Untergang
...Schlafen! Sich der Schwerkraft hingeben und in die dunklen Tiefen der Bewusstlosigkeit sinken!
"Keegan! Hey, Keegan, wach auf!"
Keegan kam langsam zu sich, öffnete die Augen und erblickte Zeki, seinen Kollegen, der neben ihm hockte.
„Na endlich! Du musst jetzt wach bleiben, hörst du!“ sagte Zeki. „Ich habe dir ein Aufputschmittel gespritzt“. Er wickelte den gebrauchten Injektor in ein Tuch und legte ihn zurück in die Erste-Hilfe-Koffer.
„Was ist passiert...?“
Auf die Ellbogen gestützt richtete sich Keegan ein wenig auf und versuchte, sich zu orientieren.
...Ich bin in einer Art Höhle... ...Sie ist nicht sonderlich groß, denn die gegenüberliegende Wand ist im Schimmer von Zekis Taschenlampe gut zu erkennen. Die großen Löcher dort scheinen Ein- oder Ausgänge zu sein. Der Boden, auf dem ich liege, ist nicht steinern, sondern von einer wachsartigen Schicht bedeckt. Ein seltsam organischer Geruch liegt in der feuchtwarmen Luft.
„Man hat dich hierher geschleppt.“ Erklärte Zeki. „Ich weiß nicht, wer es war. Du wurdest gebissen oder gestochen, von irgend einem Insekt. Von diesem Ungeziefer scheint es hier nur so zu wimmeln... In deinem Blut ist jetzt irgend ein Zeug in, dass dich müde macht.“
Keegan befühlte die schmerzende Schwellung in seinem Nacken.
...Ja, mein Blut! Ich spüre es bei jeder Bewegung in den Schläfen hämmern!
„Ich werde jetzt zum Schiff zurück gehen und sehen was ich tun kann. Vielleicht kann ich es reparieren und uns hier `rausholen. Hast du verstanden, Keegan? ...Du bist noch zu schwach, du musst hier bleiben und warten, bis das Gegenmittel wirkt. Hier ist eine Waffe!“
Zeki verschwand durch eine der Öffnungen in der Wand.
...Jetzt erinnere ich mich langsam wieder: Das Wurmloch..., die Pioniertruppe...Wir sind Helden gewesen, Abenteurer, die den ersten Zeitsprung gewagt hatten. Als wir das Wurmloch verließen, waren wir 80 Millionen Jahre in die Zukunft gereist. Doch dann tauchte plötzlich dieser Asteroid auf und kam viel zu schnell auf unser Raumschiff zu... Und jetzt sind wir anscheinend irgendwo im Inneren dieses Asteroiden, ...gefangen, verschleppt, hilflos... ,
Plötzlich hörte er etwas, ein dumpfes, glucksendes Geräusch. In einer der Tunnelausgänge war etwas aufgetaucht, etwas Bleiches, Schlauchförmiges. Eine Art kopfloser Hals, ein fetter, faltiger Rüssel reckte sich schnüffelnd aus seiner Höhle, wie ein riesiger Wurm, der aus seinem Versteck kroch.
...Das ist das Ende, das ist der Untergang, das ist mein Grab. ...Es gibt kein Entkommen mehr...
Dann war da ein anderes Geräusch. Schneller und viel leiser, ein hektisches, rhythmisches Klicken und Trippeln. Hunderte winzige, metallisch glitzernde Punkte erschienen an der Tunnelöffnung, durch die sich der unförmige Wurm schlängelte, strömten in die Höhle und flitzten über den Boden, an Keegan vorbei und verschwanden wieder in einer der Löcher auf der anderen Seite der Höhle: Es waren Insekten, handtellergroße, flügellose Tiere; halb Ameise, halb Käfer.
...Das Ungeziefer kommt, die Käfer und die Würmer!...
Die massige Gestalt hatte sich in Bewegung gesetzt und war den kleinen Insekten gefolgt. Der riesige, bebende Wanst schob sich durch die Höhle, ein gewaltiges, walzenförmiges Ding, ohne Vorne und Hinten. Zwanzig gekrümmte Stummelbeine schleppten den nackten, rosafarbenen Fleischberg an Keegan vorbei, begleitet von einigen kleinen Käfer-Ameisen, die, über den Höhlenboden, die Flanken und den Rücken des großen Körpers, schnell ihren Artgenossen hinterher rannten.
...Diese Kreatur, sie... sie ist gar nicht so fremdartig, so beängstigend... Irgendetwas an ihr kommt mir seltsam vertraut vor...
Keegan streckte seine Hand aus und berührte die Haut des Wesens. Sie fühlte sich weich an und es war ihm, als spürte er darunter das Blut durch dicke Adern pumpen. Ein Beben ging durch den Leib des Tieres und auf Keegans Berührung hin wandte es sich langsam um. An einer Seite stülpte sich nun der groteske Rüssel aus und schwenkte Keegan entgegen. Ein formloser Mund gab einen klagenden, dumpfen Ruf von sich, gefolgt von einem tonlosen Husten.
...Es ist irdisch! Ich glaube, es ist eine Art... Säugetier! ...Ein Geschöpf der Zukunft... Es lebt hier, in den Katakomben, zusammen mit diesen Käfer-Ameisen...
„Keegan!“ schrie Zeki, der auf einmal wieder in der Höhle stand.
„Was... was machst du da? Dieses widerliche Monster, sei vorsichtig, verdammt!
„Es ist harmlos, glaub mir!“ erwiderte Keegan.
„Ich weiß jetzt Bescheid“ stammelte Zeki. „Diese Viecher, diese mutierten Ameisen! Sie sind irgendwie intelligent geworden, im Laufe der Jahrmillionen! ...Sie, sie haben den ganzen Asteroiden ausgehöhlt, überall sind diese Gänge und Kammern...
Der Asteroid ist eine Art Raumschiff, mit dem sie durch das Weltall fliegen. ...Und er ist nur einer von vielen Tausenden!“
...Sie reisen gemeinsam durchs All... ...Insekten und Säugetiere, Seite an Seite... Sie leben miteinander, füreinander... ...Es ist eine Symbiose!
„Unser Schiff ist in einer Höhle, nicht weit von hier. Sie haben es fast auseinandergenommen. Ich hatte kurz Zugriff auf den Computer, dann tauchten aber überall diese Viecher auf und ich machte mich davon. Verdammt, Keegan!“
Keegan berührte den Hals des Ungetüms, welches sich ein wenig auf ihn zu bewegt hatte.
„Sie beherrschen die Welt! Dieses Ungeziefer ist uns Menschen weit überlegen! Ein gewaltiges, kollektives Bewusstsein... Das übersteigt unseren Verstand...“
...Beide Rassen dienen einander, beschützen sich gegenseitig... ...Ein Geben und Nehmen...
„Wir müssen etwas tun!“ Ungläubig starrte Zeki seinen Kollegen an, den das alles nicht zu interessieren schien. „Lass uns diese Viecher töten, kaputt machen, damit wir hier weg kommen. ...Wir könnten den Asteroiden in unsere Gewalt bringen...“ Er versetzte der aufgequollenen Seite einen Tritt, das Tier heulte vor Schmerz auf.
...Das ist nicht das Ende! Wir haben noch eine Chance! Wir... wir müssen uns nur fügen, der Situation ergeben, einen Kompromiss eingehen...
„Lass es in Ruhe, Zeki... Es ist alles in Ordnung!“ sagte Keegan streng. Liebevoll beobachtete er den kaum erkennbaren Kopf, das stumpfe Ende des Halses, umfasste und streichelte ihn. Das Wesen gab einen wohligen Laut von sich.
Plötzlich waren die Insekten wieder in der Höhle. Überall rannten sie auf dem Boden umher, und als Keegan sich umwand sah er Zeki, wie er laut fluchend versuchte, unzählige der kleinen Tiere von seinem Körper zu entfernen und sie, wild fuchtelnd, abstreifen und loswerden wollte. Doch es wurden immer mehr und bald hatten sie ihn gestochen, ihm ihr Gift in den Körper gespritzt, so dass er benommen zu Boden sank. Das große Tier bewegte sich langsam auf den schlafenden Zeki zu.
Auch Keegan wurde wieder müde.
Ihre warme Heimstätte verlassend, krabbelten nun einige Insekten aus dem Maul des großen Säugetieres, ließen sich auf Zekis schwer atmenden Körper hinabfallen, um sich dort ein neues Nest zu suchen.
Keegan schloss die Augen.
...Schlafen! Sich der Dunkelheit hingeben und die Schrecken der Welt unbekümmert geschehen lassen!
[ 29.04.2002, 12:29: Beitrag editiert von: Kakus ]