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Unter Wasser
Sie werden mich nicht verstehen können, niemand wird mich verstehen können. Nicht mal meine beste Freundin, der ich alles erzählt habe und die mich seither immer ein bisschen schräg ansieht. Na ja, nicht nur schräg, das gebe ich zu.
Sehen Sie, die Sache ist die: Ich bin eine ganz normale Fische-Frau, war es jedenfalls bis vor einem halben Jahr. Normal heißt: Weghören, wenn die Eltern ihre guten Vorschläge anbringen, sich in irgendeinen bunten Hallodri verlieben, vernünftig werden, einen zuverlässigen Partner heiraten, Brut zu bekommen und Brut aufzuziehen, wieder und wieder.
Nun gut, ganz normal war ich wohl nie... Die Natur hat mich mit einem wunderschönen, bunten, zart schillernden, samtenen Schuppenkleid ausgestattet. Und das können nur die wenigsten von sich behaupten. Ich wurde immer umschwärmt, seit frühester Jugend. Natürlich hab ich dabei Ansprüche entwickelt, mehr wohl als es gut für mich war. Ich hatte wirklich hohe Erwartungen, vor allem was den Sex angeht. Getuschelt wurde ja mehr als genug darüber. Wunder was hab ich mir drunter vorgestellt, ohne zu ahnen, dass es eine dieser Sachen war, über die nur viel rumgeblubbert wird. Und es wurde viel geblubbert, das schwör ich Ihnen.
Abenteuerlich waren meine Vorstellungen, jungfräuliche Vorstellung natürlich. Von Flossen, die zart meine Kiemen streicheln, von innigen Küssen... Dass das nun wirklich nur Utopien waren, stellte ich schon beim ersten Mal fest. Wissen Sie, anatomisch gesehen geht das gar nicht , sich beim Sex zu küssen. Einmal hab ich es probiert, hinterher tat mir alles weh, geklappt hat es nicht, obwohl wir uns wirklich beide sehr angestrengt haben. Das Streicheln ist auch nicht das Wahre. Die Flossen sind zart, zu zart, um auch überhaupt nur ein bisschen Kribbeln durch die Schuppenhaut zu spüren.
Und dann der Sex! Gut, die Stellungen kann man schon wechseln, einmal der eine oben, dann der andere. Aber es bringt nicht viel. Im Wasser ist die Stellung relativ egal. Man treibt halt so dahin... nur dass man tagsüber die Meeresoberfläche sehen kann, wenn man unten ist. Nachts spielt nicht mehr mal das eine Rolle. Dröge sage ich Ihnen, wirklich dröge! Es geht ja nur Bauch an Bauch. Kein Wunder, dass wir Fische immer so gelangweilt wirken, wir sind gelangweilt. Das können Sie jetzt sicher auch verstehen.
Nun ja, eigentlich wollte ich Ihnen ja meine Geschichte erzählen, aber ich wünsche mir so sehr, verstanden zu werden, und dafür musste ich Ihnen das eben alles so ausführlich erklären.
Ich war also eine frustrierte Fische-Frau unter vielen. Nichts unterschied mich von meinen Leidensgenossinnen, außer dass ich mehr Flausen im Kopf hatte. Eigentlich war es ja eher ein Traum als Flausen. Ich wollte Sex - nicht den üblichen Fische-Sex. Ich wollte wilden, stürmischen, phantasievollen, befriedigenden, eben anderen Sex. Aus diesem Grund hielt ich auch immer die Augen offen, wenn ich durch die Gegend schwamm. Nach anregenden Locations linste, nach anderen Paaren, um denen beim Sex vielleicht etwas abzuschauen. Alles zwecklos. Wir hatten es ja schon überall getrieben, darin ist mein Mann wirklich sehr offen. Über Korallen, in Korallen, unter Korallen. In Schiffswracks, in Höhlen, im Beisein seiner Eltern - sie haben diskret weg gesehen - mitten im Schwarm... Es schien nichts mehr Neues zu geben.
Meinen Mann zu betrügen, war mir noch nie in den Sinn gekommen. Ich hatte sowieso einen der Besten. Manchmal vielleicht ein bisschen langweilig, aber wie gesagt, er tolerierte meine Spinnereien und machte alle mit, was nun wirklich nicht selbstverständlich ist. Ich merke schon, ich schweife ab - das ist übrigens eine unserer schlechtesten Eigenschaften. Wir schweifen und schweifen und kommen immer nur sehr umständlich zum Ziel, wenn wir überhaupt dort ankommen.
Zurück zu meiner Geschichte: Ich schwamm also wieder mal so vor mich hin, meine Brut hatte ich an einer zarten Koralle zurückgelassen, wo sie ein bisschen knabbern konnten. Plötzlich sah ich ihn, direkt vor mir. Er schwamm auf mich zu, sein Blick traf meinen, es war um mich geschehen. Ich wusste nur noch eines: den und nur den will ich. Nicht, dass er so besonders gut ausgesehen hätte, für den feinen Fische-Geschmack war er sogar ausgesprochen hässlich. Einfarbig, stumpfe Haut, Augen, die nicht an der richtigen Stelle saßen. Aber er hatte Arme, viele Arme!
Seltsam, dass ich noch nie Phantasien von Armen hatte, er war ja nicht der erste Octopus, der mir über den Weg schwamm. Aber etwas war anders an ihm. Vielleicht seine Augen, die so einladend wirkten und genau das versprachen, was ich mir wünschte. Eine völlig neue Art von Sex. Ich machte nicht wie üblich den kleinen Schlenker nach links, er auch nicht. Wir mussten aufeinander prallen - wir wussten es beide und wollten es beide. Als er mir nahe genug war, streckte er seine Arme aus, umfing mich und zog mich rasch unter eine der großen Korallenstauden.
Dort begann mein Sexleben, ein Sexleben, das ich heute wirklich nicht mehr missen möchte. Er umfing mich mit seinen Armen, mit allen. Sie waren überall, er war überall. Ein Arm streichelte meine Kiemen, ein anderer meinen Rücken, einer wanderte über meine Flossen, einer kraulte meinen Bauch. Was die anderen Arme noch machten, konnte ich bald nicht mehr unterscheiden. Wenn Sie noch nie so gestreichelt wurden, werden Sie es sich nicht vorstellen können. Die Intensität dieser Berührungen, diese Ekstase. Ich kam schnell, schneller als je zuvor in meinem Leben und sehr viel heftiger. Er hörte nicht auf, mich zu streicheln, jagte mich von einem Orgasmus zum nächsten. Zeigte mir Stellungen, die mit einem Fisch völlig unmöglich gewesen wären, machte mich süchtig nach ihm.
Es war nicht sehr bequem, dort unter den Korallen. Ständig scheuerte etwas an meinem Rücken, an meinem Bauch. Aber es war mir egal, ich war unersättlich. Es müssen Stunden gewesen sein, die wir dort miteinander verbrachten. Irgendwann musste ich mich losreißen, das Licht war fast verschwunden, die Mutterinstinkte regten sich in mir. Ein Blick in seine Augen verriet mir, wie sehr auch er es genossen hatte. Dass auch er mich wollte, immer und immer wieder.
Seither treffen wir uns jeden Tag, die Locations wechseln. Das Wrack haben wir auch schon ausprobiert. Es war natürlich gar kein Vergleich zu dem Sex-Erlebnis mit meinem Mann dort. Es hat einfach was, mit dem Rücken auf einem Kanonenrohr zu liegen, dort festgehalten zu werden, sich nicht bewegen zu können und völlig ausgeliefert zu sein. Vor seinen Eltern treiben wir es natürlich nicht, auch nicht in meinem Schwarm. Alle wären empört, verstehen könnte es sicher niemand. Meine Freundin reagierte entsetzt, als ich es ihr erzählte. Mit einem Fisch einer anderen Art, das hätte sie ja noch verstehen können, aber mit einem Octopus! Allerdings beobachte ich jetzt schon eine ganze Weile, dass ihre Augen zu glänzen beginnen, wenn ihr irgendwo ein Viel-Armiger über den Weg schwimmt. Und ihre Ausweichmanöver werden immer halbherziger...