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Unterschall
„Sehr gut!“, sagte der Prüfer und drückte ihm eine Luftmatratze in die linke Hand, während er ihm die rechte schüttelte. Sein Vater freute sich und schenkte ihm ein grünes Schwimmdress. Wegen der psychischen Wirkung auf sein Gegenüber, Rot sei zu aggressiv, wie er meinte. „Grün gefällt mir aber nicht...“, erwiderte Hans, betrachtete sein neues Outfit eine Weile und verstummte.
Bald fand er einen kleinen Fluss, legte die Luftmatratze darauf und bestieg sie andächtig.
„Wo wird mich dieser Fluss hinführen?“, fragte er sich nicht wirklich, sondern begann einfach, wie alle anderen, mit den Händen zu paddeln.
„Es ist wichtig, zu einer Gruppe zu gehören, sonst geht man unter.“, sagte schon sein Vater und an diese Worte erinnerte sich Hans immer öfter. Lieber schneller paddeln als den Anschluss zu verlieren.
„Der Fluss treibt uns doch, wozu paddeln?“, fragte niemand, es musste einfach schneller vorangehen, weil alle immer schneller paddelten. Es war für alle eine schreckliche Vorstellung, hinten zu bleiben und womöglich von der Luftmatratze zu fallen – sie richteten den Blick wieder nach vorn.
Manchmal flog jemand direkt über Hans hinweg. „Das will ich auch!“, durchfuhr es ihn wie ein Blitz und er schwamm noch schneller, in der Hoffnung, irgendwann abzuheben. Die Frage „Wer sagt eigentlich, daß Fliegen schöner ist als Tauchen?“ löste sich auf, bevor sie bei Hans ankam und so konnte er sie auch nicht wahrnehmen.
Später beneidete er Piloten, dann auch Astronauten. Möglichst schnell mußte auch er ins Weltall fliegen – jedenfalls war das sein angestrebtes Ziel, das er aber nie erreichen würde. Beim Schauen in die Sterne bekam er ein steifes Genick und mußte sich ans Ufer legen, um sich für weiteres Paddeln zu regenerieren.
Der Streß und die Hektik fehlten ihm nur zu Beginn. Niemals sonst sah er die vielen Menschen, die einfach so im Fluss badeten. Er fasste es kaum, was sie für einen Spaß gemeinsam haben konnten. Sie erforschten die Tiefen des Flusses, der an dieser Stelle sehr ruhig war. Vielleicht war er aber auch immer so ruhig und kam ihm nur durch sein stetiges Paddeln so vor, als wäre es ein reißender Strom.
Er bemerkte, daß er noch nie richtig ins Nass eingetaucht war, immer nur ein bisschen, soweit sich die Luftmatratze ins Wasser senkte und seine Hände beim Paddeln hineinreichten. Hans sah, wie sich Kinder mit Wasser bespritzten, wie manche unter Wasser Purzelbäume schlugen, hörte Singen und Lachen, sah eine Frau, die gerade ihr Gemüsebeet pflegte, und verliebte sich.
„Wohin wollt Ihr denn?“, fragte er sie.
„Wir leben hier am Fluss.“, bekam er zur Antwort.
„Aber wo wollt Ihr hin?“
„Wir wollen nirgends hin, es ist doch schön hier...“
„Aber Ihr müßt doch ein Ziel haben!“
„Wer sagt das?“
„Ist es nicht der Menschen Sinn, weiter zu kommen? Wo wären wir, hätte sich der Mensch nicht entwickelt? Könnten wir dann auf dem Mond landen, andere Planeten erforschen, mit Überschallgeschwindigkeit durch die Luft fliegen?“
„Sieh nur, wie diese Kinder glücklich sind!“
Erst dachte er, sie wäre einer Antwort ausgewichen...
Am nächsten Tag nahm er seine Luftmatratze, verabschiedete sich von ihr mit den Worten „Ab heute schwimme ich zu Fuß weiter“ und warf sie in den Fluss.
Erst jetzt konnte er richtig sehen. Er konnte in alle Richtungen blicken und entdeckte Dinge, die er früher nicht für möglich gehalten hätte.
Gemeinsam bauten sie sich ein Haus unweit des Flusses. Hans, von der Arbeit mit dem Holz ganz angetan, fertigte auch ein Ausflugsboot und montierte ein Teleskop darauf. Damit konnte er sich und ihr die Sterne ganz nah heran holen und gleichzeitig mit der Seele baumeln. Als dann auch noch Kinderlachen sein eigenes Haus füllte, wußte er: Er war der glücklichste Mensch auf Erden. Und damit war er dann auch ganz zufrieden.