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Ursachenforschung der Einzelhandelskrise in Sachsen-Anhalt...

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27.04.2002
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Ursachenforschung der Einzelhandelskrise in Sachsen-Anhalt...

Ursachenforschung der Einzelhandelkrise in Sachsen-Anhalt... auf der Grundlage persönlicher Erfahrungen und Ahnungen aus dem Jahre 1999

Um vorweg zu meiner eigenen Person etwas zu sagen, ich bin Studentin. Das war ich im übrigen auch damals schon. Und so, wie es sich heutzutage, so auch damals schon für fast 60% aller Individuen dieser Art gehört, hatte auch ich mich entschlossen, einmal in meiner Laufbahn, keine Rede von Karriere, die Studienrichtung zu wechseln. Ich hatte glücklicherweise immerhin noch recht zeitig festgestellt, dass der Studiengang Medizin nicht nur aus Medizin bestand, sondern unter anderem auch aus Physik, von meinem damaligen Dozenten liebevoll mit: Physik-für-Hausfrauen betitelt. Irgendwie betrachtete mich eben jener Dozent wenn, wenn ich in mit meiner feuerroten, indischen Bluse zwischen all den grauen Anzügen leuchtete, nicht ganz zu diesem auserwählten Kreis zukünftiger Nutznießer seines Kurses: Physik-für-Hausfrauen zugehörig.
Da half auch nicht das gute Zureden einer befreundeten Soziologin, die mir riet, wenigstens durchzuhalten, bis ich rausbekommen hätte, was aus den armen Kerlen mal werden sollte, wenn die diese Veranstaltung vermasselten. Ich einfach hatte keinen Bock mehr zu hören: Ja, Sie da hinten, mit der roten Bluse und dem gelb-lila gestreiften Rock, kommen sie doch mal an die Tafel und rechnen sie uns doch mal vor... . Ich machte mir nicht mal mehr die Mühe, mich von meinem geliebten Kaffeeautomaten zu verabschieden, der nur allzu menschlich und mir ans Herz gewachsen war, weil er genauso schlecht in Mathe (betr. Wechselgeld), Physik (betr. Wärmegrad und Wassermenge) und Chemie (betr. Geschmackliche Zusammensetzung) war. Ich ging und beschloss, mich in meiner Studienauswahl doch an meine Leistungskursfächer zu halten und auf Statusdenken zu pfeifen.
Was sollte ich nun bis zum Beginn des nächsten Semesters machen? Bummeln, Lesen, das Leben genießen und mir hier und da mein Konto aufbessern, steuerfrei versteht sich. Wie ich nun eines Schönen Tages die Flaniermeile meines Schönen Wahlstädchens entlang bummle, verfall ich auf die eigentlich schwachsinnige Idee, doch mal in den kleinen Lädchen nach Arbeit zu fragen. Und, tatsächlich, im LICHTHAUS werde ich fündig. Lampen und Leuchtmittel verkaufen. Leichte Sache denk ich mir so, kann so kompliziert ja nicht sein. Selbst Medizinstudiumsabbrecher könnten da dahinter steigen. Falsch!!!!! Wenn sie ihr Studium wegen mangelnder Kenntnisse in Sachen Physik geschmissen haben. Denn wenn einem das nötige Mindestgrundwissen fehlt, wie mir als Beispiel, dann wird selbst die schlichte Frage nach einer geeigneten Fassung zur Katastrophentheorie. Unter letztenendes erheblichem, intellektuellem Aufwand, fuchs ich mich jedoch in das Metier rein und zwischendurch sitze ich in dem lichten Bureau, trinke Kaffee und bilde mich politisch weiter (sprich, ich lese Zeitung) oder träum vor mich hin. Alles in allem sehr friedlich, da der Einzelhandel schon damals das einzige Problem hatte, keine Probleme mit Kunden zu haben, weil er keine Kunden hatte.
Doch die Zeit der Muße nimmt ihr jähes Ende, als auf höherer Ebene die Inventur beschlossen wird. Das hieß: Adieu du warmer heller Raum, zu steigen zwingt man mich, in die tiefen, die kalten Gründe des Lagers, zu zählen unendliche Massen an Ladenhütern, um festzustellen, das der Wert des Bestandes sich erheblich verringert hat, ohne, das entsprechend Geld in die Ladenkasse geflossen wäre. Bizarr, aber das nennt man Logik der Betriebswirtschaft.
Aber genug des Abschiedsschmerzes, es ist ja nicht auf ewig. Frisch ans Zählen von allem, was eine Nummer hat, und was keine hat, bekommt halt eine und entwischt genauso wenig der Liste. Gleichwohl ich gerade anfange, mich durch den Wald von Stehleuchtenfüßen zu schlagen und über den Berg aus Schirmen zu kämpfen, da tritt ein junger Mensch, kaum 16 Lenze durch die Ladentür und fragt nach farbigen Glühbirnen. Freudig präsentiere ich ihm sämtliche Spektren, lasse sie leuchten und schaue ihn erwartungsvoll lächelnd an, gespannt, für welche er sich nun entscheidet. „Haben sie die auch in 40W (W ist eine geläufige Abkürzung für Watt) ?“ „Nein, tut mir leid, nur die in 25W die hier stehen.“, bedaure ich höflich. „Und haben sie Schwarzlichtneonlampen?“ „Klar.“, mein ich und fang an, sie in dem großen Haufen von LS (fachspezifisches Kürzel für Leuchtstoffröhren) eifrig zu suchen, innehaltend, als der Junior mich nach ihrem (aufgemerkt), nach dem Durchschnittspreis von Schwarzlicht-LS fragt. So sinne ich für einen kurzen Augenblick nach dem Durchschnittspreis, bis eine heftige Kopfbewegung seitens des Knaben mich aus den Gedanken reißt. Er schmeißt seinen schmalen Schädel herum und schreit: „Scheibenkleister, mein Bus!“ ,und weg ist er. Achja, das hätte ich ja beinahe vergessen. Vor dem Laden befand sich eine Bushaltestelle an der gar mehrere Linien hielten. Und so verirrten sich immer mal ein paar frierende Busfahrgäste. Wie eben jener nun hinausgestürmte junge Knabe.
Für einen kurzen Moment dringt, solange die Tür offen ist, Straßenlärm herein, doch nachdem die Tür hinter ihm lautlos ins Schloß gerutscht ist, herrscht Stille. Wie in einem Stummfilm läuft das Leben hinter dem Schaufenster auf dem Bürgersteig zeitlupenartig ab. Die Kassette im Radio hatte zu Ende gedudelt. Allmählich erlange ich wieder das Bewusstsein, und eine dumpfe Ahnung pocht an mein Studentenhirn. „Hey!“, rief sie fröhlich: „der wollte sich nur die Füße wärmen. „Vorsicht, halt deine Gefühle im Zaum, mahne ich mich zur Beherrschung, du kennst dein aufbrausendes Temperament: Wer keine Hemmungen hat, vor Wut seine friedlichen Couchgenossen an die Wand zu donnern; erinnere dich an den Anfall von letzter Woche, als du Kissen und Plüschbär an die Wand geknallt hast, und danach versuchtest letzteren mit ersterem zu ersticken, was beinahe auch geklappt hatte bis der Teddy die Besinnung verlor und du die deine dadurch wiedererlangtest; hat erst recht keine Hemmungen, einem wehrlosen schwachen jungen Mann hinterher zu jagen, und ihm an die Gurgel zu springen.
An der ganzen Sache wurmt mich nur im Nachhinein der Gedanke an das traurige Gesicht meines Chefs, der seine Stromausgaben von vielem Türen Öffnen und Schließen ins Überdimensionale steigen sehen wird, ohne durch diejenigen, die sich ihre Wartezeiten an der Bushaltestelle bei ihm auf dem weichen Teppich versüßt haben eine ins Auge springende Umsatzplus-Kurve verzeichnen zu können.
Glücklicherweise erhole ich mich von diesem Zwischenfall, ohne nennenswerte Beeinträchtigung meiner geistigen Fähigkeiten, und nehme die, meine Konzentration in höchstem Maße beanspruchende Arbeit wieder auf.
Etwas später, ich höre ein Läuten, steht ein doch schon etwas gereifteres Ehepaar an den Tresen. Sachlich teilt man mir mit, dass sie beabsichtigten ihr Wohnzimmer neu einzurichten und dazu gehöre selbstredend auch eine neue Beleuchtung. Da sie noch keine genaue Vorstellung haben, wie diese Beleuchtung geartet sein soll, schlag ich ihnen vor, sich doch einmal umzusehen, und sollten sich dann ausgefallenere Wünsche ergeben, würde ich ihnen ganz gewiss weiter helfen können. Gesagt, getan, die beiden gingen auf die Suche. Was mich gleich zu anfangs irritierte, die zwei gingen getrennte Wege. Was solls. Entspannt an den Türrahmen zum Bureau gelehnt, beobachtete ich sie. Nach einer Weile zeigen sie sich gegenseitig die erwählten Modelle und in der hinteren Ecke entbrennt eine leise, doch heftige Diskussion. „Bild dir bloß keine Meinung.“, mahnt mich eine innere Stimme: „Sei gerecht und gestehe jedem Partner sein Recht auf kreative Entfaltung im Privatleben zu.“ Trotzdem frage ich mich wie man sich bei solchen Geschmacksunterschieden auf immer und ewig die Treue schwören konnte? Oder entwickelte sich hier im Laufe der Ehe fatalerweise die Toleranz und Kompromißbereitschaft zurück? Ich mein ja nur, das sich zwischen einer Pendelleuchte im „Old-River“-Stil und einer glasverchromten Reflektorspirale durchaus etwas finden lassen müßte, das den Ansprüchen beider Fronten Genüge leisten könnte. Nichtsdestotrotz das unreife Paar verlässt den Laden ohne sich einig zu werden, ohne Lampe. Wieder ein Tritt in die Weichteile des Einzelhandels.
Ich widme mich wieder meiner Aufgabe, wobei meine Gedanken diesmal abschweifen. Ein Imbiss wäre nach dieser miterlebten Beziehungskrise nett. Im Grunde eine Rarität hier in diesem krisengebeutelten Laden. Es war auch schon vier Uhr nachmittags. Ein Kaffee tät’s vorerst auch. Natürlich ohne Milch, so was gibt’s hier nicht. Das trinkt der Chef nicht. Ist’n ganz harter. Trotzdem wage ich einen Blick in den firmeneigen Kühlschrank, und, oh göttliche Eingebung, was berührt da meine vom Studieren geschwächten Sehsinneszellen? Ein Kännchen Sahne! ein durchaus annehmbares Milchäquivalent... ,und ein geheimnisschweres Silberpapierpäckchen, wohlgemerkt ein neu hinzugekommenes. Was der Inhalt der anderen ist, weiß ich nicht, will es auch gar nicht wissen, wobei ich durchaus schon Vermutungen angestellt habe, die hier jedoch, näher erläutert, den sorgfältig abgesteckten Rahmen meiner kurzen Geschichte sprengen würden. Festgehalten sei nur die Tatsache, das Kaffeesahne und eines der Silberpäckchen neu hinzu gekommen waren. Um die Sache zum Abschluss zu bringen, ich greife gierig, da hungrig nach beidem. Gleichwohl ich zaudere wieder, mir den Grund meines Hierseins nochmals auf den Plan rufend. Warum ist Herr O. heute nicht da, war mit ihm alles in Ordnung? Schon will ich die Kaffeesahne zurück in die Truhe stellen, da fällt mir ein: Ich mach Inventur, und der Herr O. trinkt seinen Kaffeeebenfalls schwarz. Die Sahne ist schon okay. Und nun zum noch schweigenden, gleichwohl verheißungsvoll glänzenden Silberpapierpäckchen. Genussvoll langsam ziehen meine Finger die Seiten auseinander und .....Zupfkuchen, ich bin entzückt, ein wenig bröselig zwar, liegt sicher an der kalten trockenen Kühlschrankluft (soviel zu den Physik-für-Hausfrau-Kenntnissen), aber für meinen bis zum Kreuz durchgedrückten Magen mehr als ein Festessen. Der Kaffee: schnell gebrüht, Kuchen auf einen Unterteller, und in aristokratischer Manier einen Löffel neben die Tasse gelegt, nur zum Umrühren der Sahne, denn ich und der Kuchen, inzwischen schon per du, wir haben uns geeinigt, auf jeglichen Kulturzwang zu verzichten, und uns ohne Mittelsmann Besteck, quasi mit Fingerspitzengefühl näher kennenzulernen, als abermals das Signal für einen potentiellen Käufer erscholl.
Es sollte andersherum kommen. Eine mit allem erdenkbarem Kram behängte Person, hielt mich, Gott zum Gruß ein hutähnliches Gepräge lüftend, um ein wenig Kleingeld an. Ich mußte zusehen, daß ich mich wieder fing, und als das geschehen war, dass ich nicht laut zu lachen anfing. „An wieviel haben sie denn gedacht“, frage ich Mitleid heuchelnd den bayrischen Wandersmann. Vier bis fünf Mark waren es wohl, wenn ich mich recht zurück entsinne. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich’s so klein nicht hätte, hingegen wäre er mir bei der Inventur behilflich, bekäme er sogar ein bißchen mehr. Ulkigerweise hatte er es dann ziemlich eilig. Er murmelte etwas von wie: der Berg ruft oder so. Mal ehrlich, war ich unfreundlich, bin ich als Verkäufer, Berater oder gar Freund überhaupt geeignet? Ich versinke in Zweifel und Selbstanklagen. So Gott will, echtes Mitleid überkommt mich, biete ich ihm das nächste Mal ein Stück Zupfkuchen an, dem armen bayrischen Wandersmann.
Was die Sache mit dem Kuchen angeht, der war für einen Geschäftsessen geplant. Ohgottohgottohgott, mir war das vielleicht peinlich.

So, vielleicht sollte ich jetzt mal kurz zusammenfassen, warum der Einzelhandel so tief in den Miesen steckt:
1. Erhöhte Ausgaben durch Kunden, die Sich-nur-mal-um-sehen-wollten und sowohl den Heizkostenverbrauch in die Höhe treiben als auch den Teppich abnutzen.
2. Die seit `89 eingeführte Freiheit auf Meinungsäußerung hat schwere Ehekrisen nach sich gezogen, was wiederum ungünstige Auswirkungen auf die Verkaufszahlen im Einzelhandel hat.
3. Schlampig arbeitende, studentische Aushilfskräfte.
4. Verwöhnte Aushilfskräfte, die in der Lage sind ein gesamtes Geschäftsessen alleine zu verputzen.
5. Bettler (keine studentischen Aushilfskräfte) aus den westlichen Bundesländern, um konkret zu sein, klang das ziemlich nach Bayern, die anstatt Geld in die Läden zu bringen, solches von den verwirrten Verkäufern (durchaus auch studentische Aushilfskräfte) erwarten.

 

gefaellt mir sehr gut, deine geschichte, auch wenn ich zugeben muss, dass mich titel und länge beinahe vom lesen abgehalten haetten ;o)

übrigens geh ich zum aufwaermen immer in zeitungslaeden...

*mitknicksundaugenaufschlag*
dko

 

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