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Uz

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12.03.2010
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Uz

Kaum waren die Sirenen verklungen, da saßen sie alle an ihren angestammten Plätzen.
Uz ergriff angsterfüllt die Hand ihrer Mutter, und nur schwer konnten sich ihre Augen an das Dunkel des Kellers gewöhnen.
Erst als Spatz (eigentlich hieß er Herr Spatzek, doch Uz und Sandra hatten ihm den Namen Spatz gegeben, da er, so meinte Sandra, eine gewisse Ähnlichkeit mit eben jenem Vogel aufwies) den Keller betrat wurde ihr etwas wohler und sie entzog sich wieder dem Griff ihrer Mutter.
Spatz ließ die schwere Metalltür des Kellers ins Schloss fallen und entzündete, trotz vollkommener Dunkelheit, mit geübten Handgriffen eine kleine Petroleumlampe. Diese war irgendwann mit Farbe bemalt worden, so dass sie den Keller in ein gespenstisches Grün tauchte.
Da saßen sie nun, alle Hausbewohner der Konrad-Adenauer-Straße 3.
Neben Uz und ihrer Mutter hockte die alte Frau Hochmuth. Sie zitterte leicht und murmelte einige Gebete. Das tat sie jedes mal, so dass Uz die meisten bereits auswendig konnte, ohne dass sie jemals in die Bibel geschaut hatte.
Ihr gegenüber saß die kleine Anke mit ihrer Mutter (die eigentlich gar nicht ihre richtige Mutter war, hatte Sandra einmal behauptet, nachdem sie ein Gespräch ihrer Eltern belauscht hatte). Anke, die wesentlich größer als Uz und Sandra war, wurde von ihnen 'kleine Anke' genannt, da sie ein Jahr nach ihnen das Licht der Welt erblickt hatte und die Angewohnheit besaß, sich gewisse Dinge ziemlich böse zu Herzen zu nehmen. Genauso gut hätten sie Anke auch die 'heulende Anke' taufen können.
Jetzt lag die kleine Anke in den Armen ihrer Mutter, einer wahrlich herzensguten Frau
mittleren Alters und weinte.
Dann war da noch Frau Stein. Wie immer flossen auch ihr die Tränen in Strömen aus den Augen und verzweifelt versuchte sie diese sintflutartigen Attacken mit einem völlig aufgeweichten Taschentuch zu stoppen.
Vor drei Jahren noch, bevor der Krieg begann, hatte sie drüben in der Klostergasse am Franziskaner-Gymnasium Kunst und Musik unterrichtet, und Sandra hatte einmal behauptet sie hätte Frau Stein und Herrn Klose, Uz' Klassenlehrer, in der Besenkammer bei ziemlich anzüglichen Aktivitäten erwischt. Doch Uz konnte sich dies beim besten Willen nicht vorstellen. Mit Beginn des Krieges hatte Frau Stein diese Stelle aufgegeben und sich in ihre kleine Wohnung zurückgezogen (Sie hat auch nicht Herrn Klose geheiratet, wie Sandra großmütig orakelte).
Neben Frau Stein saß Frau Stern. Vor dem Krieg war sie eine stattliche Frau gewesen, recht groß mit üppigem Busen und monströsen Oberschenkeln. Jetzt kauerte sie abgemagert, wie ein Häufchen Elend neben Frau Stein und drohte eine kleine Jesusfigur aus Holz in ihren Handflächen zu zerdrücken.
Frau Stern war die erste im Haus gewesen, die einen Angehörigen durch den Krieg verloren hatte.
Ihren Sohn Luka.
Luka war zwei Jahre und vier Monate älter als Uz gewesen und er war der erste Junge, zu dem sie eine Art von Liebe entwickelt hatte. Sie erinnerte sich noch genau an diesen Tag an dem Luka die Adenauer-Straße für immer verließ. Er hatte eine hübsche Uniform an und wirkte viel älter als er tatsächlich war, und er gab Uz zum Abschied einen Kuss - auf den Mund. Ihren ersten Kuss, mal abgesehen von den kläglichen und peinlichen Versuchen mit Sandra.
Vier Wochen später klingelte ein älterer Herr in eben der gleichen Uniform an der Tür von Frau Stern und übergab ihr ein Telegramm. Kurze Zeit danach hatte Frau Stern ihren ersten von fünf Nervenzusammenbrüchen (den letzten vor zwei Wochen wegen Joseph, ihrem Bruder). Diese Nervenzusammenbrüche ereilten dann mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit alle anderen weiblichen Hausbewohner. Auch Uz' Mutter hatte einen, als sie 'ihr' Telegramm erhielt.
Eigentlich kannte Uz ihren Vater kaum. Er war bereits vor dem Krieg Soldat gewesen und hatte irgendwo im Süden eine neue Heimat, und wie Sandra meinte, bestimmt auch eine neue Frau gefunden. Die Besuche bei Uz und ihrer Mutter reduzierten sich von Jahr zu Jahr und seitdem der Krieg tobte, war er überhaupt nicht mehr aufgetaucht.
„Hört“ flüsterte Spatz und hielt, zur Unterstreichung seiner Aussage den Zeigefinger vor den Mund.
Die Vögel, sie kamen.
Da war es wieder, das bedrohliche, todbringende Surren der Vögel.
Die kleine Anke weinte lauter und ihre Mutter drückte sie fester an sich.
Auch Uz ergriff wieder die Hand ihrer Mutter.
Die Vögel. Vor acht Tagen hatten sie Sandra mitgenommen. Sie waren nur ein paar Sekunden da, ließen ihre schreckliche Fracht zurück und verschwanden dann ebenso schnell wieder, wie sie gekommen waren. Sandra hatte es nicht mehr rechtzeitig zum Bunker geschafft. Obwohl Spatz diesmal länger als üblich gewartet hatte.
Uz' Mutter hatte behauptet, dass Sandra keine Schmerzen gehabt hatte, doch Uz glaubte ihr nicht, denn auch sie hatte es einmal nicht mehr in den Bunker geschafft. Sie hatte sich unter einer Parkbank versteckt und dann hatte sie die Vögel gesehen. Und ihre Babys, wie sie vom Himmel fielen. Sie hatte Menschen gesehen, die eben noch schreiend durch die Straßen liefen, und im nächsten Augenblick, als der blecherne Nachwuchs der Vögel den Boden berührten nicht mehr da waren.
Einfach nicht mehr da. Weggefegt von einer unglaublichen Druckwelle, ebenso wie Bäume, Häuser, gar ganze Straßenzüge. Sie hatte die Überlebenden gesehen. Menschen die von innen nach außen verbrannten, Menschen die so laut schrieen, dass Uz glaubte, diese Schreie würden sie genauso auseinander fetzen wie die Druckwelle.
Das Surren wurde lauter. Spatz dämmte das Licht.
Er war vor drei Jahren zum Blockwart ernannt worden. Somit umging er die Armee, der Front, und letzen Endes dem sicheren Tod. Eigentlich stammte er aus dem Nachbarhaus, doch als dieses bei einem der unzähligen Angriffe dem Erdboden gleich gemacht wurde, bezog er ein Zimmer bei Frau Werner aus dem dritten Stock. Schließlich erwischte es auch Frau Werner. Wann und wie wusste niemand. Sie kam nach einem Angriff einfach nicht mehr nach Hause.
Seitdem wohnte Spatz alleine dort.
Spatz selbst war Anfang Dreißig. Er hatte pechschwarze Haare, einen gekräuselten Oberlippenbart und war schlanker Natur. Eigentlich ganz Uz' Typ, nur etwas zu alt. „Lasst uns beten“ sagte Frau Stein.
Die anderen nickten.
Frau Hochmuth erhob sich und stammelte ein Gebet. Der Rest senkte die Köpfe, faltete die Hände und stimmte ein. Die kleine Anke schluchzte. Uz starrte gebannt auf die ihr vertrauten Personen. Sie hörte die Vögel.
Dann gab es den ersten großen Knall. Die Erde bebte und die Wände zitterten. Für einen kurzen Augenblick dachte Uz das Haus würde einstürzen.
Frau Stern und Frau Stein begannen zu schreien und Uz presste ihren Kopf voller Angst und den Tod vor den Augen in den Schoß ihrer Mutter.
Der zweite Knall. Näher als der Vorgänger. Von der Decke zerbarst der Putz und rieselte auf ihre Köpfe.
Spatz löschte das Licht gänzlich.
Ankes Mutter murmelte unverständliche Worte vor sich hin, während Frau Hochmuth in das Geschrei ihrer Mitbewohner einstimmte.
Dann kam der dritte, der lauteste Knall.
Uz hörte gerade noch wie Spatz irgendetwas brüllte, verstand aber nichts.
Dann erfasste eine Druckwelle ihr Haus, ihren Keller.
Uz spürte, wie etwas Unbeschreibliches an ihr zerrte.
Etwas so großes, überirdisches, dass man es kaum in Worte zu fassen vermag. Sie spürte, wie sie in die Luft gesogen wurde, spürte wie sie aus dem Schoß ihrer Mutter gerissen wurde. Ihr Bewusstsein verlor sich und ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Sie schrie, doch nicht ein Laut verließ ihren Mund.
Dann.
Stille.

Als Uz erwachte, stand die Sonne beinahe senkrecht am Himmel. Sie blendete Uz, so dass sie reflexartig ihre Hände schützend vor ihr Gesicht riss. Sie verspürte einen starken Schmerz in ihrem Kopf und versuchte zu verstehen was passiert war. Uz richtete sich von Schmerzen geplagt auf und blickte umher. Sie befand sich inmitten eines riesigen Trümmerberges. Die Adenauer-Straße existierte nicht mehr. Sie sah nur einen einzigen Menschen. Dieser Mensch, ein Mann, torkelte wie ein Betrunkener über die Trümmer. Er hatte einen Schnurrbart und keine Arme mehr. Es war Spatz.
„Spatz!“ rief Uz und stolperte vorwärts. Dabei fiel sie hin und schlug sich ihr Knie auf. „Spatz, ich komme, warte“ flüsterte sie und stand wieder auf. Sie spürte das Blut, welches über ihr Schienbein rann. Spatz taumelte weiter ziellos dahin und tauchte plötzlich in einem besonders großen Trümmerhaufen ab. Uz lief etwas schneller. Von weitem erkannte sie die Digitalanzeige der alten Apotheke. Sie funktionierte noch und zeigte gerade die Uhrzeit an: 15:24.
Spatz stand nicht wieder auf und Uz hatte Angst. Ihr Kopf hämmerte und die Wunde an ihrem Knie entsendete jämmerliche Schmerzen. Gleich war sie bei ihm. Die Digitalanzeige änderte ihr Gesicht. Jetzt erschien eine große 31.
Die Temperaturanzeige.
„Spatz?“ fragte Uz als sie ihn erreicht hatte.
Keine Antwort.
Spatz war tot.
Dort wo früher einmal seine Arme gewesen waren, klafften jetzt zwei blutige Löcher und sein Rücken hatte sich einen Spalt weit geöffnet.
Durch diesen Spalt konnte Uz seine Wirbelsäule erkennen. Uz konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen ungehemmt aus den Augen liefen und sie sank auf ihre Knie.
„Mama“ schluchzte sie, und durch ihre nassen, verschwommenen Augen nahm sie die Digitalanzeige der alten Apotheke wahr, die inzwischen auf das Datum umgesprungen war: 21.07.2016.

 

Hi Martin Gahan, willkommen auf kg.de.

Ich hab deine Geschichte gelesen und bin der Meinung, dass sie in Fantasy ziemlich fehlplatziert ist. Ich kann da beim besten Willen nichts Fantastisches drin erkennen, was in der Realität nicht genau so vorkommen könnte. Wenn man von der Prämisse ausgeht, dass das Thermometer-Dings kaputt ist, könnte die Geschichte heute genau so in irgendeinem Dritte-Welt-Land passiert sein.

Von daher kannst du dir aussuchen, wohin ich die Geschichte verschieben soll. Science-Fiction käme in Frage, oder vielleicht Alltag?

Ich glaube nicht, dass du hier deine Zielgruppe findest.

gruß

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kollege! (Ich drucke an einer Heidelberger GTO 46 …)
Sozusagen 'nur' aufgrund der letzten Zeitangabe – dadurch ergibt sich ja die Pointe dieser Geschichte – ist deine Story bei SF gelandet. Die Geschichte selbst passt eher zu den Bombennächten des 2. Weltkriegs. Es geht Dir natürlich darum, zu beschreiben, dass diese Art Leid 'zurückkommt', dass wir dies (noch einmal) erleben werden.
Meiner Meinung nach wiederholt sich Geschichte aber nicht auf diese Art und Weise. Ein 3. Weltkrieg würde ganz anders verlaufen.
Zum Inhalt: Sandra wird oft erwähnt, aber gar nicht vorgestellt (Freundin, Schwester, Klassenkameradin?).
Uz geht aufs Gymnasium, hat die erste Liebe erlebt und ist kein kleines Kind mehr, selbst diese Anke nicht, die nur ein Jahr jünger ist. So werden sie aber geschildert, denken in den Begriffen 'Vögel' und 'Babys' für Flugzeuge und Bomben. Aus dem Alter sind sie aber eindeutig raus – selbst Siebenjährige wissen schon ganz genau, was das ist.
Dann.
Stille.

Besser so schreiben: Dann – Stille.
Wenn das Haus in Trümmer liegt, kann sie beim Aufwachen nicht im Freien liegen, es sei denn, sie ist hinausgeschafft worden.
Du beschreibst, wie sie vorher aus dem Schoß der Mutter gerissen wird. Das kann ich nicht nachvollziehen, was das für eine Kraft gewesen sein soll.
Ich rate, daraus entweder einen Erlebnisbericht aus dem 2. Weltkrieg zu machen (Historie) oder wirklich eine SF-Story mit dem erdachten Hintergrund eines 3. Weltkrieges (2. Weltkriegs-Szenerien kopieren reicht dann nicht!) zu zimmern.
Gott grüß die (Schwarze) Kunst!
kinnisson

 

Hallo Kollege! (Heidelberger GTO 52)

Die Geschichte wiederholt sich natürlich nicht so schablonenhaft wie dargestellt. Dennoch bin ich der Meinung, dass sich der Krieg als solcher wenig facettenreicher darstellen lässt. Absichtlich mache ich weder Angaben zur Ursache des Krieges, noch zur Art. Doch gerade die Sprache, Begriffe wie "Blockwart" habe ich absichtlich verwendet, um dem Leser eine andere Zeit vorzugaukeln.
Aber Flugzeuge, oder "Vögel" werden auch in Zukunft Bomben vom Himmel fallen lassen. Auch war ich der Ansicht, mit Uz' Rückfall in kindliche Ausdrucksformen die psychologischen Auswirkungen der Geschehnisse, unter der meine Hauptprotagonistin leidet sichtbarer machen zu können.
Wie Uz aus den Trümmern kommt, oder ob nun eine bekannte Kraft in der Lage ist, sie aus dem Schoß ihrer Mutter zu reißen, ist in meinen Augen völlig unwichtig und trägt zur Entwicklung meiner Geschichte, oder deren Auflösung nichts bei.
Alles in allem möchte ich die Geschichte einfach so stehen lassen. Sie soll weder Historie sein, noch klassische Science-Fiction. Nur eine mahnende Zukunftsvision. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich danke Dir dennoch fürs Lesen und für Deine Kritik.
M.G.

 

Hallo, Martin,
dass wir nicht genug mahnen können, darin sind wir uns wohl einig.
Meiner Meinung nach bewegt sich die Menschheit nicht in eine bessere Zukunft, wenn sie so weiter macht wie bisher. Doch nur wenn sie sich weiter entwickelt zum Beispiel in Richtung einer weltumspannenden Gemeinschaft, macht unsere Existenz rechten Sinn. Dann sollte es auch keine Kriege mehr geben. (Dass jeder Krieg die Menschen zu Untieren macht, wiederholt sich in der Tat!)
Das ist O.K., die Geschichte eine Weile stehen zu lassen, denn einige Zeit später gelesen, interpretierst du sie selbst mit anderen Augen (Weil Du dann mehr Geschichten geschrieben hast und ja als Autor nicht 'stehen bleibst').
Gute Tage noch
kinnison

 

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