Urteil in der Küche
„Kannst Du nicht vorher anrufen, wenn Du vorbeikommst?“
„Jetzt komm schon, wollte dich nur kurz besuchen, auf nen Kaffee, bischen reden.“
„Ja, aber es ist echt grad schlecht?“
„Jammy, hast du Besuch?“
„Nein, aber….“
„Was aber?“
„Egal, komm halt rein, aber nicht so lange“.
Wie verwandelt, meine beste Freundin, sonst zerrt sie mich rein und tischt alle Kaffee- und Cappucinosorten auf.
Ich bleibe wie so oft, in ihrem Flur an den Fotos hängen. Bilder vom Campen in Spanien, vom Reiturlaub in Frankreich, Fallschirmspringen in der Schweiz. Meine Augen bleiben an einem Bild hängen, das eine menschenloses Szene vor einem Panzer zeigt. Ich erschrecke. Höre komische Schmatzgeräusche aus der Küche.
Ich gehe in die Küche. Jammy versteckt etwas hinter ihrem Rücken.
„Was ist hier los? Was waren das für Geräusche und was versteckst Du hinter deinem Rücken?“
„Nichts“.
„Du willst mich anlügen?“
„Mach ich nicht.“
„Jammy, dein Träger“.
Jammy rückt den Träger ihres Tops zurecht und bleibt bewegungslos stehen.
„Ich habe das leere Bild gesehen.“
Sie starrt auf den Boden.
„Die Mütze da in deiner Hand, wem gehört die?“
„Niemanden“.
„Hey, hör auf mich zu belügen. Du hast doch nicht etwa?“
„Nur kurz“.
„Verdammt Jammy. Er ist tot. Verstehst du? Tot! Sie werden dich kriegen. Sie werden…oh mein Gott warum hast Du das getan?“
„Er ist nicht tot. Er war ganz warm. Hier seine Mütze sie riecht nach ihm“.
„Du bist verrückt, weißt Du was Du da gemacht hast? Wir verbrennen jetzt sofort das Bild, sonst werden sie Dich…oh nein, ich will nicht dran denken.“
Jammys Augen füllen sich mit Tränen.
„Das war es mir wert. Ihn zu umarmen“.
„Hol ein Feuerzeug, zünd irgendwie ein Feuer an und versteck seine Mütze, ich hol das Bild.“
„Nein, nicht das Bild. Bitte!“
„Sei ruhig! Beeil dich!“
Ich renne in den Flur und reiße das Bild mit dem Soldaten vor dem Panzer von der Wand, sehe Thomas, sein freundliches Gesicht unter der Glatze. Ich drehe mich um und knalle gegen einen von ihnen. Sind schnell. Reißen mir das Bild aus der Hand und schweben in die Küche.
In einem Kreis stellen sie sich um Jammy, nehmen ihr die Mütze und das Feuerzeug ab. Sie lässt alles über sich ergehen. Ich will zu Jammy, sie umarmen und schützen. Der Kreis ist undurchdringlich. Ich schlage um mich, schreie und spucke. Sie stoßen mich zu Boden. Blut aus meinen Ohren rinnt über den Küchenboden. Sie sprechen das Urteil im Chor:
„Auf die Befreiung einer Fotografiemenschen, steht Arrest auf Ewigkeit, an einem Platz nach Wahl in dem Bild des Befreiten. Der Befreite bleibt frei, wird sie aber sie niemals wieder aus dem Bild holen können.“