Unter Menschen- allein
Ein letzter Blick in den Spiegel. Routiniert betrachtete sie noch einmal das Bild, was dieser ihr offenbarte und ließ dieses angewidert im Bad zurück.
Der fremde Mann wartete schon wollüstig auf sie in ihrem Schlafzimmer. Gierige Hände nestelten nervös an ihrem BH. Schroff wies sie diese zurück, legte ihre Kleidung ab und ließ sich geduldig, wie schon so viele Male auf ihr Bett fallen. Hektisch stieg der Fremde ihr hinterher und stürzte sich grob über sie.
Ihre Gedanken schweiften weit weg und sie fühlte sich seltsam losgelöst, nicht dass ihr ihre vorherigen Liebhaber mehr Freude bereitet hätten, doch diesmal war es anders. Ihr Leben durchzuckte sie in rhythmischen Stößen. Tränen auf ihren erhitzten Wangen. Tot aber doch lebendig.
Längst vergangene Szenarien ihres Lebens spielten ihr Streiche und bei all dem sah sie sich, als wäre sie der Voyeur dieser bizarren Szene, die sich dort auf ihrem Bett abspielte. Wer war diese Frau? Diese Frau mit den erschreckend leeren Augen? Augen so tief wie der Ozean und so tot wie ein Stein.
Lautes Stöhnen. Ihr bisher regloser Körper bäumte sich auf, grob drückte sie die schwielige Männerhand nieder. Entsetzt blickte sie in das gerötete verschwitzte Gesicht des Fremden. Sie hatte das Gefühl sich Ohren, Augen und Nase zuhalten zu müssen. Die animalischen Laute, das angestrengte Gesicht mit den leeren Augen, die sie zu übersehen schienen und der fahle Atem des Mannes machten sie krank. Sie hatte das Gefühl zu ersticken.
Dann wieder diese wunderbare Leere. Der Raum schien zu schweben. Entspannung! Plötzlich wieder diese züngelnden Bilder ihres Lebens und das Bild dieser fremden, aber doch so vertrauten Frau und ihr Liebhaber. Wer war sie? Wo kam sie her? Und vor allem warum war sie so traurig? Der Schmerz und das Mitleid für diese verwelkte Blume von Frau schien ihre Brust zu zerreißen. Sie hatte das Gefühl laut schreien zu müssen, doch ihrer Kehle war kein Laut zu entlocken.
Und dann plötzlich diese alles überschwemmende Gewissheit, dass diese Frau keine andere außer sie selbst sein musste.
Die Fassade ihres Lebens brach zusammen. Ihr Körper wurde geschüttelt von lautlosem Schluchzen.
Allein! Das Bewusstsein, vollkommen allein auf dieser Welt zu sein, tat so weh. All die wechselnden Liebhaber, mit denen sie Nacht für Nacht Bett und Körper geteilt hatte. Aber wann hatte sie zuletzt mit jemandem ihre Gedanken geteilt? Die schwarze Klaue der Trauer umklammerte ihr Herz hart. Nun der erste Laut, den sie seit Beginn des Lustakts zu sagen imstande war. Es war ehr wie ein wimmernder Laut eines Welpen, aber doch laut und ohrenbetäubend: „Schmerz“ , und sie kämpfte ein letztes Mal gegen den schwammigen Körper des Mannes an, bevor sie zusammenbrach. Bewusstlosigkeit.
Sie war wieder wach. Wach und allein. Über eines war sie sich nun gewiss: Wenn die Seele sterben kann, war die ihre tot. Hingerichtet!
Die Frau steckte sich eine Zigarette an.