltend, saufe ich das eiskalte Nass direkt aus dem Kalkverkrusteten Hahn. Danach den schmerzenden, obersten Teil meines Körpers in den Strahl gehalten: beißende Wohltat. Hahn zudrehen, Richtung Klo, Deckel hoch, hinsetzen, entspannen, pissen. Mann! Was für eine Party war das denn? Kann mich noch nicht wirklich erinnern, aber egal, erstmal nicht so wichtig.
Der Weg zurück ins Bett geht schnell, Wärme ruft, durch die Ritzen der Jalousie erkenn ich schwaches Tageslicht, Morgen- oder Abend-Dämmerung? Hoffentlich Abend!
Bevor ich mich fallenlasse erkenne ich das Hindernis von vorhin: weiblich, brünett, unbekleidet, leise schnorchelnd. Später! Unter die Decke gekrochen und Tschüß! Bruder, schütze mich!
Bis Nachher…
Als ich wieder aufwache geht es mir besser. Der Druck im Schädel hat nachgelassen, der in der Blase auch. Dezentes Licht ist an, es erklingt leise Musik, irgendwas afrikanisches. Hinter den Jalousien ist es merklich dunkler, also war es vorhin eher Abenddämmerung, oder ich hab lange gepennt. Ich rekle mich, stöhne vor Wohlbehagen, mache mich breit in meinem Bett.
„Na, wieder unter den Lebenden?“ höre ich von rechts.
„mhhh, na ja, so halbwegs, lass mir noch zwei Minuten“, antworte ich.
„’N Kaffee?“
„Quatsch echt? Geil! Ja, gerne!“
Jetzt noch `nen heißen Kaffee ans Bett, und die Welt ist wieder mein Freund!
Ich wälze mich nach rechts in Richtung Stimme, sehe ihr zu, wie sie hinter der Küchenzeile hervortritt mit zwei Tassen in der Hand. Ein kurzer, brauner Wuschelkopp, süße Figur, angenehmer Hüftschwung, sehr ansehnliches Gesicht. Und meine Tasse frischen Kaffe in der Hand: eine gute Wahl!
Sie hat mein T-Shirt von gestern an, auf links. Bei jedem Schritt wippt der Saum kurz über ihrem blank rasierten Venushügel, sehr ansehnlich. Während sie näher kommt schaue ich ihr in den Schritt.
„Ziemlich coole Bude hast Du hier“ höre ich und bekomme eine Tasse gereicht. Der Kaffee ist schwarz mit Zucker und ziemlich kräftig. Normalerweise trinke ich Kaffee mit Milch und Zucker, Schneewittchen- oder Sachsen-Style halt, aber dieser hier wurde, wenn vielleicht auch nicht mit Liebe zu mir, so zumindest mit großer Zuneigung zum Medium selbst hergestellt. Sie setzt sich neben mich, schlürft an ihrer Tasse.
„Wie kommst Du zu so’ner Hütte?“, fragt sie, „bist Du reich, oder einfach nur ‚n Schnäppchen gemacht?“
Ich überlege. „Beides irgendwie. Und weder noch.“
„Aha“
„Vielen Dank für den Kaffee!“
„Klar“
Ich richte mich halb auf, lehne mich an sie.
„Bist Du noch hier wegen der geilen Wohnung und der Aussicht auf Reichtum, oder eher weil ich es Dir gestern noch besorgt habe wie noch kein Anderer vor mir?“
Sie grinst.
„Ey, keine Ahnung! Ich kann mich nicht wirklich erinnern. Aber egal, Du warst nett und die Wohnung ist der Hammer. Aber Du hättst’n Kondom benutzen können, Du Arsch! Alles hat geklebt, ich hasse das voll! Und überhaupt, das ist gefährlich!“
Sie zieht ne Schnute.
„Sorry, aber Du hättest ja drauf bestehen können, wahrscheinlich hatten wir beide kein Bock drauf“, erwidere ich.
„mh, ja, so oder ähnlich… was weiß ich“
Sie dreht den Kopf und schaut mich an.
„Aber wir können ja gleich eins benutzen, wenn wir den Kaffee ausgetrunken haben“, sagt sie und grinst.
„Ja, stimmt“, antworte ich, grinse zurück und schlürfe das heiße, schwarze Nass. Ich scheine gut gewählt zu haben.
Es ist spät geworden, draußen ist finstere Nacht, drinnen schlagen die Bässe gegen die Backsteinmauern, cooler Groove, gleitende, machtvolle Musik. Ich fühle mich gut, wieder vollkommen frisch, ich bin erwacht. Schwester, hol mich ab, ich bin bereit!
Der süße Lockenkopf lümmelt auf dem Sofa vor der Videoleinwand und tippt auf seinem Handy rum. Eine gute Nummer, dreimal, wirklich süß die Kleine.
„Soll ich Dich nachher irgendwohin bringen?“, frage ich durch den Raum.
„Weiß nich“, sagt sie ohne mich anzugucken, „in welche Richtung fährste?“
„City“, antworte ich knapp.
„Ich klär gerade wo’s heute hingeht, hab ich noch zehn Minuten Zeit?“, fragt sie.
„Klar, ich geh grad duschen“, sage ich im Umdrehen, „spätestens halbe Stunde will ich los, nimm Dir Zeit.“
Auf dem Weg zur Dusche schnappe ich mir noch ein Stück von der kalten Ente, ich liebe Ente. Ich liebe jedes Geflügel.
Als ich aus der Dusche komme steht sie in der Küchenzeile, immer noch mit nix an als dem T-Shirt. Sie nascht ebenfalls vom Rest des Essens.
„Kann ich ins Bad?“, fragt sie.
„Klar, bin fertig“.
„Supi, ich beeil mich“.
Als sie an mir vorbei eilt streiche ich ihr über ihren süßen Po, sie verschwindet im Bad und ich geh mich anziehen.
Zehn Minuten später kommt sie aus dem Bad, während ich gerade meine neuen Sms checke, ich wurde wohl schon vermisst. Sie ist fertig angezogen, diesen Schulmädchendress fand ich gestern schon echt schau, die Frau hat’s drauf!
„Können wir los? Hast Du alles?“, frag ich.
„Klar, Alles außer meiner Unschuld“, erwidert sie schnippisch und lacht mich an, „kann losgehen“.
Ich öffne das Gitter zum Fahrstuhl, nach einem Druck auf den Knopf der Fernbedienung setzen wir uns in den Grand Tour.
Als der Lastenaufzug sich in Bewegung setzt starte ich den Wagen, acht Zylinder saugen kraftvoll Luft und Sprit. Ich lasse sie toben, lasse sie fressen, sie brüllen ihre Kraft hinaus dass sich uns die Armhaare kreuseln.
Als der Aufzug unten ankommt fährt das Tor geräuschvoll hoch während ich ungeduldig mit dem Gas spiele. Ich liebe diese Bude, der Aufzug ist einfach der Knaller. Als das Tor oben ist lasse ich die Kupplung springen und der Wagen jagt wie eine schwarze Katze hinaus in die endlose Nacht aus Asphalt und Beton, beißt sich fest, frisst sich mit einem Jaulen durch die Strasse.
In den Boxen dröhnen harte Drum’n’Base-Sounds als wir uns aufmachen die Nacht zu erobern und uns von ihr erobern zu lassen, der Mond schaut auf uns hinab und ich zwinkere ihm verschwörerisch zu. Heute ist die Nacht der Nächte, wie schon so oft zuvor, bis ans Ende aller Tage und zurück.
Wir checken ein paar Locations, cruisen vor uns hin, bis ich meinen Lockenkopf schließlich an die Ecke bringe wo sie ihre Freundin treffen will um mit ihr weiter zu ziehen.
„Hier kannst Du mich rauslassen“, sagt sie.
„Jep, kein Ding“, antworte ich.
Zum Abschied küssen wir uns hart, unsere Zähne stoßen aneinander. Ich hätte fast noch mal Lust.
„Vielen Dank für die schöne Nacht“, haucht sie mir schließlich ins Ohr.
„Ich habe zu danken“, antworte ich, „viel Spaß heute!“
„Ja, Dir auch, und tu nichts was ich nicht auch tun würde“, sie zwinkert mir schelmisch zu.
Ich nehme ihren Kopf in beide Hände und beuge mich zu ihr, küsse sie sanft auf die Stirn.
„Denk dran“, sage ich, „heute Nacht werden wir ewig leben!“
Sie grinst mich an, ein tiefer, letzter Blick: „Für heute und auf immerdar.“
„Für heute und für immer“, antworte ich. Sie weiß nicht wie Recht sie haben wird.
Ich schaue ihr nach als sie geht, und das tut sie wirklich hervorragend!
Laute Musik massiert meine uralte Seele, der Bolide, dessen Kern und Geist ich bin, schnurrt untergeben und wartet willig auf meinen Befehl. Schließlich löse ich mich von meinen Gedanken, gebe das Kommando zum Start, die Nacht wartet auf mich, nimmt mich in sich auf, begrüßt und bejubelt mich, und ich jage los, suchend nach dem Kick. Und während mein Gefährt heult, jauchzt, schluchzt und brüllt, die Stadt an mir vorbeizieht in Glanz und Verderben, lächle ich wie schon tausende Male zuvor. Der Jäger hat seinen Hort verlassen, und er wird wieder unter euch wandeln.
Ich bin euer König, und meine Schwester ist die Nacht.
Schwesterherz, umfange mich, denn ich bin Dein auf ewig!