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Vampir
Sucht nicht nach meinem Namen. Nennt mich das Laster der Welt, oder die Geißel der Menschheit. Nennt mich den Sohn des Kain, oder den Jünger des Mephistopheles. Euch alle werde ich überdauern, ihr Kinder eures eigenen Gottes.
Denn wer von euch hätte eure Dichter und Denker noch selbst gekannt, oder mit den Philosophen von einst debattiert? Wer von euch ging mit Jason auf Fahrt, oder kämpfte auf Trojas trutzigen Wehren?
Auf richtet ihr eure Herrschaft über Land und Meer, ja, ihr fahrt selbst durch die Lüfte. Nicht am Leben wart ihr noch, als der Turm zu Babel einstürzte, doch schichtet ihr Stein auf Stein auf seine vertrockneten Fundamente.
Zu einem Werk an Opern mag euer schwindendes Leben genügen, doch kenne ich manchen, der Jahrhunderte über derselben Notenfolge brütete, und sie am Ende doch verwarf. Denn keine Musik kann den Klang des Blutes, das Rauschen in euren Venen übertreffen, nach dem wir so gieren.
Versucht sind wir, gleich Christus in der Wüste, doch Heilige sind wir nicht. Denkt nicht, wir täten es gern. Denkt nicht, es bereite uns Vergnügen, nach euren fahlen Hälsen zu lechzen, wie der Vertrocknete nach dem Wasser lechzt.
Denn seht, euer Blut schreit nach uns, und nie gibt es Erlösung. Den Vater wie den Sohn, wie die Tochter oder den Liebenden, sie alle sind nicht wichtig für uns. Wie viele Jahrtausende uns wohl im Fegefeuer erwarteten, könnten wir scheiden?
Ist die Stunde vor Sonnenaufgang die dunkelste, so ist‘s nach ihrem Scheiden noch nicht ganz finster. Immer und wieder, und Nacht für Nacht der gleiche Tanz.
Des hohen Gestirns sengendes Licht vergeht, und ehe noch alle Sterne, gleich ihrem Spiegel im weiten Ozean erscheinen, bin ich schon da. Er sieht mich nicht, noch irgend anderes als seinen Weg. Gassen, eng wie im warmen Venezien, doch kälter noch als der Mond, finsterer als des Sternes Wermut Bahn, durch die Blutadern der Menschenstadt.
Immer fünfzig Fuß hinter ihm, immer in der Finsternis. Letzte Schreie der untergehenden Sonne brennen als fahle Strahlen Schatten in die Wände. Wohin er geht? Wer weiß es schon? Doch werde ich’s wissen, in wenigen Augenblicken.
Wie der Wolf seiner Beute folgt, wie ein Schatten seiner selbst, so geht der Tanz durch die Straßen. Nach der Schänke geht er, wohl hab ich’s bemerkt. So bleibe ich wohl draußen, grade weg vom Schein der Lampe, an des hellen Fensters Sims. Mag’s wohl Zufall sein, dass gerade dieser hier mir über den Weg lief, doch sein Schicksal will ich vollenden.
Zum Tisch geht er nun, an dem schon reichlich getrunken wird und gelacht. Welch dünne Scherze, welch Hohn ist dies Geschrei. Wärt ihr wie wir, ihr wärt wahrhaftig, doch gebt ihr euch hin den Freuden gegorenen Hopfens und dem schalen Geschmack des Fleisches eurer Viehe. Wen wollt ihr belügen, außer euch selbst? Doch wahrlich, eine leichte Beute ist der Trunkene.
So setzt er sich, und derbe höre ich seine Stimme durch das Glas dringen. Von Arbeit spricht er, und von Mühsal. Von drohendem Krieg und allerlei Verschwörung, und den Vorzügen der Weiber aus der Nachbarschaft. Keines eurer Mädchen, das bei einem der unsrigen lag in der Nacht, wird sich nach euren schwachen Leibern je mehr sehnen.
Die Nachbarstochter, sie sei schön und noch anderes, was zu solchen Gelegenheiten zu sagen gepflegt wird. Er habe sie beobachtet, das junge Ding, wie es morgens nach dem Bäcker ging. Und seine innersten Dinge kehrte er nach außen, auch das siebte Bier nicht achtend. Zurechtweisen ließ er sich nicht, auch hat es niemand versucht.
Keine Furcht verspüren sie vor ihren Worten und Taten, nicht vor dem Gericht, bei dem am Ende aller Zeiten alles abgewogen werden wird. Welches Urteil wird sie erwarten? Keine Angst erkenne ich in ihnen, keine Angst vor dem Schnitter, der gleich dem Schwert des Damokles über ihnen schwebt – oder draußen vor dem Fenster in der Schatten Umarmung wartet. Wie die Gezeiten des Jahres oder des Meeres, so sitzen sie im Licht ihrer Lampen, gleichgültig gegen die Welt draußen. Solch Laster ist in den Menschen. Wahrlich, verdient so einer den Tod?
Aufbrechen tut er, nach Stunden der Zeche. Verabschiedet hat er sich von seinen Kumpanen, nimmt den Mantel und tritt zur Tür. Jetzt? Nein, zu früh. Augen, gleich zu dutzenden, sind noch in der Nähe. Ich, der ich getauft bin in Blut, stehe auf einem Balkon, unsichtbar für das unwissende Auge, dass nicht nach links und rechts, nicht nach oben und unten sieht, sondern nach vorne immerzu. Wohin will er nun? Weiter geht die Jagd, ohne Hörnerschall und Donnerhall.
Nur das Blut höre ich, in seinem nunmehr stotternd schlagenden Herzen, getrieben von einer Urkraft, die euer Leben aufrecht hält. Einen eigentümlichen Weg nimmt er, nicht denselben zurück, den er gekommen.
Von Loge zu Loge, von Schatten zu Schatten gehe ich, versuchend, meiner Kehle Durst zu unterdrücken. Noch nicht. Der Mond steht am Himmel, der ansonsten dunkel ist. Hell erstrahlt das ganze Rund, doch silbern ist das Licht und lindernd, ungleich den heißen, sengenden Strahlen des Tages. Es werde Nacht, immer und immerzu, und jedes Mal aufs Neue.
In das Auge eures Gottes, das von euch hell und strahlend beschrieben wird, haben wir gespuckt. Doch dieser, euer Gott, ist unser ebenso nicht gewahr, wie es euer Teufel ist. Mit keinem von beiden paktieren wir, und außerhalb eurer Regeln ist unser Dasein.
Wohin geht er? Einer alten Holztür, kaum mehr in den eigenen Angeln, strebt er zu.
Vernagelt sind die Fenster, und das Werk der Steinmetze an den Fassaden ist nicht mehr. Ein jämmerliches Bild gibt er ab, kaum imstande, gerade zu gehen. Er klopft an die Tür, er hätte sie auch aufbrechen können. Jedes Bettlaken hätte ihm mehr Widerstand geboten. Doch ist dies kein Bettlaken, kein Leichentuch, mit Blut befleckt. Knarrend öffnet sie sich, wer schaut heraus?
Ein Mädchen, blutjung und arm. Lumpen trägt sie, und verängstigt ist ihr Blick. Ich stehe an einer Balustrade, hoch über der Gasse, gefertigt aus splitterndem Holz, in der Dunkelheit, die nun fester wird. Was sagt er?
Von Geld spricht er, seines Rachens Gestank ist bis zu mir zu riechen. Gespien hätte ein Mensch, oder einer, der nie der Menschen Völlerei gesehen. Sie schüttelt den Kopf, er geht ihr zornesfunkelnd an die Gurgel. Welchem Wahn ihr doch unterliegt, in den eure kurzen Momente des Glücks umschlagen. Keinen Schrei gibt sie von sich, sie kriegt keine Luft. Schüttelt sie doch den Kopf, zerrt sie doch in Panik an seinen Fingern um ihren Hals, los wird sie nicht kommen.
Rot ist das Blut, dass ich durch ihre Haut schimmern sehe, und schnell schlägt ihr Herz, an dem sich das meiste Rot sammelt. Ich höre, er will das eingeforderte Geld von ihr, wie immer, oder er bringt sie um.
Soll ich eingreifen? Die Angelegenheit beenden, mit dem Tod für beide? Nein, die Zeit ist nicht reif. Was für ein Mensch ist er? Ein schlechter, nach dieser Tat. Ich sehe, wie ihr Herz schwächer schlägt, sehe das Blut zurückweichen, um ihr Innerstes zu versorgen. Ich rieche ihren silbernen Schweiß, der auf ihre schöne Stirn tritt. Sein Schweiß riecht anders. Nach Trunkenheit und Laster, nach Gier und nach Ira, dem Jähzorn, der verschlingt und verzehrt. Leblos sinkt das Mädchen zu Boden.
Kein Herzschlag treibt ihr Blut durch ihre Venen, und zurück bleibt nur ein Schatten von Schönheit, gebrochen und vernichtet. Er beugt sich hinunter, greift in ihre Taschen.
Welch widerwärtige Art, betastet er doch erst das Mädchen, obgleich es tot ist. Er holt einen Beutel aus ihrer Tasche hervor, darinnen wohl Münzen klimpern. Wiegt ihn in beiden Händen, schaut sich um, schweißbedeckt. Abscheulich, diese Kreatur, ein Spiegel eurer korrumpierten Rasse. Doch eher betrüge ich die Welt, als dass die Welt mich betrüge.
Abscheulich. Das Mädchen hat er kurzerhand in den Hauseingang geschleppt, sich dann wieder auf den Weg gemacht. Jetzt ist die Zeit reif. In düsterrote Ozeane will ich tauchen, in schwarzen Wäldern umgehen, in die ich Nacht für Nacht zurückkehren muss. Erklommen werden sollen Todesgipfel, und des Himmels Glocken niedergeworfen werden.
Hat nicht Adam nach euren Lehren den Apfel von Eva genommen? Nicht Schuld ist dies für uns, denn unser Wesen ist es. Dieselbe Versuchung, immer wieder. Sünde? Nein. Dies ist nicht, was es ist. Doch muss ich es nun zurückhalten, denn um die Ecke gebogen ist meine Beute, entschwunden meinem Blick.
Schnell ihm nach, wie der Bussard auf die Maus hinabstößt. An der nächsten Tür steht er, wie lang soll dies gehen? Schon steigt der Mond herab, fern ist der Tag nicht mehr. Hinein geht er, mit klingendem Geldbeutel, mit Blut besudelt. Nicht mehr sehen kann ich ihn, doch hören durch Wand und Stein.
Eine Frau, vielleicht sein zweites Opfer? Doch nein, er spricht zu ihr in sanften Tönen, so voller Liebe, wie es einem Trunkenen zu Gebot steht. Redet sie mit Schwester an, und spricht von Krankheit und Tod. Typhus, hört man heraus. Wenige Wochen hätte sie noch zu leben gehabt, hätte er wohl das Geld nicht zu ihr gebracht.
Medikamente soll sie davon kaufen. Nach des Geldes Herkunft fragt sie ihn, doch er weist sie ab. Hatte er nicht auch genug, um sich der Gula, der Völlerei hinzugeben? Nun also auch Avaritia, der Geiz, und die Selbstsucht, der Schwester nicht das eigene Geld zu geben. Der Hopfen und das Fleisch mögen ihm wichtiger sein, wer kann es wissen?
Doch gemordet hat er um ihretwillen. Wie würde nun die Seelenwaage ausschlagen? Die Feder der Maat ist wohl allzu leicht, als dass sein Herz dort bestehen könnte. Könnte meines denn bestehen? Er kommt heraus, den Tränen nah.
Schwankend wie der Mast eines Schiffes im Sturm, lehnt er sich an die Wand. Mein Blick geht nach links und rechts. Ausgestorben ist die Straße, als ahnten die Menschen das bevorstehende Strafgericht.
Lass mich dein Richter sein, und gehe dorthin, woran immer du glaubst. Merkwürdig ist es in diesem Moment. Den Tod hat er verdient. Nicht? Oder doch? Zweifel kenne ich nicht, hatte sie niemals verspürt. Was ist zu tun?
#Durst in meiner Kehle, der mit Wogen aus Blut übermannt. Zerreißt es mich nun? Nehme ich erneut ein Leben? Eines ist nichts, nur ein Tropfen im großen Meer der Tränen. Gekettet ist er an das Leben seiner Schwester, und gestraft ist sie mit einem solchen Bruder. Oder nicht? Erneut türmen sich Wogen, rot und schwarz, aus Blut und Schatten.
Angreifen? Erlösung finden, wenigstens für eine kurze Zeit, eher der Durst wieder erwacht? Zähne, gleich blanken Klingen aus Adamant blitzen im silbernen Licht des sinkenden Mondes. Ehe noch die Sonne aufgeht, muss ich entschieden haben. Mit roten Augen, mit geschärftem Sinn und starkem Arm harre ich auf dem Balkon, bringe es nicht zu Ende. Was ist? Gott, was soll ich tun? Die Woge stürzt, die Schatten erheben sich, ich lasse mich fallen und heiße sie willkommen.