Urlaub in Rom
„Kreisch hier nicht rum. Willst du noch eine rauchen?“
„Nein.“
„Noch was trinken?“
„Nein.“
„Was essen??“
„Nein.“
„Was willst du denn?“
„Maoam.“
„Sehr witzig.“ Thomas drehte sich zur Seite und zündete sich eine Zigarette an. Sandra lag neben ihm auf dem Bett und blickte zufrieden, aber leicht dümmlich geradeaus.
„Warum heißt Maoam eigentlich Maoam?“ fragte sie.
„Weil’s der Mao erfunden hat.“
„Welcher Mao?“
„Mao-tse-tung.“
„Was is’n bei dem Namen eigentlich der Vorname und was der Nachname?“
„Is doch klar. Mao der Vorname, tse der zweite Vorname und tung der Nachname.“
Sandra kicherte.
„Warum lachst du?“
„Wenn seine Eltern mit Nachnamen ‚Fliege’ geheißen und sie ihn ‚Tse’ getauft hätten, würde er heute ‚Tse tse fliege’ heißen.“
„Oh, mann, du redest heute nur Blödsinn.“
„Lass’ mich.“
Thomas stand auf und stellte sich nackt ans Fenster.
„Die Leute sehen dich“, sagte Sandra beiläufig.
„Is mir egal, sollen sie.“
Thomas rauchte und sah auf die nächtliche Straße.
„Morgen fahr ich nach Hause“, sagte Thomas.
„Zu deiner Frau?“
„Ja.“
„Sie hat dir vergeben?“
„Keine Ahnung. Wird sich morgen zeigen. Die große Aussprache...“
„Und wenn sie dir vergibt...wirst du bei ihr bleiben.“
„Ja.“
„Ok.“
„Es macht dir nichts aus?“
„Doch.“
„Wie viel macht es dir aus?“
„Sehr viel.“
Thomas rauchte den letzten Zug und drücke die Zigarette auf der Untertasse aus, die auf der Fensterbank stand. Er drehte sich um. Sie lag im Bett und spielte gedankenverloren mit einer Hand an ihren Haaren rum.
„Irgendwie liebe ich dich“, sagte Thomas.
„Ich dich auch, irgendwie.“
Thomas ging zum Bett und setzte sich neben Sandra. Sie summte leise vor sich hin.
„Was ist das für ein Lied?“ fragte er.
„Gar keins. Ich summ’ nur so.“
„Aber ich kenne die Melodie.“
„Kann aber nicht sein.“
„Bleiben wir in Verbindung?“
„Wenn du willst.“
„Natürlich will ich, sonst würd’ ich nicht fragen. Also – bleiben wir?“
„Ja.“
„Wie?“
„Was wie? Stell’ nicht immer so dumme Fragen.“
„Wie wir in Verbindung bleiben.“
„Keine Ahnung, das musst du wissen.“
Als Thomas am nächsten Vormittag seiner Frau im Wohnzimmer gegenüber saß, merkte er, wie sehr er sie nicht mehr liebte. So überhaupt und gar nicht mehr. Der Sumpf ist trocken gelegt, dachte er.
Elvira spielte die Geknickte. Tat so, als würde sie um Fassung ringen, aber sie war eine schlechte Schauspielerin. Thomas entschloss sich mitzuspielen.
„Hast du dich von ihr getrennt?“ fragte sie.
„Ja.“
„Gut.“
Thomas nahm einen Schluck von seinem Wein und kam sich ganz dumm und klein wie ein Schuljunge vor.
„Wir gehen heute abend auf eine Party.“
„Was?“
„Wir gehen auf eine P-a-r-t-y, Party. Was ist los? Hast du dir das Trommelfell weggevögelt?“
„Ich will aber nicht.“
„Wir gehen auf die Party, und du wirst sehr glücklich sein. Küsschen hier und Küsschen da. Meine Familie und die Freunde meiner Familie mögen glückliche Ehepaare. Und wir werden ihnen geben, was sie wollen.“
„Ich will aber nicht.“
„Tja, die Zeit des Wollens ist vorbei. Und wenn es ums Geld ging hast du auch nie ‚Ich will aber nicht’ gesagt.“
Thomas sah bedrückt auf sein Weinglas.
„Geh nach oben, wasch dich und dann ziehst du den Anzug an, den ich dir rausgelegt habe.“
Thomas starrte auf die geöffnete Auster und war sich sicher, dass ein Krebsgeschwür genauso aussehen musste. Schleimig, krank und genauso tot. Elvira saß neben ihm und lachte die ganze Zeit übertrieben laut, während ihr Bruder seine lustigen Urlaubserlebnisse von den Bahamas zum Besten gab. Eigentlich lachten alle, und Thomas fragte sich, warum. Er konnte nichts Lustiges daran finden. Vielleicht lag es daran, dass das geliebte Bruderherz Papas zweitgrößte Auslandsniederlassung managte. Ab und zu stieß ihm Elvira unauffällig mit dem Ellbogen in die Seite. Dann grinste er pflichtbewusst, während er versuchte, das Krebsgeschwür hinunterzuwürgen. Schwiegerpapa liebte Austern.
Thomas war schlecht, und auf seinem Teller türmten sich noch Berge von diesen widerlichen Dingern.
Irgendwann waren Bruderherz’ Schilderungen vom Urlaub zu Ende, und der ganze Tisch verfiel wieder in das leise, monotone Palaver der Gäste. Elvira wandte sich an Thomas und flüsterte ihm ins Ohr:
„Du schwitzt wie ein Schwein. Was sollen die Leute denken?“
„Mir ist schlecht. Du weißt, dass ich diese Scheiß-Austern nicht vertrage.“
„Sag nicht ‚Scheiß’ – Papa hasst solche Ausdrücke.“
„Papa – Papa ...“ äffte Thomas seine Frau verstohlen nach, die sich aber längst schon wieder von ihm abgewandt hatte.
Conny, irgendeine Cousine x-ten Grades, die ihm gegenüber saß, sprach ihn an:
„Und wohin fahrt ihr dieses Jahr in Urlaub?“
„Wissen wir noch nicht“, antwortete Thomas kurz angebunden, während er versuchte die ungegessenen Austern unter den Schalen der bereits gegessenen zu verstecken.
„Wir fahren nach Rom“, sagte Elvira schnell und warf ihm einen strafenden Blick zu.
Davon weiß ich ja noch gar nichts, hätte er beinahe gesagt. Er hörte es an diesem Abend tatsächlich zum ersten Mal.
„Rom ist schön“, sagte Conny und lächelte aufgesetzt.
Thomas lächelte zurück und versuchte die Operationsnarbe in ihrem Gesicht zu finden. Die Gute hatte sich vor zwei Jahren ihre Hakennase wegschneiden lassen, und Elvira schwörte darauf, dass man an der Nasenwurzel eine Narbe sehen könne. Eine ziemlich große noch dazu. Thomas konnte nichts erkennen.
„Ja, Rom ist schön“, sagte Thomas. „Besonders im Sommer.“
Was redest du da für einen Mist, dachte Thomas kurz, doch dann war es ihm schon wieder egal. Ihm war schlecht. Sein Bauch rumorte. Hoffentlich scheiße ich mir nicht in die Hosen, dachte er und der Gedanke ließ ein kurzes Grinsen über sein Gesicht huschen. Dann hätte der Herr Papa etwas, worüber er sich aufregen konnte, der Herr Papa, der es nicht einmal ertrug, wenn man das Wort aussprach.
„Entschuldige“, sagte Conny. „Man sieht sich ja so selten, und ich glaube, ich habe vergessen, was du beruflich machst.“
„Ich bin Zoologe, schreibe gerade an einer Arbeit über Ameisen...“
„Zoologe“, wiederholte Conny nachdenklich. „Was macht man als solcher genau?“
Ein älterer Herr, der neben Conny saß, und von dem Thomas weder wusste, wer er war oder warum er zur Familie gehörte, mischte sich ein:
„Zoologe ist doch jemand der Tierkäfige ausmistet.“
Er sah Thomas mit einem schelmischen Grinsen an.
„Nein, als Zoologe beschäftigt man sich wissenschaftlich mit Tieren. Was sie meinen, nennt sich Tierpfleger.“
„Oh, entschuldigen sie“, sagte der ältere Herr, grinste dabei jedoch weiter und wandte sich dann wieder seinem Essen zu. Auch Conny ließ glücklicherweise von ihm ab, weil jemand anders ihr eine Frage stellte.
„Wer ist der alte Sack da neben Conny?“ flüsterte Thomas Elvira zu, die gerade an ihrem Wein herumnippte.
„Irgendein alter Schulfreund von Papa“, antwortete sie.
„Er ist ein Arschloch.“
„Was?“
„A-r-s-c-h-l-o-c-h, Arschloch.“
“Sei ruhig, wenn dich jemand hört…”
Irgendwann später war das Essen vorbei. Jetzt standen alle im Salon herum und soffen weiter Alkoholisches in sich hinein. Elvira nannte das ‚einen Cocktail nehmen’. Thomas hatte die Gelegenheit genützt und sich aufs Klo verzogen. Elvira nannte das ‚sich ins Badezimmer zurückgezogen’. Die Austern in seinem Magen gaben Gott sei dank Ruhe, sogar die Übelkeit war etwas verflogen. Als er in den Spiegel sah, blickte ihm dennoch ein bleicher, ausdrucksloser Schädel entgegen.
„Hey, wir fahren nach Rom“, flüsterte er seinem Spiegelbild zu.
„Ja, Rom ist schön. Besonders im Sommer“, antwortete er sich selbst.
Thomas kicherte.
Er stand vor Sandras Tür und läutete. Einige Sekunden später wurde sie geöffnet und Sandra sah ihn mit großen Augen an.
„Hallo“, sagte Thomas kleinlaut.
„Hallo“, sagte Sandra. „Ich dachte du wolltest in Verbindung bleiben.“
Thomas antwortete nichts, weil es nichts zu antworten gab.
„Was willst du?“
„Kann ich reinkommen?“
„Nein.“
„Kann ich ihn sehen?“
„Nein.“
Eine Stimme rief aus der Tiefe der Wohnung:
„Wer ist denn da?“
„Niemand“, rief Sandra zurück.
Die Männerstimme schien sich zufrieden zu geben. Man hörte nur mehr den Fernseher, wo Richterin Salesch gerade ein Urteil verkündete. Ehe Thomas noch etwas sagen konnte, sprach Sandra weiter.
„Das da drin ist Markus. Während unserer Affäre habe ich auch mit ihm geschlafen. Ich war deine Geliebte und Markus mein Geliebter. Und er ist der Vater.“
„Du weißt, dass das nicht stimmt.“
„So, weiß ich das?“
Thomas sagte nichts, und Sandra schlug die Tür zu.
Geknickt ging er zurück zum Wagen und setzte sich hinters Steuer. Als er in den Rückspiegel sah, blickte ihm ein braungebrannter, ausdrucksloser Schädel entgegen.
Dabei habe ich Elvira kaum zu Gesicht bekommen, während unseres Urlaubs in Rom, dachte Thomas. Sogar in verschiedenen Hotels haben wir gewohnt. Aber er wusste, dass das nur eine schlechte Ausrede war.