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Unterm Bett

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10.07.2007
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Unterm Bett

„Maaamiii!“
Großer Gott, denkt Tanja, Kinder können wirklich unglaublich laut schreien. Hoffentlich beschweren sich die Nachbarn nicht.
„Was ist denn, Spätzchen?“
Felix sitzt im Bett, kerzengerade aufgerichtet, die Augen weit aufgerissen.
„Du solltest doch längst schlafen.“
„Unter meinem Bett ist ein Monster.“
Nicht doch, denkt Tanja. Er ist sonst schon so vernünftig für sein Alter.
„Monster gibt’s doch nicht in Wirklichkeit. Du hast nur schlecht geträumt.“
Er schüttelt heftig den Kopf. „Ich hab noch nicht geschlafen. Es kratzt von unten am Bett und zieht an der Decke. Es flüstert Sachen, aber ich kann es nicht verstehen. Und es riecht nach Biomülleimer.“
Da ist allerdings was dran, fällt ihr jetzt auf. Es stinkt im Kinderzimmer. Ziemlich schlimm sogar. Wo kommt das nur her? Irgendwo muss etwas zu Essen herumliegen und schlecht geworden sein.
„Pass auf, wir machen jetzt das Licht an, und machen das Fenster noch mal auf, damit die schlechte Luft rausgeht. Und ich schaue unter dem Bett nach.“
Felix sieht nicht beruhigt aus, als das Licht angeht. Er schüttelt wieder den Kopf. „Ruf lieber die Polizei Mami.“
Sie muss ein bisschen lachen. „Nee, Felix, damit wird die Mama auch selber fertig. Bleib schön zugedeckt, es ist ziemlich kalt draußen.“
Sie öffnet das Fenster. Aber der Geruch ist wirklich stark. Sie muss unbedingt rausfinden, wo das herkommt.
„Wann kommt Papa nach Hause?“, fragt Felix.
„Weiß ich nicht, Spätzchen. Er hat nur gesagt dass es spät wird.“
Tanja geht neben dem Bett auf die Knie. Der Geruch scheint wirklich darunter hervorzukommen. Als hätte jemand eine Einkaufstüte da unten versteckt und dann vergessen. Eklig. Sie ist doch hier ständig am Aufräumen, wie konnte ihr das so lange entgehen?
Sie schaut in die Dunkelheit unter dem Bett, versucht etwas zu erkennen, kein Monster natürlich, sondern das Corpus delicti … „Ahh! Was …“
Sie ist so erschrocken, dass sie unwillkürlich scharf eingeatmet hat, was natürlich ein Fehler ist bei so einem Gestank. Für einen Moment muss sie würgen, wendet sich ab. Als sie wieder hinschaut, ist das gelbe Augenpaar immer noch da.
„Siehst du es, Mami? Sei vorsichtig. Ich hab Angst!“
Okay, ganz ruhig, denkt Tanja. Sei vernünftig. Ein Spielzeug ist das nicht, es hat sich bewegt. Was dann? Es bleibt nur ein Tier übrig. Eine streunende Katze, die sich unbemerkt in die Wohnung geschlichen hat.
Sie richtet sich auf, zwingt sich, tief durchzuatmen und zu lächeln. „Mensch, bin ich erschrocken. Da ist wirklich was. Aber es ist bloß eine Katze. Die scheuchen wir mal lieber ganz schnell hier raus, damit wir in Ruhe schlafen können!“
„Bist du sicher? Es hat geflüstert. Ich glaub nicht, dass es eine Katze ist.“
„Doch, das ist eine. Sie muss reingeschlüpft sein, als ich den Müll weg gebracht habe. Die hat sich ja wirklich gut versteckt, dass wir sie bis jetzt nicht gefunden haben!“
Die Fröhlichkeit in ihrer Stimme hört sich sehr falsch an, und Felix sieht nicht überzeugt aus. Der Schreck sitzt ihr in Knochen, aber das soll er natürlich nicht merken. Er tut ihr so leid, er sieht noch sehr klein aus in seinem Teddybären-Schlafanzug. Aber sie ist irgendwie auch stolz auf ihn. Es war kein Alptraum oder ein Schatten, der ihn erschreckt hat, sondern etwas Reales. Etwas, vor dem sie selbst erschrocken ist. Und er weint nicht mal.
„Kann ich in deinem Bett schlafen?“, fragt er.
Das musste ja kommen, denkt Tanja, aber eigentlich erscheint es ihr auch am besten so. Sie ekelt sich vor dem Vieh unter dem Bett, vage Vorstellungen von Müllhalden und Krankheiten entstehen in ihrem Kopf. Dieser Geruch ist ja wirklich nicht auszuhalten. Das Kinderzimmer muss erst mal … dekontaminiert werden, bevor hier wieder jemand schläft.
„Ist gut. Komm, ich bringe dich rüber, und dann kümmere ich mich um … die Katze.“ Sie hätte beinahe „um das Monster“ gesagt, aber das scheint ihr keine gute Idee. Sie sollte diese Vorstellung nicht verstärken, Kinder sind so leicht beeinflussbar … und sie selbst möchte auch nicht darüber nachdenken, was das sonst noch sein könnte. Ratten, Marder … die haben keine leuchtenden Augen, oder? Aber Katzen stinken doch nicht so bestialisch. Wenn sie nicht gerade schlafen, sind sie doch den ganzen Tag damit beschäftigt, sich zu putzen … natürlich, das Mistvieh muss unter das Bett gekackt haben. Ihr bleibt ja heute Abend wirklich gar nichts erspart.
Felix wird ganz schön schwer, bald wird sie ihn nicht mehr auf den Armen tragen können. Sie ist ziemlich außer Atem, als sie im Elternschlafzimmer ankommt.
„Ich lasse das kleine Licht hier an, damit du keine Angst haben musst“, sagt sie.
„Und die Tür zu“, sagt er.
„Natürlich. Versuch trotzdem gleich zu schlafen, ja? Gute Nacht, ich habe dich lieb.“
„Ich hab dich auch lieb Mami. Bitte sei ganz vorsichtig!“
Sie schließt die Schlafzimmertür, dann alle anderen Türen. Wenn sie erst mal unter dem Bett hervorkommt, soll die blöde Katze schließlich nicht überall herumrennen. Sie geht in die Küche, greift nach dem Besen. Dann nach den Gummihandschuhen, die sie sonst zum Abwaschen benutzt. So ein streunendes Tier könnte ja Tollwut und weiß Gott was haben.
Sie steht länger in der Küche als nötig. So kompliziert ist ihr Plan ja schließlich nicht – nimm den Besen, scheuch sie unter dem Bett hervor, und dann aus der Wohnung. Es dauert eine Weile, bis Tanja sich eingesteht, dass sie Angst hat.
Wo zur Hölle bleibt Daniel? Sie weiß, dass er viel zu tun hat, und sie hat sich fest vorgenommen, nicht zu den Frauen zu gehören, die ihren Männern Vorwürfe machen, weil sie hart arbeiten. Sie ist dankbar, dass sie nur halbtags arbeiten muss, und Zeit hat sich um Felix zu kümmern. Sie ist froh, dass er eine gute Arbeit hat, und dass sein Chef ihn für unentbehrlich hält.
Aber es ist bestimmt schon halb zehn vorbei, und außerdem … das Vertreiben von Tieren ist doch irgendwie Männersache. Sie schämt sich sofort für diesen Gedanken. Angespannt, den Besenstiel mit beiden Händen umklammert, schleicht sie auf das Kinderzimmer zu. Sie wird mit dem Ding schon allein fertig werden. Egal, wie sehr es stinkt. Egal, wie schnell ihr Herz schlägt.
Wieder geht sie neben dem Bett auf die Knie. „Miez, Miez, Miez …“ sagt sie leise. Es ist nichts zu hören. Sie schaut darunter. Der Geruch ist noch da, aber viel schwächer. Und das gelbe Augenpaar ist verschwunden.
Sie muss aus dem Fenster gesprungen sein, denkt Tanja, und die Erleichterung fühlt sich an, als würde ein physisches Gewicht von ihr genommen. Natürlich könnte es sein, dass das Tier sich bloß woanders versteckt hat, und sie sucht alle möglichen Stellen gründlich ab. Aber sie ist sich eigentlich sicher, dass der ungebetene Gast verschwunden ist. Weil der Geruch fast fort ist. Eigentlich unglaublich, dass etwas Lebendiges so einen Gestank verbreiten kann. Ihre Erinnerung daran kommt ihr schon beinahe unglaubwürdig vor. Sie schließt energisch das Fenster. Sie wird Daniel bitten, jetzt endlich überall diese Fliegengitter anzubringen, Herbst hin oder her. Und viel mehr darauf achten, die Wohnungs- und die Haustür nie auch nur für ein paar Minuten angelehnt oder gar offen zu lassen. Streunende Tiere können doch alle möglichen Krankheiten haben, sie müssen wirklich sicher sein, dass so was nie wieder passiert.

Felix ist im Kindergarten, und Tanja hat den Tag frei. Ein tolles Gefühl, einmal einen halben Tag für sich allein. Sie hat schon Fliegengitter gekauft, für alle Fenster in der Wohnung, und gleich ein paar auf Vorrat. Die Wäsche ist aufgehängt, die Wohnung sauber – vor allem das Kinderzimmer. Dort hat sie jede Ecke geschrubbt. Das Zeitung Lesen hat sie sich wirklich verdient, doch leider wird sie nicht mit guten Nachrichten belohnt. Den Politikkram überfliegt sie nur, aber den Lokalteil liest sie immer aufmerksam. Und auf die Schlagzeile „Wo ist unser Luca?“ hätte sie wirklich verzichten können.
Ein verschwundenes Kind. So etwas ist immer schlimm, aber seit sie Felix hat, sind solche Nachrichten wie ein Schlag in die Magengrube. Die Vorstellung, ihrem eigenen Baby könnte so etwas passieren, eine Entführung, ein Unfall ... und sie würde nicht einmal wissen, was passiert ist, für Tage, Monate, vielleicht Jahre. Dass der verschwunden Junge in Felix Alter ist, macht es irgendwie noch schlimmer. Der kleine Luca ist knapp vier, und er sieht Felix sogar ähnlich auf dem Zeitungsfoto, diese großen dunklen Augen, und der gleiche Haarschnitt. Und die Familie wohnt auch noch im gleichen Stadtteil, Tanja ist sich fast sicher, dass sie die Muter und den Jungen schon ein paar Mal beim Einkaufen oder auf dem Spielplatz gesehen hat.
Die Polizei hat keinerlei Anhaltspunkte, und bittet die Öffentlichkeit um Mithilfe. Der kleine Junge ist nachts aus seinem Kinderzimmer verschwunden. Türen und Fenster waren geschlossen. Wie kann so was überhaupt sein?
Sie beschließt, Felix abzuholen, ein wenig früh ist es noch, aber sie will ihn jetzt sehen, seine Hand halten, sich einfach vergewissern, dass er noch da ist.

Den Abend verbringen sie mal wieder nur zu zweit, Daniel muss länger arbeiten. Tanja ist in Gedanken, es ist schon reichlich spät, als sie Felix endlich ins Bett bringt.
„Liest du mir noch was vor?“
„Aber nur eine Geschichte. Und dann wird gleich geschlafen!“
Als sie das Buch zuklappt, ist er schon eingeschlafen. Tanja zieht die Bettdecke zurecht, gibt ihm einen Kuss, macht das Licht aus und geht leise hinaus. Sie hat immer noch ein komisches Gefühl, jeden Abend seit dem Erlebnis mit der Katze. Sie ertappt sich immer wieder dabei, sie das Kinderzimmer durchsucht, und manchmal hat sie die fixe Idee, dieser schreckliche Geruch wäre wieder da. Aber es ist wichtig, dass Felix sich in seinem Zimmer sicher fühlt und gut schlafen kann, sie muss aufpassen, dass sie ihre Nervosität nicht auf ihn überträgt.
Sie zwingt sich, die Tür zu schließen, obwohl es ihr insgeheim lieber wäre, sie offen zu lassen. Dann setzt sie sich vor den Fernseher, zappt durch die Kanäle bis sie einen Krimi findet, und fängt an, in einem historischen Roman zu lesen. Daniel kann nie verstehen, wie sie das beides gleichzeitig tun kann, aber sie findet die Geräuschkulisse beruhigend, wenn sie so allein ist. Und weder das Buch noch der Film sind so kompliziert, dass sie volle Konzentration verlangen.
Endlich hört sie den Schlüssel.
„Guten Abend Fremder.“
„Hallo Schatz.“ Daniel sieht müde aus. Manchmal möchte sie davon anfangen, dass er doch lieber etwas weniger arbeiten soll, aber in so einem Moment wäre das sinnlos. Leider gibt es in letzter Zeit nicht viele Momente, in denen er nicht müde oder angespannt ist.
„Willst du was essen?“
„Nein, danke, hab schon. Ich glaube, ich gehe gleich ins Bett.“
„Ist gut. Ich komme auch gleich.“

Tanja ist im Bad, als Felix zu schreien anfängt.
„Mami! Hilfe!“
Ihre Zahnbürste fällt auf den Boden und verteilt grünliche Schlieren.
„Das Monster! Hilfe!“, schreit Felix.
Tanja ist schon am Kinderzimmer. Sie reißt die Tür auf. Irgendwo in ihrem Hinterkopf sagt eine vernünftige Stimme, sie sollte eigentlich nicht so panisch sein. Es ist natürlich ganz normal, dass ein kleines Kind nach so einem Erlebnis Alpträume bekommt. Und es ist eigentlich auch völlig ausgeschlossen, dass wieder etwas in die Wohnung gekommen ist. Sie hat in den letzten Tagen Fester nur angekippt, Räume während des Lüftens nicht verlassen, und die Wohnungstür immer abgeschlossen. Aber ihr Herz hämmert wie wild, und das erste, was ihr im Kinderzimmer auffällt, ist der Geruch. Wie verrottender Müll … oder Verwesung.
Dieses Mal weint Felix.
„Wo ist es?“, fragt sie. Nicht: Was ist denn los, oder: Hast du schlecht geträumt. „Ist es wieder unter dem Bett?“
Felix nickt heftig, und sie geht auf die Knie. Erst als Daniel zur Tür hereinkommt, wird Tanja überhaupt bewusst, dass sie keinen Moment daran gezweifelt hat, wieder ein Tier vorzufinden.
„Was ist denn hier los? Was machst du da unten, Tanja?“
Sie richtet sich auf. Ihr Gesicht ist heiß, bestimmt ist sie knallrot. Unter dem Bett ist nichts zu sehen, rein gar nichts.
„Ich dachte, diese Katze muss wieder reingekommen sein“, sagt sie.
Sie hat ihm natürlich davon erzählt, vom ersten Tag des „Monsters“ unter dem Bett, aber in ihrer Erzählung klang es witzig, sie haben beide gelacht. Daniel weiß nicht, wie erschrocken sie war, als sie diese gelben Augen gesehen hat, die eigentlich, wenn man zu genau drüber nachdenkt, viel zu groß waren für eine Katze. Er hat keine Ahnung, dass sie minutenlang vor der Kinderzimmertür gestanden und den Besenstiel wie eine Waffe umklammert hat, bevor sie sich herein traute.
„Quatsch“, sagt Daniel. „Er hat einen Alptraum gehabt.“
Er setzt sich aufs Bett, um Felix in den Arm zu nehmen, aber der Junge ist steif und weint immer noch.
„Es hat mich gekratzt, Papa! Hier!“ Er hält seinen kleinen Arm hoch. Beide Eltern schauen pflichtschuldig hin, und sehen sich dann überrascht an. Tatsächlich. Ein dünner Kratzer läuft über den Handrücken. Gerade tief genug, um ein wenig zu bluten, aber es hat bereits aufgehört.
Tanja beißt sich auf die Unterlippe. Daniel sieht unbesorgt aus.
„Manchmal passiert das, wenn man was Schlimmes träumt. Da bewegt man sich manchmal im Schlaf und es kann sein, dass man sich selber kratzt. Du bist aufgewacht und hast gedacht es wäre ein Monster gewesen, aber es war bloß deine andere Hand.“
Felix sieht nicht ganz überzeugt aus, aber er hat aufgehört zu weinen. Tanja ist ein wenig eifersüchtig – ganz gerecht ist das nicht, sie verbringt soviel mehr Zeit mit Felix, und trotzdem beruhigt er sich meistens viel schneller, wenn sein Vater da ist.
Aber da ist noch ein anderes Gefühl. Sie möchte glauben, dass Daniel recht hat. Es ist ein dünner, harmloser Kratzer, wie man ihn sich ganz leicht selbst beibringen kann im Schlaf. Und es war nichts unterm Bett. Trotzdem hat sie dieses Herzklopfen … und das dringende Gefühl, sie müsste auch im Schrank nachsehen. Das macht sie natürlich nicht.
Sie singt „heile heile Gänschen“ für Felix’ Hand, und sie warten beide, bis er wieder eingeschlafen ist. Sie will am liebsten die kleine Nachttischlampe eingeschaltet und die Tür offen lassen, aber Daniel knipst das Licht aus und schließt die Tür, ist besser zum Schlafen, sagt er.
„Mann bin ich erschrocken“, sagt sie. „Heute Nacht habe ich bestimmt auch Alpträume.“
„Du kannst in Papas Bett schlafen“, sagt Daniel.
Sie lacht. „Das ist nett von dir. Sag mal, hat es in Felix’ Zimmer irgendwie komisch gerochen?“
„Hab nichts bemerkt“, sagt er.
„Okay“, sagt Tanja. „Kam mir ein bisschen muffig vor, ich werde mehr lüften. Bei schlechter Luft schläft man auch schlecht.“
Es kann ja sein, dass sie sich das mit dem Geruch eingebildet hat. Sie war sich so sicher, dass sie wieder die Katze vorfinden würde, da hat sie wohl unbewusst auch mit den Begleiterscheinungen gerechnet.

Am nächsten Morgen ist Felix sehr still. Normalerweise redet er wie ein Wasserfall morgens, manchmal ist es sehr anstrengend vor ihrer ersten Tasse Kaffee. Sie versucht, ihn aufzumuntern, und redet selbst über alles Mögliche: Ob sie nach dem Kindergarten zusammen einkaufen gehen können, dass er am Samstag zu Jans Geburtstagsfeier eingeladen ist. Er gibt einsilbige Antworten, und isst auch kaum etwas.
„Geht’s dir nicht gut?“, fragt sie.
„Doch.“
„Hast nicht gut geschlafen heute, hm?“
„Doch.“
„Du hattest keine Angst mehr?“
„Nö.“
Sie fühlt seine Stirn, ziemlich warm, aber Fieber ist es wohl nicht. Es wäre auch ziemlich hektisch, jetzt die Temperatur zu messen, sie hat keine Ahnung wo das Fieberthermometer liegt, und sie müsste einen Tag Urlaub nehmen, alles so kurzfristig.
„Magst du nichts mehr essen?“
„Nö.“
„Dann gehen wir mal los, sonst kommen wir zu spät.“
Sie hilft ihm mit seiner Jacke und den Schuhen, er ist heute nicht so scharf darauf wie sonst, sich ganz allein anzuziehen. Draußen schaut sie ihm immer wieder forschend ins Gesicht. Das Gefühl, dass etwas nicht ganz stimmt, verlässt sie nicht, aber sie kann beim besten Willen nicht sagen, woran das liegt. Erst als sie sich verabschiedet hat, und nach dem Bus zur Arbeit rennt, fällt ihr ein, was es gewesen ist. Seine Augen waren ganz merkwürdig. Irgendwie heller als sonst.

Am Nachmittag, als Tanja ihn abholt, sieht die Kindergärtnerin sie komisch an.
„War alles in Ordnung heute?“, fragt Tanja. „Felix war heute Morgen nicht so gut drauf, ich hab mir ein bisschen Sorgen gemacht.“
„Ach, es war alles okay. Aber …“, die Kindergärtnerin senkt die Stimme ein wenig. „Er sollte mal wieder baden.“
Tanja lässt sich nichts anmerken, aber sie fühlt sich beleidigt. Sie achtet sehr auf Sauberkeit, in ihrer Wohnung, bei sich selbst, aber vor allem anderen bei ihrem Sohn. Doch zuhause kann sie nicht umhin zuzugeben, dass die Kindergärtnerin Recht hatte. Felix riecht schlecht. Als wäre er durch einen Komposthaufen gekrochen. Seine Kleidung ist nicht schmutzig, aber trotzdem – er muss sich irgendwo herumgetrieben haben.
„Mensch, du musst schon wieder in die Badewanne! Wo hast du denn heute bloß gespielt?“
„Im Dunkeln“, sagt Felix. „Ich will aber nicht baden.“
„Doch“, sagt Tanja. „Du kannst auch dein ganzes Spielzeug mit rein nehmen.“ Felix gehört normalerweise nicht zu den Kindern, die sich gegen das Baden sträuben. Eigentlich hat er immer viel Spaß.
„Nein, ich will das nicht! Baden ist scheiße!“
Sie erschrickt. Felix ist ein wohlerzogenes Kind, aber er sagt natürlich schon hin und wieder mal ein „schlimmes Wort“, wenn er sehr schlechte Laune hat. Doch das hier ist mehr als nur schlechte Laune. Sein Gesicht ist verzerrt, es hat einen unangenehmen Zug bekommen, den sie noch nie gesehen hat. Er sieht aus wie ein böser kleiner Troll. Vorhin war er so ruhig, und jetzt das hier …Das Erschrecken darf sie sich natürlich nicht anmerken lassen. Hier ist Strenge gefragt.
„Das Wort will ich aber nicht noch mal hören!“
„Scheiße, scheiße, scheiße“, sagt Felix.
„Das reicht mir jetzt aber. Marsch in dein Zimmer!“
Tanja schiebt ihn vorwärts. Er wehrt sich nicht direkt, er geht nur einfach nicht. Es dauert ziemlich lange, bis sie im Kinderzimmer ankommen. Er wird ganz schön stark, denkt sie. Hoffentlich hält diese Trotzphase nicht lange an, sonst hat sie eine wirklich anstrengende Zeit vor sich. Felix fühlt sich heiß an. Sie beschließt, nachher auf jeden Fall Fieber zu messen.

Zuerst geht sie aber in die Küche und beginnt das Abendbrot vorzubereiten. Sie dreht das Radio voll auf, zur Ablenkung. Sie will sich nicht ärgern. Felix hat nicht gut geschlafen, und möglicherweise ist er ein wenig krank, sie kann dieses Verhalten nicht so ernst nehmen. Er ist erst vier.
Sie liest noch ein paar Seiten in ihrem Buch, um ihm Zeit zu geben. Im Kinderzimmer bleibt es still. Inzwischen hat er sich bestimmt wieder beruhigt, denkt Tanja. Sie klopft an die Tür. Keine Antwort.
„Felix? Bist du wieder lieb?“
Keine Antwort. Sie öffnet die Tür. Er sitzt auf dem Boden, mit dem Rücken zu ihr. Er hält sich mit beiden Händen die Augen zu, und er flüstert etwas. Sie kann nichts verstehen. Es ist rhythmisch, wie ein Gedicht, aber es hört sich fast an wie eine fremde Sprache.
„Wollen wir Abendbrot essen?“, fragt sie.
Er flüstert weiter.
„Felix?“ Das war lauter, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. Sogar ein wenig schrill. Was immer er da spielt, es ist ihr ein bisschen unheimlich.
Immerhin dreht er sich jetzt um.
„Ich esse jetzt noch nicht. Ich bin noch nicht fertig.“
„Hast du denn gar keinen Hunger?“
„Nein. Jetzt noch nicht.“
Keinen Appetit, er wird wirklich krank, denkt sie besorgt.
„Isst du wenigstens ein bisschen, damit deine Mama nicht so allein ist beim Abendbrot?“
Er schaut auf. Das Abendlicht ist eigenartig. Seine Augen wirken viel heller als sonst. Eher gelblich als braun.
„Na gut“, sagt er.
Sie essen schweigend. Er sieht auch ganz schön blass aus, denkt Tanja.
„Du kannst noch ein bisschen spielen, ich lasse die Wanne ein“, sagt sie schließlich.
Felix steht schweigend auf.
Als das Badewasser bereit ist, klopft sie erneut an die Kinderzimmertür, tritt jedoch ein, ohne eine Reaktion abzuwarten. Es ist dunkel hier drin.
„Spätzchen, warum hast du denn das Licht ausgemacht? Es ist doch schon fast dunkel draußen.“
Sie stellt das Licht wieder an.
Felix ist fort.
Tanja ist nur für eine Sekunde erschrocken, dafür aber gründlich. In der nächsten fühlt sie sich dann sehr dumm. Er hat schon ein paar Mal Verstecken gespielt, wenn ihm etwas nicht gepasst hat. Und er macht es auch ziemlich offensichtlich, wo er ist. Er ist noch immer dabei, zu flüstern, als würde er sehr leise ein Gedicht aufsagen.
Sie kniet sich hin und lugt in die Dunkelheit da unten … dann weicht sie etwas zurück. Großer Gott, dieser Geruch!
„Felix? Was machst du denn da unten? Was soll denn das werden?“
„Geh weg“, sagt er. „Ich bin noch nicht fertig.“
„Du kommst jetzt mit ins Bad.“
„Nein“, sagt er. „Da ist es zu hell.“
Sie greift nach seinem Arm. Felix schlägt nach ihr. Fest.
„Aua, du tust mir weh! Komm sofort da raus!“
Warum, verdammt noch mal, ist Daniel noch nicht zu Hause?
Sie zerrt an Felix. Es ist mühsam, ihr Rücken und ihre Knie schmerzen.
„Dein Badewasser wird doch kalt, Spätzchen.“

Die nächste halbe Stunde wird ein Kampf. Felix schlägt, tritt, und kratzt sie. Er keucht, sagt aber kein Wort mehr, und weint auch nicht. Sie muss um jedes Kleidungsstück kämpfen (das muss alles sofort in die Wäsche, es ist als wären sie in Jauche getränkt). Felix’ Körper sieht weiß aus – im Sommer war er noch so braun, dass sie sich schon Sorgen gemacht hat, ob sie einen höheren Lichtschutzfaktor benutzen sollte. Und er kämpft weiter, verbissen, schweigend. Als das Bad überstanden ist, ist alles durchnässt – Tanja, die Handtücher, der Badewannenvorleger.
Als Daniel nach Hause kommt, ist natürlich schon alles vorbei, Felix liegt in seinem Bett. Erhöhte Temperatur hatte er nicht. Trotzdem sagt sie: „Er ist krank, ich werde morgen mit ihm zuhause bleiben.“ Sie will auf keinen Fall, dass er so in den Kindergarten geht. Irgendetwas stimmt offensichtlich nicht mit ihm.
„Du siehst auch nicht gut aus“, sagt Daniel.
„Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn“, sagt sie. Sie überlegt schon die ganze Zeit, ob und wie sie ihm sagen soll, was ihre Sorgen sind, aber sie hat keine Ahnung, wie sie das erklären soll, ohne verrückt zu klingen. Das Flüstern und der Geruch … das macht ihr Sorgen. Die Tatsache, dass er sich unterm Bett versteckt hat.
„Meinst du er muss zum Arzt?“
„Vielleicht“, sagt Tanja. „Sehen wir mal, wie es morgen aussieht.“ Sie ist sich einfach nicht sicher, was sie dem Arzt sagen sollte.

Daniel hatte wohl recht. Sie fühlt sich am nächsten Morgen selbst krank. Vielleicht ist es nur Erschöpfung. Das Aufstehen ist eine Qual.
Natürlich sieht sie zuallererst nach Felix.
Er hat sich bis oben hin zugedeckt. Es ist ihm zu hell, sagt er.
Tanja quält sich durch den Tag, schaut aller paar Stunden nach ihm und stellt ihm Tee und etwas zu essen hin. Er antwortet kaum auf ihre Fragen und scheint nicht unter der Bettdecke hervorkommen zu wollen, selbst als sie die Vorhänge zuzieht.
Die Zeitung überfliegt sie nur. Schon wieder ist ein Kind auf mysteriöse Weise verschwunden, ein kleines Mädchen diesmal. Sie versucht zu lesen, sie hat sogar das Gefühl, sie müsste das lesen, aber ihr Kopf tut so weh.
Daniel ruft mittags an. Sie sagt, es sei alles okay, wahrscheinlich ein grippaler Infekt. Er klingt besorgt, aber sie fragt sich, ob er sich nicht vielleicht am meisten Sorgen darum macht, dass er sich anstecken und nicht mehr in sein geliebtes Büro gehen könnte. Wenn sie krank ist, sind ihre Geduld und Menschenfreundlichkeit ziemlich begrenzt. Sie legt auf, damit Daniel nicht mitbekommt, wie sehr er sie nervt.
Sie sieht noch einmal nach Felix.
„Alles in Ordnung bei dir, Spätzchen?“
„Ja. Ich werde bald fertig sein.“
Er ist heiser, seine Stimme hört sich gar nicht wie sonst an. Oder vielleicht liegt es an ihr, sie fühlt sich fiebrig und alles scheint irgendwie unwirklich.
„Ist es in Ordnung, wenn Mama sich auch ein bisschen hinlegt?“
„Ja“, sagt er. „Du hast es auch, stimmt’s, Mami?“
„Ich hab mich wohl angesteckt“, sagt sie.
Ich hab dich angesteckt“, sagt er. Dann hat er einen Hustenanfall. Es hört sich beinahe an wie ein Kichern.

Offenbar ist sie tief eingeschlafen. Sie wacht erst wieder auf, als Daniel nach Hause kommt. Heute früher als sonst. Es ist noch richtig hell draußen, es sticht sie sogar ein wenig in den Augen.
„Hallo Schatz“, sagt er sanft. „Du siehst furchtbar aus, du Arme. Ich kann dir keinen Kuss geben, kann mir wirklich keine Grippe leisten im Moment.“
„Mir ist sowieso nicht danach“, sagt sie schwach.
„Ich mache mal kurz das Fenster auf“, sagt er. „Hier muss dringend frische Luft rein.“
Es ist Tanja egal.
„Ich sehe mal nach Felix“, sagt Daniel, und auch das ist ihr egal.
Als Daniel zurückkommt, ist sie schon fast wieder eingeschlafen.
Er schüttelt sie. „Tanja, er ist weg!“
Er klingt panisch. Seine Augen sind weit aufgerissen. So sieht er fast aus wie Felix. Muss er so laut schreien?
„Schau unter dem Bett nach“, sagt sie. „Er versteckt sich vielleicht wieder.“
„Ich habe schon überall nachgesehen! Hast du heute irgendwann die Wohnungstür offen gelassen? Denk nach, Schatz!“
Er schüttelt sie wieder, als wäre sie ein Sparschwein.
Sie wünscht sich, er würde sie in Ruhe lassen. Sie hat ein Gedicht im Kopf, einen kleinen Nonsensvers, und wenn sie sich nur konzentrieren könnte, könnte sie ihn leise vor sich hinsagen. Der Rhythmus würde ihr helfen, sich besser zu fühlen.

Als die Polizei eintrifft, ist sie furchtbar müde. Ein Notarzt kommt und untersucht sie, möglicherweise stehe sie unter Schock, meint der Kommissar. Der kleine Kratzer, den Felix ihr gestern beigebracht hat, gerade tief genug um ein wenig zu bluten, fällt dem Arzt überhaupt nicht auf.
Schließlich geben sie es auf, mit ihr zu reden, und konzentrieren sich auf Daniel, obwohl er den ganzen Tag nicht zuhause war.
Ihr ist das recht. Sie möchte nur noch im Dunkeln liegen, unterm Bett am besten, und darauf warten, dass sie fertig wird.
Um Felix macht sie sich überhaupt keine Sorgen.
Den wird sie schon bald wiedersehen.

 

Hallo Perdita

Deine Geschichte hatte mich in den Bann gezogen. Anfänglich dachte ich, es löse sich mit einer einfachen Erklärung auf, da der Erzählstrang doch stark auf eine kindliche Ebene fixiert ist. Als die gelben Augen auftraten, war mir aber klar, dass es einen solchen Verlauf nehmen wird. Das Überraschende war mir dann, da bis anhin nur von verschwundenen Kindern die Rede war, dass sich die Mutter auch infizierte.

Dass es sich nicht klärte, was es mit dem Monster, dem Gestank und den verschwundenen Kindern auf sich hat, macht es mir etwas zwiespältig. Einerseits bleibt es meiner Fantasie als Leser überlassen das Bild zu füllen, anderseits wirkt es mir aber auch unfertig. Insgesamt war es mir eine Spukgeschichte, wie ich sie als Kind zuweilen zu hören bekam.

Er tut ihr so leid, er sieht noch sehr klein aus in seinem Teddybären-Schlafanzug. Aber sie ist irgendwie auch stolz auf ihn. Es war kein Alptraum oder ein Schatten, der ihn erschreckt hat, sondern etwas Reales. Etwas, vor dem sie selbst erschrocken ist. Und er weint nicht mal.

Über diese Sätze stolperte ich, da die Mutter stolz auf Felix ist, da er sich nicht über einen Alptraum oder einen Schatten erschreckte, sondern über etwas Reales. Dass ein Kind im Alter von vier Jahren sich auch an etwas Realem erschrecken kann, nebst etwa Schatten, dünkt mich jetzt nicht sonderlich, auch wenn er noch ganz klar in der magischen Phase steckt.

An sich fand ich, die Geschichte angenehm zu lesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Dass es sich nicht klärte, was es mit dem Monster, dem Gestank und den verschwundenen Kindern auf sich hat, macht es mir etwas zwiespältig. Einerseits bleibt es meiner Fantasie als Leser überlassen das Bild zu füllen, anderseits wirkt es mir aber auch unfertig.

Also, der Gedanke dahinter war, dass die verschwundenen Kinder nicht einfach bloß von Monstern unter dem Bett geholt werden, sondern sich in diese verwandeln, wenn sie einmal angegriffen und infiziert werden. Der Gestank ist einfach ein Merkmal der Monster, so wie gelbe Augen, schlechte Laune und die Angewohnheit, seltsame Reime vor sich hin zu flüstern. Und wie du richtig erkannt hast, macht dieses Phänomen auch vor Erwachsenen nicht halt :D

Du hast natürlich recht, dass das alles nicht explizit gesagt wird im Text, und es bleibt Einiges dem Leser überlassen - vielleicht zuviel, da muss ich noch mal in mich gehen.

Die Grundidee für die Geschichte kam daher, dass ich mir überlegt habe, dass dieses Motiv vom Monster unter Bett oft aus der Perspektive des Kindes erzählt wird, und in dem Fall der Gruselfaktor dadurch verstärkt wird, dass das Kind als einzige Person weiß, dass das Monster real ist, und kein Erwachsener ihm glaubt. Ich wollte gern ausprobieren was passiert, wenn man so eine Geschichte aus der Perspektive einer erwachsenen Figur erzählt, die sich gar nicht eingesteht, dass da etwas Übernatürliches im Gang zu sein scheint - um zu sehen ob es dann immer noch gruselig ist.

Würde Tanja in der Geschichte sich irgendwann eingestehen, dass ihre rationalen Erklärungsversuche nicht wirklich weiterhelfen, dann könnte sie die Erklärung ganz klar ausformulieren und alle Puzzleteile - verschwundene Kinder, Monster unter dem Bett, seltsame Veränderungen an ihrem Sohn - zu einem Ganzen zusammensetzen, aber da sie das nicht tut, bleibt es dem Leser überlassen.

Über diese Sätze stolperte ich, da die Mutter stolz auf Felix ist, da er sich nicht über einen Alptraum oder einen Schatten erschreckte, sondern über etwas Reales. Dass ein Kind im Alter von vier Jahren sich auch an etwas Realem erschrecken kann, nebst etwa Schatten, dünkt mich jetzt nicht sonderlich, auch wenn er noch ganz klar in der magischen Phase steckt.

Der Stolz kommt daher, dass sie ihn für ein besonders reifes und vernünftiges Kind hält und sich darin bestätigt fühlt. Felix hat sich nicht vor einem "eingebildeten" Monster erschreckt, wie andere Kinder in seinem Alter, sondern vor etwas, das wirklich da ist, und sogar ihr als Erwachsener einen Schrecken eingejagt hat.

An sich fand ich, die Geschichte angenehm zu lesen.

Das freut mich sehr! Sie war auch angenehm zu schreiben :)

 

Hallo!

Mir ging es ähnlich wie Anakreon.

Zunächst mal fand ich den Text angenehm sauber und weitestgehend frei von Fehlern. Man spürt die Arbeit, die drin steckt, den Schweiß und die Trä... na ja, du weißt was ich meine. Ich finde das erwähnenswert, weil das auch hier nicht immer der Fall ist.

Der erste Satz allerdings schon, ist symptomatisch für den gesamten Text - finde ich.

Großer Gott, denkt Tanja, Kinder können wirklich unglaublich laut schreien. Hoffentlich beschweren sich die Nachbarn nicht.

Großer Gott, denkt Tanja. Hoffentlich beschweren sich die Nachbarn nicht.

Es tummelt sich allerhand in dem Stück, das wirklich überflüssig ist. Ich bin der Meinung, als Leser erfahre ich keinen Deut weniger, wenn ich den zweiten Satz lese. Aber ich bin schneller durch. Das ist wichtig, damit ein Bild entstehen kann im Kopf. Schnelle, kurze, prägnante Bilder.

Nächste:

Felix sitzt im Bett, kerzengerade aufgerichtet, die Augen weit aufgerissen.

Felix sitzt im Bett, kerzengerade, die Augen aufgerissen.

Also, was ich kürzen kann in meinen Texten, das kommt raus.

Nach etwa anderthalb Seiten notierte ich mir: Ich warte auf das Innovative des Themas!

Das Monster unterm Bett ist ein oft genug durchgekautes Thema. Wenn jemand das aufgreift, sollte er etwas grundlegend Neues zu sagen haben, wenn nicht, möge er schweigen.
Du schaffst es nicht ganz etwas Innovatives zu bringen. MMn. Du lässt zum Schluss so viel im Unklaren, dass ich nicht mal weiß, ob es sich um ein Monster unterm Bett handelt. Das ist zu wenig, du lässt mir nicht mal ein Geländer um mich daran zum Ziel zu hangeln. Ganz notgedrungen stürze ich über diesem Fantasie-Abhang in die Tiefe.

Dieses offene Ende ist sowieso eine unschöne Sache, finde ich. Überschätzt und kaum hinzubekommen.
Wer eine solche Story kennt, möge sie mir nennen.

Du beschreibst detailiert den Alltag der Mutter mit ihrem Kind. Trotzdem bleibt so gut wie kein Bild von ihr in meinem Kopf haften. Es fehlen mir die Eigenheiten, die persönlichen Sachen, die eine Figur ausmachen, einen Charakter. Ich suche Dinge, an denen ich die Person erkennen kann.
Und Konflikte! Nur damit lassen sich glaubhaft Charaktere beschreiben. Und wer glaubt, man hat keine Konflikte, wenn man allein ist, dem kann kaum geholfen werden. Mit einem vierjährigen Kind sollten sich doch einige schöne Konflikte zaubern lassen; wie die Figur darauf reagiert, das macht sie zu einer Person.

Dann waren da noch die ständigen Erklärungen. (Fließt mit ein, was ich vorhin schon ansprach)

Dann nach den Gummihandschuhen, die sie sonst zum Abwaschen benutzt. So ein streunendes Tier könnte ja Tollwut und weiß Gott was haben.

Warum der zweite Satz? Als Leser weiß ich sehr gut, warum du die Gummihandschuhe anziehst; wenn du mir das noch erklärst, dann schätzt du mich nicht viel älter als der Junge.:D

Wenn ich sage, dass ich die Geschichte doch gern gelesen habe (gerade im Mittelteil, als richtig spannend wurde), dann liegt das an der Akribie, mit der du den Tagesablauf und das Fortschreiten der Krankheit beschreibst.

Aber, wie gesagt, hätte wahrhaftig ein starkes Stück werden können.


Schöne Grüße von meiner Seite!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Hannibal!

Auch dir vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. :)

Das sind die härtesten Kritiken. Wenn jemand sagt, es hat ihm nicht gefallen, komme ich da meistens relativ leicht drüber hinweg, aber "wenn es kürzer und innovativer wäre, hätte es richtig gut sein können", das nagt jetzt erst mal eine Weile an mir! Also doch noch nicht genug Schweiß und Tränen reingesteckt :D

Nein, im Ernst, vielen Dank, ich denke deine Kritikpunkte sind berechtigt, ich muss mich wohl mit etwas Abstand noch mal an die Geschichte dransetzen und ein paar überflüssige Sachen streichen.

Schön, dass du es auch in der übergewichtigen Version gern gelesen hast. :)

Ach so, aber eins noch: Ich finde das Ende eigentlich gar nicht offen. Ich dachte, es wäre ziemlich eindeutig, dass sich die Anzahl der Monster um zwei erhöht ... hmm, vielleicht war das doch nur in meinem Kopf so eindeutig. :(

 

Hallo, Perdita!

Deine Geschichte erinnert mich an den Film The New Daughter mit Kevin Costner, - hast du den gesehen? Nur dass es halt nicht um die Tochter geht, sondern um einen Sohn. Trotz meiner Assoziationen bedeutet das nicht, deine Geschichte wäre nicht eigenständig, - das ist sie durchaus.
Darüber hinaus bin ich mir uneinig, was den Text angeht. Auf der einen Seite hat mir die Geschichte gefallen, sie ließt sich flüssig und langweilt nicht. Andererseits fehlte die Spannung, das Hektische, stattdessen lässt du die Mutter auch an dem Unbekannten erkranken, wobei sie ruhig und gleichgültig der Bedrohung gegenüber wird. So gesehen hatte sich die ganze Situation nicht richtig entfaltet und irgendwo in der Mitte zum richtigen Horror hört es auf zu kriseln. Du erwähnst zwar die Dunkelheit, jedoch passiert im Dunkeln nicht viel.

Es war interessant zu lesen, dass die Mutter das Monster sofort sieht und nicht wie üblich nur das Kind, das Monster ist natürlich wieder weg, sobald ein Erwachsener im Zimmer auftaucht. Aber da gibt es noch einen Vater, der ihren Part übernimmt und den an nichts glaubenden Elternteil gibt, da sind wir doch noch an dem Ufer angelangt, den es zu umschiffen galt, - das denk ich mal jetzt so. Übrigens würde ich den Vater ganz streichen, für die Geschichte ist er irrelevant. Und dass er die ganze Zeit nur arbeitet und keine Zeit für die Familie hat ist ein weiteres Klischee.

Die Verwandlung der Mutter hat noch den positiven Aspekt, dass man als Leser etwas von der Welt der Monster – z.B. das Gedicht – erfährt. Zwar nicht viel, dennoch erwähnenswert.
Ansonsten denk ich, dass die Kinder sich selbst infizieren, und das Monster unter dem Bett ein mutiertes Kind ist. Wenn das so ist, dann stellt sich mir die Frage: Wo ist die Quelle?

Naja, wie gesagt es war interessant, hätte mir aber mehr Horror gewünscht.

Geert

 

Hallo, Perdita!

Du hast das da die alte Geschichte vom Monster unterm Bett neu interpretiert, um nicht zu sagen, zu neuem Leben erweckt. Damit hast du natürlich den Vorteil das man sich schnell in die Geschichte hinein fühlen kann, aber auch gleichzeitig das Problem das man sofort ahnt wie sie sich weiter entwickeln wird, weshalb es der Geschichte ein wenig an Überraschungen mangelt.
Diesen Mangel gleichst du aber, meiner Meinung nach, durch einen hervorragenden Schreibstiel und eine detailreiche Schilderung wieder aus. Die Spannung bleibt, trotz ihrer länge, vom Anfang bis zum Schluss, ohne einschnitte, erhalten und macht die Geschichte sehr angenehm zu lesen.
Besonders gefallen hat mir der innere Kampf der Mutter angesichts der seltsamen Vorfälle an der Realität, oder was sie dafür hält, fest zu halten.
Unterm Strich: Nicht sonderlich Überraschend aber sehr gut geschrieben.

Gruß Bloke

 

Hallo Geert und Bloke,

vielen Dank für eure Kommentare!

@Geert:

Deine Geschichte erinnert mich an den Film The New Daughter mit Kevin Costner, - hast du den gesehen?

Von diesem Film hatte ich noch nichts gehört. Aber das Motiv ist natürlich schon vielfach verwendet worden, bis hin zu ganz alten Geschichten über Wechselbälger :)

Aber da gibt es noch einen Vater, der ihren Part übernimmt und den an nichts glaubenden Elternteil gibt, da sind wir doch noch an dem Ufer angelangt, den es zu umschiffen galt, - das denk ich mal jetzt so. Übrigens würde ich den Vater ganz streichen, für die Geschichte ist er irrelevant. Und dass er die ganze Zeit nur arbeitet und keine Zeit für die Familie hat ist ein weiteres Klischee.

Es ist interessant dass du das sagst - als ich anfing die Geschichte zu schreiben, hatte ich tatsächlich eine alleinerziehende Mutter im Kopf. Aber es stellte sich dann heraus, dass es an manchen Stellen doch einen Dialog braucht, der nicht bloß zwischen Mutter und Kind stattfindet - vor allem am Schluss fand ich es wichtig, dass noch jemand da ist, der das Verschwinden des Kindes bemerkt. Der Vater hat also nur eine kleine Rolle in der Geschichte, ganz auf ihn verzichten möchte ich aber nicht. :)
Ein Klischee - hm, ja. Die Tendenz geht dahin, dass in mehr Familien beide Eltern möglichst gleichberechtigte Aufgaben bei der Versorgung und Erziehung der Kinder übernehmen, was ich auch super finde, aber die Familien, wo ein Elternteil deutlich mehr Zeit mit den Kindern verbringt (meistens die Mutter) gibt es ja auch noch recht häufig. Aber vielleicht hast du Recht - es hätte der Geschichte einen ganz interessanten Aspekt gegeben, wenn der Vater derjenige wäre, der häufiger mit dem Kind zuhause ist und es mit dem Monster zu tun bekommt. :)

Ansonsten denk ich, dass die Kinder sich selbst infizieren, und das Monster unter dem Bett ein mutiertes Kind ist. Wenn das so ist, dann stellt sich mir die Frage: Wo ist die Quelle?

Ja, das Monster unter Felix' Bett ist eines der vorher verschwundenen Kinder, es gibt kein "Bossmonster" :)
Es gibt doch häufiger Geschichten, wo nicht erwähnt wird, wer denn nun der erste Werwolf/Vampir/Zombie etc. war. Trotzdem ist das natürlich auch eine spannende Frage, und wenn es in der Geschichte so eine Art paranormales Ermittlerteam gäbe, würde sie vielleicht beantwortet ... Mal sehen, vielleicht in einer anderen Geschichte. :)

Naja, wie gesagt es war interessant, hätte mir aber mehr Horror gewünscht.

Mir gefallen Horrorgeschichten mit mehr Horror auch, aber bisher war es immer so dass wenn ich mich selbst an einer Horrorgeschichte versuche, die Horrorelemente eher leise und zurückhaltend daherkommen. Freut mich, dass du dich trotzdem nicht gelangweilt hast!

@Bloke

Du hast das da die alte Geschichte vom Monster unterm Bett neu interpretiert, um nicht zu sagen, zu neuem Leben erweckt. Damit hast du natürlich den Vorteil das man sich schnell in die Geschichte hinein fühlen kann, aber auch gleichzeitig das Problem das man sofort ahnt wie sie sich weiter entwickeln wird, weshalb es der Geschichte ein wenig an Überraschungen mangelt.

Ich glaube, je mehr jemand schon gelesen (oder Filme gesehen) hat, umso schwerer ist es, denjenigen noch zu überraschen. Früher hat mich der Gedanke, dass alles was ich schreibe in irgendeiner Form schon mal da gewesen ist, immer fertig gemacht und mich total blockiert, deshalb habe ich irgendwann einfach beschlossen, nicht mehr drüber nachzudenken, ob eine Geschichte innovativ ist. Das heißt natürlich nicht, dass ich Lesern nicht etwas Interessantes und Spannendes bieten möchte, aber ich weiß, dass es mir nur selten gelingen wird, jemanden total zu überraschen, außer es ist jemand der in diesem Genre noch nicht allzu viel gelesen hat. :)

Diesen Mangel gleichst du aber, meiner Meinung nach, durch einen hervorragenden Schreibstiel und eine detailreiche Schilderung wieder aus. Die Spannung bleibt, trotz ihrer länge, vom Anfang bis zum Schluss, ohne einschnitte, erhalten und macht die Geschichte sehr angenehm zu lesen.

Wow, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, außer vielen Dank! :)

 

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