Unterhaltung am Abend
Ein Mann stieg in die mit Menschen gefüllte Straßenbahn, ein braungebrannter, kurzgeschorener, strammgegelter Schönling. In der Sitzgruppe, in der ich mir bereits die Bank mit einer alten Frau teilte, sichtete er eine freie Sitzgelegenheit, mir gegenüberliegend, und steuerte geradewegs darauf zu. Der Unglücksselige, der den Fensterplatz dieser Bank nutzte, wäre in diesem Moment wahrscheinlich lieber nach außen gerutscht, um zu demonstrieren, dass braungebrannte, kurzgeschorene, strammgegelte Männer an diesem Platz unerwünscht wären. Er machte es nicht, hätte ohnehin kaum Zeit für dieses Vorhaben gehabt, schon saß der freundliche junge Mann, der neben seiner gegelten Frisur auch einen grauen Anzug mit rotem Schlips trug, mit den Worten „Ist hier noch frei?“ neben ihm.
Er atmete obligatorisch entlastend aus und blickte aus den Augenwinkeln in die Runde, ob nicht vielleicht einer von uns ihm bewundernde Blicke zuschmachten würde. Und tatsächlich, es funktionierte: Die alte Dame lächelte leicht und schmachtete ihn an. Seine Augen trafen unmittelbar den Boden. Seine rechte Hand fuhr in seinen Nacken und kratzte dort so beiläufig wie möglich, um der peinlichen Situation zu entkommen. Da schlossen sich auch schon die Türen und die Straßenbahn suchte ihren Weg zu der Station, an der ich aussteigen müsste.
Der Mann neben dem braungebrannten Chico in Armani sah mehr oder weniger gestraft aus, blickte unglücklich durch die Fensterscheibe und betrachtete dort eine Weile die vorbeisausende Innenstadt. Dann wurde es ihm zu stupide und er kramte aus seinem, zu seinen Füßen liegenden Rucksack eine zerknitterte Autoillustrierte hervor. Schlug irgendeine Seite mit irgendeinem uninteressanten Autobericht auf, der prädestiniert dafür war, durch ihn durch auf den Boden zu gucken und langsam aber sicher einzudösen.
„Der neue 911 Carrera 4S, ein Mordswagen, wenn de mich fragst. 6 Zylinder, 320 PS Motor, 3.5 Liter Cubic. Das Ding zieh dir die Sitze unterm Arsch weg.“ Der Sonnenbankazubi meldete sich zu Wort.
Der Besitzer der Automobilillustrierten schreckte aus seinem Halbschlaf hoch und blickte entsetzt, als ob er es geahnt hatte, nach rechts. Dann zwang er sich zu einem gequälten Lächeln.
„Ja, da haben Sie recht...ein Mörderding....wirklich.“
„Das Beste ist der Sportgang. Dann geht das Ding ab wie eine Rakete.“ Fuhr sein Nachbar fort, der in der Antwort wohl eine Aufforderung zur Kommunikation gesehen hatte. Und er machte dabei mit seiner Hand eine so schnelle aufsteigende Bewegung, dass sogar ich überzeugt davon war, dass der Carrera ein Spitzenwagen sein musste, den sich jeder Bürger, der nicht dahinkriechen wollte wie eine Schnecke, einfach kaufen musste. Und auch die Oma, immer noch schmachtende Blicke zusendend, beschloss sicher, ihre lang angesparten Rentengelder in einen 911 Carrera 4S mit Ledersitzausstattung zu stecken.
„Hatte mal so einen. Hab ihn wieder verkauft.“
Fast schon geschockt musterte ihn sein Obekt der Unterhaltung.
„Wieso denn das?“
„Ach, weißte, son Ding ist zwar ein Schmuckstück, aber so eine Mercedes Limousine mit Breitreifen ist echt angenehmer zu fahren, mehr Beinfreiheit und so. CLK 430, der liegt bei 180 in der Kurve immer noch platt wie ne Flunder auf der Straße.“
Er lachte, klatschte seine Hände zusammen, um zu demonstrieren, dass der neue Mercedes CLK 430 wirklich flach auf der Straße läge.
„Zeig mal her.“ Immer noch freundlich lachend ergriff er die Illustrierte, die ihm ohne Gegenwehr überreicht wurde.
„Er muss doch hier drin sein.“ Mit ernster Mine durchforstete er das Schriftstück nach einem silbernen Luxuswagen. Dann schaute er mit einem Mal in die Runde. „Er ist nämlich wirklich das Neueste, was auf dem Markt ist.“
Nach weiterem Blättern fand er eine Seite, die interessant zu sein schien. Zwar nicht das, was er gesucht hatte, aber...
„So eine Raubkatze ist schon was Feines. Meine alte bringt fast so viel wie das neue Modell. Leider nur 8 Zylinder, und außerdem eine Anfälligkeit gegen schlechtes Wetter. Deshalb fahre ich ihn nicht so oft.
Er hielt kurz inne, um sich noch einmal um zu sehen und die Lage zu checken.
„Was fährst du denn für´n Schlitten?“ Mit den Ellebogen traf er seinen Nachbarn, der schon wieder halb in süßeste Träume abgeglitten war. Er fuhr hoch und zog eine nachdenkliches, recht angenervte Mine.
„Ich hab einen Renault....einen 205er....glaub ich.“ Seine Blicke suchten Hilfe bei mir. Ich hob die Schultern und nickte dabei zustimmend den Kopf, da es wohl das richtige Modell sein würde.
Sunnyboy verzog sein Gesicht.
„Oh, ein Franzose, die fallen immer so schnell auseinander. Die Franzosen können halt keine Schrauben anziehen.“ Ein dämliches Lachen folgte seinen Worten.
Der Ex-Besitzer der Autoillustrierten war nun verärgert.
„Ist in Deutschland hergestellt. Die Teile kommen aus den Vereinigten“, konterte er etwas unsicher.
Es war offensichtlich, dass dies in eben diesem Moment erdacht worden war, doch war es, nun, in Zeiten der Globalisierung, eine Möglichkeit, die sehr gut auch der Realität hätte entsprechen könnte. Ich beobachtete wie der Ball an mein Gegenüber zurückgespielt wurde.
„Naja....trotzdem...die Pläne und...überhaupt...“
Seine Worte verloren sich im Murmeln, bis er wieder neu ansetzte.
„Bin letztens einen Bugatti gefahren. N´ Bekannter fährt den, aber mich lässt er ab und zu fahren. Wir tauschen Autos, weißte...
Die Straßenbahn hielt an. Wir standen an der Station, an der ich aussteigen müsste, wollte ich schnellstmöglich nach Hause. Doch der freundliche Mann war noch nicht fertig mit seinen Vortrag über Zylinder und Ventile, so dass ich beschloss noch eine Weile weiter zu fahren.
Im Laufe der Zeit erfuhr ich nicht nur noch mehr Details über den ausgeliehenen Bugatti und die platten Flunder, sondern bekam auch sämtliche Neuigkeiten und Hintergrundinformationen aus der großen weiten Welt des Auto Motor Sports.
Fast schon enttäuscht war ich, als die Straßenbahn die Endstation erreicht hatte und die letzten Passagiere, das waren Sunman, Oma und ich, der Bahn entsteigen mussten.
Er verabschiedete sich nicht, blickte nur kurz in die kleine Runde, stand mit einem herzlichen „Jop“ auf und verließ das Fahrzeug.
Die Oma schüttelte den Kopf, als ob sie sagen wollte „Nei, nei, das ich des noch erleben derf“.
Auch ich verließ das Gefährt.
Es war ein sonniger Abend. Nur zufällig ging mein Heimatweg in dieselbe Richtung wie die des bekannten Fremden. Ich folgte ihm aus einiger Entfernung, ließ mich zurückfallen kam eine offenere Strecke und rückte heran, wenn eine Allee von Litfasssäulen mir den Rücken deckte.
Dann irgendwann, nach unendlichen Minuten des Wartens, war der Moment gekommen:
Sunman zog etwas aus seiner Tasche, einen Schlüssel, wie ich hoffte. Und meine Hoffnungen wurden erfüllt.
Er drehte sich um, so, als ob er einen Verfolger vermuten würden. Um ein Haar erwischten mich seine Blicke am Ärmel, doch ein breiter Baum gab mir glücklicherweise im rechten Moment Deckung.
Er bog ein in eine Seitenstraße. Ich pirschte mich vor bis an die angrenzende Ecke. Dann wagte ich einen vorsichtigen Blick um die Betonwand.
Und da stand er. Weißlackiert und mit Heckscheibenheizung: Ein Fiat Uno. Er strahlte so viel Erhabenheit und Schönheit in der dunklen Gasse aus, dass nur die Dreckflecken an Karosserie und Scheiben die Blendung meiner Augen schützen. Ein wahrhaftes Prachtstück. Das schien auch Sunman so zu sehen, denn er würdigte dem Schloss des Wagens den Einschub seines Schlüssels und stieg sogar ein in das enge Innenleben, setzte sich auf die raue Polstergarnitur und versuchte nach Zuscheppern der Tür den Wagen anzulassen.
Es war ein wundervolles Schauspiel in der angenehmen Luft des Außenbezirks. Ein-, zweimal ließ er die Zündung rasseln, dann jaulte der Motor auf und Sunman entschwand in seiner Raubkatze in der rötlich schimmernden Abendsonne.
Ich hab ihn nie wieder gesehen.
[ 16.07.2002, 13:02: Beitrag editiert von: T.Neumann ]