- Beitritt
- 02.01.2011
- Beiträge
- 967
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 35
Valcambi Suisse
Der Alte lief den Feldweg durch hüfthohe Gräser. Oben, am Kamm des Waldhügels, blieb er stehen. Er sah hinunter auf die Siedlung; die Metallwarenfabrik, der hohe Handymast. Spitze Dächer, ein Dutzend Fenster, aus denen Licht in die Dämmerung brach.
Er öffnete seine Weste. Er öffnete das Papier eines Eukalyptus-Bonbons, schob es sich in den Mund. Anschließend zündete er sich eine Jin Ling an.
»Mountain!«, rief er. Sein rechtes Knie schmerzte wieder, auch die unteren Wirbel.
Der Hund kam aus dem dunkelnden Wald geschossen; mit heraushängender Zunge.
Der Alte bückte sich, strich dem Hund mit beiden Händen über das Gesicht. Die glühende Zigarette zwischen Mittel- und Ringfinger. Der Alte hatte langes, weißes Haar, zum Pferdeschwanz gebunden. Auf dem Kopf trug er eine Trucker-Cap. Er trug graue, zerschlissene Turnschuhe. Der Hund war nachtschwarz.
Er sah den Wagen schon von weitem. Scheinwerfer und Rücklichter leuchteten noch. Im Wald war es stockdunkel. Er stakste vorsichtig durch das Dickicht. Der Mond schien hell am Himmel.
Der Alte kam auf die Forststraße. Er schnaufte stark. Mountain wartete schon bellend am Wagen.
»Ist ja gut«, sagte der Alte. Er hob seine Cap und lüftete seinen Kopf. Der Motor des VW Tiguan stand still. Der Alte ging um den Wagen, fuhr mit der Hand über die Karosserie.
Die linke Fahrertür stand einen Spaltbreit offen. In ihrem Blech wölbten sich Einschusslöcher wie fingerdicke Hornissenstiche.
»Scheiße«, murmelte der Alte.
Er öffnete die Fahrertür. Der Hund jaulte und zuckte einen Schritt zurück. Die Innenbeleuchtung erhellte das Wageninnere. Er bückte seinen Kopf und sah hinein. Seine Hand an der Karosserie.
Er verzog den Mund. »Kanaken«, zischte er.
Zwei Südländer saßen auf Fahrer- und Beifahrersitz. Ihre Gesichter grau und wächsern. Sie saßen noch in ihre Sicherheitsgurten geschnallt. Der Kopf des Beifahrers in den Nacken gedreht, der des Fahrers nach vorne gekippt. Dunkle Einschusslöcher auf ihren Oberkörpern. Ihre Münder standen offen. Ihre Zungen hingen heraus. Ihre Jeans und Oberteile blutgetränkt. Der eiserne Gestank nach Blut und Urin stieß aus dem Wagen. Der Alte hob seinen Schuh; Blut tropfte aus dem Fußraum. Der Hund jaulte und bellte.
Der Alte pfiff. »Schluss!«, zischte er. Der Hund winselte und setzte sich, einige Schritte vom Wagen entfernt.
Der Alte hustete. Er sah noch mal in den Innenraum. Er hob den Kopf und ließ seinen Blick über die Umgebung gleiten, lauschte; dunkle, hohe Baumstämme umgaben ihn, das Rascheln von Blättern. Er öffnete die Messertasche seitlich an seinem Gürtel, zog die Klinge heraus und hielt sie in der Hand. Er blickte wieder um sich und lauschte dem nächtlichen Wald.
Und dann, als er sich an der Karosserie abstützend und leicht humpelnd – die chronische Entzündung seines Knies war durch den langen Waldmarsch dieses Abends wieder schmerzlich angeschwollen – beinahe von der Limousine entfernt hatte, blieb er am Fahrzeugheck stehen und dachte kurz nach; schließlich machte er kehrt, humpelte zwei Schritte und öffnete die Hintertür.
Die Rückbank war leer, nur die Stoffbezüge waren übersät von dunklen Blutspritzern und Einschusslöchern.
Der Alte sah im Fußraum, unterhalb des Fahrersitzes, den Kunststoffkoffer liegen. Er bückte sich, beäugte ihn einen Moment; schließlich griff er nach dem Koffer und hob ihn aus dem Wagen. Er blickte wieder um sich, in den dunklen Wald, und horchte. Das Messer in der Hand. Er legte den Koffer auf die Rückbank. Er öffnete die Spannverschlüsse.
Und dann sah er zum ersten Mal das Gold.
Er zählte zehn Goldbarren. Er hob einen Barren an und zählte zehn weitere darunter. Im kühlen Licht des Wagens las er:
valcambi
suisse
500g
gold
999,9
Er schloss die Klappe und Spannverschlüsse. Er hob den Koffer aus dem Wagen. Er schloss die hintere und vordere Wagentür. Er steckte die Klinge zurück ins Lederholster. Er nahm den Koffer und ging ächzend, mit großen Schritten, den Forstweg entlang; anschließend stieg er zurück in das Dickicht. Der Hund aufgeregt, bellend und winselnd neben ihm.
Er saß am Küchentisch und rauchte Jin Ling. Neben ihm ein Glas Wasser, eine dampfende Tasse Instant-Kaffee und eine angerissene Packung Ibuprofen. Er saß auf der Eckbank. In der Spüle stapelten sich Tassen, Teller, Geschirr und leere Baked Beans- und Suppen-Dosen. Auf dem Boden und dem Küchentisch stapelten sich Zeitschriften und Magazine, die mit Schnüren zu kleinen Päckchen zusammengebunden waren. An der Decke spannte sich ein brunnengroßer, schwarzer Schimmelfleck. Auch in seinem Schlafzimmer und der Abstellkammer unter dem Dach war Feuchtigkeit und Schimmel in das Gemäuer gezogen. Die Dachgauben, Teile der Bedeckung und die Dämmung mussten erneuert werden. Die Ölheizung war seit ein paar Jahren ausgefallen. Unter dem Giebel hörte der Alte nachts, wenn alles still war, das Tapsen und Kratzen von Mardern oder Waschbären.
Mountain lag unter dem Tisch. Mountain lag mit seinem Bauch über den Füßen des Alten; mit dem Kopf an seinem Bein.
Der Alte pfiff und murmelte vor sich hin, weil er wusste, dass es Mountain beruhigte. Er spürte den gleichmäßigen Atem des Tieres; spürte sein weiches Fell und die Wärme seines Körpers.
Er öffnete die Spannverschlüsse und die Klappe.
»Sakrament«, murmelte der Alte.
Das Gold strahlte. Er hätte nie gedacht, dass Gold so strahlen konnte. Er nahm einen Barren in die Hand, wog ihn. Der Koffer war so schwer, dass nun seine Schulter stach. Auch sein Rücken stach. Das Knie geschwollen. Er hatte nasse Tücher mit Beinwell-Wurzeln, die er hinter seinem Garten, am Wald grenzenden Bachlauf, zu pflücken pflegte, um sein Knie gebunden.
Er saß da und rauchte. Er drückte den Filter in eine leere Baked Beans-Dose. Er zündete sich eine weitere Jin Ling an, inhalierte. Die ganze Zeit war er in Gedanken.
»Verdammt!«, fluchte er.
Er stand auf, nahm den Wadenwickel ab und stieg in seine Jeans. Er zog sich Weste und Regenjacke über. Es war drei Uhr nachts. Er schloss den Koffer, ging in den Keller, wühlte in Kisten und kam schließlich mit einem Klappspaten in der Hand zurück.
Im hinteren Drittel seines Gartens – zehn Meter vom Bachlauf und dem angrenzenden Wald, und zwanzig Meter von seinem Haus entfernt – hob er das Loch aus. Er stach zuerst Rechtecke der Wiese aus dem Boden, die er feinsäuberlich neben sich legte. Anschließend schaufelte er Erde aus dem Loch, die er in den Bach kippte. Er legte den Kunststoffkoffer in das Loch. Darauf setzte er die Rechtecke des verwilderten Rasens, der seinen Garten durchzog. Er trat mit den Turnschuhen auf das wiedereingesetzte Gras, bis er glaubte, es bis zur Unkenntlichkeit festgetrampelt zu haben.
Am Küchentisch schluckte er zwei weitere Ibuprofen und steckte drei Kapseln in seine Westentasche. Er suchte Plastikhandschuhe, Müllsäcke und ein Mikrofasertuch. Er lief hoch ins Schlafzimmer – das von Stapeln an Zeitschriften, Magazinen und Kartons überfüllt war –, öffnete an seinem Nachttisch das Schubfach und nahm einen Colt Cobra Revolver, Kaliber .38, heraus, den er in die Seitentasche seiner Regenjacke steckte.
Er brauchte zwei Stunden, bis er am Wagen ankam. Der Wagen stand noch auf der Forststraße inmitten des Waldes. Die Scheinwerfer und Rücklichter brannten noch. Bevor er das Dickicht verließ, band er mehrere Schichten Müllsäcke um seine Schuhe. Er zog sich lila Plastikhandschuhe über die Hände. Er lief zum Wagen. Er merkte schnell, dass man den groben Abdruck seines Schuhprofils trotzdem auf dem erdigen Boden erkannte. Der Mond schien hell. Mit dem Tuch fuhr er über die Karosserie. Er öffnete die Hintertür. Er schrubbte über Rücksitz, Innenseite der Tür sowie das Dach. Das Wageninnere stank mittlerweile so bestialisch, dass er großflächig und schnell wischte. Er sah die Leichen vorne auf den Sitzen. Einen Moment dachte er daran, ihnen ein letztes Mal in die Gesichter blicken zu wollen.
Die Spuren seiner Schuhprofile verwischte er mit einem langen Ast. Er warf den Ast in den Wald. Anschließend ging er – vom Dickicht aus – noch einmal zum Wagen. Er umkreiste den Wagen, öffnete die Vordertür, schloss sie wieder und lief zurück zu der Stelle, von der aus er auf den Forstweg getreten war. Er blickte auf den Wagen. Er öffnete seine Feldflasche und trank große Schlucke von süßem Rotwein.
Dann verschwand er im Wald.
Er saß auf der Eckbank und rauchte Jin Ling. Draußen stand dunkel die Nacht. Mountain zu seinen Füßen. Warm, fröhlich und verängstigt wie ein Kleinkind. Der Alte fuhr ihm durch das Fell. Es ist, weil sie immer wie Kinder bleiben, dachte er. Weil nur diese Unwissenheit, dieses blinde, kindliche Vertrauen in die Dinge imstande ist, all das Schlechte, das er hatte sehen müssen, aufzuwiegen.
Dann, als erste Sonnenstrahlen durch das verschmierte Küchenfenster brachen, stand der Alte auf, ging in den Flur, hob den Telefonhörer ab und wählte 1-1-0.
Die Kriminalbeamten verließen das Haus und gingen die Treppenstufen vor dem Eingang hinunter. Der Jüngere der beiden Polizisten – keine vierzig– drehte sich im Gehen um, lächelte und sagte: »Wir melden uns bei Ihnen.«
Er trug einen blonden Dutt auf dem Hinterkopf.
Der ältere – hochgewachsen, hager, mit eulenhaften Augen – trug eine schwarze Jack Wolfskin-Jacke und die schattenartigen Reste eines weggelaserten Tattoos auf dem Handrücken.
Der Alte stand im Fliegengitter, murrte und kaute auf einem Kaugummi.
Ein weiterer Polizist stand in der Auffahrt am Polizeiwagen; die Hände an der Polizei-Weste, den Blick beobachtend auf das Grundstück des Alten (die Häuserfassade, die hohe Pappel im Garten). Er trug schwarze, nach hinten gegelte Haare; Marokkaner oder Araber.
Die drei Männer stiegen in den Wagen. Als sie im Streifenwagen anfuhren, blickten sie hoch zum Alten, als blickten sie in das Gesicht ihres Vaters oder in das eines Luchses oder Fuchses, der sein Antlitz für einen Moment aus den Untiefen der Wälder zu ihnen heraus streckte, und der ihnen später, in ihren warmen Wohnungen, nicht aus dem Kopf gehen würde.
Der Alte steuerte seinen Wagen auf die Bordsteinkante; anschließend drehte er den Motor ab. Er fuhr einen roten VW Polo II. Baujahr 1991. Das hintere Fenster mit Gaffer-Tape verklebt. Er saß noch einen Moment im Wagen; rauchte seine Jin Ling fertig und blickte durch die Scheibe auf das imposante Haus. Mountain lag eingerollt im Fußraum des Beifahrersitzes. Mountain wedelte mit dem Schwanz.
»Jetzt wird’s kompliziert«, murmelte der Alte.
Er fuhr dem Hund über den Kopf. Mountain schleckte nach seiner Hand.
Der Alte stand an der Haustür und drückte die Klingel. Alle Lichter im Erdgeschoss brannten. Durch das Küchenfenster sah er den Kopf seines Sohnes und den seiner Schwiegertochter; und die Köpfe eines anderen Ehepaares, das er nicht kannte.
Er klingelte noch mal.
Er kaute auf einem Kaugummi. Er hob seine Cap und lüftete seinen Kopf.
Anschließend öffnete die Tür. Sein Sohn war fünfunddreißig. Er trug eine Kochschürze, auf der stand: Bester Koch der Welt
Sein Sohn sah ihn einen langen Moment ungeduldig an, mit der Türklinke in der Hand.
»Guten Abend«, sagte der Alte. »Können wir reden?«
Sein Sohn atmete tief ein. Im Hintergrund schrie seine Frau nach ihm. Menschenlachen aus dem Wohnzimmer.
»Worüber?«, fragte sein Sohn. Dann drehte er sich um und rief: »Ja, ich komme gleich!«
Der Alte blickte ihm einen Augenblick betreten ins Gesicht. Durch das Fenster sah er die Menschen am Esstisch lachen. »Wir müssen etwas besprechen«, sagte er. »Es geht um das Beste, was mir je passiert ist.«
Sein Sohn atmete tief ein und schloss die Tür einen Spaltbreit. »Du weißt, was ich dir über solche Sachen gesagt hab«, sagte er.
Seine Enkeltochter kam den Gang entlang gelaufen. Sie trug einen viel zu langen Schlafanzug. »Wer ist da, Papa?«, sagte sie.
»Wir müssen uns unterhalten«, sagte der Alte. »Du wirst es nicht glauben.«
Jason schüttelte den Kopf. In seiner Ausfahrt stand ein nagelneuer, diamantschwarzer BMW.
»Egal, was es ist«, sagte Jason, »ich will es nicht wissen. Geh nach Hause«, sagte er. Er blickte wieder nach hinten, in Richtung Wohnzimmer. Seine Tochter stand an sein Bein geklammert und blickte hoch in das Gesicht des Alten. »Ich kann dir nicht mehr helfen«, sagte Jason.
»Nein«, sagte der Alte, »es geht um das Geschäft deines Lebens.« Er sagte: »Lass uns reden.«
Jason schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. Sein Gesicht lief rot an. Die Augen und grazilen Hände hatte er von der Mutter. Er sagte: »Ich hab dir gesagt wie’s läuft. Ich hab dir gesagt, dass du hier nicht einfach auftauchst. Egal, was es ist«, sagte er, »es interessiert mich nicht.« Er schloss die Tür langsam.
»Sei nicht so stur«, sagte der Alte.
»Und wenn schon«, sagte Jason.
Im Wagen startete der Alte den Motor und zündete sich eine Jin Ling an. Er strich Mountain über den Kopf. Am Küchenfenster stand sein Sohn – in Kochschürze –, mit verschränkten Armen; neben ihm seine Ehefrau, mit der Tochter auf dem Arm.
Der Alte bog mit dem Polo auf die Bundesstraße. Im Rückspiegel sah er die Lichter der Stadt. Er rauchte, summte und zog ein Eukalyptus-Bonbon aus der Brusttasche. Mountain eingerollt im Fußraum des Beifahrersitzes. Der Auspuff röhrte und das Getriebe quietschte beim Lenken, wenn er im ersten oder zweiten Gang anfuhr.
Er fuhr bis nach Kreuzthal; anschließend verließ er die Dorfstraße und folgte einem steilen Seitenweg. Die Straße endete und er steuerte den Wagen einige Minuten über die Forststraße durch dunklen Wald. An seinem Grundstück angekommen, manövrierte er den Polo über den Vorhof in den Garten. Er öffnete die Garage und parkte den Wagen ein. Sein Rücken war so steif und voller Schmerz, dass er es nur unter lautem Ächzen und verzogenem Gesicht aus dem Wagen schaffte. Aus dem Kühlschrank in der Garage nahm er ein paar Sträucher Beinwell-Kraut, das er dort in Klarsichtbeuteln lagerte.
Er lief – leicht humpelnd und mit der Hand am Rücken – über den Rasen zur Haustür. Kurz sah er in der Dämmerung zu dem Stück Wiese am angrenzenden Waldstück, an dem er das Gold vergraben hatte. Mountain lief neben ihm, hielt die Nase in die Luft und murrte.
»Still«, machte der Alte. »Du Gauzer.«
Er stieg stöhnend, ans Geländer gelehnt, den Treppenaufgang zur Haustür hinauf. Er steckte den Schlüssel in das Schloss. Als er die Tür öffnete, stand er einen Moment regungslos auf der Schwelle. Mountain bellte. Der Alte sah, dass einige der Kisten und gebündelten Zeitungsstapel, die links und rechts im Gang lagerten, umgefallen oder schief wiederaufgestellt waren. Der Hund bellte und winselte, ging einen Schritt zurück.
Der Alte bewegte seine Hand zur rechten Jackentasche, in der sich der Revolver befand.
Etwas schlug auf seinen Hinterkopf; der Alte fiel zu Boden.
Als er wieder zu sich kam, hörte er die Schüsse einer Vorderschaft-Repetierflinte. Er hörte Mountain (draußen, vor dem Treppenaufgang) winseln. Er hörte wieder einen Schuss. Er hörte einen Mann auf Arabisch fluchen, den Treppenaufgang hochkommen. Der Kerl trug eine schwarze Montur und eine schwarze Sturmmaske. In der Hand hielt er die Vorderschaft-Repetierflinte.
Ein zweiter Mann in schwarzer Montur mit Sturmmaske stand im Gang neben dem Alten; er fauchte dem ersten etwas zu. Er zielte mit einer Schalldämpfer-Uzi auf das Gesicht des Alten. Der Vorderschaft-Repetierflinte-Mann ging humpelnd; sein Hosenbein war zerrissen.
»Scharmuta!«, sagte er. Er ging zum Alten und trat ihm ins Gesicht. Der Alte stöhnte und japste, dort auf dem Fußboden.
»Cüs!«, sagte der Uzi-Mann und schob seinen Kollegen mit dem Arm weg vom Alten.
Der Alte keuchte. Sein Schädel pochte. Er spuckte Blut.
Gemeinsam packten sie den Alten und zogen ihn in die Küche.
Sie lehnten den Alten gegen den Kühlschrank. Sie schalteten das Licht ein.
Der Alte hustete und biss die Zähne zusammen.
Der mit der Vorderschaft-Repetierflinte stand einen Meter neben dem Alten und blickte nervös aus dem Fenster. Er sprach etwas auf Arabisch, schnell und zischend, und der andere, der dem Alten die Uzi ins Gesicht hielt, antwortete etwas und streckte den Kopf in Richtung des Fensters.
Der Alte spuckte aus. Der Alte biss die Zähne zusammen. »Kanaken«, zischte er.
Er öffnete den Reißverschluss der Seitentasche seiner Jacke. Er griff in sie hinein und feuerte den Revolver durch den Stoff seiner Jacke in das Schienbein des Uzi-Trägers. Er spürte den heftigen Rückstoß; spürte, wie der Lauf nach oben wegzog. Der Knall hallte schockartig durch den Raum. Der Alte sah, wie das Schienbein des Mannes nach hinten weggeschleudert wurde; wie Blut, Muskelgewebe und Knochen durch den Raum spritzten. Der Mann sackte sofort seitlich auf die Küchenfliesen. Keine halbe Sekunde verging, da bewegte der Alte seinen Arm zur Seite und feuerte Blei in den Unterbauch des anderen (der schon – zusammengezuckt – die Vorderschaft-Repetierflinte auf ihn gerichtet hatte).
Der Uzi-Träger schrie fürchterlich. Der Alte hörte kaum seine Schreie, da feuerte der Uzi-Träger eine Salve in das Gesicht des Alten. Er fluchte auf Arabisch. Der Alte spürte ein fürchterliches Brennen seitlich seines Halses; er schwenkte die Knarre wieder zum Uzi-Mann, der vor ihm auf dem Boden lag, und knallte ihm erst in die Brust, dann verfehlte er zwei Mal sein Gesicht.
Der Alte trat nach der Hand des Uzi-Mannes, in der er die Maschinenpistole hielt; schließlich kickte er die Maschinenpistole aus seinen Fingern.
Der Alte hievte sich keuchend und fluchend, mit zusammengebissenen Zähnen, am Kühlschrank auf.
Der Uzi-Mann keuchte, hielt sein Bein und schrie.
Der andere Mann lag gekrümmt, wimmernd und schreiend auf dem Boden und hielt seinen Bauch. Der Alte trat dem Mann die Vorderschaft-Repetierflinte aus der Hand. Dann hielt er sich am Waschbecken fest und feuerte dem Kerl eine weitere Ladung Blei in den Bauch. Der Alte drückte noch ein paar Mal den Abzug, aber die Trommel drehte leer. Der Uzi-Mann wimmerte auf Arabisch, spuckte in Schüben Blut, keuchte und hielt sein Bein. Der Vorderschaft-Repetierflinten-Mann lag gekrümmt auf dem Boden und schrie fürchterlich. Eine dicke Blutlache breitete sich auf den Fliesen um seinen Körper aus.
Der Alte stürmte humpelnd aus der Küche. Draußen, im Gang, fasste er sich an den Hals; auch er blutete.
Er hastete die Treppenstufen hoch, ins Schlafzimmer. Er warf den Colt auf das Bett. Er öffnete den Kleiderschrank, schob Hemden am Kleiderbügel zur Seite und Griff nach seinem Repetiergewehr. Er lud es durch. Er schnaufte. Er hörte die Männer unten schreien. Er hastete die Treppen hinab, mit dem Gewehr im Anschlag. Die Männer lagen so in der Küche, wie er sie eine Minute zuvor verlassen hatte. Der Boden war voller Blut. Die Wände waren voller Blut, Fleisch und Knochensplitter. Er zielte auf den Hinterkopf des Uzi-Mannes und drückte ab. Er sah, wie der Schädel des Mannes platzte, wie sämtliche Bewegung plötzlich aus dem Mann fiel. Der andere Kerl hatte sich die Sturmhaube aus dem Gesicht gezogen. Seine Haut war bereits wächsern; dicke Schweißperlen standen ihm im Gesicht. Er lag gekrümmt da, mit den Händen am Bauch. Der Araber sah den Alten an, hob die Hand. »Bitte«, sagte er. »Nicht.«
Der Alte lud das Gewehr durch. Er lief zu dem Araber. Er hielt ihm den Lauf ins Gesicht. Er sah den Araber einen Moment an, als blickte er in seine eigene Vergangenheit. Als läge er, Jasons Vater, dort auf den Küchenfliesen.
Dann drückte er ab.
Vor der Haustür – unterhalb der Treppenstufen – fand er Mountain. Körper und Gesicht des Hundes waren von fingerdicken Einschusslöchern übersät. Seine Zunge hing aus dem Maul. Seine Ohren hingen schlaff. Um ihn herum, auf dem vertrockneten, erdigen Rasen, eine schwarze Blutlache.
Der Alte setzte sich auf die oberste Treppenstufe und schnaufte. Er griff in seine Westentasche und schob sich ein Eukalyptus-Bonbon in den Mund. Er blickte zu Mountain, dann blickte er wieder in die Ferne.
Er saß zwölf Minuten dort vor der Haustür. Als er sicher war, dass die Polizei nicht kommen würde, zog er sich ächzend und keuchend am Geländer auf, stieg die Treppenstufen hoch ins Schlafzimmer und entledigte sich all seiner blutverschmierten Klamotten. Er hatte einen Streifschuss am Hals und eine tiefe Fleischwunde am Oberarm und Bauch. Sein Knie war dick und rot geschwollen. Alles tat ihm weh.
Im Bad nahm er drei Ibuprofen und trank aus der Leitung. Der komplette Rücken und Oberkörper des Alten war mit bläulich-verlaufenen Tattoos überzogen. Auf der Brust fletschte ein Puma die Zähne.
Er klebte hastig Klammerpflaster auf seine Wunden.
Er stieg in frische Jeans, Unterhemd, T-Shirt und Flanellhemd. Er lud den Colt und das Repetiergewehr. Er steckte sich Patronen in Hosen- und Hemdtaschen. Er humpelte in den Keller, holte Klappspaten und Plastikmüllsäcke. Er hängte sich das Repetiergewehr um die Schulter, schnallte sich das Revolver-Holster um den Bauch.
Noch mal geh ich nicht in den Knast, dachte der Alte.
»Dreckigen Kanaken«, murmelte der Alte.
Im Garten schaufelte er den Koffer frei. Schweiß stand ihm im Gesicht. Kühle, klamme Luft; Nieselregen. Die Dämmerung stark. Die Schmerzen und Steifheit seines Rückens strahlten bis in seine Brust und seine Beine.
Er nahm den Koffer aus dem Loch. Er lief mit Klappspaten, Repetiergewehr, Plastikmüllsäcken und dem Kunststoffkoffer zur Grenze seines Gartens; anschließend überstieg er den Bach und trat in den Wald ein.
Er zählte eintausend Schritte. Er hielt an einer großen Eiche. Mit dem Klappspaten hob er das Loch aus. Er öffnete den Koffer. Er packte drei Goldbarren in einen Plastiksack. Er verknotete den Sack, legte das Päckchen in das Loch und schaufelte Erde darüber. Er trat die Erde fest. Er streute Laub und Gräser über die festgetretene Erde.
Er versuchte, die markanten Stellen, an denen er alle eintausend Schritte die Goldbarren vergrub, im Gedächtnis zu behalten.
Das Beste, was mir je passiert ist, dachte er.
Ich geh nicht wieder in den Knast, dachte er.
Er wünschte, Mountain wäre bei ihm. Er wünschte, er hätte für den Hund pfeifen oder murmeln können.
Er wünschte, sein Sohn wäre bei ihm gewesen. Mit seiner Ehefrau und seiner Enkelin.
Er wünschte, er hätte etwas fühlen können; er wünschte, er hätte all die Dinge nicht sehen müssen, die er gesehen hatte.
Er wünschte, er hätte die Dinge nicht getan, die er in seinem Leben getan hatte. Aber es war zu spät, um zu bereuen.
Er hatte seine Strafe abgesessen.
Das Schicksal hatte ihm das Beste vor die Füße gelegt, was ihm je passiert war.
Zuletzt hob er ein Ein-mal-ein-Meter-Loch aus dem Waldboden, in dem er den Kunststoffkoffer begrub.
Er griff in seine Hemdtasche und knackte eine Ibuprofen aus der Zehnerreihe. Er nahm große Schlucke von süßem Wein aus seiner Feldflasche. Er war durchgeschwitzt. Der Mond schien hell am Himmel.
Jetzt ist es vorbei, dachte er.
Er lief eine halbe Stunde zurück zu seinem Grundstück. Er hielt einige Male an Bäumen und zog die Beinwell-Binde an seinem Knie gerade. Er zündete sich eine Jin Ling an. Er trug das Repetiergewehr noch um die Schulter.
Er überquerte den Bachlauf und trat in die verwilderte Wiese seines Gartens. Er kniete sich, mit dem Gewehr im Anschlag. Er beobachtete das Haus für einige Minuten; lauschte. Er sah Mountain regungslos vor dem Hauseingang liegen.
Dann stand er auf, streifte zur Garage, öffnete die Wagentür, legte das Repetiergewehr auf den Beifahrersitz und steckte den Schlüssel ins Schloss.
Aber er dachte auch an Mountain.
»Verdammt«, sagte der Alte.
Er wurde mit einem Mal hundemüde.
Die Schuldgefühle stiegen wieder in ihm auf.
Aber er hatte seine gerechte Strafe dafür abgesessen.
Er wünschte, Mountain wäre bei ihm gewesen. Er wünschte, er könnte jetzt in das Gesicht des Hundes blicken, sein warmes und weiches Fell spüren. Es ist, weil sie so ein gutes Herz haben, dachte der Alte. Weil sie dich besser behandeln als deine eigenen Kinder. Weil sie dir immer verzeihen. Weil sie nicht wissen, wer du früher warst.
Weil sie unerschütterlich an das Gute in dir glauben.
»Verdammt«, sagte der Alte.
Dann stieg er ächzend und stöhnend aus dem Wagen.
Er lief vor zu Mountain. Er kniete sich zu ihm. Er strich dem Hund mit beiden Händen über das Gesicht. Er küsste seine Stirn. Er legte seine Stirn gegen die Stirn des Hundes.
»Ich liebe dich«, murmelte der Alte.
»Diese Kanaken«, murmelte der Alte.
Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
Noch ein Kind, das auf mein Konto geht, dachte der Alte.
Er spürte seine Hände zittern.
»Verdammt«, sagte der Alte.
Er hievte den Hund auf seine Arme; ächzend und schnaufend, mit schmerzverzerrtem, zerfurchtem und unrasiertem Gesicht. Der Alte trug den Hund dreißig Meter zu dem Erdloch. Er bückte sich, schrie vor Schmerzen auf und legte Mountain in das Loch. Er lag einen Moment neben dem toten Hund. Mit stocksteifem Rücken. Er sah hoch, in die leuchtende Lichterkette aus Sternen. Er sah den Mond blutrot und orangenförmig auf ihn – dort auf der Wiese, neben seinem toten Hund – herab schauen.
Dann sah der Alte die grellen Scheinwerfer eines Jeeps in seine Auffahrt biegen.
Der Alte drehte sich auf den Bauch.
Türen öffneten sich.
Drei Südländer mit Kurz- und Langwaffen stiegen aus dem Wagen. Einer deutete zum Alten.
Der Alte drehte sich auf die Seite, zog sich hoch und begann humpelnd zu rennen.
Und dann fielen Schüsse.