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Unter Menschen

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14.08.2001
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Unter Menschen

Wie ihn dieser Typ nervte. Wieso musste es Menschen geben, die im Sitzen so groß waren wie im Stehen, und warum mussten die auch noch immer eine riesige Haarpracht mit sich rumtragen? Und wer ließ eigentlich zu, dass sich diese Leute im Kino immer genau auf den Platz vor einem setzten? Der Film war scheiße, OK, aber Theo hatte dafür bezahlt, und jetzt wollte er ihn auch sehen. Es ging um eine dumme, junge amerikanische Frau, sie hieß Jennifer oder Sandy oder Lynn oder so. Sie liebte einen Kerl, der sie nicht liebte, und sie wurde geliebt von einem anderen, den sie nicht liebte. Das ganze spielte irgendwo, in irgendeiner blöden amerikanischen Stadt, und es ging hin und her, noch eine Verwicklung und noch ein unglaublicher Zufall, na ja, wie das halt so ist in diesen Filmen. Dumme Menschen machen dumme Sachen, die kein normaler Mensch machen würde, nur weil dem mittelmäßigen Drehbuchautor nichts besseres eingefallen war. Aber Theo ging gerne in dieses Kino, genauer gesagt jeden Abend. Er sah den Film zum achten Mal.

Ja, dieser blöde Typ. Er konnte sich nicht in seinen Sitz lungern, wie das jeder normale Mensch im Kino machte, nein, er musste natürlich kerzengerade auf seinem Sitz sitzen, als befände er sich im Gerichtssaal als Angeklagter in einem Mordprozess. Das einzige, was dieses Bild beeinträchtigte, war, dass er die ganze Zeit herumhampelte, als säße er bereits auf dem elektrischen Stuhl. Theo fing an, ihm Papierkügelchen in seine Lockenpracht zu werfen. Seine ganze Eintrittskarte riss er in Stückchen, formte sie zu kleinen, handlichen Wurfgeschossen und beförderte sie mit eleganten Bewegungen in die störende Mähne des Langhaarigen. Theo gluckste vor Freude, was aber im allgemeinen Gelächter über den dummen Film nicht weiter auffiel. Er nippte an seinem Bier, und die kurze Freude verflog und wich diesem mittlerweile bekannten Zustand, dieser lähmenden Mischung aus Melancholie und Erschöpfung. Um ihn herum saßen die anderen Zuschauer, zum größten Teil junge, sorglose Pärchen, zum Teil aber auch zusammengehörende Grüppchen mehrerer junger, sorgloser Pärchen. Theo ließ seinen Blick schweifen, sah die Sitzreihen vor ihm, alte, abgewetzte Sitze, mit Jahre alten Limonadeflecken auf den Polstern und Krümeln von vor langer Zeit geknabberten Knabbersachen in den Ritzen. Er begann, seine Umgebung aufmerksam wahrzunehmen, er hörte das Rattern des noch aus Ostzeiten stammenden Abspielapparates und sah die Staubkörner, die auf der Leinwand flimmerten. Chipstüten knisterten, Bier und Cola rauschte durstige Kehlen hinunter, auch ein unterdrücktes Aufstoßen meinte er zu vernehmen. Er versuchte noch kurz, sich auf den Film zu konzentrieren, gab aber schnell auf und verließ das Kino.

Draußen blieb Theo stehen, atmete tief ein und angelte nach seinen Zigaretten. Immerhin, heute hatte er fast eine Stunde ausgehalten. Sonst war er immer schon gegangen, als das dumme amerikanische Mädchen noch mitten im Schlamassel ihrer Liebschaften steckte, doch heute hatte er zum ersten Mal das pflichtgemäße Happy-End erahnen können, bevor er gegangen war. Na, vielleicht noch drei, vier Tage, und er würde den Film bis zum Ende sehen. Trotz allem ging er gerne in dieses Kino, es lag direkt neben der Pension, in der er vor zwei Wochen ein kleines Zimmer bezogen hatte. Er kannte niemanden in dieser Stadt, genau genommen kannte er noch nicht einmal die Stadt, er kannte eigentlich gar nichts. Aber jeder musste mal unter Menschen, und so ging Theo seit einigen Tagen in dieses Kino. Er steckte sich seine Zigarette an und ging einige Schritte auf und ab. Es wurde langsam Sommer, die Luft war zwar zu dieser Uhrzeit schon ziemlich kalt, aber es war angenehm, die Menschen in den Cafes um ihn herum zu hören, wie sie lachten und redeten und tranken.

Er erinnerte sich an seine Flucht. Denn es war eine Flucht gewesen, kein sorgfältig geplanter und wohlüberlegter Umzug in einen neuen Lebensabschnitt. Er hatte nicht überlegt, welche Möbel er mitnähme und welche er verkaufte, er hatte nicht tagelang Umzugskartons gepackt, und er hatte nicht seine Freundschaften überprüft, welchen er baldiges Wiedersehen versprechen sollte und welche er lieber mit einem „Man sieht sich.“ versanden ließe. Nein, keine drei Tage hatte er gebraucht, um all seine Habseligkeiten an den Erstbesten zu verscheuern, natürlich ausgenommen das Nötigste und die wenigen Dinge, die ihm fehlen würden. Keine drei Tage, um seinen Job zu kündigen (das hatte nur drei Minuten gedauert, und keiner hatte ihn aufgehalten, eigentlich war es sogar ein Eklat gewesen, so hatte noch nie jemand gekündigt), die amtlichen Sachen zu regeln und alle Zelte abzubrechen. Ja, das konnte man schon eine Flucht nennen.

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„Hastwiskleingld?“ Theo drehte sich nach dem dünnen Stimmchen um und fragte: „Wie bitte?“ „Ob du was Kleingeld hast!“, fragte das Stimmchen, deutlich energischer, fast schon bestimmt, als habe es einen Anspruch auf einen Wegzoll der vorbeieilenden Passanten. Theo sah ein kleines, blutleeres Wesen, ein Mädchen (oder schon eine Frau?), blass und kränklich. Sie sah aus, als hätte sich ein Hersteller von süß-kitschigen Porzellanhündchen einen Scherz erlaubt, als hätte er versucht, eine Figur zu entwerfen, die so wenig süß wie möglich und erst recht nicht kitschig aussehen sollte, um sie dann an einen exzentrischen Sammler zu verkaufen, der sie in seinem dunklen, holzgetäfelten Kuriositätenkabinett ausgestellt und sich an den Hässlichkeiten dieser Welt erfreut hätte. Das Porzellan, was normalerweise die Liebhaber von blöde glotzenden Porzellanhündchen in Verzücken versetzte, betonte bei dieser Art von Statue – Theo musste sich daran erinnern, dass es gar keine Statue war – ihre Leblosigkeit und lies ihn ein wenig erschaudern. Nicht, dass er sich vor ihr ängstigte, vielmehr erschauderte er aufgrund der Absurdität, dass solch ein Wesen sprach und sogar ein lebendiger Mensch war wie er selbst.

„Wassisnjetz?“, riss ihn das Mädchen aus seinen Überlegungen, „hastewiskleingld oder ´n´ Zigarette?“ Sie schob sich ihre vom trommelnden Regen nassen Haare aus dem Gesicht und versuchte, ein freundliches Gesicht zu machen. Theo betrachtete die Haare, und wieder erschien das Bild der Sammlermonstrosität, denn die an ihrem Kopf klebenden Haare bestätigten den Eindruck einer aus einem Stück gebrannten Porzellanfigur. „Ja, klar“, sagte Theo, freundlich, um seiner Begegnung mit einer bettelnder Kaminsimsdekoration einen unverbindlichen und alltäglichen Anstrich zu geben. Er überlegte, ob es hygienischer sei, die Zigarette aus der Schachtel zu nehmen und ihr mit der Hand zu geben oder ob er ihr besser die geöffnete Schachtel hinhielte. Er entschied sich dafür, die Zigarette aus der Schachtel zu nehmen (dies war nicht die Situation für übertriebene Höflichkeit) und reichte sie ihr zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt wie mit einer Pinzette. Nicht, dass er wirklich Angst vor der Ansteckung mit einer tödlichen Krankheit gehabt hätte, aber angesichts der dünnen Fingerchen des Stimmchens, deren Farbe der einer rohen Bratwurst ähnelten, und eines diffusen Unbehagens in seiner Magengegend schien ihm diese Vorsichtsmaßnahme angemessen zu sein. „Dankemann“, gurgelte das Mädchen, „un´ hasteauchwiskleingld?“ „Nein, sorry“, antwortete Theo; er hatte seinen Teil getan, und schließlich sollte man seine Großzügigkeit nicht überstrapazieren. Er ging weiter, und das Stimmchen wandte sich anderen Passanten zu.

 

Hallo Leute,

dieser Text ist der Anfang einer längeren Geschichte (die am Ende aber noch als Kurzgeschichte durchgehen soll). Sorry, dass ich Euch als "Testmarkt" missbrauche, aber ich würde mich sehr über Kritik freuen. Was interessiert Euch an der Geschichte und was nicht? Wie sieht´s mit der Sprache aus? Möchte man weiterlesen oder gibt man nach einigen Zeilen entnervt auf? Fragen über Fragen in der Hoffnung auf Antwort.

Schöne Grüße, Patrick

 

Naja ... wenn das länger wird, muss die Struktur besser werden. Du lässt einen über die Hauptperson im Unklaren.
Kann man das nicht chronologisch schildern: Das ist der Theo, der hat solche Probleme, deshalb zieht er weg und nun ist er ganz alleine.
Die Szene im Kino war zu lang. Was soll die, da passiert nichts? Um nicht missverstanden zu werden. Ich will keine Antwort à la 'Die sollte seine Einsamkeit verdeutlichen'. Das ist mir schon selbst klar. Aber es fehlte die Handlung. ich habe mich gelangweilt, und wenn der Leser sich langweilt, muss die Szene weg.

Ob ich weiterlesen würde? Ja,, natürlich, weil das Mädchen aufgetaucht ist und die wird er ja bald näher kennen lernen und ich will wissen, wie das abläuft.

Katastrophal fand ich den Stil der Sprache. Du ziehst einen ernsthaften Inhalt ins Lächerliche. Dein Text liest sich teilweise wie ein Lehrbuch für (gegen) schiefe Bilder und unpassende Vergleiche. Da würde ich mir auch nichts anderes einreden lassen. Vielleicht kommt jemand und sagt: 'So schlecht war das gar nicht, ich fand den Vergeich komisch'. Das ist nicht komisch, das ist einfach schlecht.

aber angesichts der dünnen Fingerchen des Stimmchens, deren Farbe der einer rohen Bratwurst ähnelten, und eines
Erinnert an 'Unbekannt' wo du ein Mädchen auf Grund ihrer emotionalen Wärme mit einer Heizung verglichen hast.

Bei der Beschreibung des Mädchens hast du ohnehin dick aufgetragen. 'Ähnelt einem Porzellanhündchen ...' hätte völlig gereicht, du aber ziehst das Bild um DREI Ecken in die Länge.

Theo sah ein kleines, blutleeres Wesen, ein Mädchen (oder schon eine Frau?), blass und kränklich. Sie sah aus, als hätte sich ein Hersteller von süß-kitschigen Porzellanhündchen einen Scherz erlaubt, als hätte er versucht, eine Figur zu entwerfen, die so wenig süß wie möglich und erst recht nicht kitschig aussehen sollte, um sie dann an einen exzentrischen Sammler zu verkaufen, der sie in seinem dunklen, holzgetäfelten Kuriositätenkabinett ausgestellt und sich an den Hässlichkeiten dieser Welt erfreut hätte. Das Porzellan, was normalerweise die Liebhaber von blöde glotzenden Porzellanhündchen in Verzücken versetzte, betonte bei dieser Art von Statue – Theo musste sich daran erinnern, dass es gar keine Statue war – ihre Leblosigkeit und lies ihn ein wenig erschaudern.
Also für mich ist dieses Bild selbst für die Parodie einer schlechten Metapher zu lang. Ehrlich gesagt ist dies das am weitesten überzeichnete Bild, das ich jemals hier gelesen habe, meine eigenen eingeschlossen.

Also weiterlesen würde ich auf alle Fälle, weil ich das Mädchen kennen lernen will; das macht schon neugierig. Außerdem interessiert mich die Hauptperson: Außenseiter. Aber stilistisch müsste man das komprimieren und geradlinieger verlaufen lassen; vor allem die humoristischen Elemente irritieren und erinnern eher an Slapstik.

Ich hoffe, ich habe dich nicht schockiert, obwohl eigentlich hoffe ich das schon, denn die Bilder müssen weg, sonst lacht man dich aus. Und niemand will ausgelacht werden.:(

mfg

Stefan

 

Hi Buckliger!

Geschrieben von Quasimodo666
Ich hoffe, ich habe dich nicht schockiert, obwohl eigentlich hoffe ich das schon, denn die Bilder müssen weg, sonst lacht man dich aus. Und niemand will ausgelacht werden.:(

Nee, nee, nicht schockiert, etwa so hatte ich mir das Feedback vorgestellt. Also deutlich und konkret. Vielen Dank. Es fällt mir schwer, meine Texte so (objektiv) zu lesen, wie ich andere Texte lese. Ein Bild, von dem ich in einem fremden Text Krämpfe bekomme (wie es Dir anscheinend ergangen ist), erscheint mir in meinem eigenen Text als wohlformulierter Geniestreich. Also vielen Dank, ich werde die Kritik sacken lassen und mich dann an die Verbesserung machen.

Viele Grüße, Patrick

P.S.: Über weitere Kritik freue ich mich natürlich.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo eierbein !

Den möglichen Anfang eines vielleicht Fast-Romans (wie lange ist eine lange Kurzgeschichte?), in dem sich alles langsam entwickelt, abzuschneiden und als Fragment einer Kurzgeschichte loszuschicken ist, denke ich, nicht gleich ein Missbrauch unserer Lesebereitschaft, aber doch ein sinnloses Unterfangen. Denn man kann es so kaum beurteilen. Das ist als würde ich eine kandierte Fruchtverzierung einer Torte essen und danach erklären müssen ob die Torte gut schmeckt.

Ob ich weiterlesen würde? Ich kann es nicht sagen, denn ich weiß eigentlich nicht ob ich einen Krimi, eine Satire oder eine Komödie in Händen halte. Ich habe außerdem das Gefühl, dass die beiden Abschnitte unabhängig voneinander sind wodurch das Ganze zusätzlich kompliziert wird.

Sprachlich fällt mir auf, dass manches sehr intensiv beschrieben ist, und doch irgendwie am Wesentlichen vorbei zu gehen scheint, nur Äußerlichkeiten beschreibt. Aber als Kritik auf eine Leseprobe ist dies für dich kaum verwertbar.

Gruß schnee.eule

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi schnee.eule, danke auch Dir für die Rückmeldung.

Ob ich weiterlesen würde? Ich kann es nicht sagen, denn ich weiß eigentlich nicht ob ich einen Krimi, eine Satire oder eine Komödie in Händen halte. Ich habe außerdem das Gefühl, dass die beiden Abschnitte unabhängig voneinander sind wodurch das Ganze zusätzlich kompliziert wird.

Da hast Du mich ertappt. Habe die Teile im Abstand von ca. 5 Monaten verfasst; die Idee zum zweiten Teil kam mir auch unabhängig vom ersten Teil. Ich dachte, die würden gut zusammenpassen. Könnten Sie vielleicht auch, wenn die Geschichte fertig ist. Ich habe nämlich nicht - wie Du es glaube ich verstanden hast - den Text aus einem Gesamttext ausgeschnitten, sondern noch nicht weiter geschrieben als der vorliegende Text. Ist vielleicht wirklich nicht so die gute Idee, einen Ausschnitt zu veröffentlichen. Zumal ich in den Regeln, was man auf KG.de posten darf, gerade folgenden Passus gefunden habe:

Gedichte, Romane, Romanausschnitte, unfertige Geschichten usw. sind nicht erwünscht. Eine Diskussion darüber ist zwecklos. Entsprechende Texte werden sofort gelöscht.

Hoffentlich sieht´s keiner der Moderatoren. Gnade! :shy:

Schöne Grüße, Patrick

 

Die Lösung ist einfach: Nimm den Teil mit dem Mädchen und schreib ihn zuende.
Und tust du mir einen Gefallen: Mach ein paar Sexszenen rein.:)

 

@Quasimodo

Geschrieben von Quasimodo666
Die Lösung ist einfach: Nimm den Teil mit dem Mädchen und schreib ihn zuende.
Und tust du mir einen Gefallen: Mach ein paar Sexszenen rein.:)

Geht klar. So à la "...er führte seinen glühenden Luststab in ihre gierige Liebesgrotte..."? Das würde Dir gefallen, was? :eek2:

 

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