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Vêtue de ta couleur qui est vie

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07.10.2015
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Vêtue de ta couleur qui est vie

Der Himmel ist gelb wie der Sand auf dem Platz, gelb wie der gebrochene Putz drüben an den Fassadenwänden. Ich sitze auf der Mauer, die Stofftasche unter den Arm geklemmt, das Buch zugeklappt auf den Knien, den Daumen zwischen den Seiten. Zu Hause werde ich sagen, dass es hier, wenn der Sand die Luft gelb macht, nach Mörtel riecht wie auf der Baustelle. Das stimmt nicht, aber es gefällt mir, deswegen will ich das so sagen.
Ein Junge steht in den Arkaden. Er schiebt seinen Rücken an der Wand des früheren Gouverneurspalasts entlang, unschlüssig, so sieht es aus, dann löst er sich und geht auf mich zu. Ich lächle nicht, nicke ihm nicht zu. Er kommt trotzdem näher.
Mit ausgestrecktem Arm hält er mir etwas hin, entschlossen, auffordernd, in der Bewegung so ruckartig, dass ich zurückfahre. Es ist eine Miniaturmaske mit großen Augen und spitzem Kinn. Ein Schlüsselanhänger. Ich warte, dass der Junge sagt, was er will. Er hält mir nur weiter den Arm hin.
„Und jetzt?“, frage ich.
„Sechstausend“, sagt er.
Ich schüttele nicht einmal den Kopf.
„Fünftausend“ sagt der Junge mit ausgestrecktem Arm.
„Blödsinn“
„Viertausend.“
„Ich bin keine Touristin“, sage ich. „Ich bin von hier. Mein Vater ist von hier.“
„Dreifünf. Für deinen Vater.“
„Ich bin keine Touristin. Mich interessiert das Zeug nicht.“
Er setzt sich, nicht neben mich auf die Mauer, sondern vor mich hin auf den Sandboden. Er dreht die Schlüsselanhängermaske zwischen den Fingern.
Fred muss bald zurück sein. Wir haben verabredet, dass ich hier warte, so lange werde ich den Jungen wohl ertragen können.
„Was liest du?“, fragt er.
„Senghor.“
Er beugt sich vor, langt herüber zum Buch und zieht so selbstverständlich und so leicht daran, als würde er erwarten, dass ich es ihm überlasse, damit er reinschauen kann. Ich halte es jedoch mit beiden Händen fest. Er soll nicht glauben, dass wir Freundschaft schließen.
„Wovon handelt das, dein Buch da?“
„Es handelt davon, dass du nicht hier rumsitzen und betteln sollst.“
Er schaut auf den Boden zwischen seinen Füßen, dann in mein Gesicht und grinst. „Ich bettle nicht. Ich bin Verkäufer.“
Wir sitzen uns gegenüber. Er malt mit dem spitzen Kinn seiner Schlüsselanhängermaske verschlungene Bahnen in den Sand.
„Du machst Kratzer in das Teil, du scheuerst den Lack ab, dann kauft es eh keiner mehr“, sage ich.
„Willst du’s nicht haben für Dreitausendfünf?“
Ich lache ihn aus. „Jetzt wo du es kaputt gemacht hast.“
„Dreitausend?“
„Ich will den Schrott nicht. Das ist nutzloses Zeug. Das ist für Touristen.“
„Für deinen Vater vielleicht? Eine echte vielleicht? Mein Onkel hat welche. Die sind nicht für Touristen. Er hat richtig große, so --“ er zeigt die Höhe meiner Knie an, „oder noch größer. Mein Onkel hat so welche.“
„Mein Vater ist tot“, sage ich. Und das stimmt ja nicht, aber ganz falsch ist es auch nicht.

In meinem Stoffbeutel krame ich nach der Brieftasche und halte sie ihm aufgeklappt hin. „Schau, das ist er. Das ist Benoit. Mein Vater.“
Der Junge reckt den Hals. Er hockt auf den Fersen vor dem Bild und schiebt mit den Händen Staub über seine Zehen.
In der Brieftasche steckt noch ein anderes Bild. „Dein Mann?“, fragt er.
Ich muss lachen. „So alt? Nein“, sage ich, „Papa, mein Papa. Das ist jetzt mein Papa.“ Ich tippe mit dem Finger auf das Bild. „Verstehe,“ sagt er. „Stiefvater.“
„Hm“, sag ich zweifelnd, „Stiefvater. Nee, für mich ist das mein Papa.“
„Woher kommst du“, fragt der Junge. „Amerika? Frankreich?“ Er fragt mich nach Geschwistern, aber nicht, ob ich ein Kind habe. Ich bilde mir ein, er könnte mich für zu jung halten. Dabei habe ich früher lange gefunden, man müsse Kinder mit unter Dreißig bekommen, weil man danach abstumpft und das alles nicht mehr voll fühlen kann, und wenn ich davon ausgehe, dann wird es sogar ziemlich knapp.
„Ich kann dich über die Insel führen. Ich weiß alles über die Geschichte.“
„Das ist sehr lieb“, sage ich, „ich hab aber schon einen Guide.“

Der Junge malt mit seinem Schlüsselanhänger Kreise in den Staub um seine Füße. „Gibst du mir Geld für Milchpulver? Ich brauch das. Für meine kleine Schwester. Gibst du mir Geld, dann kann ich das für sie kaufen.“ Er zeigt auf den Stoffbeutel, in den ich meine leere Brieftasche gesteckt habe.
Für Milchpulver nicht gern, ich mag die großen Konzerne nicht. Warum trinkt das Baby nicht an der Brust? Trotzdem frage ich: „Wie viel?“
„6500, die kleine Packung. In der Apotheke.“
Die kleine Packung, soso, die kleine also. Der Schlawiner. Ich werd ihn nicht fragen, was die große kostet. In der Hosentasche habe ich lose Geldscheine, damit ich nicht ständig den Geldgurt aufmachen muss, die hässliche Fummelei vor aller Augen. Ich zeige ihm einen Zehntausender. „Schau“, sage ich. „Kleiner hab ich das nicht.“
„Das ist mehr“, sagt er.
„Ja.“ Ich behalte den Schein in der Hand. „So viel kann ich dir eigentlich nicht geben. Hast du Wechselgeld?“
Er hat keins.
„Das ist zu viel, der Schein“, sage ich.
Er nickt und malt Kreise in den Sand.
„Wie weit weg ist deine Apotheke?“
Er schaut auf und zeigt mit der Hand. „Gleich dahinten. Ganz nah.“
Ich folge seinem Blick und versuche, gemeinsam mit dem Jungen unter den Arkaden durchzulinsen, sehe aber nur den Sand am Boden und dahinter Mauern ohne klare Konturen.

„Also: Du kriegst den Schein. Du kaufst die kleine Packung. Dann kommst du wieder hierher und bringst mir das Restgeld.“
Er nickt.
„Wann bist du wieder hier?“
„Fünf Minuten.“
Ich halte den Schein mit beiden Händen fest. „Denk dran, wenn du mir den Rest nicht zurückgibst, mache ich das nie wieder. Ich gebe nie wieder jemandem so einen Schein. Wenn mich jemals wieder ein Kind um irgendetwas fragt, gebe ich nichts. Ich vertraue dir, das musst du beachten.“
Der Junge nickt.
Er hat den Schein zwischen den Fingern. Ich lasse noch nicht los, zwinge ihn, mir in die Augen zu schauen. „Ich gebe niemandem mehr was, wenn du mich betrügst.“
Er nickt.
„Du hast eine Verantwortung.“
Der Junge rennt los. Er verschwindet durch den mittleren Arkadenbogen. Ich sehe ihn noch abbiegen.
Ich verwische mit meinen Füßen die Kreise, die der Junge in den Sand gezogen hat. Ob Papa mein Mann ist, hat er gefragt. Am Anfang hatte ich noch ein Bild von Flo in der Brieftasche drin, ich hab es rausgenommen, Fred zuliebe, obwohl er nicht darum gebeten hat.

+++​

„Bu!“, ruft jemand von der Seite her ganz aus der Nähe. Ich erschrecke über die Frechheit des Jungen, aber dann weiß ich im selben Augenblick, dass es Fred ist. Er trägt eine Plastiktüte mit einer Kokosnuss, aus der zwei Strohhalme herausschauen.
„Gerade denke ich darüber nach,“ sage ich zu Fred, „vielleicht laufe ich hier Verwandten über den Weg und habe keine Ahnung.“
„Wir beide sind verwandt“, sagt er, nimmt meine Hand, drückt sie gegen seine Brust, während er ein Knie bis zum Boden beugt, und macht ein Operettengesicht. „In der Seele.“
Er richtet sich auf und zieht mich von der Mauer hoch. Einen Moment lang meine ich, ich müsste noch auf den Jungen warten. Wozu? Er wird nicht zurückkommen. Es ist so oder so besser, wenn wir gehen, Fred soll nicht mitbekommen, dass ich jemandem was gegeben habe. „Gib denen nichts“, sagt er, wenn die Kinder mir nachrufen oder an meinem Ärmel ziehen. Er sagt es nicht als eine Aufforderung, sondern in beiläufiger Bestimmtheit, als ginge er davon aus, dass ich seine Meinung von selbst schon teile. Als könnte man das gar nicht anders sehen. Als würde sich an dieser Frage unbedingt entscheiden, ob sich das Gute in der Welt vermehrt oder vermindert, siegt oder untergeht. Dabei ist es egal. Gebe ich was, ist es egal, gebe ich nichts, ist es auch egal. Es tut nichts zur Sache. Ein Problem ist es nur für Leute, die ihren Stolz verletzt sehen, wenn sie betrogen werden.
Wir gehen. Ich will es gar nicht wissen, ob der Junge mir das Geld vielleicht doch zurückbringt. Das kann er mit sich selbst ausmachen. Mit mir hat das schon nichts mehr zu tun.
Ich lege meinen Arm um Freds Hüfte.
„Nur noch eine Woche“, sagt er und zieht mich fester an sich.
„Jetzt ist jetzt. Jetzt bin ich hier“, sage ich, „und ich bin bei dir.“

Ich bin hier zu Hause. Ich gehöre hierher. Ich bin eine von hier. Das habe ich Fred zu verdanken, noch mehr als meinem Vater.
„Ich weiß, dass du von hier bist“, sagt Fred. „Ich spür das. Wie du läufst, wie du sprichst. Die andern sehn das nicht, aber ich sehe das. Ich hätte dich unter hunderten herausgefunden.“ Dann wieder das Operettengesicht, das in seiner Überzogenheit diesen Schmalz erst erträglich macht.
„Fred“, sage ich, „Frédérick. Du bist ein Schleimer.“ Ich schiebe die Hand in den Hosenbund und taste nach dem Muttermal über dem Beckenknochen. Und irgendwo fühle ich, dass er trotzdem recht hat, wenn er diese Dinge sagt. Fred mit seiner Trainingshose, unter der er nichts trägt.

+++​

Ich will nicht über Flo nachdenken, den ich zu Hause zurückgelassen habe und von dem ich kein Bild mehr in mir habe. Ich habe es verloren, indem ich den Boden hier betreten habe. Ich stelle ihn in der Erinnerung vor mich hin, aber da ist nichts, ich schaue durch ihn hindurch. Er hat braune Augen, keinen Bart, glatte Haare, das kann ich aufsagen, weil ich es weiß, aber ich sehe es nicht vor mir. Dabei telefonieren wir fast täglich miteinander und sagen uns nette Dinge, wie es mir geht, will er dann wissen, ob die Reise mir gut tut. Anfangs hab ich darauf gewartet, dass er mich fragt, ob ich mit anderen Männern schlafe. Aber das hat er nicht getan. Ich würde nein sagen. Es hätte ohnehin falsch geklungen, auch anfangs, als es noch stimmte.

„Warum gehst du nicht nach Kanada?, hat Flo zu Hause gefragt. Benoit ist doch Kanadier.“ Guter Witz. Er hing in seinem zurückgekippten Stuhl, drückte den Hinterkopf gegen die Dachschräge und spielte mit der Balance. Er wippte sanft vor und zurück, indem er den Kopf bewegte, die Hände zusammengefaltet auf dem Bauch. „Ceci n’est pas une pipe“ stand auf seinem Shirt, und dazu ein Foto von Duchamps Pissoir. Vor ein paar Jahren fanden wir das ungeheuer lustig. Dieses T-Shirt für Eingeweihte, haha.
„Was wär denn besser an Kanada?“
„Wär nicht besser. Ich versteh’s halt nur nicht.“

Er hat nie infrage gestellt, dass Benoit mein Vater ist. Du siehst gar nicht so aus – das hat er nie gesagt. „Ich hab mal so zwei gekannt“, hat er gesagt, als ich ihm die Geschichte erzählt habe. „Der Junge sah total dunkel aus und das Mädchen total hell. So richtig. Dabei waren das Zwillinge. Das gibt’s.“

Also, habe ich ihm gesagt. Ich muss einfach dahin.
Er fand das seltsam: Warum ich nicht Benoit aufspüre, sondern ihn in einem Land suche, aus dem – „Womöglich!“ - seine Vorfahren kamen. „Warum nicht Angola?“, hat er gefragt. „Warum nicht Kamerun? Ich meine, du kannst da hin, aber warum ausgerechnet da?“ Er versteht das nicht. Natürlich trete ich dort in die Spuren, wo die Ahnen den Heimatboden hinter sich gelassen haben. Ich musste das Tor sehen, durch das sie auf die Schiffe geschleppt worden sind, um ihr Land nicht wiederzusehen.
Er sagte: o. k.
Aber dann, am Abend, hat er trotzdem die Faust auf den Tisch geschlagen.
„Hast du Angst, dass es mit uns vorbei ist, wenn ich ein paar Wochen weg bin?“, habe ich ihn gefragt. Er hat mit den Schultern gezuckt. Sechs Wochen sind lang, hat er gesagt.
„Wenn es mit uns vorbei ist, nur weil ich ein paar Wochen weg gewesen bin, dann war es schon jetzt vorbei. Wenn du anfängst, auf mich aufpassen zu müssen, ist es eh zu spät.“
Erst hat er gesagt, das stimmt. Dann hat mit der Faust auf den Tisch geschlagen und dabei sein Weinglas zertrümmert. Aber auf die Idee, dass er mich begleiten könnte, ist er nicht gekommen.

+++​

Das war nicht meine Absicht, diese Sache mit Fred, ich hab es nicht darauf angelegt. Es ist so gekommen, und erst als es schon passiert war, habe ich gespürt, dass ich das Richtige tue. Ich habe erwartet, dass ich mich schäme, dass ich morgens aufwache und mich schäme, aber da war nur das Gefühl, dass es so richtig ist und so sein soll.
„Durch dich bin ich von hier“, sage ich. Das meine ich auch so. Die Verbindung mit Fred hat mich hier verwurzelt. Fred hat in mir Wurzeln geschlagen, dadurch bin ich mit dieser Erde verwachsen. Das ist kein Selbstzweck, das ist kein Reiseflirt. Wir stehen in einer rituellen Beziehung, das muss auch Flo verstehen, wenn es darauf ankommen sollte.
Ich nehme Flo ja nichts. Wenn ich zurückkomme, habe ich Fred vor ihm gehabt, wie ich andere vor ihm gehabt habe, das ist alles.

„Manche kommen doch zurück“, sagt Fred. Er kniet auf dem Boden vor seiner Gazelle, setzt an und lässt den Kronkorken aufploppen, so dass er durch die Luft schnellt, hält die Flasche weiterhin fest und trinkt nicht, sondern schaut direkt von oben hinein, ein Auge zugekniffen. Er atmet tief ein, das ist noch kein Seufzen, aber schon gut hörbar. Er sieht gekonnt nachdenklich aus, der Schauspieler. Ich bin drauf und dran ihn zu fragen, ob er den Flaschengeist sucht. Er schiebt die Unterlippe vor. Dann schaut er doch zu mir hoch.
„Willst du nicht bleiben?“, fragt er.
„Nein“, sage ich. Das würde zerstören, was zwischen uns ist. Ich strecke die Hand nach ihm aus. „Das Band zwischen uns ist ewig, weißt du, aber wir können uns nur kurz berühren, das muss so sein.“ Und es ist so. Das hat mit Flo nichts zu tun, es liegt daran, dass magische Begegnungen im Moment bestehen.

Es hat auch nichts mit dem Kind zu tun. Ich gehe nicht wegen dem Kind zurück. Ich kann aber auch nicht wegen ihm bleiben. Fred hat nie gefragt, ob ich verhüte. Vielleicht nimmt er es an. Wenn es ihm nicht egal ist, hätte er ja fragen können. Das Kind kann ihm jedenfalls nicht fehlen, wenn er nichts davon weiß.
„Fred“, sage ich, „ich lasse dir mein übriges Bargeld da. Was soll ich zu Hause mit eurem Geld. Die Dollars auch. Was soll ich mit Dollars, die sind bei uns nichts wert. Ich lass dir alles da.“
„Nein“, sagt er. „Das ist nicht so was zwischen uns.“
„Fred“, sage ich, „was soll ich damit. Ich habe vorhin einem Jungen was gegeben, ich weiß nicht wohin mit dem ganzen Papier.“
Er schüttelt den Kopf und schaut mich streng an.
„Der Junge hat nicht gebettelt, er wollte mir was verkaufen.“

Ich werde Fred trotzdem mein Geld geben.

Es wird einfach Flos Kind sein, wenn er will.

 
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Hallo @erdbeerschorsch

Das ist ein sehr guter Text. Einerseits, weil er gut komponiert ist und sich angenehm lesen lässt. Nur wenige Dinge haben mich aufgehalten, du erzählst ausgereift, gut dosiert, gut gewichtet. Handwerklich überzeugend ist auch die Konsequenz, mit der du Themen wie ökonomische Ungleichheit, westliche Überlegenheitsgefühle etc. an der Figur festmachst und in der Handlung verortest.

Die Ich-Erzählerin ist grossartig gezeichnet. Manchmal glaube ich ihr, was sie sagt, lache über ihre Schlagfertigkeit. Manchmal glaube ich aber auch nicht, was sie sagt. Zu sehr nehme ich sie z.B. als Westlerin wahr, um ihr abzunehmen, dass sie sich wirklich daheim fühlt im Senegal. Ich denke aber auch nicht, dass sie mich anlügen will, eher, dass sie sich das selbst einredet. Auf alle Fälle wird ihre Zerrissenheit sehr deutlich, auf allen Ebenen. Für mich ist der Text ein Paradebeispiel für unzuverlässiges Erzählen. Ich hoffe, das war intendiert. :D
Insgesamt wird die Frage nach der Identität auf unaufgeregte Art und vielschichtige Weise verhandelt. Da ist auf der einen Seite eine Suche nach Ursprung und Halt im Leben spürbar, dann wiederum eine Es-ist-eh-alles-egal-Haltung, die aber kaum je zynisch wirkt. Ich weiss nicht, ob ich die Figur mag oder nicht. Manchmal ja, manchmal nein. Das ist die grosse Stärke dieses Textes. So kann zum Beispiel vieles von dem, was sie von sich und über ihre Beziehungen zu Männern sagt, unterschiedlich verstanden werden, als Ausdruck souveräner Unabhängigkeit oder als Ausdruck hilfloser Orientierungslosigkeit. So nehme ich das zumindest wahr. Der Text macht Angebote, legt sich aber nie fest. Ich mag das sehr.
Ja, das hat mich berührt. Nicht so, dass ich in Tränen ausbrechen möchte, sondern auf eine subtilere Weise.

Hier noch ganz wenig Kleinkram:

deswegen will ich das so sagen.

Ein Junge steht in den Arkaden.

Da ist dir eine Leerzeile dazwischengerutscht.
Er kommt trotzdem näher.

Mit ausgestrecktem Arm

Hier auch.
Ich halte es jedoch mit beiden Händen fest. Meine Sachen gehen ihn nichts an. Er soll nicht glauben, dass wir Freundschaft schließen.
Den Satz würde ich glaub streichen, der ist nicht nötig.
Und das stimmt ja nicht, aber ganz falsch ist es auch nicht. In meinem Stoffbeutel krame ich nach der Brieftasche und halte sie ihm aufgeklappt hin.
Da passt der neue Abschnitt sehr gut. Da ist was geschehen zwischen ihrer Weigerung, ihm das Buch zu überlassen und der Bereitschaft, ihm einen Blick auf ihre Fotos zu gewähren. Ich finde das auch exemplarisch für den Charakter, sie sagt das eine und tut das andere.
Der Junge malt mit seinem Schlüsselanhänger Kreise in den Staub um seine Füße.
Die Geste hattest du ungefähr so schon oben, und unten kommt es noch einmal vor. Hier würde ich es streichen.
leere Brieftasche gesteckhabe.
gesteckt habe
Für Milchpulver nicht gern, ich mag die großen Konzerne nicht.
Das ist ein furchtbar abstrakter Gedanke, der wunderbar irritiert.
durchzulinsen, sehen aber nur den Sand
sehe
Ich bin hier zu Hause. Ich gehöre hierher. Ich bin eine von hier. Das habe ich Fred zu verdanken, noch mehr als meinem Vater.
Das ist für mich der Kern des Textes. Es hängt vieles davon ab, ob ihr die Leser:innen abnehmen, was sie hier (und an anderen Stellen) sagt. Ich für meinen Teil tue es nicht. Nach fünf Wochen Leidenschaft ist sie eine von hier? Ne!
Fred mit seiner Trainingshose unter der er nichts trägt.
Komma nach Hose
Ich will nicht über Flo nachdenken, den ich in zu Hause zurückgelassen habe
das "in" streichen
wie es mir geht will er dann wissen
Komma nach "geht"

Lieber Gruss
Peeperkorn

P.S. Ein deutscher Titel würde dem Text besser stehen , finde ich. Er ist nicht einfach zu verstehen, wenn man die Sprache nicht gut beherrscht.

 
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Zu Hause werde ich sagen, dass es hier, wenn der Sand die Luft gelb macht, nach Mörtel riecht wie auf der Baustelle. Das stimmt nicht, aber es gefällt mir, deswegen will ich das so sagen.

Ab da war mir klar, wie der Text angelegt ist.

Für mich erzählt hier eine Person, die entwurzelt ist und nun unbedingt eine Heimat braucht, also vollumfänglich: spritituell, rituell, sense of place, ortsgebunden, die "Ahnen."

Er hat nie infrage gestellt, dass Benoit mein Vater ist. Du siehst gar nicht so aus – das hat er nie gesagt. „Ich hab mal so zwei gekannt“, hat er gesagt, als ich ihm die Geschichte erzählt habe. „Der Junge sah total dunkel aus und das Mädchen total hell. So richtig. Dabei waren das Zwillinge. Das gibt’s.“
Du erzählst hier aus der Sicht einer - wenn man dem Text glauben mag - zumindest mal halbschwarzen Frau. Ich finde das nicht problematisch, wobei ich festgestellt habe, dass ich selbst am glaubwürdigsten schreibe, wenn ich in meinem eigenen sozialen Erfahrungshorizont bleibe. Ein größeres Problem ist für mich, dass ich dem Charakter nichts, von dem was sie sagt, wirklich glaube: die innere Zerrissenheit ist im Grunde keine, es ist eine behauptete. Was hat sie dazu bewogen, genealogisch tätig zu werden? Es ist eine Sache, ein bißchen zu recherchieren und dann zu sagen: So, das wars. Oder sich wirklich auf eine Reise zu begeben, und das noch nichtmal in das angestammte Land, sondern an den Ort, von dem die Ahnen verschleppt wurden (so steht es im Text, oder nicht?). Das klingt eher nach einer elegant formulierten Ausflucht als nach existenziellem Drama. Die Frage wäre auch, was hat sie davon? Was wartet auf sie? Gewissheit? Eine Heimat, so wie wir uns das vorstellen?
Ich bin hier zu Hause. Ich gehöre hierher. Ich bin eine von hier. Das habe ich Fred zu verdanken, noch mehr als meinem Vater.
„Ich weiß, dass du von hier bist“, sagt Fred. „Ich spür das. Wie du läufst, wie du sprichst. Die andern sehn das nicht, aber ich sehe das. Ich hätte dich unter hunderten herausgefunden.“ Dann wieder das Operettengesicht, das in seiner Überzogenheit diesen Schmalz erst erträglich macht.
Was bedeutet: eine von hier? Und dann glaubt sie Fred nicht, sie findet sein Urteil überzogen, schmalzig sogar. Ich verstehe, wenn Menschen sich auf die Suche nach ihren Wurzeln begeben, weil sie glauben, an einem vermeintlichen Ursprung etwas zu finden, was sie erleuchtet, was sie beruhigt, was ihnen zum Gradmesser oder Wegweiser taugt, was sie etwas über sich erfahren lässt - keine Ahnung, was das ist, vermutlich eine Art Genugtuung, ein Gefühl der Herkunft im Sinne einer Örtlichkeit, einer Sittlichkeit, dass man nicht irgendwo aus der Luft geflogen kam. Das verstehe ich. Aber ich lese nichts davon in diesem Text, also ernsthaft.

Einfach mal frei assoziert: Kinder auf den Straßen, die Nippes verkaufen. Kinder, die Milchpulver für ihre Geschwister brauchen und dafür das Geld von Touristen nehmen. Fred, der Einheimische, der keine Unterwäsche trägt und in der ersten Szene mit Kokosnüssen unter dem Arm ankommt. Dann: Seelenverwandschaft. Der passive Freund zuhause, in dem es innerlich kochen wird, der aber vollkommen verständnisvoll tut, weil man das so macht? Die rituelle Verbindung zwischen ihr und Fred, sie wird ein Kind von ihm bekommen und lässt ihm auch noch das ganze Geld da, wie als Lohn. Diese Kette habe ich vor Augen, wenn ich den Text summiere auf die Bestandteile. Da steckt sehr viel Potential für Kitschmomente drin, und es ist eine Gradwanderung, ein Ritt auf dem Rasiermesser, da nicht auszurutschen.

Ich mag die Erzählerin nicht. Sie richtet es sich immer so ein, wie sie will. Sie macht alles für sich passend. Das T-Shirt für Eingeweihte, das passt genau in ihr Milieu. Ich finde solche Leute abnorm grausam und kann mit diesen auch keine drei Sekunden verbringen: sieh es mir nach, ich kenne solche Menschen vorwiegend aus dem studentischen Milieu, die sicher alle klug sind, die sich selbst verwirklichen und sich selber und ihre Malessen sehr wichtig erachten, aber dennoch stets weich fallen werden. Das unzuverlässige Erzählen ist der Hinterhalt, aus dem das gut funktioniert, weil würdest du eine solche Figur straight erzählen, würde man das keine drei Zeilen lesen können. Das wäre ein fürchterlich unerträglicher Charakter, selbstherrlich, arrogant, aufgeblasen. So rettest du das - es ist so, aber eigentlich nicht, oder könnte es auch sein?, ich weiß es nicht - das ist dir sehr gut gelungen.

Mir fehlt dennoch ein Glutkern, das Geheimnis. Warum? Langeweile, würde ich annehmen. Alles andere ist durch. Yoga, Therapie, jetzt dieser Selbsterfindungstrip, im wahrsten Sinne des Wortes: ein "Abenteuer", natürlich mit Kreditkarte und Rückflugticket. Ich jedenfalls kenne niemanden, der so etwas in Wahrheit tun würde. Ich kenne Menschen, die in anderen Ländern geboren wurden und dort nicht mehr hindürfen, aus religiösen oder politischen Gründen. Ich kenne niemanden, der sich auf den Weg gemacht hat, um etwas über seine Ahnen herauszufinden, außer es handelt sich um ein gut dotiertes Stipendium für ein Buchprojekt dieser Art! Nein, aber wirklich. Man denkt ja sofort, ja, ich verstehe die Motivation dahinter, aber das ist doch nur ein vages Raunen, bleibt immer undeutlich. Warum tut ein Mensch so etwas, seine Wurzeln entdecken wollen? Ich finde, das ist eine wichtige Frage, essentiell sozusagen. Sie wird mir in diesem Text nicht beantwortet. Vielleicht, weil die Antwort jeweils so individuell ist, dass man nicht kategorisch antworten darf, noch nicht mal eine Tendenz. Hier liegt aber einfach alles in der Schwebe, für mich wirkt das oft wie die Karikatur von jemanden, der es ernst meint. Ich würde gerne etwas Wahrhaftiges lesen, wo kein Zynismus ist, keine zweite Ebene.

„Wovon handelt das, dein Buch da?“
Sagt der Junge das so: Handeln? Weiß er, was eine Handlung im narrativen Sinne ist?

„Für deinen Vater vielleicht? Eine echte vielleicht? Mein Onkel hat welche. Die sind nicht für Touristen. Er hat richtig große, so --“ er zeigt die Höhe meiner Knie an, „oder noch größer. Mein Onkel hat so welche.“
„Mein Vater ist tot“, sage ich. Und das stimmt ja nicht, aber ganz falsch ist es auch nicht.
Auch hier das Motiv, das es immer jemanden im erweiterten Kreis gibt, der eventuell das passende Ding zum verkaufen hat; das ist schon auch ein Klischee. Man kommt da auch nur schwer wieder raus, ohne zum Arschloch zu werden. Hier sagt sie, ihr Vater ist tot, aber sie lügt. Dann sollte sie vielleicht nicht in der gleichen Erzählstimme relativieren. Für wen relativiert sie das?

„Du machst Kratzer in das Teil, du scheuerst den Lack ab, dann kauft es eh keiner mehr“, sage ich.
Auch das Belehrende, dieser Fokus auf das Merkantile. Mir ist das zu offensichtlich, als ob der Junge das nicht selber wüsste.

„Verstehe,“ sagt er. „Stiefvater.“
Auch hier. Weiß er, was in diesem Zusammenhang ein Stiefvater ist?
Nein“, sage ich, „Papa, mein Papa. Das ist jetzt mein Papa.“
Überhaupt verwirrend, wer ist wer? Da würde ich noch etwas mehr erklären eventuell. Oder ich bin zu blöde. Kann auch sein.
Für Milchpulver nicht gern, ich mag die großen Konzerne nicht. Warum trinkt das Baby nicht an der Brust?
Auch hier, das ist ja so ein wenig der Tenor des Textes, dieses ganze moralisch korrekte Verhalten, dieser Paternalismus, aber es ist mir zu offensichtlich, es wirkt dadurch auch wie eine Karikatur, ich denke an einen deplatzierten social justice warrior, der sich sein eigenes Verhalten versucht zu erklären und sich dafür rechtfertigt.

Das ist kein Selbstzweck, das ist kein Reiseflirt. Wir stehen in einer rituellen Beziehung, das muss auch Flo verstehen, wenn es darauf ankommen sollte.
Auch hier. Wenn es kein Reiseflirt ist, dann denkt sie sicher auch nicht in diesen Termini. Sie wägt ja alles gegeneinander ab, bleibt im Vagen. Nur Flo muss das dann verstehen, komme, was wolle.

Ich weiß nicht so recht, wohin der Text will. Was will der Text? Was wird mir hier erzählt? Ich glaube, vieles hat für mich damit zu tun, dass mir die Erzählstimme alles erklärt, jede moralische Korrektheit, jedes Bedenken, alles wird mir präsentiert. Sie wirkt auch für jemanden, der sich in einer solchen Situation befindet, viel zu abgewichst, zu abgeklärt, als könne sie nichts mehr überraschen. Man stellt sich das so vor, aber ist das wirklich so? Woran hat sie denn bemerkt, dass Fred in ihr Wurzeln geschlagen hat? Das klingt alles gut und schön, aber man darf nicht zu genau nachdenken, weil da oft nur Leerstellen sind. Hinter dem Zynismus steckt ja nichts weiter, da ist kein Motiv, es bleibt an der Oberfläche. Wenn man zu jemandem gehört oder an einen Ort gehört, was tut sich da, emotional, intellektuell, was sind das für Erlebnisse? Die für mich interessanten und wichtigen Dinge klammerst du leider aus. Und zu sagen, sie ist halt so oberflächlich, ich weiß nicht ... würde so jemand tatsächlich so einen Trip unternehmen? Das wirkt auf mich insgesamt noch etwas unausgereift.

Gruss, Jimmy

PS: Mir fällt noch ein, dass man den Text auch so lesen kann: dass sie nur behauptet, Benoit sei ihr Vater, es aber nicht ist. Dass sie sich quasi eine Identität zusammenstiehlt, wie man es ja schon öfters gehört hat in den Medien, gab ja ein paar Beispiele.

 
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Hey ho @erdbeerschorsch,
gleich mal vorweg: Ich habe das total gerne gelesen, aber da ich leider kein Französisch spreche (als Ossi war meine erste Fremdsprach Russissch und die zweite Englisch), verstehe ich den Titel nicht. Ist der wichtig? Ich habe den für mich so interpretiert, dass sich das Ich in einer der französischen Ex-Kolonien aufhält und dort eigentlich französisch spricht (auch wenn der Text auf Deutsch ist).

Jedenfalls, warum hab ich das gerne gelesen? Zunächst war ich hocherfreut, dass mich der Text von Satz zu Satz und Absatz zu Absatz weitergezogen hat. In letzter Zeit fand ich es eher anstrengend hier etwas zu lesen (was natürlich auch an meiner Verfassung liegt, aber da war es eben total nett zu erfahren, dass es nicht nur an meiner Verfassung liegt, sondern auch daran, wie Texte aufgebaut sind). Kommt also als nächstes die Frage: Warum oder wie hat der mich weitergezogen? Ich glaube ein nicht unwichtiger Faktor ist Irritation. Die beginnt schon früh, nämlich hier:

Zu Hause werde ich sagen, dass es hier, wenn der Sand die Luft gelb macht, nach Mörtel riecht wie auf der Baustelle. Das stimmt nicht, aber es gefällt mir, deswegen will ich das so sagen.
Damit setzt du gleich im ersten Absatz fest, dass ich dem Ich nicht vorbehaltlos in dem Text folge, sondern es hinterfrage. Das ist ja wirklich reichlich schräg, dieser Gedanke. Dass da jemand ist, der seine Umwelt in schönen Worten wahrnimmt, kennt man ja aus literarischen Texten, das verortet den natürlich auch im, ich sag mal, schöngeistigen Bereich. Aber wie das Ich das sagt: Es nimmt eben nicht nur wahr, sondern bezieht sich bei der Wahrnehmung auch auf ein Zuhause, auf das was er - in der Zukunft - über diese Augenblick sagen wird, wie es wirken wird, wie das möglicherweise die Beziehung zum anderen beeinflussen wird usw. Für mich steckt in diesen zwei Sätzen enorm viel Inhalt bzw enorm viel Charakterisierung des Ich. Also mich hast du am Haken, ich bin irritiert ... Man erfährt ja auch erst später, dass das Ich eine Frau ist, aber das hat mich zB gar nicht gestört, ich war so darin vertieft zu verstehen, wer das spricht, dass mich das Geschlecht gar nicht interessiert hat ...

Dann kommt die Situation mit dem Jungen, der den Schlüsselanhänger verkaufen will. Dass setzt dann das Setting noch mal deutlicher. Wir befinden uns in einem warmen, trockenen, armen Land, in dem Kinder Touristen Dinge verkaufen. Dem Jungen gegenüber wirkt das Ich dann ziemlich abgeklärt:

„Ich bin keine Touristin“, sage ich. „Ich bin von hier. Mein Vater ist von hier.“
Ok, das mag erklären, warum sie so abgeklärt wirkt. Es ist aber natürlich auch irriterend zum Satz oben, dass sie zu Hause dies und das sagen will. Also ist sie ja doch nicht von hier ... Zweite Irritation. Aber ich mag total, wie das für sie offenbar keinerlei Widerspruch zu sein scheint. Sie ist keine Touristin. Sie ist von da. Punkt.

Meine Sachen gehen ihn nichts an. Er soll nicht glauben, dass wir Freundschaft schließen.
„Wovon handelt das, dein Buch da?“
„Es handelt davon, dass du nicht hier rumsitzen und betteln sollst.“
Er schaut auf den Boden zwischen seinen Füßen, dann in mein Gesicht und grinst. „Ich bettle nicht. Ich bin Verkäufer.“
Ich mochte grundsätzlich an der Szene mit dem Jungen, wie die beiden sich begegnen, für mich war das schon irgendwie Augenhöhe, auch wenn sie da auf der Mauer sitzt und meint, sie wüsste vielleicht mehr als er. Denn auch wenn sie ihn als Bettler bezeichnet, ist er keiner und dadurch, dass sie das genauso zu ihm sagt, hat er Raum bekommen, das klar zu stellen. Im Grunde kann ich die Szene mit dem Jungen nicht so ganz greifen und ich müsste wohl noch ein wenig überlegen, welche Rolle sie für den Text spielt. Vielleicht geht es um das Ich, wie das Ich in die Welt geht und mit anderen in Beziehungen tritt. Hab ich ja oben schon angedeutet, ich lese den Text vor allem im Grunde als Charakterstudie und wenn ich das so sehe, lese ich auch diese Szene als weitere Informationen zum Ich.
Edit: jetzt am Ende ist mir klar, dass es eben genau darum geht, dass die Szene dafür da ist, zu zeigen, dass sie keine Touristin ist bzw dass sie es so wahrnimmt, wahrnehemen will ...

„Mein Vater ist tot“, sage ich. Und das stimmt ja nicht, aber ganz falsch ist es auch nicht.
Ok, wieder bin ich irritiert. Es wird ja auch erst mal nicht aufgeklärt. Klar ist, sie erzählt anderen auch irgendwelchen Scheiß ... soll das "Und" da wirklich sein, mich lässt das stolpern, weil ich die Funktion nicht verstehe ...

In meinem Stoffbeutel krame ich nach der Brieftasche und halte sie ihm aufgeklappt hin. „Schau, das ist er. Das ist Benoit. Mein Vater.“
Ich speichere die Informationen. Benoit = franz. Name, ist ihr Vater, ist tot, ist nicht ihr Vater. Ich kann damit noch nix anfangen, aber es ist ein weiterer Krumen, der mich durch den Text zieht auf der Suche nach dem nächsten ...

Ich muss lachen. „So alt? Nein“, sage ich, „Papa, mein Papa. Das ist jetzt mein Papa.“ Ich tippe mit dem Finger auf das Bild. „Verstehe,“ sagt er. „Stiefvater.“
„Hm“, sag ich zweifelnd, „Stiefvater. Nee, für mich ist das mein Papa.“
Und dauert gar nicht lange, da kommt er schon ... wie ich das interpretiere: Benoit ist ihr leiblicher Vater und tot. Aber aufgewachsen ist sie mit jemand anderem, ihrem Papa. Es gibt also einen Vater und einen Papa. Sie wandelt, warum auch immer, auf den Spuren des toten Vaters ...

„Woher kommst du“, fragt der Junge. „Amerika? Frankreich?“ Er fragt mich nach Geschwistern, aber nicht, ob ich ein Kind habe.
Und schon wieder bin ich irritiert, wie so gleichfalls nebenbei sagt, er fragt mich nach Geschwistern, aber nicht ob ich ein Kind habe. Sehr seltsam, wie da auf einmal die Kinderthematik auftaucht ... und gut eingeflochten, wie ich finde ...

„Das ist sehr lieb“, sage ich, „ich hab aber schon einen Guide.“
so freundlich?

Für Milchpulver nicht gern, ich mag die großen Konzerne nicht. Warum trinkt das Baby nicht an der Brust? Trotzdem frage ich: „Wie viel?“
:D irgendwie passt das total zum Ich, wenngleich der Gedanke wirklich skurril ist, aber ja, ich habe ja schon festgestellt, dass sie reichlich schräg ist ... jemand der viel reflektiert, dabei aber in seinen eigenem gedanklichen System irgendwie total gefangen ist ... für mich ist das auch total westliche Perspektive, was wiederum bedeutet: sie ist eben nicht von da.
Dann kommt die Szene, in der sie dem Jungen das Geld gibt. Sie gibt es ihm nicht einfach, sie macht ihn wiederholt auf seine Verantwortung für alle anderen, die nach ihm kommen, aufmerksam. Ich revidiere meinen Satz von oben, dass die beiden sich auf Augenhöhe begegnen, tun sie nicht, aber sie ist nicht einfach die reiche Westlerin, sondern eine von da, sie nimmt ihn nicht als armes, beklagenswertes Wesen war, aber schon als Kind, dem man noch Werte und so beibringen muss ... ich schätze mal, das ist ihr wichtig ... ich weiß eigentlich nicht, warum sie ihm das Geld gibt, vor allem wohl auch, um ihm diese Lektion zu erteilen ... sie ist seine Lehrerin, ein von da ...

Am Anfang hatte ich noch ein Bild von Flo in der Brieftasche drin, ich hab es rausgenommen, Fred zuliebe, obwohl er nicht darum gebeten hat.
oh, neuer Brotkrumen, wer ist Flo und wer ist Fred. Ja, ich weiß, sie wartet auf ihn, aber erst hier kriegt er für mich mehr Bedeutung, weil sie offenbar zu Flo eine Beziehung hatte (und emotional noch hat, weil sie ja das Bild in der Brieftasche hatte) und jetzt eine zu Fred hat ...Ist sie mit Fred dahin gefahren? Oder ist Fred der Guide? Das ist nur Leseeindruck, ich finde nicht, dass das hier beantwortet werden muss, das sind Frage, die mich weiter durch den Text ziehen, den Spannungsbogen ausmachen ...

„Gib denen nichts“, sagt er, wenn die Kinder mir nachrufen oder an meinem Ärmel ziehen. Er sagt es nicht als eine Aufforderung, sondern in beiläufiger Bestimmtheit, als ginge er davon aus, dass ich seine Meinung von selbst schon teile.
Ok, nicht uns nachrufen, sondern mir. Er ist wirklich von da. Sie ist aus dem Westen. Ihr ganzes Denken deutet ja auch darauf hin ... meine ich zumindest.

Dabei ist es egal. Gebe ich was, ist es egal, gebe ich nichts, ist es auch egal. Es tut nichts zur Sache. Ein Problem ist es nur für Leute, die ihren Stolz verletzt sehen, wenn sie betrogen werden.
Das hat mich rausgekegelt. Braucht es das? Hat das eine Funktion? Sie denkt über andere Leute nach, das ist neu, irgendwie stört es mich, aber könnte auch Teil der Charaktersierung sein, keine Ahnung

Wir gehen. Ich will es gar nicht wissen, ob der Junge mir das Geld vielleicht doch zurückbringt. Das kann er mit sich selbst ausmachen. Mit mir hat das schon nichts mehr zu tun.
Hatte es vorher auch schon nicht, aber gut ... für sie hat es jetzt nichts mehr mit ihr zu tun ...grundsätzlich erlebe ich das Ich schon als eher weltabgewandt und sehr in ihrem Inneren und ihren vielen Gedanken und Meinungen und Bewertungen usw verstrickt ...

Ich bin hier zu Hause. Ich gehöre hierher. Ich bin eine von hier. Das habe ich Fred zu verdanken, noch mehr als meinem Vater.
Ja, wichtig. Fred ist von hier, das ist jetzt endgültig klar. Er macht sie auch zu einer von da. Das ist das Thema, denke ich, es wurde ja auch schon recht früh gesetzt. Ich bin keine Touristin, ich bin eine von hier. Es geht um Identität. Ich denke, ihr Vater ist schwarz, ihr Papa und ihre Mutter wahrscheinlich weiß. Es geht um Spurensuche, aber gleichzeitig auch nicht, weil sie ja irgendwie immer so weit weg ist, immer in ihrem Kopf ist. Und dass er sagt, sie sei von hier, er habe das gleich gesehen, sagt er, weil er weiß, dass es genau das ist, was sie hören will. Sie will von da sein, ist es aber nicht, darum muss sie sich dessen stets selbst versichern.

Dann kommt der Absatz zu Flo. er ist zu Hause. Sie erinnert sich nicht an ihn, haha, ja genau, sie ist wirklich reichlich schräg, aber ich versteh schon, sie ist weit weg in einer anderen Welt, da können Erinnerungen schon mal verblassen, es trifft ganz gut meinen gesamten Eindruck von ihr, dieses weltentrückte ...

„Warum gehst du nicht nach Kanada?, hat Flo zu Hause gefragt. Benoit ist doch Kanadier.“
Es fügt sich. Benoit ist Kanadier, aber sie ist irgendwo in Afrika. D.h. Benoit ist schwarz. Da bin ich mir jetzt sicher.

„Was wär denn besser an Kanada?“
„Wär nicht besser. Ich versteh’s halt nur nicht.“
Ich weiß nicht, wie es ist eine PoC zu sein, was das mit der Identität macht, wie wichtig das ist. Ich habe so das Gefühl, ihr geht es ähnlich. Es ist irgendwie politisch, es ist Kopfsache, es gibt Überlegungen, Reflektionen, die es doch nicht über den Tellerrand hinausschaffen. Also mein Eindruck ist, sie ist in irgendwas gefangen. Sie scheint deutlich heller zu sein als ihr Vater ("so siehst du gar nicht aus, hat er nie gesagt). Die Farbe ihrer Haut wird aber nie direkt thematisiert, auch nicht Rassismuserfahrungen o.ä. dadurch wirkt es der Welt entrückt und irgendwie auch reduziert auf "die macht sich nen Kopp", aber wie es sich wirklich anfühlt für sie, abgesehen von politischen Statements, das erfährt man hier nicht. Vielleicht komme ich jetzt damit dann doch zu etwas, was im Text fehlt. Denn ja, es stimmt, sie ist eine Nachfahrin von nach Amerika verschleppten Menschen, zu Sklaven gemachten Menschen. Aber was genau bedeutet das für sie? Warum hat das für sie eine Relevanz? Da muss doch mehr sein als: "Ich will keine Konzerne unterstützen", d.h. Politik. Was genau machen denn Vorfahren mit unserer Identität?

Das war nicht meine Absicht, diese Sache mit Fred, ich hab es nicht darauf angelegt. Es ist so gekommen, und erst als es schon passiert war, habe ich gespürt, dass ich das Richtige tue.
Das glaub ich ihr längst nicht mehr. Sie hat so wenig Zugang zu sich selbst, erzählt sich Geschichte um Geschichte, kann selbst ja gar nicht unterscheiden was wahr ist, was nicht, sie fühlt nie, sondern denkt nur.

„Durch dich bin ich von hier“, sage ich. Das meine ich auch so. Die Verbindung mit Fred hat mich hier verwurzelt. Fred hat in mir Wurzeln geschlagen, dadurch bin ich mit dieser Erde verwachsen. Das ist kein Selbstzweck, das ist kein Reiseflirt. Wir stehen in einer rituellen Beziehung, das muss auch Flo verstehen, wenn es darauf ankommen sollte.
Ich glaube, dass es tatsächlich so ist, also für sie, denn natürlich ist sie nicht von da. Sie denkt sich eben die tollsten Geschichten aus ... und was sie davon den anderen erzählt, mal so, mal so, u.a. dass es wie auf der Baustelle riecht, auch wenn das nicht stimmt, aber es geht ja nicht um was ist, sondern um irgendwas anderes, so ganz richtig begreifen, tue ich es nicht. Und dann lässt sie sich ein Kind machen von Fred, keine Ahnung, sie würde das sicher nicht so formulieren, dass ist sicher ein rituell gezeugtes Kind, nicht eines, dass man liebhat oder so, sondern eines mit Funktion, vielleicht "musste" sie ein Kind mit einem schwarzen Mann zeugen, für mich geht es um Hautfarbe, um Identität, um ein sich verloren fühlen und um seltsame Wege, dieses Gefühl aufzulösen bzw damit umzugehen ... Sie wiederholt die Geschichte, gibt ihre Geschichte weiter an ihr Kind. Ein Kind wird gezeugt, der Papa wird ein anderer, nämlich Flo, sein, wenn er denn will. Interessant ist ja auch, dass die Kinderthematik weiter oben schon angedeutet wurde.

So lieber @erdbeerschorsch, wie gesagt, ich hab das gerne gelesen, auch wenns mitunter etwas schmerzhaft war, an der Grenze zur Fremdscham entlangschrabbt, finde ich das grundsätzlich gut erzählt, gut komponiert, gutes Erzähltempo, mit viel Inhalt zwischen den Zeilen, ein ständiges Verhandeln, ob sie von da ist (sagt sie) oder nicht (zeigt ihr Denken). Am Ende fehlt für mich aber auch etwas, dass man das Ich verstehen kann, ich finde, das hätte sie verdient, dass sie da nicht nur so luftleer im Raum schwebt, sondern der Leser nachfühlen kann, warum das alles ein Thema ist und dass das nicht nur von ihren vielen Gedanken so konstruiert ist und sie sich halt Probleme macht, weil sie sonst keine hat (so wirkt es etwas im Moment)

Viele Grüße
Katta

Edit: Ich bin erkältet und habe gerade inhaliert und dabei noch so gedacht, dass es vielleicht auch ein Text ist, der das sich freie Identitäten zurechtbasteln, kritisiert. Wobei ich es nicht als einen solchen Text empfinde, aber die Fragen sind doch zumindest angelegt. Kann man in einer Zeit, in der Geschlechtsbiologie bei der Geschlechtsidentität nur eine untergeordnete Rolle spielt (für manche zumindest, andere kritisieren ja genau das), das nicht auch auf Ethnizität anwenden? Ich habe zwar mitteleuropäische Vorfahren, aber eigentlich fühle ich mich in die falsche Kultur hineingeboren und identizifiere mich als "japanisch". Nur so als Beispiel. Von ihr wissen wir nur, dass ihr Erzeuger ein schwarzer Kanadier ist, also vielleicht sich selbst gar nicht sehr mit der afrikanischen Kultur identifiziert hat. Ich denke, es würde helfen, ihre Motivation für die Reise usw stärker im Text zu verankern.

 

Hi @Peeperkorn,

freut mich sehr, dich hier zu treffen. Du machst es mir mit der Antwort leicht, dagegen kann ich nichts haben.
Die Leerzeilen sollte ich wohl insgesamt noch mal überprüfen. Die du beanstandet hast, hab ich rasugenommen. Beim Reinkopieren macht mir das Programm für jeden Absatz eine Leerzeile, ich korrigiere das dann natürlich immer, aber nicht fehlerlos. Ich hab auch den Eindruck, dass hier und da immer noch eine zu viel ist. Wie gesagt, schau ich nochmal an.

Das hier:

Ich halte es jedoch mit beiden Händen fest. Meine Sachen gehen ihn nichts an. Er soll nicht glauben, dass wir Freundschaft schließen.
Den Satz würde ich glaub streichen, der ist nicht nötig.
-- werd ich mal so annehmen. Ich finde zwar die Härte, die sie da ausdrückt, irgendwo auch ganz nett, aber kann schon sein, dass das zu viel ist. In jedem Fall muss der Satz nicht bleiben, also: raus damit.

Eine kleine Aufgabe hast du mir hier gegeben:

Der Junge malt mit seinem Schlüsselanhänger Kreise in den Staub um seine Füße.
Die Geste hattest du ungefähr so schon oben, und unten kommt es noch einmal vor. Hier würde ich es streichen.
Einfach streichen fänd ich nicht so gut, da ist mir der Übergang zu abprupt. Dieses malen in den Sand soll darstellen, dass sie da eine kleine Weile beieinandersitzen und dann der Junge neu ansetzt. Ich muss aber gestehen, dass ich genau an der Stelle aus akuter Einfallslosigkeit ein Stück weit kapituliert habe und einfach das Bild wiederholt habe. Ein bisschen darüber nachgedacht habe ich und ich will den Jungen sicher nicht irgendetwas anderes tun lassen, aber vielleicht finde ich eine Möglichkeit, kurz die Umgebung mitspielen zu lassen: Die Vögel zwitschern oder so - also sinngemäß, nicht genau das und nicht so billig.

Hier:

Ein deutscher Titel würde dem Text besser stehen , finde ich. Er ist nicht einfach zu verstehen, wenn man die Sprache nicht gut beherrscht.
-- geb ich dir ja an sich recht und hab auch gefürchtet, dass das was Affektiertes hat ... Andrerseits hat man, wenn man's wissen will, mit zwei Klicks auch raus, was das heißt und wo es herkommt. Es ist ja ein Zitat von Senghor aus einem Gedicht, dass selbst eine Antwort auf koloniale Deutungsperspektiven sein soll und ihnen dabei gleichzeitig in seinem eigenen Exotismus nicht entkommt. Das ist nicht genau das Thema dieser Geschichte hier, aber die möglichweise noch vertretbare inhaltliche Nähe zugleich mit der Aneignung und Verpflanzung des Verses hat mich gereizt, als Spiegelung der Haltung der Protagonistin sozsagen. Auf Deutsch fand ich, zieht das nicht mehr so. Allerdings bin ich dem auch nicht wirklich nachgegangen: Weder hab ich eine Übersetzung gesucht noch mir selbst überlegt, in welchen Worten genau ich das übersetzen könnte.

Herzlichen Dank also für den Kommentar. Schon wichtig für mich, deine Stimme hier, erstens sowieso, zweitens speziell hier, weil der Text ganz klar das eine oder andere Risiko eingeht.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @erdbeerschorsch

Zunächst mal muss ich sagen, dass ich die Geschichte gut geschrieben finde (bis auf einige Zeichensetzungsfehler). Sie liest sich so weg, ohne große Holperer, und ich habe ein Bild vor Augen, wie sie da in der staubigen Hitze sitzt und mit dem Jungen redet. Auch die anderen Szenen sind anschaulich, kurz, aber treffend skizziert.

Für meinen Geschmack hebst du aber in der Geschichte den Deckel von zu vielen Töpfen und lässt die Gäste nur daran schnuppern: Westliches Gutmenschentum und neokoloniale Armut. Back to the Roots. Beziehungskonflikt. Und die Hautfarbe (Rassismus?) scheint auch noch irgendwie eine Rolle zu spielen. In einer Kurzgeschichte muss ja nicht alles bis zum bitteren Ende ausgeführt werden, doch hier könnten deine Gäste verschnupft reagieren. Oder sie lesen die Geschichte so, dass alles das nur dazu dient, die Ich-Erzählerin zu charakterisieren. Eine Charakterstudie also.

Aber ich werde mit diesem Charakter einfach nicht warm. Schon dieses Gutmenschentum zu Anfang. Grässlich! Sie mag die großen Konzerne nicht? Echt? Alle? Warum? Dann lässt sie sich auf den Jungen ein, will ihm aber Verantwortungsgefühl einpflanzen. Dass sie ihn vielleicht damit demütigt, spielt in ihren Überlegungen keine Rolle. Wahrscheinlich hat sie in ihrem Leben auch noch nie gehungert. Die Lügerei von ihr wurde ja schon angesprochen, ich glaube, von @jimmysalaryman.
Zu Flo wird sie zurückkehren und alles wird so sein wie vorher. Bis auf das Kind.

Wenn es dein Ziel war, einen zwar widersprüchlichen, aber unsympathischen Charakter zu zeichnen, hast du es bei mir erreicht.

Hier noch Kleinigkeiten:

„Wovon handelt das, dein Buch da?“
Zu gehoben für einen Jungen: "Worum geht's denn da in deinem Buch?"
„Dein Mann?“[Komma] fragt er.

Ich will nicht über Flo nachdenken, den ich zu Hause zurückgelassen habe und von dem ich kein Bild mehr in mir habe. Ich habe es verloren, indem ich den Boden hier betreten habe.
Hier habe ich ein paar Wortwiederholungen gefunden.
Es hätte ohnehin falsch geklungen, auch anfangs als es noch stimmte.
Komma hinter "anfangs"

Grüße
Sturek

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @jimmysalaryman,

danke für deinen langen Kommentar, auf den ich vielleicht - weiß ich noch nicht, mal sehen, wie es sich entwickelt - unangemessen kurz antworten werde. Das hat damit zu tun, dass ich im Kern bei fast allem, was du zu der Figur sagst, einfach zustimme. Natürlich stimme ich nicht genauso zu, dass du darin eine Karikatur und den Text insgesamt als eine Aneinanderreihung von Klischees empfindest. Da kann ich nur sagen, ich nehme das ernst und schaue es mir draufhin noch mal an. Hab ich natürlich auch schon, aber es ist ja klar, dass sich mein Blick darauf nicht plötzlich völlig ändert. Mit etwas Zeit vielleicht.

Eins allerdigs werde ich wahrscheinlich nachliefern müssen:

Mir fehlt dennoch ein Glutkern, das Geheimnis. Warum? Langeweile, würde ich annehmen. Alles andere ist durch. Yoga, Therapie, jetzt dieser Selbsterfindungstrip, im wahrsten Sinne des Wortes: ein "Abenteuer", natürlich mit Kreditkarte und Rückflugticket.
Das sehen auch @Katta und @Sturek mehr oder weniger ähnlich. Im Entwurf hatte ich da mehr: Der Stiefvater läuft als der echte Papa, Benoit wird in der Familie totgeschwiegen. In gewisserweise ist das eine Wiederaufnahme eines Themas, das ich mal in einer anderen Geschichte hier angespielt habe, vielleicht auch deswegen ist mir nicht so richtig aufgefallen, dass das hier als Info fehlt. Das hier ist aber keine Fortsetzung, diese beiden Geschichten würden schon im Tonfall gar nicht zusammenpassen, deswegen kann ich darauf nicht sinnvoll zurückverweisen. Wenn man mitgehen kann, dass dieses Totschweigen Unsicherheit hervorbringt, dann hätte sie schon ein etwas tieferes Motiv. Nun gut, letzlich hab ich gedacht, es geht ohne Vorgeschichte, aber vielleicht war das der falsche Gedanke. Warum hab ich das aber gedacht? Nun ja, weil es doch vielleicht auch reichen könnte, wenn der biologische Vater einfach früh aus ihrem Leben verschwunden ist und keine Spuren hinterlassen hat. Und wie ich das gerade so schreibe, denke ich eigentlich immer noch, das müsste reichen. Etwas mehr als ein Wohlfühlproblem wäre das doch schon, oder nicht? (Ich bin nicht in der Situation, es gibt sicher auch Leute, die da überhaupt nicht weiter nachdenken und für die das halt Normalität ist. Vor allem wenn man sich nicht mehr erinnert. Aber wenn man sich an den Vater doch noch erinnert, gerade so vielleicht auch nur - kann das nicht Unruhe stiften, die berechtigt ist?)
Und gerade fällt mir auf: Einen Satz in diese Richtung hab ich ja sogar dringelassen:
Er hat nie infrage gestellt, dass Benoit mein Vater ist.
Vielleicht zu knapp, kann sein.
Trotzdem finde es insgesamt nicht abwegig, dass jemand sich zu so einer Reise entschließt. Die Schwelle ist ja erst mal ziemlich niedrig. Es nicht wirklich ein großer Aufwand, ein paar Wochen setzen ja nicht voraus, dass man das ganze Leben umkrempelt. Und es ist kein Opfer, dass man bringt, sondern man erlebt ja auch was. Also, warum nicht? Andrerseits kannst du dann vielleicht umso mehr einweden: Ja, kann man machen, aber warum soll das interessant sein?

Ein Detail:

„Wovon handelt das, dein Buch da?“
Sagt der Junge das so: Handeln? Weiß er, was eine Handlung im narrativen Sinne ist?
Find ich eigentlich unproblematisch. Gerade hatte ich aber Gelegenheit, einen Zwölfjhrigen zu fragen, wie er so was sagen würde, und er hat gesagt: "Worum geht's in dem Buch". Werd ich also wohl ändern. Ich hatte sogar bis kurz vor Schluss "Worum geht es da in deinem Buch" oder so was, bloß hat mir eben gerade dieses buchstäbliche "es" gar nicht gefallen. Kann man natürlich umgehen mit dem Apostroph ("worum geht's da"). Hat mir trotzdem irgendwie nicht so gefallen, weiß im Moment gar nicht genau, warum, hat mich aber vom Höreindruck her ein kleines bisschen rausgeworfen.

Und zum Schluss:

PS: Mir fällt noch ein, dass man den Text auch so lesen kann: dass sie nur behauptet, Benoit sei ihr Vater, es aber nicht ist. Dass sie sich quasi eine Identität zusammenstiehlt, wie man es ja schon öfters gehört hat in den Medien, gab ja ein paar Beispiele.
Das ist eine Möglichkeit, die ich mir vorgestellt habe, ja. Für mich ist der Hintergrund so, dass da irgendwas war, worüber man nicht mehr redet und dass sie sich nicht ganz sicher sein kann, was da war. Selbst nicht ganz entschieden bin ich darin, ob sie sich sozusagen als Gegenreaktion aus der Leerstelle, die da aus der Vergangenheit aufgebaut wird, eine Geschichte erfindet oder ob sie recht hat. In jedem Fall bleibt Fiktion im Spiel: da war irgendwas, und aus dem Wenigen, was ihr zugänglich ist, baut sie sich etwas zusammen mit je nach Lesart mehr oder weniger stark ausgeprägten Elementen des Selbstbetrugs. (Also eben genau auf der Linie von @Peeperkorn.)

Nun denn, kurz ist die Antwort nicht gerade geworden, aber trotzdem in dem Punkt nicht ausführlich, dass ich zu der Klischee-Kritik nicht viel sage, weil mir, wie gesagt, nicht so richtig viel dazu einfällt. Ich seh's so, du siehst es anders - wäre eine Möglichkeit, wie man das stehen lassen könnte, ist mir aber zu wenig, ich denke schon, so blöd das vielleicht klingt, dass einer von uns beiden mehr recht hat als der andere (alles kurzerhand auf Geschmack, Lesegewohnheiten usw. zu reduzieren ist mir zu einfach, manchmal darf oder muss man das, aber wenn man es immer macht, wird's beliebig), hab aber gerade keinen Anhaltspunkt, wie ich dem nachgehen könnte. Ich will mal hoffen, dass du das nicht als Abblocken auffasst.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Natürlich stimme ich nicht genauso zu, dass du darin eine Karikatur und den Text insgesamt als eine Aneinanderreihung von Klischees empfindest.

Vielleicht habe ich mich mißerständlich ausgedrückt. Ich sage nicht, das sind Karikaturen oder Klischees, es besteht das Potential dazu.

Das Problem solcher settings ist ja eben, dass man nicht genau Bescheid weiß: wie ist denn so der durchschnittliche Sengelase? Was essen die, trinken die, worüber reden die, gucken die Fußball, was schauen die im TV, was arbeiten die, wie kommen die zur Arbeit, Bus, Bahn? Das sind ja Dispositive, die wir nicht erfahren werden, an denen wir nicht teilnehmen, weil wir eben weiße Westeuropäer sind, wir haben unsere eigenen Dispositive. Deswegen empfinde ich es eben schwierig, eine vollkommen andere Perspektive einzunehmen in einem Text, als die meines eigenen Erfahrungshorizonts. Ich sage nicht, das ist moralisch verwerflich oder so, aber es ist aus den genannten Gründen für mich sehr kompex und kaum zu bewältigen.

Da schwingt immer irgendwie Exotismus mit. Und wenn jemand böswillig auf den Text guckt, könnte der diesen auch dahingehend auseinandernehmen, auch wenn du es vielleicht anders gemeint hast; das möchte ich damit sagen.

Trotzdem finde es insgesamt nicht abwegig, dass jemand sich zu so einer Reise entschließt.

Das finde ich absolut logisch und richtig. Ich habe eine solche Reise auch gemacht, nur war die nicht so umfangreich und weit entfernt. Es geht nicht um den Akt der Reise an sich, sondern eher um den Inhalt. Was bewegt mich dazu, meine Wurzeln erkunden zu wollen, was treibt mich an, was erhoffe ich mir? Meine Ahnen waren Calvinisten und sind aus der Pfalz vertrieben worden und dann in der heutigen Ukraine gelandet (früher Galizien). Das war ein sehr hartes Leben voller Entbehrungen: ich wollte erfahren, ob es soetwas wie transgenerationele Entwicklungen gibt, ich wollte erfahren, wie die Lebensumstände meines Großvaters waren, weil dieser meinen Vater gezeugt und erzogen hat, und dieser dann mich; liegt es daran, an den Genen, an der Zeit? Das sind konkrete Beweggründe gewesen, ich hatte Fragen, um bestimmte Ergeignisse und Dinge in meinem Leben besser oder überhaupt erst verstehen zu können. Das ist es, glaube ich, was mir hier etwas fehlt, die glaubwürdige Motivation, an die auch gewisse Erwartungen geknüpft sind. Wird sie enttäuscht oder hat sie das gefunden, was sie gesucht hat, und wenn nicht, warum nicht?

Gruss, Jimmy

 

Hi @Katta,

einen schönen Kommentar hast du mir da dagelassen, das ist natürlich sehr hilfreich, so schrittweise gezeigt zu bekommen, wie du durch die Geschichte gegangen bist. Speziell die erste Szene, das mit dem Jungen: Man könnte das sicher auch als Fremdkörper empfinden, war jedenfalls meine Befürchtung, und da ist es sehr schön zu sehen, dass sich das im Ansatz bei dir gezeigt hat, aber nicht zu sehr, und dass es sich aufgelöst hat.

Dabei ist es egal. Gebe ich was, ist es egal, gebe ich nichts, ist es auch egal. Es tut nichts zur Sache. Ein Problem ist es nur für Leute, die ihren Stolz verletzt sehen, wenn sie betrogen werden.
Das hat mich rausgekegelt. Braucht es das? Hat das eine Funktion? Sie denkt über andere Leute nach, das ist neu, irgendwie stört es mich, aber könnte auch Teil der Charaktersierung sein, keine Ahnung
Ja, würd ich schon sagen: Teil der Charakterisierung. Ob es das braucht - gute Frage, wenn man so drüber nachdenkt. Irgendwo ist es ja so, dass sie da dem Jungen ein Stück weit Raum lässt ("soll er halt gehen mit dem Geld") so wie sie sich auch ganz ordentlich Raum nimmt ("soll sich der Flo halt nicht so anstellen").


Hatte es vorher auch schon nicht, aber gut ... für sie hat es jetzt nichts mehr mit ihr zu tun ...grundsätzlich erlebe ich das Ich schon als eher weltabgewandt und sehr in ihrem Inneren und ihren vielen Gedanken und Meinungen und Bewertungen usw verstrickt ...
Ja, doch, ein bisschen, ist ja ihr Geld, das er nicht zurückbringt. Aber genau, weltabgewandt passt, die Deutung der Dinge ist wichtiger als das bisschen Restgeld ...

Auch schön, dass du das hier -

Dann kommt der Absatz zu Flo. er ist zu Hause. Sie erinnert sich nicht an ihn, haha, ja genau, sie ist wirklich reichlich schräg, aber ich versteh schon, sie ist weit weg in einer anderen Welt, da können Erinnerungen schon mal verblassen, es trifft ganz gut meinen gesamten Eindruck von ihr, dieses weltentrückte ...
- so ohne weiteres mitmachst.

Dann eben hier diese Frage:

Die Farbe ihrer Haut wird aber nie direkt thematisiert, auch nicht Rassismuserfahrungen o.ä. dadurch wirkt es der Welt entrückt und irgendwie auch reduziert auf "die macht sich nen Kopp", aber wie es sich wirklich anfühlt für sie, abgesehen von politischen Statements, das erfährt man hier nicht. Vielleicht komme ich jetzt damit dann doch zu etwas, was im Text fehlt. Denn ja, es stimmt, sie ist eine Nachfahrin von nach Amerika verschleppten Menschen, zu Sklaven gemachten Menschen. Aber was genau bedeutet das für sie? Warum hat das für sie eine Relevanz? Da muss doch mehr sein als: "Ich will keine Konzerne unterstützen", d.h. Politik. Was genau machen denn Vorfahren mit unserer Identität?
- das schient dann doch ein größeres Problem zu sein, als ich erwartet hätte. Für mich wäre diese Frage nach dem Vater, Spurensuche usw., im Vordegrund. Die Indentifikation als "von hier", "schwarz" usw. hängt da mit dran, verstärkt das auch, weil es eine Projektionsfläche bietet und weil der Gedanke "ich will dahin gehören" dadurch, stelle ich mir vor, im Alltag präsenter sein könnte, da gibt es ja viele Anlässe, wie sie da in Europa immer wieder sich sagen wird, ich gehöre auf diese Seite, nicht auf "eure". Aber wenn das hier fehlt, liegt das nicht daran, dass der Text eben nicht in Euopa spielt? Hier strebt sie ja jetzt nicht nach Abgrenzung, sondern Integration. Was anderes wäre es, wenn sie in Europa immer wieder auf ihre Vorfahren, Herkunft usw. hin befragt würde, dann könnte sie das mitnehmen und vielleicht könnte sich das auch äußern: "endlich sehen sie mich hier mal nicht so"; oder auch - Überraschung - "ich dachte, ich würde hier akzeptiert, und jetzt sehen die alle in mir die Europäerin". Das könnte ein Thema sein, aber für sie ausgerechnet ja nicht, weil man sie in europa ja nicht (wie man so sagt) "schwarz liest". Andrerseits kann es sein, dass genau das im Text deutlicher werden müsste.

Ich glaube, dass es tatsächlich so ist, also für sie, denn natürlich ist sie nicht von da. Sie denkt sich eben die tollsten Geschichten aus ... und was sie davon den anderen erzählt, mal so, mal so, u.a. dass es wie auf der Baustelle riecht, auch wenn das nicht stimmt, aber es geht ja nicht um was ist, sondern um irgendwas anderes, so ganz richtig begreifen, tue ich es nicht.
Ja, es geht eben um die letztlich irgendwie um die Geschichten, die man von sich konstruiert - und um die Legitimation dieser Geschichten. Nicht völlig freischwebend, sondern schon mit anbindung an die Wirklichkeit: Es ist ja wahr oder falsch, dass dieser Benoit ihr biologischer Vater ist. Aber was das bedeutet, welche Lizenzen damit verbunden sind, das hat dann wenig mit Biologie zu tun. Irgendwie sieht sie das und will den Freiraum, den sie dadurch bekommt, nutzen, irgendwie bleibt sie aber halt auch an den Anspruch auf Rechtfertigung ihrer Deutungen gebunden (den anderen und sich selbst gegenüber). Das ist im Grunde die Motivation: Diese Reise als Faktum in der Welt soll den anderen und ihr selbst beweisen, dass sie Verbindung zu ihrem biologischen Vater real ist, nicht nur biologisch-neutral real, sozusagen, sondern menschlich-bedeutungsvoll real. Tja, also, das war so die Idee, so in etwa.

Deswegen ist das Kind, wie du so schön sagst,

nicht eines, dass man liebhat oder so, sondern eines mit Funktion
und ja, deshalb
"musste" sie ein Kind mit einem schwarzen Mann zeugen
weil das dann das sichtbar an sich haben wird, was man an ihr nicht sieht ...

Nebenbei übrigens war auch diese Frage -

Kann man in einer Zeit, in der Geschlechtsbiologie bei der Geschlechtsidentität nur eine untergeordnete Rolle spielt (für manche zumindest, andere kritisieren ja genau das), das nicht auch auf Ethnizität anwenden? Ich habe zwar mitteleuropäische Vorfahren, aber eigentlich fühle ich mich in die falsche Kultur hineingeboren und identizifiere mich als "japanisch". Nur so als Beispiel.
- eine, die ich im Hintergrund hatte. Ich finde das schon spannend, weil ja schon in den normalen Identifikationen (ich bin japanisch, deutsch, dies, das ...) so viel Fiktion steckt, diese Fiktion aber trotzdem auch Wirklichkeit hat und von der Lüge (ich behaupte japanisch, deutsch, dies, das zu sein) klar unterscheidbar ist. Ja, vielleicht ist das das Problem, das meine Protagonistin hier antreibt: "Benoit ist mein Vater - das so zu sagen, kann doch nicht alles sein, das muss sich doch jetzt irgendwo auch zeigen."

Hi @Sturek,

danke auch für deinen Kommentar!
Ich würde diesem Einwurf -

Für meinen Geschmack hebst du aber in der Geschichte den Deckel von zu vielen Töpfen und lässt die Gäste nur daran schnuppern: Westliches Gutmenschentum und neokoloniale Armut. Back to the Roots. Beziehungskonflikt. Und die Hautfarbe (Rassismus?) scheint auch noch irgendwie eine Rolle zu spielen.
- ja ganz gerne etwas entgegenhalten, aber ich muss auch mal schauen, dass ich hier nicht zu lange dransitze. Ich mach das erst mal quick and dirty, weil ich morgen und die nächsten Tage wahrscheinlich kaum dazu komme, danach hoffentlich noch mal ausführlicher. Also quick and dirty: Sehe ich eher nicht so, ich finde, dass es ein Kernproblem gibt, an das sich diese Fragen zwar möglichweise anknüpfen, immer aber stringent darauf bezogen bleiben. Keines der Themen, die du nennst, ergibt sich nicht aus der Grundkonstellation. (o.k., den Beziehungskonflikt hätte ich rauslassen können, aber auch der ist nicht Selbstzweck, sondern ist für mich Gelegenheit, Verschiedenes zu verdeutlichen, unter anderem, wenn auch vielleicht zu kurz, die Vorgeschichte. Die Funktion hätte auch die Mutter erfüllen können, dann wäre es halt ein Mutter-Tochter-Konflikt, ein Deckel gegen den aderen ausgetauscht und kein Gewinn; sogar, behaupte ich mal, eher ein Verlust, weil Flo in einer sinnvollen Spannung zu Fred steht, die Mutter aber einsam für sich stehen würde). Und speziell Rassismus - den du ja auch mit Fragezeichen versiehst - spielt für mich in der Geschichte überhaupt keine Rolle.
Gut, so in etwa würde meine Verteidigung laufen, denke ich mal.

Ich komm nochmal drauf zurück!


Hi @jimmysalaryman,

freut mich, dass du nochmal vorbeischaust! Ich muss hier langsam Schluss machen, aber ich wollte doch kurz noch was dazu gesagt haben. Ich verstehe besser, was du meinst, also noch besser, sag ich mal, weil ich es ja auch vorher nicht komplett nicht verstanden habe. Ich denke, so ganz kurz formuliert, unterscheidet dich und meine Protagonistin, was die Reise angeht, dass du eben wirklich etwas ganz Konkretes suchen und finden konntest, einen Ort hattest, Personenamen aus der Vergangenheit usw., während ihr Problem ja gerade ist, dass alles das für sie verschlossen ist, dass sie eben keine oder fast keine echten Anhaltspunkte hat. Schon alleine das macht die Suche dann auf eine Art oberflächlicher, abstrakter.
Ja, und trotzdem bleibt das erst mal auch eine Aufgabe: soll ich und kann ich das nicht deutlicher zeigen, dass diese Vagheit, dieses Die-Sachen-nicht-festmachen-Können, irgendwo das Kernproblem ist.

Wird sie enttäuscht oder hat sie das gefunden, was sie gesucht hat, und wenn nicht, warum nicht?
Sie hat es auf eine Art gefunden, weil ihre Deutung dessen, wer oder was sie ist, einen Anker in der Wirklichkeit bekommen hat; und sie hat es auf eine Art auch nicht gefunden, weil sie sich nicht völlig darüber hinwegtäuschen kann, dass sie diese Wirklichkeit manipuliert hat.
In gewisser Weise ist das eine Antwort auf eine Frage, die du so gar nicht gestellt hast, denn du sagst ja, der Text soll dir das beantworten, nicht ich. Die Forderung ist berechtigt, ich schreibe das trotzdem mal so hin, und sei's nur als Hilfsmittel für mich.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Fantastischer Text. Ich konnte den Strand (kam der vor?) spüren, das Kind sehen.
Ich persönlich würde die kurze Stelle mit den Milchpulverkonzernen weglassen.

Da ist Traurigkeit, eine erkaltete Beziehung, eine Suche nach den eigenen Wurzeln. Möglicherweise ist diese Suche eine Rechtfertigung fürs Fremdgehen.
Keine groben Rechtschreibfehler, soweit ich gesehen habe. Erste Ware.

Ich hatte eine ähnliche Situation auf Sansibar. 10 Dollar für die Medizin für seine Schwester. Ja, ich weiß schon, damals war ich sehr naiv.
Dann haben wir den Buben, vielleicht 12, völlig dicht neben der Straße im Dreck liegend wiedergesehen.

 

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