Urlaub
Urlaub
Körperhygiene ist ein wichtiger elementarer Aspekt des friedlichen und auch humorvollen Zusammenlebens. Wer riecht, wird schnell zum Außenseiter, wird nicht mehr freundlich behandelt und hat somit auch nicht mehr viel zu lachen. Körperliche Ausdünstungen sind leider nicht immer nur auf den Verursacher zurück zu führen, wie eine leere Flasche Bier, die ich in den Pfandautomaten schiebe und zur Belohnung auch noch Geld in Form eines Bons erhalte. Nein, Geruch, schlimmstenfalls Gestank bleibt kein intimes, individuelles Hobby, sondern beglückt eben auch die Mitmenschen, die sich in mittelbarer oder schlimmstenfalls in unmittelbarer Nähe des Verursachers aufhalten.
Nun ist die zivilisierte Welt durchdrungen von fortschrittlichen Ideen, Erfindungen und auch gesellschaftlichen Regeln, die ein harmonisches Miteinander ermöglichen. Kurz gesagt, ich dünste aus, im besten Fall merke ich das selbst oder werde mehr oder weniger diskret und freundlich auf diesen Missstand hingewiesen. Verbal durch Zuruf: „Wasch dich mal du stinkst“, oder nonverbal durch das Entgleisen der Gesichtsmuskulatur. Nase rümpfen, flache Atmung des Gegenübers, Tränenfluss und so weiter. Im heimischen Umfeld ist dem schnell Abhilfe zu schaffen. Duschen, Waschen, Baden sind die probaten Mittel für einen schnellen Erfolg, wieder geruchstechnisch ganz weit vorne zu sein.
So weit, so gut. Aber dann gibt es die jährliche Ausnahmesituation, die mit großen Hemmnissen und von Hindernissen nur so gepflastert ist. Ich meine nicht Weihnachten, weil da ja wohl jeder gute Mensch das Bad aufsucht, nicht nur, um sich die in einem Jahr gewachsenen Fußnägel abzuflexen, sondern auch sich dem Waschritual hingebungsvoll zuzuwenden. Nein, ich meine URLAUB.
Ich bin auch ein großer Freund von dem Wunsch in dieser Zeit Abstand vom Herkömmlichen zu nehmen und all das machen zu können, wozu mich sonst die gesellschaftliche Etikette im normalen Leben als kranken Psychopathen brandmarken würde. Das heißt nun nicht, dass ich in der Urlaubszeit Frau und Kinder verwämmse, zum Frühstück nackt eine Flasche Korn trinke oder meiner Nachbarin erkläre, dass ich sie schon immer für ein scharfes Luder gehalten habe. Zumal ich keinen Korn trinke und mein Nachbar ein 70-jähriger Polizist ist, der jenseits von scharf und Luder steht.
Im Urlaub nehme ich mir den Luxus raus, nicht täglich der Körperhygiene hinterher zu hecheln, sondern auch mal einen Tag dem Waschzwang nicht zu unterliegen. Spätestens am zweiten Tag der verweigerten Körperhygiene meldet sich dann doch das Gewissen und ruft zum Ende des Boykotts auf. Mag auch daran liegen, dass meine Frau mich nur noch von weitem grüßt, meine Kinder auswärts schlafen und nur noch der Hund völlig aufgeregt an mir herum schnuppert. Spätestens dann sollte die Nasszelle aufgesucht werden.
Zuhause kein Problem, man ist ja mit den Örtlichkeiten vertraut, aber im Urlaub eben ein echtes Problem. Und Urlaub heißt mit dem Zelt oder Wohnwagen in ein fremdes Land zu fahren, welches mindestens 1000 km entfernt ist. 20 Stunden verbrachte Lebenszeit im Auto, wovon mindestens 6 Stunden Stau auf der Autobahn bei 45 Grad Innentemperatur sind zwingend vorgeschrieben. Dann endlich am Ziel angekommen, wird das Zelt aufgebaut oder versucht, den Wohnwagen von der Anhängerkupplung zu wuchten, was meist mit fürchterlichen Rückenschmerzen endet. Zeltaufbau übrigens auch. Nachdem man feststellen kann, dass selbst die heimische Insektenwelt von einem Abstand nimmt, was natürlich von Vorteil sein kann, und der Campingplatzwart ungefragt mit dem Finger auf die Sanitäranlagen zeigt, ist der Punkt gekommen, an dem die letzten Hemmungen fallen.
Man begibt sich in den Kampf, Mann gegen Mann, Handtuch gegen Badelaken, Kernseife gegen Shampoo, Nivea gegen Lacoste. Beim Betreten des Sanitärtempels werden archaische Instinkte ausgelöst, die sonst tief unter der gepflegten und Aftershave verwöhnten Haut stecken. Die gepuderten Instinkte liegen schutzlos frei und sind den offenen gefliesten Duschkabinen hilflos ausgeliefert. Das Betreten des Vorraumes von Gemeinschaftsduschen ist vergleichbar mit der Wartezone beim Gladiatorenkampf im Zirkus Maximus, in dem sich die Delinquenten aufwärmen, um sich anschließend Dreizack und Schwert in den Bauch zu stoßen und unter dem Gejohle der Menge Beifall zu erhaschen. Im Vorraum geht es um Macht, um die Poolposition im Rennen, um eine frei gewordene Duschkabine. Hier gibt es keine Koalitionen, hier sterben Männerfreundschaften, hier geht es um das nackte Überleben, der Konkurrent wird weggedrängelt, geschubst, angeraunzt, beschimpft und denunziert. Hier zeigt sich die wahre geistige Hygiene mit all ihren abgrundtiefen Seiten.
Ich war in einer guten Startposition, vor mir zwei untersetzte ältere Männer, die ich nach eingehender Musterung als beherrschbar eingestuft hatte. Ganz vorne ein ziemlich großer, muskulöser Glatzkopf mit diversen Tätowierungen. Obacht, habe ich gedacht, bloß nicht zu nahe heran kommen, keinen Blickkontakt und unbeteiligt überheblich tun. Ich schubste einen von den kleinen Dicken in Richtung der tätowierten Glatze. Blankes Entsetzen war in seinem Auge zu sehen, aber ich war unerbittlich. Die Abwehrversuche des kleinen Dicken waren aussichtslos, mein Trieb nach einer leeren Duschkabine war übermächtig. Ohne große Gegenwehr brach sein Widerstand, er knickte ein und verschwand nach hinten in der Masse der Gladiatoren. „Zweite Wahl“, schmunzelte ich und war weiter auf Standby.
Es kam Bewegung in die Schicksalsgemeinschaft der Verschwitzten und Verschmutzten. Ich hatte eine gute Waffenwahl getroffen. Ein leichtes Handtuch, Duschgeel, welches gleichzeitig für die Haare zu verwenden ist, Badelatschen schon an und frische Wäsche zum Wechseln. Amateure erkennt man an dem viel zu großen Packmaß der Duschausrüstung, da wird der Föhn mitgenommen, Hautcreme und Deo, eine komplette Kollektion von Hose, Hemd, Socken usw. Der Profi nimmt nur leichtes Gepäck mit, welches für den raschen Erfolg im Sanitärgebäude nötig ist.
Es ging weiter, die Glatze verschwand in den Duschraum und ich schob mich an meinem Vordermann vorbei und stand an der Startlinie. Jetzt heißt es, den Platz zu verteidigen, unnachgiebig alle Versuche zu unterbinden, mich hier weg zu bekommen. Ich war kurz vor dem Ziel. Und wieder war Bewegung ins Spiel gekommen. Ein halb bekleideter Mann kam mir aus dem Duschraum entgegen, ich verharrte breitbeinig stehend im Türrahmen und verteidigte nach hinten. Keiner durfte jetzt von hinten durchbrechen. Der frisch geduschte Mensch stand mir nun gegenüber, hinter mir die verschwitzte Masse der Gladiatoren, die drängelte und schubste. Ich ließ mein Gegenüber passieren und stürmte in den Duschraum. Geschafft! Jetzt ging der eigentliche Kampf los, wo war die verflixte leere Duschkabine?
Ich stand ganz vorne und links von mir war Kabine 1 und dahinter konnte man durch den Nebel der Gesäuberten schon nichts mehr erkennen. Die Luft war voller Wasserschwaden, Nebel und Deogeruch. Ich musste zum Angriff übergehen und rannte nach vorne. Ganz hinten links sah ich eine offene Duschkabine. Ich war endlich am Ziel, vor Glück weinend verschwand ich in der Kabine und setzte mich erst mal auf den Plastikstuhl. Geschafft, die Mondlandung kann nicht schwerer gewesen sein. Punktgenau, präzise und knallhart durchgezogen. Jetzt konnte ich beginnen. Ich zog mich aus, wollte meine Sachen an die Haken hängen, um sie vor Nässe zu schützen und suchte - vergebens. Wer sich schon mal hüpfend in einer nassen Duschkabine ausgezogen hat, deren Grundmaß circa 1 Quadratmeter beträgt, weiß, wovon ich rede.
Nachdem ich alle Wände meiner Duschkabine touchiert hatte, stand ich nackt und bereit da. Ich fingerte einen Euro aus der Tasche meiner Hose, die zusammengefaltet auf dem nassen Duschhocker lag und suchte den Münzeinwurf. Wie sich herausstellte, gab es zwar einen Münzeinwurf für meine Dusche, dieser befand sich aber nicht in meiner Kabine. Ich brach weinend zusammen. Überhaupt war der Münzeinwurf an dem Gerät befestigt, welches die Warmwasserzufuhr meiner Dusche regelt. Münzeinwurf und das Gerät, an dem er sich befindet, waren nicht in meiner Dusche.
In meiner Verzweiflung tastete ich mit bloßen Händen die Duschkabine ab, selbst die Decke untersuchte ich. Nein und nochmal nein, der Gott der Reinlichkeit war gegen mich. Der Imperator des Cirkus Maximus deutete mit seinem Daumen nach unten. Ich war verloren. Aber ich habe gelernt zu kämpfen, ich bin nicht umsonst 1000 Kilometer gefahren, um dann aufzugeben. Diese Dusche war mein Feldhügel, den ich erobert hatte und selbst Napalm hätte mich nicht zum Aufgeben gezwungen. Ich schaute aus der Dusche heraus, um nachzuschauen, ob das Gerät mit dem Münzeinwurf nicht vielleicht draußen angebracht worden sei. Nix zu sehen, die nächste Enttäuschung.
Während ich laut schluchzend aus meiner Duschkabine herausschaute, ging nebenan die Tür auf. Die tätowierte Glatze war fertig und kam frisch strahlend aus der Box. Er sah mich und fragte mich was los sei. Ich konnte nur noch unzusammenhängendes Zeug stammeln und hielt ihm verzweifelt meinen Euro vor sein frisch gewaschenes Gesicht. Er lächelte, zeigte auf den Ausgang und sagte, dass im Vorraum die Geräte zum Münzeinwurf hängen. Ich sah ihn erstaunt an und legte einen Spurt los, im Hintergrund hörte ich noch, „AMATEUR!“. Ich drängelte wild gestikulierend zum Ausgang, brüllte dabei jeden an, dass ich meine Münze in mein für die Duschkabine zuständiges Gerät stecke und die Duschkabine eben nicht frei sei. Ich hörte mich selber kaum schreien, so sehr war ich beschäftigt die Automaten zu finden.
Da waren sie, ordentlich aufgereiht nach Nummern sortiert. Ich stand atemlos vor den Geräten, es waren 36 an der Zahl. Es durchlief mich heiß und kalt. Welche verdammte Nummer hatte meine Kabine. Völlige Leere umgab mich und der Mob rief und drängelte aus der Wartezone heraus. Ich sammelte meine Kräfte und spurtete wieder zurück zu meiner verwaisten Duschkabine. Auf dem Weg dahin stieß ich mit der Glatze zusammen, kam ins Straucheln und verlor meine Badelatschen. Egal, ich lief weiter und endlich angekommen, sondierte ich die Kabine und sah sie, meine Glückszahl. Die 15 stand handgemalt über der Tür. Nackten Fußes humpelte ich wieder zurück und warf mit zitternden Händen meinen Euro in das Gerät mit der Nummer 15. Die unflätigen Beschimpfungen nahm ich mittlerweile gelassen hin, ich war wieder auf der Gewinnerstraße. Ich hüpfte wieder zurück zu meiner Kabine, in freudiger Erwartung auf ein warmes Duschvergnügen.
Kurz vor der Kabine sah ich den Plastikstuhl, oben drauf lag meine gefaltete Hose und meine Hygieneartikel und das Schlimmste, meine Kabine war besetzt. Ich riss die Tür auf und sah einen kleinen, dicken Männerkörper. Der Mann aus der Wartezone, der Gladiator in Lauerstellung. Vollgepumpt mit Adrenalin baute ich mich vor ihm auf und stellte ihn zur Rede. Ich übergoss ihn mit Vorwürfen, drohte und forderte ihn auf sofort meine Duschkabine zu verlassen. Er sah mich verständnislos an und ich redete weiter auf ihn ein. Uns umgab mittlerweile ein warmer Wasserdampf, der aus meiner Kabine herauskroch und der durch meinen Euro finanziert worden ist. Der Duschterrorist verstand mich anscheinend nicht, jedenfalls machte er überhaupt keine Anstalten, die Kabine zu verlassen. Ich deutete auf den vor der Kabine stehenden Hocker mit meiner inzwischen nass gewordenen Kleidung und gestikulierte wild und heftig. Mir war jetzt alles egal. Als mein Gegenüber weiterhin verständnislos mit den Schultern zuckte, zerrte ich ihn an seinem eingeseiften Arm aus meiner Duschkabine. Kaum war er draußen, quetschte ich mich zusammen mit meinem Hocker samt gefalteter Hose in die Dusche und stellte mich unter den warmen und angenehmen Strahl, den Hocker auch. Ich genoss ein paar Sekunden das warme Wasser, dankte dabei allen Göttern und seifte mich ein. Als das Rinnsal aus Seife und Wasser meine Füße erreichte, kam der Zeitfaktor ins Spiel. Das Wasser wurde abrupt kalt, ohne Vorwarnung. Die Warmwassermenge war aufgebraucht, meine Energie und der letzte Wille zum Überleben auch. Ich setzte mich auf meine gefaltete Hose, die auf dem Hocker lag, beides war nass und ich weinte ein wenig.
Nächstes Mal Hotel - oder ich bleib zuhause.